Politik 010 - Schweiz im Kalten Krieg, Spionage - Teil III

in #deutsch8 years ago (edited)

Einleitung

In diesem Artikel veröffentliche ich den dritten und letzten Teil meiner deutschen Transkription eines Interviews, welches in Schweizerdeutsch geführt wurde. Wegen des grossen Umfangs veröffentliche ich es in drei Teilen Das Gespräch fand im Jahr 2014 statt. Der 2015 verstorbene Publizist und Historiker Erwin Bischof [1] wurde vom Gründer des nationalkonservativ ausgerichteten Schweizerzeit Verlag, Ulrich Schlüer [2], interviewt. Der dritte Teil umfasst den Teil des Interviews ab Minute 28:58 bis zum Ende.

Bischof veröffentlichte 2010 und 2013 via seinen Verlag zwei Bücher, die die Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Schweiz zum Thema hatten:
Honeckers Handschlag. Beziehungen Schweiz-DDR 1960–1990: Demokratie oder Diktatur.
Verräter und Versager. Wie Stasi-Spione im Kalten Krieg die Schweiz unterwanderten.

Ulrich Schlüer ist in der Schweiz nicht unbedingt als Sympathieträger bekannt. Seine klare politische Ausrichtung, die insbesondere die nationale Souveränität und strenge Nichteinmischung in internationalen Organisationen, dazu eine konservative Grundhaltung umfasst, hat ihn sehr of Angriffen ausgesetzt. Schlüer ist promovierter Historiker, war Gymnasiallehrer für Geschichte und auf allen Ebenen der Schweizer Politik aktiv. Er ist darüber hinaus Herausgeber und Chefredakteur des Magazins Schweizerzeit [3].

Ich fand das Gespräch so interessant, dass ich es transkribierte. Teilweise weiche ich von den im Original gewählten Worten ab, um eine verbesserte Lesbarkeit zu gewährleisten. Den Sinn der Aussagen habe ich weitestgehend nicht zu verfälschen versucht.


Das Interview - Teil III. Schweizer Sympathisanten der sozialistischen Staaten des Ostblocks

Ulrich Schlüer: "Neben den eigentlichen Spionagefällen gab es noch eine andere Erscheinung. Man könnte sagen es waren 'politische Pilgerfahrten'. Die Teilnehmer hatten sich jeweils als Friedenspolitiker auf Ostmission und ähnlich bezeichnet. Vielleicht war tatsächlich ein gewisser Idealismus mit dabei. Gerne ein Paar Bemerkungen auch dazu. Hat es das gegeben und in welchem Ausmass. Danach wollen wir uns auch darüber unterhalten, was die Leute, die auf solchen Missionsfahrten mit dabei waren, heute tun."

