Perlen der Literatur – „Die geistigen Väter des Faschismus“ von Bertrand Russel – Essay 2/3
Werte Steemis,
gute Bücher und Schriften sind wie Austern, will man an die Perlen gelangen, muss man tief tauchen, Miesmuscheln hingegen, liest man am Strand auf.
Zu den Perlen der Literatur gehört sicher auch Bertrand Russels Buch „Lob des Müßiggangs“, das ihm 1950 den Nobelpreis für Literatur einbrachte. Aus diesem Buch möchte ich euch in drei Teilen ein Essay vorstellen „Die geistigen Väter des Faschismus“.
Meine einzige Kritik: Russel sollte in jedem guten Bücherregal zu finden sein, es ist nicht nur ein Vergnügen ihn zu lesen, seine überlegene Intelligenz, ist erschreckend schön.
Bertrand Russel
Die geistigen Väter des Faschismus
Die Urheber des geistigen Systems, aus dem der Faschismus sich entwickelt hat, tragen alle gewisse gemeinsame Merkmale. Sie suchen das Gute im Willen, statt im Fühlen und Erkennen; sie werten die Macht höher als das Glück; sie geben der Gewalt vor dem Argument den Vorzug, dem Krieg vor dem Frieden, der Aristokratie vor der Demokratie, der Propaganda vor der wissenschaftlichen Objektivität. Sie vertreten eine spartanische Form von Härte im Gegensatz zur christlichen Form: das heißt, sie sehen in der Härte ein Mittel, die Herrschaft über andere zu gewinnen, nicht eine Selbstzucht, um Tugend zu erreichen, und das Glück verweisen sie ins Jenseits. Die späteren dieser geistigen Urheber sind vom populärem Darwinismus durchdrungen und sehen im Lebenskampf die Entwicklungsmöglichkeit für eine höhere Gattung; daraus entsteht aber eher ein Rassenkampf als ein Konkurrenzkampf zwischen einzelnen, wie ihn die Apostel des freien Wettbewerbs befürworten. Freude und Wissen erscheinen ihnen, als Ziele aufgefasst, unangemessen passiv. Anstelle der Freude setzen sie den Ruhm und an Stelle des Wissens, die pragmatische Behauptung, dass richtig sei, was sie wünschen. Bei Fichte, Carlyle und Mazzini sind diese Doktrinen noch hinter dem Schleier der herkömmlichen moralischen Sprache verborgen; bei Nietzsche treten sie zum ersten Mal unverhüllt und ohne Scham zutage.
Fichte ist noch nicht das gebührende Maß an Anerkennung für seinen Anteil am Auslöser dieser großen Bewegung zuteil geworden. Er war anfangs abstrakter Metaphysiker, bewies aber da schon eine gewisse eigenmächtige und egozentrische Veranlagung. Er entwickelte seine gesamte Philosophie aus dem Theorien „Ich bin Ich“, was er folgendermaßen ausdrückt: „Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens, durch sich selbst und umgekehrt. Es ist zugleich das Handelnde und das Produkt der Handlung; das Tätige und das, was durch die Tätigkeit hervorgebracht wird; daher ist das Ich bin Ausdruck einer Tathandlung; aber auch der einzigen möglichen, wie sich aus der ganzen Wissenschaftslehre ergeben muss.“
Nach dieser Theorie existierte das Ich, weil es existieren will. Gegenwärtig hat es den Anschein, als ob das Nicht-Ich-ebenfalls existiert, weil das Ich es so will; aber ein derart erzeugtes Nicht-Ich wird niemals zu einer echten Existenz außerhalb des Ich kommen, das beschlossen hat, es zu setzen. Ludwig XIV. Sagte: „L´ éta ć est moi“; Fichte sagte: „Das Universum bin ich.“ Wie Heine bei einem Vergleich von Kant mit Robespierre bemerkte: „Im Vergleich zu uns Deutschen, seid ihr Franzosen zahm und gemäßigt.“
Fichte erklärte zwar nach einer Weile, wenn er „ich“ sage, so meine er damit „Gott“, was den Leser aber nicht unbedingt beruhigen kann.
