Leben am Bach - eine Erzählung (1)

in #deutsch7 years ago

In meinem Leben spielen Gewässer eine große Rolle.
Für die Astrologen unter uns wird das verständlich sein: Sternzeichen Krebs, Aszendent Fische.
Mein „Bruder Mühlbach“ ist zur Zeit durch Bauprojekte gefährdet (https://rettetdenmuehlbach.wordpress.com/. Das veranlasste mich, diese Erinnerungen an meine Kindheit in einem Haus am Bach zu schreiben.

Teil 1

Einleitung

Meine Heimat ist Kärnten, genauer gesagt, das Gailtal. Ich wuchs in den Sechziger- und Siebzigerjahren in einem schlichten Einfamilienhaus am Hermagorer Mühlbach auf, im sogenannten Oberen Markt des von Bergen eingesäumten Städtchens, da wo das Gitschtal mit seinem Fluss Gössering ins Gailtal mit der gefürchteten Gail übergeht. Einige Schritte weiter führt eine Holzbrücke über die Gössering, die sich nördlich der Altstadt von Hermagor ihr Flussbett gegraben hat.

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Nun lebe ich schon einige Jahrzehnte fern der Heimat, doch noch immer suche ich, wann immer es möglich ist, die Nähe fließender Gewässer. Wenn es auch nur der Teich am alten Bauernhaus im Burgenland ist mit dem plätschernden Zuflusses ist, in dem ich nun lebe, bin ich schon getröstet.

Während meiner Studien- und Berufsjahre hatte ich oft Heimweh. Es war gar nicht so sehr die Sehnsucht nach den vertrauten Bergen, wie bei vielen Menschen, die im Bergland daheim sind. Es waren die Gewässer, die ich vermisste. Die klaren Gebirgsbäche, die Wasserfälle, die Bergseen, die Badeseen, die wilden Flüsse, die Quellen, die Hochmoore...

Meine neue Heimat, das hügelige Südburgenland, ist Weinbaugebiet, Ackerland, Obstbaugebiet und Thermenregion, waldreich, mit vielen Fischteichen und durchzogen von wenigen Flüssen. Die Bäche führen nur bei starken Regenfällen viel lehmhaltiges Wasser, sind die meiste Zeit eher Rinnsale, die Teiche der Fischaktivitäten wegen meist trüb, und Seen und Wasserfälle gibt es nicht. Die Landschaft ist auch hier malerisch und abwechslungsreich. Aber wenn ich in meine alte Heimat komme, freue ich mich auf meine ersten Gefährten meienr Kindheit da draußen in der Natur.

Mit dem Mühlbach und seiner „Mutter“, dem Gösseringfluss, sind für mich viele schöne Erinnerungen verbunden. Hier möchte ich einige davon mit euch teilen und weitere Begebenheiten schildern, die sich am Mühlbach und in seiner Nähe abspielten.

Die magische Natur meiner Kindheit

In meiner frühen Kindheit war alle Natur für mich magisch, ob es nun der Garten der Familie war oder der Park mit den großen Kastanienbäumen, der mir wir eine Insel zwischen Gösseringfluss und Mühlbach erschien.IMG_1942.JPG

Stundenlang konnte ich beobachten, was da überall krabbelte und flog, beobachtete Blumen und Gräser. Doch ich war keineswegs ein ruhiges und verträumtes Kind. Ich lachte, tanzte, hüpfte, sprang, schwamm und turnte gern und ging fröhlich auf die Menschen zu.

Ich liebte Abenteuer und wollte ferne Länder erkunden. Als Schulkind las ich mit Begeisterung Reiseberichte und Abenteuergeschichten. Da es den Mädchen damals an weiblichen Vorbildern fehlte, war ich Old Shatterhand und der Letzte Mohikaner, begleitete Thor Heyerdahl auf seinen Exkursionen und war mit Sven Hedin auf dessen Expeditionen und mit Heinrich Harrer in Tibet.