Erwin Bischof: "Man hat diese Reisen auch 'Wallfahrten' genannt. Eine Wallfahrt hat einen religiösen Hintergrund. Religion ist Glaubenssache. Der Kommunismus war gemäss meiner Überzeugung zum grossen Teil eine Glaubenssache. Karl Marx hat gesagt, dass die Zukunft beim Kommunismus liegen würde. Er sagte, dass nach historischen Gesetzmässigkeiten der Kapitalismus absterben und daraus der Kommunismus (über die Zwischenstufe 'Sozialismus', Anm.) emporkommen würde. Die Behauptung, seiner These lägen historische Gesetzmässigkeiten zugrunde, die keine Alternative zuliessen, war Marx' grosser Fehler. Man kann nicht die Entwicklung der Geschichte ohne mögliche Alternativen vorhersagen. Alles kommt eben wie es kommt. Die Pseudoreligion Marxismus war unter Intellektuellen enorm verbreitet, auch in der Schweiz. Die haben daran geglaubt und haben sich in der Sowjetunion oder unter dem sowjetischen Kommunismus eine Art Paradies vorgestellt. Sie waren von dieser Entwicklung überzeugt, die sich bei uns dereinst auch ereignen müsse. Deswegen sind sie auch dorthin gereist, um herauszufinden, wie es in Zukunft aussehen wird. Es waren verschiedene Leute darunter. Immer dabei waren Kommunisten, man könnte fast sagen ex-officio, die engen Austausch mit den Leuten vor Ort pflegten. In der Schweiz war das vor allem die PdA, die Partei der Arbeit [10]. Die kommunistischen Organisationen wie der Friedensrat, die eine Menge zugewandter Organisationen hatten, sind auch gegangen. Dazu sind auch linke Intellektuelle dorthin gereist, was mich am meisten gestört hat. Hoch intelligente Leute, Schriftsteller, Historiker, Soziologen usw. die in diese Länder gegangen sind, um sich anzusehen wie es dort geht und Kontakt zu Parteileuten aufgenommen haben. Die Namen der bekanntesten, die dorthin gereists sind, dürften bekannt sein. Professor Jean Ziegler [16] war wohl in all diesen Ländern, sogar in Nordkorea. Friedrich Dürrenmatt [17] ist auch gereist und hat an Konferenzen teilgenommen. Es gibt auch relativierende Aussagen über den Kommunismus von ihm und Aussagen, die den Antikommunismus, wie er in der Schweiz vorhanden sei, als völlig übertrieben darstellen. Er war kein glühender Kommunist, war auch nicht in der Partei. Von Max Frisch [18] gibt es den berühmten Ausspruch: 'Ich lebe in einem Land, das die DDR nicht anerkennt, ich aber anerkenne sie.' Er war Lyriker und hat es entsprechend ausgedrückt. Ein weiterer sehr engagierter Intellektueller war Jean Rudolf von Salis [19], Historiker und Professor in Zürich. Bei ihm gab es einen üblen Hintergrund, der mich gestört hat. Es ist nicht verboten, Kommunismus gut zu finden, aber er hat seine Beziehung zur DDR nicht offengelegt. Seine Schwester lebte in Ostberlin war mit dem obersten Rechtsprofessor der DDR verheiratet. Dieser war Schweizer, der dort Karriere gemacht hat und vom System völlig und allem überzeugt war. Die haben dort gewohnt und reisten immer wieder auch in die Schweiz, auch um sich auszutauschen. Herr von Salis hat in seinen Bücher lediglich erwähnt, dass sein Schwager ein hochintelligenter Mann war. Dies hat zweifelsohne auch gestimmt. Darüber, dass dieser Kommunist war, in der DDR in führender Stellung aktiv und sie untereinander in stetem Kontakt standen, verlor er kein Wort. Ich habe Professor von Salis' Sohn, der in Zürich als Arzt tätig ist, telephonisch kontaktiert und ihn gefragt, ober darüber Bescheid wusste. Dieser habe die Frage lachend zur Kenntnis genommen und erzählt, er sei häufig bei seinem Onkel in Ostberlin in den Ferien gewesen. Auch Photos von diesen Ferien hat er gerne zur Verfügung gestellt. Das ist für mich eine ehrliche Haltung. Er steht zu den Tatsachen und muss darüber kein Aufhebens machen. Sein Vater hat hingegen alles vertuscht.

Ulrich Schlüer: "Auf dem Umschlag des Buchs 'Honeckers Handschlag' ist ein prominenter Schweizer Politiker beim Handschlag mit Erich Honecker abgebildet (Helmut Hubacher, Anm.). Worin bestand die Rolle der SPS, der sozialdemokratischen Partei?"