Als Fichte infolge der Schlacht von Jena aus Berlin flüchten musste, begann er zu vermuten, dass er das Nicht-Ich in Gestalt Napoleons vielleicht doch etwas zu herzhaft gesetzt haben könnte. Nach seiner Rückkehr im Jahre 1807 hielt er seine berühmten Reden „Reden an die Deutsche Nation“, in denen zum ersten Mal das Glaubensbekenntnis des Nationalsozialismus herausgestellt wurde: der Deutsche sei allen anderen Menschen überlegen, da er allein eine reine Sprache besitze. (Die Russen, Türken, und Chinesen, ganz zu schweigen von den Eskimos und den Hottentotten, haben ebenfalls reine Sprachen, finden jedoch in Fichtes Geschichtswerken keine Erwähnung.) Die Reinheit der deutschen Sprache befähigt allein die Deutschen, tief und gründlich zu sei; er fährt fort : „Charakter haben und deutsch sein ist ohne Zweifel gleichbedeutend.“ Wenn aber der deutsche Charakter vor verderblichen fremden Einflüssen bewahrt werden und die deutsche Nation fähig sein solle, als ein geschlossenes Ganzes zu handeln, dann bedürfe es eines neuen Erziehungssystems, das die „Deutschen zu einer Gesamtheit bilden“ werde. Diese neue Erziehung müsse, wie er sagt, „gerade darin bestehen, dass sie … die Freiheit des Willens gänzlich vernichtet“. Er fügte hinzu, dass „der Wille die eigentliche Grundwurzel des Menschen selbst“ sei.
Es dürfte, über das absolute Unvermeidliche hinaus, keinen Außenhandel geben. Es müsse allgemeine Militärdienstpflicht bestehen: jedermann muss gezwungen werden zu kämpfen, nicht für Materielle Wohlfahrt, nicht für die Freiheit, nicht zur Verteidigung der Verfassung, sondern angetrieben von „der verzehrenden Flamme der höheren Vaterlandsliebe, die die Nation als Hülle des Ewigen umfasst, für welche der Edle mit mit Freuden sich opfert und der Unedle, der nur um des ersten willen da ist, sich eben opfern soll“.
Diese Doktrin, dass der „edle“ Mensch Ziel und Zweck der Menschheit sei und dass der „unedle“ Mensch keine eigenen Anrechte besitze, ist der Wesenskern des neuzeitlichen Angriffs auf die Demokratie. Das Christentum lehrte, dass jeder Mensch eine unsterbliche Seele habe und dass in dieser Hinsicht alle Menschen gleich seinen; die „Menschenrechte“ waren nur eine Weiterentwicklung der christlichen Lehre. Der Utilitarismus räumte zwar dem Individuum keine absoluten „Rechte“ ein, maß aber dem Glück des einen wie des anderen Menschen dasselbe Gewicht bei; damit leitete er gleichermaßen zur Demokratie hin wie die Lehre von den Naturrechten. Aber Fichte stellte, eine Art politischer Calvin, gewisse Menschen als die Erwählten heraus und lehnte alle anderen als bedeutungslos ab.
Die Schwierigkeit liegt natürlich darin, zu wissen, wer die Erwählten sind. In einer Welt, die Fichtes Lehre allgemein anerkennt, würde sich jeder Mensch für „edel“ halten und sich einer Partei von Leuten anschließen, die ihm hinreichend ähneln, um den Anschein nach auch etwas von ihrer Erhabenheit zu besitzen. Das kann seine Nation sein, wie in Fichtes Fall, oder seine Klasse, wie im Fall eines proletarischen Kommunisten, oder seine Familie, wie bei Napoleon. Es gibt kein objektives Kriterium für „Adel“ außer Erfolg im Krieg; daher ist Krieg das zwangsläufige Resultat dieses Glaubens. Carlyles Lebensanschauung war hauptsächlich von Fichte hergeleitet, der den stärksten direkten Einfluss auf seine Ansichten hatte. Aber Carlyle trug etwas dazu bei, was seither stets charakteristisch für diese Bewegung war: eine Art Sozialismus und Sorge um das Proletariat, was in Wahrheit Abscheu gegen den Industrialismus und die „neuen Reichen“ war. Carlyle machte das aber so gut, dass er sogar Engels täuschte, der ihn in seinem Buch über die englische Arbeiterklasse im Jahre 1844 mit Worten des höchsten Lobes erwähnt. Angesichts der Tatsache ist es kaum verwunderlich, dass sich viele Leute von der sozialistischen Fassade des Nationalsozialismus täuschen ließen.
