LEBEN AM BACH – eine Erzählung (2)

in #deutsch7 years ago (edited)

Teil 2

Meine Heimat ist Kärnten, genauer gesagt, das Gailtal. Ich wuchs in den Sechziger- und Siebzigerjahren in einem schlichten Einfamilienhaus am Hermagorer Mühlbach auf, im sogenannten Oberen Markt des von Bergen eingesäumten Städtchens, da wo das Gitschtal mit seinem Fluss Gössering ins Gailtal mit der gefürchteten Gail übergeht. Von meinen naturverbundenen Erinnerungen handeln die Episoden „Leben am Bach“.

English https://steemit.com/story/@martinamartini/life-at-the-brook-narration-part-2

Respekt vor den Fluten

Der Zugang zum Mühlbach wurde von uns Kindern respektiert, weil wir schon früh auf die Gefahr der reißenden Wassermassen aufmerksam gemacht wurden. Das Bachbett war relativ tief. Das Wasser hatte eine hohe Fließgeschwindigkeit und so viel Kraft, dass ein Stehen im Bach auch für einen starken Erwachsenen undenkbar war.
In den letzten Jahren hat sich viel geändert. Als Wörter wie „Ökologie“ und „Biotop“ und „Artenschutz“ in den allgemeinen Sprachgebrauch übergingen, wurde dieser Bach „rückgeführt“, was bedeutete, dass man das Bachbett unregelmäßig gestaltete wund mit mächtigen Steinen einsäumte.

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Die zweite Veränderung erfreute die Anwohner weniger. Der Zufluss wurde drastisch verringert, sodass vom ehemaligen Rauschen des Baches nichts mehr zu vernehmen ist. Ja, nur ein kleines Stückchen entfernt fließt der Mutterfluss Gössering vorbei, von dem der Mühlbach gespeist wird. Aber um den Mühlbach ist es fast geschehen. Alles ist im Wandel. Auch hier!

Wir Kinder hatten die Gewohnheit, den „Brauch“, in den Bach zu schauen, mit seinem wunderbar klaren Wasser, mit den grünen Fadenalgen, die stellenweise den Rand einsäumten, mit den Steinen in ihrer Vielfalt, die den ruhigen Lauf unterbrachen und Wirbel erzwangen – und wir schrien begeistert auf, wenn wir Forellen entdeckten. Es bedarf gesunder, geübter Augen, im bewegten Wasser Forellen stehen zu sehen.

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Kinderleben am Bach

Wir Kinder hatten nichts, was wir hätten entbehren können, hätten in den Bach werfen wollen, um zu sehen, wie es wegschwimmt. Bis auf ein paar Gräser vielleicht, ein paar „Tschurtschen“ (Zapfen von Koniferen). Unser weniges Spielzeug war uns zu kostbar und eine Schelte wäre uns gewiss gewesen. Wir hüteten uns davor, am Bach Ball zu spielen. Ein Ball war etwas Kostbares. Das möchte ich kurz illustrieren.

Von der Großmutter bekam ich dann und wann eine Münze geschenkt. Freudig hütete ich meinen bescheidenen Schatz. Ein einziges Mal kam ich auf die Idee, nicht alles Geld zu sparen, sondern mir etwas davon zu kaufen. Dieses Etwas war ein kleiner roter Ball. Ich überlegte lange, ob ich ihn erstehen sollte. Selten war ich so aufgeregt wie damals, als ich von Kaufhaus Jochum mit meiner Kostbarkeit heimkam. Ich hütete den Ball wie einen Augapfel… Nie wäre mir in den Sinn gekommen, in der Nähe des Baches mit dem Ball zu spielen!

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Papierschiffchen falten und im Bach davonschwimmen lassen war ungebräuchlich. Das scheint bis heute so geblieben zu sein… Damals lag es wohl daran, dass die Strömung zu stark war und Papierschiffchen sofort umgeworfen worden wären.

Heute ist dieser Umstand wohl eher damit zu begründen, dass vielen Kindern solche einfachen Spiele nicht mehr vertraut sind.

Auf beiden Seiten des Parks standen schöne alte Kastanienbäume, darunter ein rotblühender. Sie verkörperten für mich etwas Ernstes, Kraftvolles. Ich sah oft nach oben und genoss es, wie die Sonne durch die Blätter schimmerte. Wir Kinder schnappten uns hin und wieder ein Kastanienblatt und nahmen zwischen den Rippen der gefiederten Blätter das Grün heraus - zuerst bei jeder zweiten der Rippen und danach den Rest.