Erwin Bischof: "Die Rolle war fundamental anders, da es sich im Gegensatz zu den Kommunisten um eine Regierungspartei handelt. Helmut Hubacher [20] war lange Zeit Parteipräsident. Von Sozialdemokraten wird er bis heute als sehr guter Präsident bezeichnet. Hier geht es aber um das Verhältnis zum Kommunismus. 1982 ist er mit einer Delegation des Parteivorstandes nach Ostberlin gereist. Sie wurden dort empfangen, trafen Erich Honecker und hielten ausführliche Gespräche. Das Protokoll ist vorhanden und auch in meinem Besitz. Auf 20 Seiten ist alles drin, was dort geredet wurde. Das ist durchaus fragwürdig. Ich habe ein Gedankenexperiment gemacht und mir überlegt, was wohl gewesen wäre, wenn etwa die Freisinnigen in den 1930er Jahren eine Delegation mit Parteivorständen zu Adolf Hitler gesandt hätten. Der Parteivorstand war auf dieser Reise dabei, 7 oder 8 Leute. Es waren nicht irgendwelche Leute, die teilnahmen, keine Randfiguren, sondern prominente, führende Kräfte, die Elite war dabei. Hätte eine bürgerliche Partei dies auf der rechten Seite getan, würde ihnen das wohl noch in 100 Jahren zum Vorwurf gemacht. Ich habe das beschrieben und auch mit Herrn Hubacher ein Gespräch geführt. Dieser hat mir erzählt wie es gewesen sei und berichtet, dass sie noch ein wenig herumgereist seien. Sie hätten auch Kontakt zu Dissenten gehabt, von denen er allerdings keine Protokolle habe. Ich habe mich dazu an das Sozialarchiv in Zürich gewendet, wo die Akten der Sozialdemoratischen Partei. Der Verantwortliche hat gesagt, es gebe dort keine Akten über diesen Besuch. Deswegen habe ich die Akten aus Ostberlin genommen, die sehr ausführlich sind. Sie sind auch glaubwürdig, Akten muss man immer kritisch betrachten. Es gibt noch eine zweite Quelle, sie hatten einen Begleiter, einen Schweizer Schriftsteller, der in der DDR gelebt hat. Dieser war bekannt, hat viele Bücher geschrieben und in hohen Auflagen veröffentlicht. Dieser war ein Stasi-Spion. Dieser hat darüber Berichte geschrieben, was am Abend noch beim Bier besprochen wurde. Darin tönt es ganz anders."

Ulrich Schlüer: "Diese Berichte sind vorhanden?"

Erwin Bischof: "Diese Berichte habe ich auch, die sind in Berlin vorhanden. Die Stasi hat diese geschrieben und darin steht, dass die Teilnehmer der Schweizer Delegation teilweise sehr beeindruckt seien von der DDR. Die öffentlich gewahrte Distanz fällt in diesen Berichten weg. In privaten Gesprächen sagten Teilnehmer, sie hielten die DDR für eine eindrückliche Sache. Man hat also die Möglichkeit, die Sache aus verschiedenen Blickwinkeln zu beurteilen."

Ulrich Schlüer: "Wer sich ins Bild setzen will über die Dinge, die auf der Welt passieren, reist vielleicht aus Interesse in ein Land, zu dessen politischen System er keinen Bezug hat. Mit eigenen Augen etwas zu sehen, was an einem anderen Ort passiert. Kann man eine solche Reise heute nicht auf diese Weise rechtfertigen?"

Erwin Bischof: "Das Reisen in andere Länder muss natürlich möglich sein, wir leben in einem freien Land. Es gibt auch Professoren oder Buchautoren, die über andere Länder schreiben und sich informieren müssen. Das ist absolut legitim. Der Punkt, an dem es anfängt fragwürdig zu werden, ist die Identifikation mit dem System, dass man ein System gut findet. Es gibt dazu auch andere Fälle, etwa von einer Klara Obermüller [21], die eine von der DDR begeisterte Journalistin war. Sie hat über ihre Reise in der DDR mit ihrem Mann ein Buch geschrieben. Da kann man auf Schritt und Tritt die Identifizierung beobachten. Es wird berichtet, dass dies und das vielleicht nicht so gut ist, dafür etwas anderes schon. Ich sehe darin eine starke Bewunderung und die Bestätigung, dass ein solches System als Ideal angepeilt wird. Der Sozialismus nach Karl Marx, zu dem es ohne Ausweg kommen muss. Darin liegen die Nuancen. Wenn man die Akten hat, ist man in einer guten Situation. Ich habe auch nach Akten bezüglich dieser Reise beim Sozialarchiv in Zürich nachgefragt, wobei dort gemäss den Angaben des Sozialarchivs keine Dokumente vorhanden sind."

Ulrich Schlüer: "Das heisst, einen Grossteil der Akten, die Sie studiert haben, haben Sie in Ostberlin - jetzt Berlin - studiert, in Deutschland. In der Schweiz gibt es wenig oder man kommt nicht heran."