Auch auf Carlyle fallen tatsächlich noch manche Leute herein. Seine „Heldenverehrung“ klingt sehr erhaben; wir brauchen, so sagt er, nicht gewählte Parlamente, sondern „Heldenkönige und eine nicht ganze, nicht unheroische Welt“. Um das zu verstehen, müssen wir es uns in die Praxis übertragen vorstellen. In Vergangenheit und Gegenwart stellt Carlyle den Abt Samson aus dem zwölften Jahrhundert als Vorbild hin; wer das aber nicht gutgläubig hinnimmt, sondern die Chronicle of Jocelin of Brakelonde liest, wird entdecken, dass dieser Abt ein skrupelloser Raufbold mit allen Lastern eines despotischen Grundbesitzers und rabulistischen Winkeladvokaten war. Auch Carlyles übrige Helden sind durchweg mindestens ebensowenig einwandfrei. Die Blutbäder, die Cromwell in Irland anrichtete, veranlassten Carlyle zu folgendem Kommentar: „Aber zu Olivers Zeit, behaupte ich, glaubte man noch an die Gottesurteile; zu Olivers Zeit gab es noch nicht dies verrückte Gerede vom „Abschaffen der Todesstrafe“, von Jean-Jaquesscher Philanthropie und allgemeinen Rosenwasser in dieser noch so sündhaften Welt … Nur bei späten, dekadenten Generationen … kann ein derart unterschiedsloses Vermengen von Gut und Böse zu einem patentierten Universalheilmittel … auf unserer Erde wirksam werden.“ Von den meisten seiner Heroen wie Friedrich dem Großen, Dr. Franica und Gouverneur Eyre ist nichts weiter zu sagen, als dass Blutdurst das ihnen gemeinsame Charakteristikum war.
Wer noch immer der Meinung ist, Carlyle sei im gewissem Sinne mehr oder weniger liberal gewesen, sollte in Vergangenheit und Gegenwart das Kapitel über Demokratie lesen. Es ist größtenteils ein Loblied auf Wilhelm den Eroberer und beschreibt, was für ein angenehmes Leben die Leibeigenen zu seiner Zeit führten. Daran schließt sich eine Definition der Freiheit: „Die wahre Freiheit eines Menschen, würdet ihr sagen, besteht darin, das er den rechten Pfad findet, oder gezwungen wird, ihn zu finden und darauf zu wandeln.“ Er geht zu der Feststellung über, „Demokratie bedeutet die Hoffnungslosigkeit, Helden zu finden, die euch regieren könnten und widerwilliges Abfinden mit ihrem Fehlen“. Das Kapitel endet in beredter, prophetischer Sprache mit den Worten, dass, wenn die Demokratie sich voll ausgewirkt habe, sich wieder das Problem erheben würde, „eine Regierung durch die euch echt überlegenen zu finden“. Würde Hitler das nicht alles Wort für Wort unterschreiben?
Mazzini war milder als Carlyle, mit dem er in der Frage des Heldenkults nicht übereinstimmte. Nicht der einzelne große Mann, sondern die Nation war das Objekt seiner anbetenden Bewunderung; und da er Italien am höchsten schätzte, räumte er jeder Nation in Europa mit Ausnahme der irischen eine Rolle ein. Wie Carlyle glaubte er jedoch, dass die Pflicht über das Glück zu stellen sei, selbst über das kollektive Glück. Nach seiner Ansicht enthüllt Gott jedem menschlichen Gewissen, was recht sei; daher wäre nichts weiter erforderlich, als dass jeder Mensch dem moralischen Gesetz in der eigenen Brust gehorche. Er übersah völlig, dass verschiedene Menschen sich auch wesentlich in dem, was das moralische Gesetz ihnen anbefiehlt, unterscheiden können, oder dass er im Grunde forderte, alle anderen sollten entsprechend seiner eigenen Offenbarung handeln. Er stellte die Moral über die Demokratie und sagt: „Die bloße Stimme der Mehrheit schafft noch keine Souveränität, wenn sie offensichtlich im Gegensatz zu den erhabenen Geboten der Moral steht … der Wille des Volkes ist heilig, wenn er das Moralgesetz vertritt und es anwendet, null und nichtig jedoch, wenn er sich von diesem Gesetz entfernt und nur einen Augenblickseinfall darstellt.“ Dieser Ansicht ist auch Mussolini.