Vermutlich hatte ich beim Bücherlesen kein Problem mit dem Tausch der Geschlechterrolle, weil nur der Körper geschlechtlich ist, Seele und Geist sind es aber nicht.

Probleme hatte ich nur mit der Benachteiligung als Mädchen, wenn es um Ausbildung und Beruf ging. Werkunterricht war nur für Buben. Ich erntete nur Kopfschütteln, als ich zur Feuerwehr gehen wollte. Damals war Ministrieren in der katholischen Kirche auch nur Buben erlaubt. Alles, was Buben taten, wurde bewundert. Ein Mädchen hatte in erster Linie brav zu sein.

Meine eigenen Abenteuer spielten sich weit weniger spektakulär ab.

Zwischen Schützenpark und Gössering durften damals Büsche und junge Bäume wachsen. Ich entdeckte ein Bäumchen, das von der Steinmauer aus leicht zu erklimmen war und ein relativ bequemes Sitzen erlaubte. Dort verbrachte ich so manche glückliche Minuten, in denen ich mich unbeobachtet glaubte und die Umgebung auf mich wirken ließ.

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Mit dem für mich überdimensionierten Fahrrad meiner Mutter fuhr ich über Stock und Stein und wagte mich weit in den Gösseringgraben. Der Weg längs des Baches war stellenweise lehmig. Es gab steilere Stellen, die von Wurzeln durchzogen waren. Da musste ich das schwere Rad ein Stück tragen. Ich war ziemlich schnell und wild unterwegs. Ich war eigentlich so etwas wie eine frühe Mountain-Bikerin.

Die Karnische Region ist schneereich. In manchen Jahren türmte sich sogar im Tal der Schnee. Ich legte mit blossen Händen (natürlich mit Handschuhen!) Tunnel entlang unseres Gartenzauns an und eine kleine Höhle und erfreute mich an dieser eigentümlichen, selbst erschaffenen Welt. Nach dieseer sportlichen Betätigung war es wunderbar, von Großmutter mit heißem Tee und einem Imbiss gestärkt zu werden. Meine Kleidung wurde bei meinem Abenteuer imn Schnee klitschnass, denn damals waren die Materialien noch nicht so gut. Aber es war schön.

Mehr über damalige Kinderspiele später.

Das Rauschen

Wir Bewohner des Hauses Nummer 59 lebten wie alle Anrainer mit dem immerwährenden Rauschen des mächtigen Mühlbachs. Es begrüßte mich bei jeder Heimkehr und begleitete mich in den Schlaf. Er wurde im Lauf der Zeit wie ein Freund oder Bruder für mich. Als von Eltern und Großeltern gut behütetes Einzelkind hatte ich bis zur Pflichtschulzeit kaum Kontakt mit anderen Kindern. Das gab sich ganz langsam. Der Mühlbach aber war wie ein Vertrauter für mich. Sein Rauschen signalisierte seine Präsenz. Es begleitete jede Tätigkeit im Freien und jeden Plausch mit Passanten, aber sogar bei den Hausaufgaben spürte ich förmlich den Bach.

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Mächtiger mengten sich nur noch die Kirchenglocken der nahegelegenen Stadtpfarrkirche in mein recht beschauliches junges Leben ein. Mächtig, aber in meinen Ohren bei weitem nicht so wohlklingend wie der Bach. Kirchenglocken klingen für mich immer etwas verstimmt. Ich habe noch nie ergründen können, warum nicht stattdessen wohlklingende Klanginstumente die Mittagszeit verkünden.

Wohlklänge

Zum Glück gibt es die „holde Kunst“, die Musik, und diese wurde in meinem Heimathaus sehr intensiv gepflegt. Alle meiner Angehörigen spielten ein oder mehrere Musikinstrumente. Meine Mutter war unter Anderem Musiklehrerin und Chorleiterin, unterrichtete Geige und war zeitweise als Organistin tätig. Es gab häufig Hausmusik. Mein Großvater spielte Cello. Freunde des Hauses brachten ihre Instrumente mit. Gespielt wurde nur zum eigenen Vergnügen. Anschließend gab es noch ein gemütliches Beisammensein.