Erwin Bischof: "Das ist richtig. Die Deutschen sind in allem - wie soll ich sagen - etwas extrem. Sie hatten den Hitler und danach diesen aufgearbeitet, sehr gut wie niemand, sie sind heute noch dabei. Es ist sehr beachtenswert, dass ein Volk oder eine Nation dies tut. Beim Kommunismus war es ähnlich. Sie hatten Honecker, der 200'000 Leute, die sein System nicht mitmachen wollte, zu politische Gefangenen gemacht hat. Das war ein menschenrechtsfeindliches Land, ich kann es nicht anders sagen. Für mich ist die Identifizierung sehr wichtig. Identifiziert man sich mit einem solchen System, strebt man es gar als Ideal an oder sagt man (anhand des herrschenden Unrechts, Anm.) so nicht, das ist völlig unmöglich. "

Ulrich Schlüer: "Sie sind die einzige Persönlichkeit, von der ich seit einigen Jahren weiss, dass sie sich intensiv mit den historischen Zusammenhängen zwischen der Schweiz und der DDR befassen. Sind Sie der einzige in der Schweiz, der zu diesem Thema forscht? Gibt es noch andere?"

Erwin Bischof: "Zur Entstehung muss man vielleicht noch etwas ausholen. Im Schweizer Parlament hat es eine Diskussion gegeben, nachdem die DDR zusammengebrochen war."

Ulrich Schlüer: "... Walter Frey [22] war das?"

Erwin Bischof: "Richtig. Die Deutschen haben sofort mit der Aufarbeitung begonnen und ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Walter Frey hat daraufhin im nationalen Parlament einen Vorstoss eingereicht, der zum Thema hatte, dass die Arbeit und Unterwanderung vonseiten der Stasi in der Schweiz untersucht werden solle. Das wurde im Parlament intensiv diskutiert. Anfangs positiv, nachher kippte die Stimmung. Nicht zuletzt deswegen, weil einem Abgesandten, der nach Berlin geschickt wurde, mitgeteilt wurde, es sei praktisch nichts vorhanden. Wenn es keine Akten gibt, ist eine eigens in Auftrag gegebene Untersuchung vor allem teuer und wenig nützlich. Das erste Budget wären 5 Mio. Schweizer Franken gewesen. Man war dann auch der Auffassung, dass diese Arbeit am besten von privaten Historikern erledigt werden könne. Man will nicht immer eine staatliche Geschichtsschreibung, die es beispielsweise beim Bergier-Bericht gab [23]. Dieser Bericht hat 20 Millionen Schweizer Franken gekostet und wurde unterschiedlich aufgenommen (Kritik vor allem von rechter Seite, Anm.). In diesem Fall wollte man dies nicht, privaten Historiker wurde freigestellt, dies zu tun."

Ulrich Schlüer: "Das ist ein Standpunkt, den man einnehmen kann, ein solches Thema der privaten Forschung zu überlassen. Sind diesen privaten Forschern die staatlichen Archive zugänglich gemacht worden?"

Erwin Bischof: "Ja. Im Prinzip schon. Es gibt dort ein dickes Buch zu den Stasi-Akten, die Deutschen sind immer wieder sehr juristisch, in dem genau geregelt ist, wer Einsicht bekommen kann und wer nicht. Man muss Historiker sein, ein Thema einreichen und seine Pläne dokumentieren. Dieses Gesuch wird geprüft. Ich habe dies getan, die Bewilligung erstaunlicherweise umgehend bekommen und seit über 10 Jahren gehe ich immer wieder dorthin um zu arbeiten. Man kennt sich dort mittlerweile. In der Schweiz ist es ähnlich. Wir haben Akten im Bundesarchiv, unter anderem die der Bundespolizei. Wichtige Akten unter anderem über Überwachung. Auch die aussenpolitischen Akten sind dort."

Ulrich Schlüer: "Die sogenannte 50 Jahres Grenze, die besagt, dass solche Akten 50 Jahre lang vertraulich sind. Ist die aufgehoben worden in diesem Bereich?"

