Politik 124 - Zur Sicherheitspolitik - Europa Schweiz

saamychristen (67)in #deutsch • 6 years ago

20. Februar 2019

In dem vorangegangenen Artikel über Sicherheitspolitik [1] wollte ich eigentlich noch etwas weiter auf die Schweiz eingehen, weil sich das eigentlich anbot. Das bietet sich an, weil sich die Schweiz seit 1815 aussenpolitisch neutral verhält und es auch Deutsche gibt, die sich ein neutrales Deutschland wünschen. Wobei Deutschland wegen seiner Grösse und seiner wirtschaftlichen Bedeutung wohl einem deutlich grösseren, geopolitischen Gezerre ausgesetzt ist, als die Schweiz.

Ziemlich rasch bemerkte ich, dass der Umfang schon so gross war, dass es sich empfahl, dies erst in einem zweiten Beitrag zu tun. Anfang 2019 ist bei der NZZ ein interessantes Interview erschienen [2], in dem mit Peter Regli (geboren 1944) [3] ein ehemaliger Chef des NDB (Nachrichtendienst des Bundes) [4], des Auslandsnachrichtendienstes der Schweiz befragt wurde.
Dieser Nachrichtendienst ist im internationalen Vergleich ein kleiner. Er verfügt über etwa 300 Angestellte und CHF 80 Millionen Budget [5]. Der deutsche BND (Bundesnachrichtendienst) beschäftigt etwa 6'500 Menschen und verfügt über ein Budget von etwa € 925 Millionen [6]. Darüber hinaus verfügt die Schweiz auch über einen militärischen Nachrichtendienst von wohl ähnlicher Grösse.

Peter Regli war 1991-99 Chef des Schweizerischen Nachrichtendienstes. Er geriet Ende der 1990er Jahre in Kritik, da der Dienst unter Reglis Vorsitz geheime Akten über die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Südafrika vor der Wende vernichtete. Regli wurde vorzeitig in den Ruhestand versetzt, aber 2007 vollständig rehabilitiert. Gerade bei Linken hatte die alte Führung Südafrikas teilweise einen Ruf, der mit einer afrikanischen Reinkarnation des Dritten Reiches vergleichbar ist. Die Linken hatten sich weltweit für die Wende eingesetzt. Journalisten haben sich an dem politischen Aktivismus beteiligt und im Umfeld der Entlassung Peter Reglis wurde in den Medien auch behauptet, dass sich die Schweiz an einem südafrikanischen Bio- und Chemiewaffenprojekt beteiligt, was bis heute nie wirklich bestätig wurde und von Regli vehement zurückgewiesen wird. Da die neue Ordnung aber längst nicht einfach alles hervorragend gut und unendlich viel besser macht als die alte ist da und dort ein etwas entspannterer Alltag eingekehrt.

Die Linken haben aber dennoch einiges bekommen, wenigstens gemäss den Äusserungen des leider bereits verstorbenen Historikers Erwin Bischof (1940-2015) [7, 8 - Teil 3]. Wer als Historiker heute zum Thema Schweiz-Südafrika forschen möchte, hat gute Chancen, Einsicht in fast alle Dokumente zu bekommen, die sich im Schweizerischen Bundesarchiv befinden. Meist gilt für geheime Dokumente eine reduzierte Sperrfrist von 25 oder 30 Jahren. Im Bereich Schweiz-UdSSR und Schweiz-Ostblock gestaltet sich eine Akteneinsicht schwieriger, oft gelten 50 Jahre Sperrfrist, die seit Einführung des neuen Gesetzes für den Nachrichtendienst bis auf 80 Jahre verlängert werden dürfen.

Peter Regli wurde 2010 vom bürgerlich-konservativen Schweizerzeit Magazin interviewt [9]:

Nach der etwas ausgedehnten Einleitung sollen die wichtigen Punkte genannt werden aus dem Gespräch hervorgingen [2]. Die kursiv gehaltenen Stellen folgen aus dem Gespräch, die anderen Teile sind meine Kommentare dazu.