Ich durfte Klavier lernen. Später eignete ich mir autodidaktisch bescheidene Kenntnisse anderer Instrumente an. Das Klavier befand sich in einem zur Gasse gelegenen Wohnraum. Dann und wann blieben Passanten stehen, wenn ich spielte, um den Klängen zu lauschen.

Ich hatte schon damals eine Neigung zum Zelebrieren. Bei Vollmond spielte die Mondscheinsonate von Beethoven. Mir war es, als würde dadurch der Zauber der Mondnacht noch weiter verstärkt, und badete so richtig in meinen Gefühlen.

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Manchmal spielte ich bei offenem Fenster. Vor dem Fenster, das zum Garten hin geöffneten war, befand sich ein alter Pflaumenbaum. Wenn ich spielte, begannen die Singvögel im Baum mitzusingen. Oder vielleicht bildete ich mir in meiner Einsamkeit als Einzelkind nur ein, dass sie mitsangen. Es war ein schönes Gefühl der Verbundenheit.

Auch wenn diese musikalische Zwiesprache zwischen Tier und Mensch nur in meiner Fantasie stattfand, sie reiht sich für mich in die vielen Naturerlebnisse ein, die meine Kindheit stärker prägten als die Begegnungen mit Menschen.

(wird fortgesetzt)

Sort:  

Der erste Teil ist auch gigantisch @martinamartini
Warum schreibe ich das so??? Weil ich zufällig auf deinen 2. Teil als erstes gestoßen bin. Es ist einfach wunderschön und geht ans Herz und das will heutztage schon sehr viel heißen.Mach einfach weiter so.
Glück auf aus dem Erzgebirge
Hess

Lieber Hess, so etwas tut gut! Ich habe viele Jahre „für die Wände“ geschrieben und freue mich nun über jedes ermunternde Feedback wie ein Kind. Es geht weiter... :) Herzensgruss in dein Zauberland, Lygia

Das mache ich doch gern @martinamartini.
Ich werde weiterehin deine Einträge, speziell über die Heimat, geniessen und sie auch mit einem Votum belohnen.
Glück auf aus dem Erzgebirge
Hess

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Die magische Anziehungskraft kann ich total nachvollziehen .... SOOOOO schön. Ich habe so eine ähnliche Anziehungskraft für unsere Wahlheimat Valencia. Für mich hat diese Stadt wirklich etwas magisches. Wenn es mir nicht so gut geht, dann denke ich an Valencia und Mike und ich sind wirklich am glücklichsten wenn wir zu Hause sind. Aber nur für 2 oder 3 Monate.

Das soll heißen, man soll diesen Kräften nachgeben... es ist wirklich ein Zeichen!

Eigentlich solllte ich mich ja nun ganz wild über diesen Kommentar von dir freuen, aber das ist schon schlimm mit eurem Valencia... Es erinnert mich an meinen Sommersprachkurs in der Escuela Diplomática in Madrid. Unser Spanischlehrer erzählte uns viel Landeskundliches. Bei der Erwähnung zweier Namen pflegte er immer entzückt die Augen zu verdrehen: Das eine war Rioja, das zweite Valencia... Du machst es mir schon schwer... :)

Keine Absicht... Aber..... Hehehe.

Schön geschrieben! Ich bin auch so ein Wasserkind. Flüsse, Bäche, Seen und sogar Pfützen ziehen mich magisch an. Ich könnte stundenlang rumhocken und ins Wasser starren. :-)

Liebe @claudiapeters, ich habe mich sehr über deinen Kommentar gefreut, konnte jedoch leider nicht antworten und danken. Wie ich erfahren habe, bin ich nicht die einzige, die oft stundenlang nicht posten kann, mit Bandweitesprüngen, die völlig irrational sind. Ich folge dir, weil mich nun natürlich interessiert, was du der Welt zu sagen hast!

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