Erwin Bischof: "Nein. Eigentlich gibt es zwei Grenzen. Eine 30 Jahres Grenze und eine 50 Jahres Grenze. Die Verwaltungen, so auch der Geheimdienst, die zu den jeweiligen Akten das letzte Wort haben, dürfen festlegen, wie lange etwas zurückgehalten wird. So ist es gesetzlich geregelt. Alles, was die 'Interessen der Schweiz' betrifft, kann so klassifiziert werden. "

Ulrich Schlüer: "Das sind nachrichtendienstliche Akten? Was ist mit Departementsakten"

Erwin Bischof: "Das gleiche. Das Gesetz zum Bundesarchiv regelt auch dies. Auch dort gibt es Akten, die nicht herausgegeben werden."

Ulrich Schlüer: "Dieser Tage hat man in Zeitungen lesen dürfen, dass im Bezug auf Beziehungen zwischen Schweizer und Südafrikanischen Firmen, respektive dem Südafrikanischen Staat, Akten frühzeitig freigegeben werden. Ist dies für Akten im Bezug auf das Verhältnis Schweiz-DDR auch der Fall? Wurde ein Gesuch eingereicht? Wie wurde es behandelt? Zum Vergleich."

Erwin Bischof: "Das mit Südafrika habe ich auch gelesen. Das ist ein Gebiet, das ich dies nicht bearbeite. Dort hat es geheissen, dass die 50 Jahre Regel aufgehoben wird. Weil die Bedingungen, die damals zum Schutz angerufen wurden, heute nicht mehr relevant seien. Beim Gebiet Kommunismus, DDR, Sowjetunion ist dies offensichtlich nicht der Fall. Ich weiss von jemandem, der ein Gesuch gestellt hat, welches mit der Begründung 'die Frist betrage ohne Ausnahme nach wie vor 50 Jahre' abgelehnt wurde. Ich habe hier viele Akten bekommen mit der Frist von 30 Jahren. 30 Jahre seit dem Ende des Ostblocks sind schon bald erreicht. Dieses Jahr haben wir 25 Jahre Fall der Berliner Mauer. Die meisten Akten kommen aus der Zeit davor und sind entsprechen älter. Viele davon kann man bekommen, mit Ausnahmen. Bei Akten mit der 50 Jahres Frist kann die Herausgabe verweigert werden."

Ulrich Schlüer: "Ist es eine Möglichkeit, dass man die Dinge, die man in der Schweiz nicht bekommt, allenfalls in Deutschland kriegen kann?"

Erwin Bischof: "Ja. Das ist ein Vorteil, den wir in diesem Fall haben. Deutschland ist auf diesem Gebiet sehr gut organisiert. Es kommt also sehr darauf an, wer der Partner ist. Es braucht sauber geführte und zugängliche Archive. Das ist in Deutschland erfüllt. Ich habe dort Akten aus geheimdienstlichen Quellen bekommen, die keine 50 Jahre alt sind und die Schweiz betreffen. Dort hat man die Möglichkeit, hinzugehen. Was nicht klappt und ein Nachteil ist, ist die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und jetzt Russland. Jelzin, als er an der Macht war, hat für kurze Zeit die Archive geöffnet. Dies ist auf grosse Nachfrage gestossen. Dann ist es ihnen wohl unheimlich geworden, Archivbesucher haben wohl auch gesagt, es sei der Wahnsinn, was da alles herauskommt. Dann wurde die Möglichkeit des Archivbesuchs wieder aufgehoben. Jetzt, unter dem ehemaligen Geheimdienstmann Oberst Putin, ist es natürlich nicht möglich, Archive einzusehen. Der wird der Letzte sein, der als Präsident von Russland diese Akten herausgibt.

Ulrich Schlüer: "Aber das betrifft jetzt nur Russland. Das Gebiet der ehemaligen DDR betrifft es nicht?"

Erwin Bischof: "Es betrifft die russischen Archive. Die haben auch Akten von der DDR. Die wurden stets nach Moskau abgeliefert. Auch aus Ungarn und anderen Ländern des Ostblocks. Das muss man sich vorstellen, es eine echte Bedrohung für die Schweiz. Es gab nicht nur russische Spione, sondern auch welche aus der DDR, ungarische, rumänische, tschechische und polnische. Es sind 6-7 Länder, die auch spioniert haben. Die hatten auch Militärattachés. Diplomaten, die nur solches gemacht haben, haben wir am Beispiel von Frau Selmeier in Zürichi gesehen. In Summe hat sich daraus eine riesige Masse von Informationen ergegeben, die allesamt nach Moskau geliefert wurden.