1. Die aktuelle Gefahrenlage in Europa ist diffus, was gute Einschätzungen erschwert.
Der Auslandsnachrichtendienst hat es als erste Verteidigungslinie eines Landes entsprechend nicht einfach.

2. die Abwesenheit von grösseren Anschlägen besonders mit islamischem Hintergrund in der Schweiz ist einerseits Glück des Tüchtigen, andererseits auch Glück, bisher noch keine Einzeltäter gehabt zu haben, die nahezu aus dem Nichts zuschlagen können.
Der einsame Einzeltäter ist grundsätzlich kaum zu lokalisieren und vorgängig zu bekämpfen. Was allerdings betrieben werden kann, ist eine grundsätzlich Reduktion der Vermittlung toxischer Weltbilder durch alle möglichen Stellen wie Schule, Religionsunterricht, (staatliche/staatsnahe) Medien und den Staat selbst. Als Beispiele genannt seien genannt:

Kollektivismus ganz grundsätzlich.
Keine Förderung, sondern begründete Warnung vor Ideologien mit Welterlöser-Anspruch.
Vornehmlich sozialistische Weltanschauungen, die Neid nicht bekämpfen, sondern in verschiedenen Formen rechtfertigen und befördern, z.B. maskiert als "soziale Gerechtigkeit". Ob die Lösung des Neidproblems national oder global ist, ist nicht entscheidend. Nach dem eigenen Glück zu streben und den anderen Freiheiten lassen sollte wieder viel mehr Motto des Westens sein, nicht die "soziale Gerechtigkeit", die sich ohnehin nicht verwirklichen lässt und von Hochmoralisten wie ein Stachel im Fleisch des Westens benutzt wird.
Beim Umgang mit dem Islam dürfte wichtig sein, dass man die Ausübung des Glaubens zulässt, aber sehr streng auf jegliche Versuche gesellschaftlicher Einflussnahme reagiert.

3. Wenig Kontrolle und Überwachung der Menschen sind der Preis, der für eine offene, freie Gesellschaft zu bezahlen ist.
Absolut richtig, eine offene, freie Gesellschaft ist viel leistungsfähiger als eine geschlossene, unfreie. Aber sie hat ihre Schwächen, kann beispielsweise einfacher unterwandert werden. Das muss jedem aufgeklärten Bürger bewusst sein.

4. Die Schweiz ist aktuell auf schönes Wetter eingestellt, nicht für die grossen Krisensituationen, zu denen es durch Spionage kommen kann, in wirtschaftlichen Krisen oder politischem Extremismus zeigen.
Die Vorbereitungen auf Krisen sollten, sofern entsprechend Wohlstand vorhanden ist, über die Fähigkeit mit schönem Wetter umgehen zu können hinausgehen. Was genau zu tun ist, besonders auf der staatlichen Ebene, kann ich nicht sagen. Wichtig ist, dass sich die Bürger freiwillig positiv mit ihrer Heimat identifizieren können, dass sie um die Hintergründe der Stärken wissen und so gut dastehen, dass sie sich nicht von jedem halbwegs verlockend klingenden Angebot in die Irre führen lassen.

5. Russland verhält sich gerade nicht freundlich hierzulande.
Im Zuge der Skripal-Affäre [12] hat sich das unfreundliche Verhalten gezeigt. Plötzlich wurde versucht, das Labor Spiez, eines der Referenzlabore für chemische und biologische Kampfstoffe zu instrumentalisieren. Danach wurden mutmassliche russische Spione aus den Niederlanden ausgewiesen, wiel sie offenbar planten, das Labor Spiez aufzusuchen und es wie auch immer auszukundschaften.
Zum Thema russische Geheimdienstoperationen in der Europäischen Union ist sehr aktuell bei der Welt ein Artikel erschienen, in dem es um die Russische Botschaft in Prag geht [13]. Die Tschechoslowakei war zur Zeit des existierenden Ostblocks ein wichtiger Partner, was auch im sehenswerten Dokumentarfilm "Mengeles Erben – Menschenexperimente im kalten Krieg" [14] von Dirk Pohlmann [15] Thema ist.

