Heilige Bastarde, Kapitel 24

in #deutsch5 years ago

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"Heilige Bastarde" ist eine High-Fantasy Web Novel und wird Kapitel für Kapitel über das Netz veröffentlicht. Zum Inhalt:

Einstmals wandelte der Gottheld Cherus unter dem Volk der Merowa. Er sang mit ihnen, kämpfte mit ihnen, trank mit ihnen und wie jeder Mensch liebte er. Der menschgewordene Gott hatte viele Frauen und zeugte mehrere Töchter und Söhne. Einer dieser Söhne, Hartried, ist nun König und herrscht über das Reich, das sein göttlicher Vater geschaffen hatte. Doch nicht jedes Gotteskind und nicht jeder Füst ist zufrieden mit seiner Herrschaft. Und während das Reich droht, auseinanderzubrechen, zieht in der Ferne eine neue Gefahr heran. Können die heiligen Bastarde ihr Land retten oder werden sie es in einem Machtkampf zerstören?

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23

Heilige Bastarde, Kapitel 24, Gunlaug

Gunlaug hörte, dass die Menschen im Süden den Göttern riesige Häuser aus Stein und Lehm bauten, in ihnen Statuen aufstellten und diesen Opfer darboten. Sie würden sich anstellen und eine riesige Menschentraube bilden, nur um kurz vor den Statuen zu knien und ihnen Geld, Schmuck oder Nahrung vor die Füße zu legen. Was würde dann mit den Opfergaben passieren? Wann würden sie die Opfergaben ins Feuer werfen, damit das Feuer die Geschenke zu den Göttern senden könnte?

Den Merowa reichte ein karges Feld. Vor ihnen erstrecke sich die Ebene der Tausend Gebrochenen Lanzen. Jeder Fremde würde an diesem Feld vorbeilaufen, nichts ahnend welche Bedeutung dieser Ort für die Merowa innehatte. Vielleicht würden zukünftige Generationen es auch nicht wissen, war es doch nichts mehr als ein einfaches Feld. Die Lanzen, Spieße, Speere, Schilder und Klingen, die im Boden steckten und herausragten, würden irgendwann von der Erde verschlungen, sodass sie nicht mehr davon künden könnten, was hier einst geschehen war.

Sie vergangenen Tage waren sie gen Süden gefahren, vom Nordostrand des Reiches in Richtung eines der südöstlichsten Fürstentümer von Merow: dem Fürstentum Bärensturz. Wobei sie entschieden hatten, den ganzen Hofstaat mitzunehmen, einschließlich des Gefolges und der Königsfamilie.

„Vielleicht sollte wir hier etwas errichten“, schlug Gunlaug vor.

Hartried, seine Frau Hedwinna und ihrer beider Sohn Gartmund schauten ihn alle an, als spräche er eine fremde Zunge.

„Wir könnten einen Stein errichten lassen“, spann Gunlaug seinen Gedanken weiter, „und mit Schrift darauf verkünden, was hier geschehen ist. Damit es alle anderen lesen können. Ich meine, unser Gartmund hier hat es nicht gesehen.“

„Ich auch nicht“, warf Hedwinna ein.

„Aber danach hast du das Schlachtfeld besucht, oder? Du warst ja in der Nähe. Hartried, es geht mir darum, dass zukünftige Generationen noch immer diesen Ort zu schätzen wissen. Auch dann noch, wenn jeder schon zu den Göttern gegangen ist, der selbst an der Schlacht teilgenommen hatte.“

Hartried strich sich über den Bart und schaute über das Feld. Gartmund blickte zu ihm hinauf, als gäbe es nichts wichtigeres als die Worte des Vaters und Königs.

„Ich verstehe, was du meinst“, antwortete Hartried schließlich. „Wir könnten das beim Königs-Thing besprechen. Es ist keine schlechte Idee.“

„Können wir dann?“, fragte Hedwinna. „Es wird bald dunkel.“

Hartried nickte und zeigte auf einen fernen Hügel. „Siehst du das, Sohn? Dort entstand das Reich der Merowa. Es ist wichtig, dass du das verstehst.“

Mit großen Augen folgte Gartmund Hartrieds Finger. Er schien von Ernst erfasst. Auch wenn er nicht gesehen hatte, was Hartried und Gunlaug gesehen hatten und was Gunlaug noch bis heute in Alpträumen heimsuchte, so schien er doch wenigstens erahnen zu können, dass dieser Ort überaus wichtig war.

Hartried machte den ersten Schritt auf den Hügel zu, der Rest seiner Familie folgte. Hinter ihnen baute der Hofstaat die Zelte und das Lager auf. Für diese Nacht, sie hatten noch einen weiten Weg vor sich.