Ulrich Schlüer: "Haben Sie durch Ihre Forschungstätigkeit den Eindruck, dass man das Wesentliche beisammen hat und ein guter Überblick möglich ist? Oder haben Sie den Eindruck, es gäbe noch grosse Bestände, die man gar nie erforscht hat?"

Erwin Bischof: "Es ist beides. Man hat schon Einsicht in vieles bekommen, das man zuvor nicht gewusst hat. Es gibt viel allgemeine Literatur über den Kommunismus. Der Kommunismus als Phänomen ist sehr gut untersucht. Da gibt es die berühmten französischen Forscher wie Revel [24] und Courtois [25]. Die haben hervorragende, dicke Bücher veröffentlicht. Zum Teil sind das ehemalige Kommunisten, denen man eigentlich nicht vorwerfen kann, dass sie nicht wissen, was Kommunismus ist. Die haben klar gesagt, unbedingt aufhören damit. Ich besitze all diese Bücher und habe sie auch gelesen. Es gibt auch noch einen Schweizer Forscher, den man gerne vergisst. Das war Joseph Maria Bochensky [26]. Er war Professor an der Universität Friboug für Philosophie. Wie sein Name verrät, stammte er aus Polen und hat mit einer stattlichen Zahl anderer Forscher ein dickes Buch veröffentlicht, welches ich auch gelesen habe. Es ist erstaunlich, was diese Forscher schon gewusst haben. Die Thematik ist sehr gut aufgearbeitet. Was fehlt, ist die Erarbeitung der Spionagefälle Schweiz. Ich habe zwölf Fälle gebracht und abgehandelt. Etwa 50 Spione wurden bundespolizeilich überwacht, vor Gericht landete nur ein Teil von diesen. Wieviele das genau waren, weiss ich nicht. Die Bundespolizei war sehr vorsichtig beim Veranlassen von Gerichtsprozessen. Eigentlich gingen sie erst vor Gericht, wenn es klar war, dass sie gewinnen werden. Gegen einen möglichen Spion vor Gericht zu verlieren, wäre unschön gewesen."

Ulrich Schlüer: "Oder man hat ein Gegengeschäft gemacht? Man hat etwas vielleicht nicht polizeilich aufklären wollen, weil durch einen Enttarnten Spion allenfalls Informationen von der Gegenseite zu bekommen waren."

Erwin Bischof: "Es hat auch Gegengeschäfte zum Austausch von Gefangenen gegeben."

Ulrich Schlüer: "Wenn ich das noch fragen darf. Letztens hat man in der Presse lesen können, dass ein Gesuch gestellt wurde, um nachrichtendienstliche Akten aus der Zeit Kalter Krieg zum Verhältnis Schweiz-DDR zu erhalten. Der Name des Gesuchstellers wurde nicht erwähnt. Ich habe vermutet, dass es Sie betrifft. Können Sie das kommentieren?"

Erwin Bischof: "Es ist richtig, dass ich ein Gesuch gestellt habe, welches abgelehnt wurde. Mit der Begründung, es tangiere die Sicherheit der Schweiz. Ich habe allerdings Mühe, darin die Sicherheit der Schweiz tangiert zu sehen."

Ulrich Schlüer: "Worauf zielen Sie ab?"

Erwin Bischof: "Einfach, dass es um Fälle von begeisterten Kommunisten in der Schweiz geht, die sich heute nicht mehr unbedingt als Kommunisten sehen. Leute, die heute noch leben und während ihres Lebens nicht wollen, dass das in der Zeitung steht. Das kann man ein wenig verstehen. Trotzem stellt sich die Frage, ob sie ein Anrecht darauf haben. Eigentlich leben wir hier in einem Rechtsstaat."

Ulrich Schlüer: "Gibt es eine Lobby, die das verhindert? Leute, die sagen, es betrifft Menschen in einer gewissen Stellung, auf die öffentlich kein Schatten fallen soll. Wird also die Aufklärung aus politischen Motiven verhindert?"