6. Kritische Infrastruktur gehört unbedingt gegen Sabotage geschützt.
Ein vollständiger Schutz ist nicht möglich, wichtig ist, dass ein guter Notfallplan besteht und die Bevölkerung damit umzugehen weiss.

7. Vor Trollen und Spin-Doktoren im Internet und deren Desinformation muss man sich in Acht nehmen.
Wie? Wie bildet man die Bürger so aus, dass sie die teilweise schlecht, teilweise aber sehr gut gemachte Desinformation erkennen können? Ich selbst hatte selbst nach 20 Jahren Bildung nicht das Rüstzeug, russische Propaganda zu entlarven und fiel auf einiges davon herein. Wahrscheinlich funktioniert es am besten mit Realitätsnähe und indem man das Thema nicht vernachlässigt. Die Menschen sollen das zu lesen und zu hören bekommen, was ihrer Realität entspricht und sie nachvollziehen können. Künstliche Framings und unrealistische Wohlfühlpropaganda dürften im Endeffekt eher kontraproduktiv sein.

8. Die Schweiz ist auch heute ein Tummelplatz für Agenten und Spione in unterschiedlichen Aktivitätsbereichen.
Die Schweiz beherbergt einige internationale Organisationen und ist ein wirtschaftlich starkes Land. Das macht es interessant und erhöht die Dichte an Agenten und Spionen. Im Gegenzug dürften sich die Bürger internationale Kontakte gewöhnt sein und da sie selbst im Schnitt nicht schlecht dastehen, sich eher nicht auf irgendwelche Abenteuer einlassen.

9. Die Spionageabwehr wird nur auf einem minimalen Niveau betrieben, tiefer als etwa in Deutschland.
Das ist ein Punkt für Insider.

10. Das Bewusstsein für Sicherheitsfragen und wie wenig selbstverständlich die immer noch vorhandenen friedlichen Verhältnisse sind, ist nur beschränkt vorhanden.
Das ist Bildungsinhalt für Schulen, Kurse, Medien usw.

11. Geheimdienstarbeit findet gezwungenermassen immer wieder in rechtlichen Grauzonen statt.
Wer sich sensible Informationen oder aufschlussreiche Analysen aneignen will, kann das auf zwei verschiedene Wege tun. Zum einen indem öffentlich zugängliche Inhalte analysiert werden, zum anderen indem man dasselbe mit nicht öffentlich zugänglichen Inhalten tut, zu denen man sich erst Zugang erarbeiten muss.

12. Die Natur des Schweizer Nachrichtendienstes ist rein analytisch und intellektuell. Er ist nicht dazu da, Oppositionelle zu überwachen oder Journalisten zu drangsalieren.
Ich hoffe sehr, dass der Schweizerische Nachrichtendienst keine Journalisten drangsaliert.

13. Im Bereich der Auslandsnachrichtendienste sind noch immer der israelische Mossad [10] und der englische MI6 [11] das Mass der Dinge.
Dass beide genannten Dienste, Mossad und MI6 als sehr kompetent, aber auch umfassend aktiv gelten - diese sind nicht nur analytisch-intellektuell tätig - ist mir bekannt. Um mehr oder wirklich interessantes darüber hinaus zu sagen, fehlt mir das nötige Fachwissen.

Für meine zumeist deutschen Leser sei angefügt, dass Deutschland wohl mit wesentlich stärkeren und zahlreicheren Manipulations- und Desinformationsversuchen konfrontiert ist. Nicht nur aus Russland und China. Gerade deswegen erscheint mir das Vorgehen des Staates und der öffentlich-rechtlichen Medien wenig schlüssig und damit nur schwer nachvollziehbar.

