Geschichte Wiens 2: Die Entstehung einer Stadt - Der Berghof

in #deutsch6 years ago

Liebe Steemianer,

was bisher geschah: Teil 1 – die Römer

Spätantike / Frühes Mittelalter


Nachdem 405 und 406 n. Chr. die Ostgoten Vindobona verwüstet hatte, gaben die Römer das Lager gegen 408 (letzter römischer Münzfund (1)) auf und danach zog sich die romanische Volksgruppe (die durch Vermischung der Kelten mit den Römern entstanden war) fast vollständig in Richtung Italien zurück und wurde nach und nach von verschiedenen Germanenstämmen (zuerst von den Markomannen) abgelöst, wobei allerdings zunächst die Hunnen herrschten.
Zu dieser Zeit, am Übergang zwischen Antike und Mittelalter, ist Vindobona übrigens Schauplatz einer Episode des Nibelungenliedes (1). Nach dem Tod Siegfrieds reiste Kriemhild ins Land der Hunnen (Pannonien), um sich mit deren König Etzel zu vermählen. Etzel, dessen Gestalt auf Attila beruht, kam ihr auf halben Weg entgegen und es wurde in Vindobona geheiratet.

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Quelle

Nach Vertreibung der Hunnen um 450 n. Chr. versuchten die Weströmer, Pannonien zurückzuerobern, scheiterten aber (so wie das ganze weströmische Reich selbst, 476 n. Chr.) und danach breiteten sich nach einem Zwischenspiel durch Rugier, Ostgoten und eventuell Heruler vor allem die Langobarden in Vindobona aus. Nach deren Abzug Richtung Italien um 568 n. Chr. füllten die Awaren (ein slawisches Volk) das Vakuum, wobei die Awaren quasi die Oberschicht waren und andere slawische Völker die Bevölkerungsmehrheit bildeten (2). Diese versuchten im Raum Wien von 627 bis 658 n. Chr. unter dem aus dem Frankenreich kommenden Kaufmann und Waffenhändler Samo einen Aufstand gegen die Awaren, der teilweise erfolgreich war. Die Awaren kehrten aber zurück und konnten von Karl dem Großen erst nach mehreren Feldzügen besiegt werden und so wurde Wien schließlich ins fränkische Reich eingegliedert und die Gegend ab 800 n. Chr. von den Bajuwaren (Vorfahren der Bayern) neu kolonisiert. Karl dem Großen haben wir übrigens auch eine „moderne“ einheitliche lateinische Schrift zu verdanken.
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881 n. Chr. wurde Wien erstmals in den Salzburger Annalen durch „apud Weniam“ im Zusammenhang mit einer Schlacht gegen die Magyaren urkundlich erwähnt, und um 900 fiel das Gebiet um Wien diesem asiatischen Reitervolk, aus dem sich später die Ungarn entwickelten, in die Hände. Erst nach dem Sieg des ostfränkischen Königs Otto I. über die Magyaren 955 in der Schlacht auf dem Lechfeld begann der Aufstieg Wiens und der Beginn des Hochmittelalters als Teil des ostfränkischen Reiches (2).

Die Geschichte des Berghof

Der Sage nach (3) wird der Berghof als das ältestes Haus Wiens bezeichnet und als Ausgangspunkt der Stadtwerdung Wiens.

Im Legionslager Vindobona befand sich ab ca. 100 n. Chr. eine 100×66m große Badeanlage (Therme) mit Kalt-, Warm-, und Schwitzzonen und einem Innenhof für Sportübungen (1). Es wird angenommen, dass die Einwohner nach 400 n.Chr. in den Wirren der Völkerwanderung diese Anlage des Römerlagers als Zufluchtsort nutzten und zu einer provisorischen Befestigung ausbauten. Archäologisch konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass im Nordostbereich des Legionslagers, heute das Areal um die Ruprechtskirche, die Besiedlung trotz der politischen Umwälzungen im 5. Jhd. nicht beeinträchtigt war (1).

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Quelle

Langobardische Gräberfunde im Lagerareal aus dem 6. Jhd. (1) und auch Keramikfunde deuten auf eine durchgehende Besiedlung von Teilen des ehemaligen Lagers, auch erscheint eine Existenz einer befestigten Anlage schon in karolingischer Zeit (9.Jhd.) wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Abwehr der Magyaren (4). Die Besiedlung scheint auch im 10. Jahrhundert, in der Ungarnzeit, keine Unterbrechung erfahren zu haben.

Der Abriss der zu dieser Anlage gehörenden gotischen Häuser, Sterngasse 5 und 7 nach dem 2.Weltkrieg (aufgrund von notwendigen(?) Renovierungsarbeiten durch Bombenschäden) war ein schwerer Verlust an der historischen Bausubstanz Wiens (3). Zumindest wurden bei Notgrabungen 1962 römische Quadermauern und römische Riesenquader vorgefunden, vermutlich Reste der römischen Badeanlage. Sie sind heute als Denkmal in der Sterngasse ausgestellt.