Heilige Bastarde, Kapitel 24, Teil 2

Gartmund hing noch lange mit leuchtenden Augen an den Klingen und gebrochenen Speeren, als wollte er jedes Detail aufsaugen. Die Überreste der Waffen wurden so in den Boden gesteckt, dass die Spitzen nach oben zeigten. An mehreren dieser Zeugnisse vergangenen Kampfes kamen sie auf der Ebene der Tausend Gebrochenen Lanzen vorbei. Sie zeugten von dem Kampf der größten Armee, welche die Merowa bislang aufgestellt hatten. Niemand anderes als Cherus selbst hatte diese Armee versammelt.

Still überquerten sie die Ebene. Gunlaug glaubte einen gewissen Stolz in Hartrieds Haltung zu erkennen: das Kinn leicht erhoben, die Brust vorgestreckt. Unter dem Bart konnte sich ein leichtes Lächeln verstecken, das hätte gepasst.

Gunlaug jedoch fühlte eine Schwäche in den Beinen. Der Boden unter ihm schien zu beben, als galoppierten wieder die Tausenden von Reiter über das Feld, eiserne Spitzen auf den Feind gerichtet. Er und Hartried mittendrin, mitgerissen von dieser Welle aus Kampfesentschlossenheit. Allen voran Cherus auf seinem mächtigen Ross. Sie folgten ihm wie ihrem Leitstern.

Auch Gunlaugs Lanze brach, sie traf eine dieser tausenden Moorleichen, die von den Nekromanten belebt wurden und den Menschen von Merow nach dem Leben trachteten. Er sah ihre eingefallenen Gesichter und die leeren Augenhöhlen. Nur ein dumpfes Stöhnen war zu hören, als seine Lanze sie durchbohrte oder sie von den Hufen seines Pferdes zerschmettert wurden. Die Bilder kamen ihm lebendiger vor als sonst, die Laute der Pferde, das Hufgetrampel und das Stöhnen der Moorleichen drang deutlicher an sein Ohr als in seinen Träumen. Als wäre dieser Ort verflucht und könnte nicht von den Ereignissen dieses Tages loslassen.

„Vater?“, fragte Gartmund kleinlaut, als glaubte er, schon die Stimme an diesem Ort zu erheben wäre ein schwerer Frevel.

„Frag nur“, sprach Hartried.

„Ähm … wie viele waren es?“

„Wer?“

„Die wandelnden Leichen.“

Hartried blieb stehen. Auch Gunlaug musste überlegen. Bei dieser Masse war zählen zwecklos gewesen.

Hartried zeigte von einem Ende des Feldes zum anderen. „Soweit das Auge blicken konnte. Eine schier endlose Horde von Abscheulichkeiten.“ Er drehte sich um und beschrieb mit der Hand eine gegenüberliegende Linie. „Und dort breitete sich das Heer der Merowa aus. Tausende Reiter, tausende starke Pferde und ihre mutigen Recken. Sie ritten von dort bis nach dort ganzen hinten und als Cherus sah, dass noch immer Untote über das Land krochen, ließ er sie umdrehen und durchquerten mit ihnen nochmals das Feld. Und alle Merowa zogen mit, denn Erschöpfung, der Schmerz der Wunden und die Furcht hielten Cherus' anspornenden Rufen nicht stand. Dann auf dem Hügel, da verteidigte sich der klägliche Rest Untoter und ihr Meister, der Nekromant. Ich war nicht weit, als Cherus die letzte Verteidigungslinie durchbrach und dem Nekromanten selber sein unheiliges Leben nahm.“

Mit großen Augen sah Gartmund auf den Hügel. In seiner Fantasie klang diese Erzählung bestimmt glanzvoller, als Gunlaug es in Erinnerung hatte. Jedoch bei einem brauchte Hartried nichts auszuschmücken: Cherus war ein Sturm in Menschengestalt; entweder wurde man von ihm mitgerissen oder von ihm zerschmettert.

Heilige Bastarde, Kapitel 24, Teil 3

Auf dem Hügel hatten sie einen wunderbaren Blick auf die Leere der Ebene. Gunlaug wusste nicht, wonach er hier Ausschau halten sollte. Es war für ihn kein schöner Ort.

„Hier war es schließlich“, sprach Hartried dann zu Gartmund, „wo Cherus Doderried zum neuen König der Merowa wählen ließ. Er schlug ihn den versammelten Fürsten vor und einhellig bestimmten sie ihn zu ihrem Oberhaupt. Später wurde diese Wahl beim Königs-Thing bekräftigt. Das Haldever-Geschlecht, nicht das Geschlecht des Schoßes, aus dem Cherus einst entsprang, sollte nach seinem Willen vorerst über die Merowa herrschen.“

„Und wo warst du?“, fragte Gartmund. „Wieso ernannte Cherus dich nicht zum neuen König?“

Der Junge stellte diese Frage ganz unschuldig und war überrascht, als Hedwinna ihn plötzlich zu ihr heranzog.