Allzu oft für mein Empfinden tun diese so, als könne Deutschland nahezu das Schicksal der Welt mitentscheiden. Das ist mit etwas mehr als einem Prozent der Weltbevölkerung (Bruttoinlandprodukt 4-5 % weltweit) und einer stattfindenden Schrumpfung überhaupt nicht möglich.
Ideologische Weltbilder und kollektivistische Gesellschaftsvorstellungen werden gefördert obwohl ihre Tauglichkeit gerade in Deutschland sehr umstritten sein sollte.
Obwohl in Deutschland gemäss Herrn Reglis Ausführungen Spionage, Desinformation und dergleichen intensiver betrieben werden als in der Schweiz haben Staat und Medien eine umfassende Willkommenskultur für alle denkbaren Einwanderer beworben, auch für Einwanderer aus Ländern, die der EU feindlich gesinnt sind oder ideologisch sozialistisch oder islamstaatlich geprägt sind.

Wenn diese Leute wirklich wollten, dass Deutschland in stärkerem Masse weltweit Einfluss nimmt und zwar auf eine gute Art und Weise, dann wären in Deutschland über die letzten Dekaden Familien stark gefördert worden und ein Bevölkerungswachstum angestrebt. Ein solches Deutschland würde ziemlich sicher 100 Millionen Menschen zählen. Dazu hätte man unbedingt die Diversifizierung der eigenen Wirtschaft weiter betreiben müssen, indem der Fokus viel stärker auf mittelständische Unternehmen hätte gesetzt werden müssen als auf grosse Konzerne. Mittelständische Unternehmen gehörten steuerlich ähnlich gut gestellt wie Konzerne.

Da dies alles nicht geschehen ist, stattdessen Konzerne, Armutsmigration und Umverteilungsexperimente gefördert werden, hat sich Deutschland auf einen Kurs der Selbstschwächung begeben. Zu wessen Gunsten und auf wessen Geheiss ist mir nicht bekannt.

Um geschichtlich etwas weiter zurückzugehen habe ich mal in den Deutschland gegenüber sehr skeptischen Büchern des deutschen Journalisten Friedrich Tete Harens "T. H." Tetens (1899-1976) [16] gestöbert, bin aber noch nicht fündig geworden. T. H. Tetens wurde in den 1930er Jahren im Dritten Reich verhaftet, konnte in der Folge entweichen und emigrierte zunächst nach Argentinien, danach in die USA. Er schrieb die Bücher Germany plots with the Kremlin (deutsch Deutschland verschwört sich mit dem Kreml, 1953) [17] und The new Germany and the old Nazis (deutsch Das neue Deutschland und die alten Nazis, 1961) [18]. Beide sind nicht in deutscher Sprache erschienen.

Sollte ich mich weiter für das Thema Deutschland und Geheimdienste interessieren, sollte ich mich auch einmal vertieft mit einer der berühmtesten Agentenpersönlichkeit beschäftigen. Die Rede ist von Otto Skorzeny (1908-1975) [19], der Bücher über seine Missionen und Einsätze geschrieben hat.

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#politik #sicherheit #ideologie #freiheit

6 years ago in #deutsch by saamychristen (67)

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okean123 (65) 6 years ago (edited)

Sehr interessanter Post, wie immer!

Du hast in in diesem und in deinem vorherigen Artikel geschrieben, dass du von russischer Propaganda beeinflusst warst, dich aber davon "befreit" hast. Mich würde mal interessieren, welche Propaganda du genau meinst (ganz allgemein oder im Zusammenhang mit einem bestimmten Ereignis) und wie du dich davon gelöst hast bzw. wer oder was dich dazu gebracht hat, zu erkennen, dass es sich um Propaganda handelt.

Bin gespannt auf deine Antwort! :)

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