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Denkmal heute in der Sterngasse Bild von der Ausgrabung 1962 (9)

Direkt auf der römischen Quadersteinmauer aufgesetzt fand man Reste gotischer Steinhäuser, die um 1200 gebaut worden waren – der Zeit der Fertigstellung der neuen Stadtmauer aus den Außenmauern des ehemaligen Römerlagers (5).
Für die ehem. Leiterin der Abteilung für Ur- und Frühgeschichte am Bundesdenkmalamt Ladenbauer-Orel gilt es als erwiesen, dass sich hier sofort nach Aufgabe des Legionslagers Menschen eine Bleibe geschaffen haben - eventuell verheiratete Soldaten, die sich dem Abzug nach Italien nicht anschlossen. Ihre Nachkommen erweiterten im Laufe der Zeit diese Siedlung und bauten sie zu einem Gebäudekomplex mit einer beherrschenden Burg aus (5). Dieses als „Berghof“ bekannte solide Steingebäude lag zwischen Hohem Markt, Marc-Aurel-Straße, Sterngasse und Judengasse und bildete den Kern für die spätere Stadt Wien.
Er wurde auch als Sammelstelle für Weintrauben aus den Wein-„Bergen“ benutzt (5) -kommt daher der Name?

Die Lebensgrundlage der Bewohner sicherte vermutlich ein im Nordosten des Lagers etablierter Marktplatz, aus dem im 14. Jhd der „Kienmarkt“ hervorging. Er diente der Bevölkerung während der Völkerwanderungszeit auch als Fluchtplatz (5). Später wurde er immer mehr verbaut, doch wurde auch Raum für eine Marktkirche gelassen – die Ruprechtskirche, die älteste noch erhaltene Kirche Wiens. Der Legende nach bereits 740 gegründet, gehen die ältesten bis heute erhaltenen Mauern auf das frühe 12. Jahrhundert (Ladenbauer-Orel) oder sogar auf das 11. Jhd (Opll und Peter Csendes, (4)) zurück (der Rest wurde beim verheerenden Großbrand von 1276 zerstört).

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Detail mit Mauer aus 11./12. Jhd.:
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Der österreichische Archäologe Richard Perger datiert die erste Errichtung der Ruprechtskirche in der Ära zwischen den Awarenkriegen Karls des Großen (791 -803) und der Neuordnung der Kirchenprovinzen in den Jahren 828/29 (4).

Insgesamt scheint es so zu sein, dass der Berghof und ab ca. 800 die Ruprechtskirche Kern einer kleinen wehrhaften Siedlung waren. Durch den Marktplatz dazwischen könnte das den städtischen Aufstieg Wiens im Frühmittelalter begründet haben.

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Weitere Siedlungsareale dürften sich in der Salvatorgasse und rund um die Kirche Maria am Gestade und rund um die Peterskirche im 11. Jhd. gebildet haben (4). Ebenfalls das 11. Jhd könnte auch die Entstehungszeit einer ersten größeren Siedlung außerhalb der Lagermauern gewesen sein, am ehem. östlichen Lagertor porta principalis dextra, das als „Ungartor“ weitergeführt wurde. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts dürften die Siedlungskerne um St. Ruprecht, St. Peter und vielleicht auch Maria am Gestade zu einem Ganzen zusammengewachsen sein (4).

Der Berghof soll sich um 1200 im Besitz der ritterlichen Familie der Greifen befunden haben (6).
Um 1270 wird der Komplex erstmals als „Berghof“ namentlich erwähnt in Jans Enenkels "Fürstenbuch" (7) als bereits bestehend (als „einziges Gebäude, das hoch über den Donauauen stand“)(3), er soll laut Überlieferung aus dem 13. Jhd. ursprünglich das einzige Gebäude Wiens gewesen sein, aus dem ein Heide, vermutlich ein Aware, ein Burg errichtet hatte (6).

„Der hof wart der Perchhof genannt, der ist noch manigem wol bekannt." (4)

Unter den Babenbergern (976-1278 n. Chr.) soll er auch laut einer am Hohen Markt 8 angebrachten Gedenktafel als Gerichtsstand gedient haben und die Weinbauern sollen hier ihre Abgaben entrichtet haben (Gedenktafel Hoher Markt 8)
Im Dienstbuch des Wiener Bürgerspitals, das das Gebäude erstmals schriftlich erwähnt, wird der Wiener Bürgermeister von 1307, Dietrich von Kahlenberg, als späterer Besitzer genannt (4).
Im 14. Jahrhundert, vor allem aber zur Zeit Ottos des Fröhlichen († 1339) soll der Berghof, in dem sich auch eine Gasthaus befand, bereits ein stark besuchter Belustigungsort gewesen sein (3).