„Ich war noch zu jung und kannte deine Mutter noch nicht. Irgendwo dort …“ Hartried deutete vor den Hügel. „Dort musste ich gestanden haben, als die Fürsten auf Doderried schworen. Welchen Plan Cherus auch immer gehabt hatte, nun ist ein Abkömmling des Gottes Herr des Landes Merow.“

Hartried ging vor Gartmund auf die Knie. „Deswegen war es mir wichtig, dass du hierher mitkommst. Du warst zwar nicht da, aber du sollst wenigstens den Ort sehen, an dem etwas Großes begann: das Reich Merow und sein Königtum. Irgendwann sollst du dieses Reich erben und dann möchte ich, dass du an diesen Ort denkst und daran, was dieser Ort für unser Volk bedeutet. Du bist mein einziger und erster Sohn und mit dir soll eine Dynastie entstehen, die den Namen von Cherus noch Jahrtausende rühmen wird.“

„Aber, müssen mich die Fürsten nicht erst wählen, wenn es soweit ist?“

Hartried fasste seinem Sohn an die Schulter. Eine seltene Geste, dachte sich Gunlaug.

„So ist es. Mache dir da keine Sorgen, das wird schon klappen. Bis dahin ist noch viel Zeit, du musst noch viel erwachsener werden und ich um einiges älter.“ Er stand auf. „Hedwinna, ich möchte kurz mit Gunlaug alleine sein.“

Die Königin nahm Gartmund bei der Hand. „Komm, das Gefolge müsste die Zelte bereits aufgebaut haben.“ Gemeinsam gingen sie den Hügel hinab.

Hartried und Gunlaug schauten ihnen noch eine Weile hinterher. Dann sprach Hartried mit verschränkten Armen: „Du magst diesen Ort nicht besonders, oder?“

„Wenn wir einen Stein ganz am Anfang des Feldes hinstellen“, überlegte Gunlaug laut, „dann braucht man nicht über das gesamte Feld zu latschen. Nein, ich habe kein Problem mit diesem Ort. Jedoch, auch wenn wir hier einen glorreichen Sieg erfochten, so erinnert er mich doch an dunkle Zeiten. Das Land litt unter dem Nekromanten, bis Cherus die Stämme und ihre Fürsten vereinen konnte. So glorreich unser Sieg hier auch war, ich verbinde mit dieser Zeit keine schönen Erinnerungen.“

Hartried nickte. „Es war keine schöne Zeit.“

Eine Weile des Schweigens, die Gunlaug damit verbrachte, der Sonne dabei zu zusehen, wie sie die Ebene mit einem immer dunkleren Rot überzog.

„Für den Fall“, begann Hartried langsam, „dass mir etwas geschehen sollte. Dann wirst du doch Gartmund unterstützen, der König von Merow zu werden?“

Gunlaug tat so, als müsste er darüber angestrengt nachdenken. „Also … das würde bedeuten, meine eigenen Ambitionen in den Wind zu schlagen. Hmm, ich weiß nicht.“

„Welche Ambitionen?“

„Weiß nicht. Mir ein Boot kaufen, wie man es von einem richtigen Brega erwartet, und mir im Westmeer die Wellen ins Gesicht schlagen lassen. Du weißt, ich habe keine besonderen Ambitionen.“

„Auch nicht auf …“

„Auf den Thron? Vielleicht, um ihn für Gartmund warm zu halten. Aber selbst das überließe ich lieber jemand anderen und würde mich anderweitig um den Jungen kümmern. Hedwinna ist bestimmt besser als Amtsverweser geeignet. Ich will kein Herrscher sein. Da bin ich wohl ganz Brega, Macht und Titel interessieren mich nicht, denn die Pflicht steht der Freiheit im Wege. Und nichts verpflichtet mehr als das Herrschen. Oh nein, da brauchst du dir keine Gedanken zu machen, niemanden wünsche ich den Thron im Königs-Thing mehr als deinem Sohne.“

Hartried schaute ihn lange an. „Wir verbrachten nun ein Großteil unseres Lebens Seite an Seite. Und dafür bin ich dir sehr dankbar. Wenn du jemals wieder Zeit für dich haben willst, selber die Welt bereisen möchtest und mal etwas anderes sehen willst als nur diese endlosen Wälder, dann musst du nur Bescheid sagen. Du hast mein volles Verständnis.“

Gunlaug wandte sich ab. „Weißt du noch, nach dieser Schlacht? Ich sagte dir, dass ich die Schnauze voll habe von diesem Land. Und hier stehe ich wieder.“

Hartried lachte. „Ja, das hätte ich fast vergessen.“

Gunlaug stimmte mit ein. Aber tief im Inneren spürte er, dass sein Verlangen, andere Länder zu bereisen, nur stärker wurde. Sein Blick wanderte gen Osten und verfing sich in den Gebirgszügen des Drachenwirbels.

Vielen Dank fürs Lesen!
Dieser Text erschien zuerst auf Götterdunkel.de

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