Nur ein wichtiges Element ist seither neu in die Lehren dieser Schule aufgenommen worden, nämlich der pseudodarwinistische Glaube an die „Rasse“. (Fichte begründet die deutsche Überlegenheit mit der Sprache, nicht mit biologischer Erblehre.) Nietzsche, der, abweichend von seinen Nachfolgern, kein Nationalist oder Antisemit ist, wendet die Doktrin nur auf unterschiedliche Individuen an; nach seinem Wunsch sollen die untauglichen daran gehindert werden, sich fortzupflanzen, und er hofft, mit Hundezüchtermethoden eine Rasse von Übermenschen hervorbringen zu können, die ausschließlich die Macht besitzen sollen um deretwillen allein die übrige Menschheit zu existieren habe. Aber alle späteren Schriftsteller haben sich um den Beweis bemüht, dass alles Hervorragende stets im Zusammenhang mit ihrer eigenen Rasse stand. Irische Professoren schreiben ganze Bücher, um nachzuweisen, dass Homer Ire war; französische Anthropologen begründen archäologisch, dass die Kelten und nicht die Teutonen die Urheber der Zivilisation in Nordeuropa waren; Housten Chamberlain setzt lang und breit auseinander, dass Dante ein Deutscher und Christus kein Jude war. Das Rassenprinzip wurde allgemein von den Anglo-Indern vertreten, die das imperialistische England über Rudyard Kipling damit finanzierten. Das antisemitische Element hingegen ist in England niemals stark hervorgetreten, wenn auch ein Engländer, Housten, Chamberlain, hauptsächlich dafür verantwortlich ist, ihm eine vorgebliche historische Basis in Deutschland zuzuschreiben, wo es sich seit dem Mittelalter hartnäckig gehalten habe.
Wenn nicht die Politik mitspielte, wäre über die Rassenfrage nur zu sagen, dass auf diesem Gebiet nichts von politischer Bedeutung bekannt sei. Man könnte es für möglich halten, dass es genetisch begründete geistige Unterschiede zwischen Rassen gibt; es steht aber fest, dass wir bisher noch nicht wissen, worin diese Unterschiede bestehen. Bei einem erwachsenen Menschenverschwindet die Erbmasse hinter den Auswirkungen der Umgebung. Außerdem treten die Rassenunterschiede zwischen verschiedenen Europäern nicht so klar hervor, wie zwischen weißen, gelben und schwarzen Menschen; es gibt keine ausgesprochenen physischen Merkmale, an denen sich die Mitglieder der verschiedenen modernen Nationen Europas untrüglich erkennen lassen, da sie alle aus der Vermischung verschiedener Stämme hervorgegangen sind. Wenn es sich um die geistige Überlegenheit handelt, kann jede zivilisierte Nation einen glaubwürdigen Anspruch ableiten, was die Haltlosigkeit jedes solchen Anspruchs beweist. Es ist möglich, dass die Juden auf geringerer Stufe stehen als die Deutschen, ebensogut ist aber auch das Umgekehrte möglich. Das pseudo-darwinistische Kauderwelsch, in eine derartige Frage einzuschalten, ist in höchsten Grade unwissenschaftlich. Was immer wir auch später einmal darüber erfahren werden, gegenwärtig haben wir jedenfalls nicht die geringste Berechtigung, eine Rasse auf Kosten einer anderen unterstützen zu wollen.
Ende Teil 2
Quelle: http://find.nlc.cn/search/doSearch?query=bertrant%20russel&secQuery=&actualQuery=bertrant%20russel&searchType=2&docType=%E5%85%A8%E9%83%A8&isGroup=isGroup&targetFieldLog=%E5%85%A8%E9%83%A8%E5%AD%97%E6%AE%B5&fromHome=true
Quelle: http://www.nl.go.kr/nl/search/search.jsp?all=on&topF1=title_author&kwd=Bertrand+Russell
Quelle: https://search.rsl.ru/ru/search#q=bertrand%20russel
Joe C. Whisper