Im Jahr der zweiten Wiener Türkenbelagerung 1683 erbte Johann Franz Ennßbaum, Sohn des Äußeren Rates und Stadtunterkämmerers Georg Ehrenreich Ennßbaum, den Berghof von seinem Vater (6).
Im 17. Jahrhundert wurde der Berghof mit noch zehn anderen kleinen Häusern, die sich im Hochmittelalter rund um den Berghof gebildet hatten (unter anderem dem Kürsenhaus, dem Zunfthaus der Kürschner, in dem die Kürschner seit 1325 ihrem Gewerbe nachgingen) in vier zweistöckigen Häuser verbaut (3).
Andreas Freiherr von Fellner kaufte 1800/1801 den Komplex an, ließ die Häuser abreißen und baute an ihrer Stelle ein großes Gebäude (Palais Fellner), das 1805 an Georg Simon Freiherrn von Sina überging (3). Dieser ließ es ab 1859 durch Architekt Theophil Hansen umbauen – es entstand das Sina Palais (8). Foto von 1874:
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Das Palais wurde 1945 ausgebombt.
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Seine Ruine diente angeblich als Kulisse zum Film Der dritte Mann. Später wurde diese abgerissen und durch ein Wohnhaus mit Ladengeschäften ersetzt (8).
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Bis auf Gedenktafeln am Gebäude Hoher Markt 8–9 (Pfeil) erinnert heute nichts mehr an diesen geschichtsträchtigen Ort, an dem seit nunmehr 2000 Jahren ohne Unterbrechung Menschen leben.

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Ansicht von der Nordosteecke (von der Ruprechtskirche aus, rechts die Sterngasse.
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Google 3d-Ansicht heute

Die Serie zur Geschichte Wiens:
Geschichte Wiens 1 – die Römer
Das könnte Euch auch interessieren:
Eines der ältesten Gasthäuser Wiens

Dieser Post ist auch Beitrag zur #austrianac-challenge von @martinamartini!
https://steemit.com/austrianac-challenge/@martinamartini/austrian-art-and-culture-challenge-week-2-general-information-and-rules

Warum ich glaube, dass der Beitrag reinpasst? Der Berghof, das vermutlich älteste Haus/Gebäudekomplex Wiens ist zweifellos ein kulturhistorisch bemerkenswerter Ort. Ich fand Geschichte immer langweilig, wenn sie nur daraus besteht zu schildern, wer regiert hat, und wer danach gekommen ist, und welche Schlacht wo geschlagen wurde (so wie im 1. Teil ganz oben 😊). Aber die Vorstellung, wie Menschen (unsere entfernten Vorfahren?) in diesen schlimmsten Zeiten der Völkerwanderung überlebt haben, indem sie bestehende Strukturen benützt haben, und diese dann immer weiterverwendet und verbessert haben und wie dann daraus so etwas wie eine Gemeinde und später eine Stadt wurde, finde ich ungemein spannend. Leider ist unser Wissen darüber extrem lückenhaft.

Quellen:
(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Vindobona
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Wiens
(3) https://www.wien.gv.at/wiki/index.php/Alter_Berghof
(4) http://hfi.uni-graz.at/hfi/students/holzer/europa/siedlungsgenese/um1050/wien1050.htm
(5) https://www.kmu-center.at/de/geschichte/
(6) http://www.tuerkengedaechtnis.oeaw.ac.at/ort/turkenkugel-am-wiener-neustadter-hof/
(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Jans_der_Enikel
(8) https://de.wikipedia.org/wiki/Palais_Sina
(9) https://www.meinbezirk.at/leopoldstadt/lokales/tag-des-denkmals-erste-burg-und-aelteste-kirche-von-wien-d1095453.html

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I wish this was written in English

Try to use a translation tool, better than nothing. Maybe I do the post in english, but it is quite time-consuming :(

Oh, we should start a translation service here... But in that case, I am sorry to say, I must agree with @stayoutoftherz.
This historical text is really tough to translate and if, it should be translated absolutely properly. It's about the changing history of our capital Vienna and part of a historical series by @stayoutoftherz

I hope that helps: https://en.wikipedia.org/wiki/History_of_Vienna
This Wikipedia entry is a quite a good compendium of the history of Vienna.

In this article however, there are details about houses in the city and their owners and details about the first settlements since the Roman time.

Du hast Recht, dieser - halb versunkene - Teil unserer Geschichte ist wirklich hochinteressant!

Continued to merit follow-up and encouragement
UpVote for you as little as we can encourage you
Continue your wonderful publications 🖒

Geschichte ist immer interessant. Auf dem Pfad einer längst vergangenen Zeit. Vor allem gibt es einem die Chance zu sehen wie viel sich ändert hat und damit kann man sich mal überlegen was sich noch alles verändern wird.

You got a 2.53% upvote from @buildawhale courtesy of @stayoutoftherz!
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Klasse Beitrag! Gut recherchiert und geschrieben.. Man sieht dass du dich dafür echt ins Zeug gelegt hast.

Danke, ja - aber leider steht der Zeitaufwand in keiner Relation zum Ertrag.

Ja das kenne ich. Ich habe auch schon überlegt meine steemit Inhalte in einem separaten Blog zu spiegeln den ich anders monetarisiere.Für Wordpress gibt es da eine cooles plugin mit dem man steemit beiträge auf der eigen page anzeigen kann.

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