Erwin Bischof: "Die Lobby wäre im Parlament zu finden. Dieses müsste die Sperren aufheben. Das Gesetz wurde von ihm eingeführt. Von linken Forschern gibt es das Bestreben, Südafrika-Akten freizubekommen. Das Parlament ist diesem Bestreben nachgekommen. Dort wird gesagt, es sei nicht mehr nötig, die Akten zu schützen. Dasselbe kann man auch auf andere Akten anwenden. Warum sollen gerade die Akten im Bezug auf den Kommunismus so lange geschützt bleiben?"

Ulrich Schlüer: "Warum gibt es da unterschiedliche Massstäbe?"

Erwin Bischof: "Der Unterschied besteht darin, dass es über den Kommunismus fast nichts gibt an Literatur. Das wird nicht bearbeitet. Über den Nationalsozialismus gibt es ganze Bibliotheken. Ich habe mich mit dem Nationalsozialismus auch beschäftigt. Es ist richtig, dass man dies untersucht, aber man darf nicht unterschiedliche Ellenlängen anwenden. Wenn man das eine untersucht, muss man das andere auch."

Ulrich Schlüer: "Zum Schluss ganz kurz. Haben Sie einen Wunsch an die Schweizerische Öffentlichkeit oder einen Appell? Haben Sie einen Wunsch oder einen Appell an das Schweizerische Parlament zu Ihrem Forschungsgebiet?"

Erwin Bischof: "Einen Wunsch hätte ich schon. Dass das Parlament die 50 Jahres Frist bezüglich Osteuropa endlich aufhebt. Wenn man das in Bezug auf Südafrika kann, kann man es auch in Bezug auf Osteuropa. Der Fall der Berliner Mauer ist jetzt 25 Jahre her, also nicht gestern oder vorgestern passiert. Da liegt mehr Zeit dazwischen. Die von mir genannten Fälle liegen alle noch weiter zurück. Es gibt 30, 40, fast 50 Jahre alte Fälle. Die sollte man einsehen können, da ist die Politik gefordert. Die historische Wissenschaft ist auch gefordert, sich des Themas anzunehmen. Die muss das aufarbeiten. Aktuell bin ich noch immer der Einzige. Sonst veröffentlichen Historiker gerade dicke Bücher über den Ersten Weltkrieg. Das ist jetzt das Thema. Auch davon kann man viel lernen. Trotzdem macht kaum einer etwas über den Kalten Krieg. Da ist eine innere Abwehrhaltung vorhanden, die auch ideologisch bedingt ist. Viele Historiker sind politisch eher auf der linken Seite zu finden. Sie dürfen sich so positionieren, das ist nicht verboten. Aber das hat bei ihnen eine innere Abwehrhaltung vor diesem Thema zur Folge, weil sie einen Teil ihres ideellen Gutes in Frage stellen müssten. Über solche Dinge muss man aber hinweggehen können.

Ulrich Schlüer: "Danke vielmals! Das ist ein gutes Schlusswort. Man muss über die ideellen Hindernisse, die man selber aufgebaut hat, hinwegschauen als Historiker. Man muss sich an die Wahrheit und die Fakten halten und dazu müssen Quellen zugänglich sein. Herr Bischof, ich möchte Ihnen ganz herzlich danken für dieses Gespräch. Ich gehe davon aus, dass es viele Zuschauer gibt, die sich persönlich an diese Zeit erinnern und wissen, dass man damals immer wieder in einer Spannung gelebt und man diese Bedrohung empfunden hat. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihr Interesse an dieser Sendung."


Die Anmerkungen wurden über die ganzen drei Teile durchnummeriert.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Erwin_Bischof
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Schlüer
[3] https://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/startseite
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Partei_der_Arbeit_der_Schweiz
[16] http://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Ziegler
[17] http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Dürrenmatt
[18] http://de.wikipedia.org/wiki/Max_Frisch
[19] http://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Rudolf_von_Salis
[20] http://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Hubacher
[21] https://de.wikipedia.org/wiki/Klara_Obermüller
[22] https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Frey_(Politiker,_1943)
[23] https://de.wikipedia.org/wiki/Bergier-Bericht
[24] https://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Fran%C3%A7ois_Revel
[25] https://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%A9phane_Courtois
[26] https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Maria_Boche%C5%84ski

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