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Im Herbst sammelte ich im Park ein paar Rosskastanien. Wenn sie frisch waren, glänzten sie wunderschön. Ich liebte den Duft des Herbstlaubs dieser Bäume. In einer Zeitung entdeckte ich eine Bastelanleitung für Tiere aus Rosskastanien, Streichhölzchen und ein paar anderen Materialien. Wie stolz war ich auf meine kleine Menagerie!

Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals eine Rosskastanie in den Bach geworfen zu haben. Vielleicht tat ich es nicht, weil ich schon damals schon die Gaben der Natur sehr schätzte. Oder hatte mir mein Großvater etwas über die Kreisläufe in der Natur erzählt? Er war recht belesen für die damalige Zeit. Von überhängenden Ästen löste sich aber dann und wann eine dieser bitteren Früchte und fiel ganz von allein in den Bach.

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Im Sommer pflückte ich gerne Wiesenblumen und vierblättrige Kleeblätter. Von denen gab es im Schützenpark ganz viele. Richtige Fundplätze gab es da zuweilen. Zwischen zwei Löschblättern wurden diese „Glücksklee“ sorgsam gepresst. Ein harmloser Aberglaube!

Spielen war einfach

Die Straßen und Wege längs des Mühlbaches waren unsere Spielplätze. Damals war die Stadt noch kinderreich und Einzelkinder wie ich waren ziemlich selten. Nach den Schulaufgaben liefen die Kinder auf die Straße und trafen sich mit den Nachbarkindern. Gemeinsam zog man los und ersann Spiele. Ohne Fahrrad, ohne Spielzeug, ohne jegliche Ausrüstung waren wir in der Lage, uns stundenlang gut zu unterhalten.

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Der zwischen dem Fluss und dem Bach befindliche Schützenpark war bestens geeignet als Treffpunkt und zum Spielen. Er diente auch als Ausgangspunkt für unsere Exkursionen in die Natur, die sich uns wenige Schritte von den Häusern der Altstadt zum Spielen anbot.

Fortsetzung folgt

Hier geht's zu Teil 1.... https://steemit.com/deutsch/@martinamartini/leben-am-bach-eine-erzaehlung-1

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Hast du wirklich sehr schön geschrieben @martinamartini
Ich fühle mich wohl doch sehr an meine Kindheit im schönen Erzgebirge in Ostdeutschland erinnert. Da sieht man es wieder mal... zwei verschiedene Gesellschaftssysteme und doch haben es wohl sehr viele Kinder damals als eine schöne Kindheit empfunden.
Beste Grüße nach Kärnten
Hess

Lieber @sportfrei, ich freue mich so sehr über deine Rückmeldung! Auch das Erzgebirge ist mystisch! Ja, in der Tat, doch unsere Kindheit war auch sehr von Ängsten geprägt. Hier lasse ich bewusst alles Dunkle weg. Es sollen einfach Erinnerungen an eine wunderbare Kindheit sein! :)

Die beiden Gegenden, sind landschaftlich wahrlich miteinender zu vergleichen.
Ich freue mich jedenfalls, daß du mir folgst und paar Votingpünktchen bekommast du auch immer von mir. Ich werde demnächst in meinem Blog auch mal bisschen was über meine Heimat reinstellen.
Glück auf aus dem Erzgebirge
Hess

wusste gar nicht, dass man einen Beitrag über einen Bach so interessant gestalten kann. schade dass kinder heutzutage immer seltener sich an solchen dingen erfreuen

@bigjonny, Sorry, dass ich mich erst jetzt melde, ich hatte deine Anwort gelesen, musste kurz weg und... Es besteht Hoffnung. Es gibt mehr und mehr Projekte, die den Kindern wieder die Natur nahebringen. Da Kinder sich am Vorleben in der Familie orientieren, liegt die größte Verantwortung bei den Eltern, wie sie leben und wofür sie ihre Kinder begeistern.

das stimmt, im endeffekt liegt es an den eltern wie die kinder aufwachsen

Am Umfeld generell, ja. :)

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Gab es Unfälle an dem Bach... wir hatten auch einen in unserem Dorf, die Modau, aber nicht so schön wie bei euch. Viel wurde begradigt, wegen den Überschwemmungen. Da fällt mir was mit Valencia ein ... darf ich erzählen?

Nochmals hier... doch, doch, da sind wilde Geschichten passiert. Das kommt schon noch...

Bitte nur zu - aber wie wäre es, wenn du auch deine Erinnerungen in Fortsetzungen postest? Mehr bald! Ich trinke gerade einen Ruby Cabernet mit @yourmate!

auf jeden Fall mehr Ruby Cabernet ;P

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