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RE: Über Sprache, Macht und die Utopie eines BGEs

in #deutsch6 years ago

Im Zusammenhang mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen wird häufig auf das Grundgesetz verwiesen und die Würde des Menschen. Der Ausgangspunkt ist das "Recht auf Leben" und dass ein Mensch, so er in diese Welt geboren wird, Anrecht auf Nahrung und Unterkunft besitzt.

Wer zu diesem Anrecht "ja" sagen kann, wird nicht viel dagegen haben, dass hieran keine Bedingungen geknüpft sind.

Es ist in meinen Augen eine Art im Voraus gegebene Zusicherung. Wenn ich beispielsweise die Sicherheit habe, komme was wolle, dass ich im Falle dessen, dass alle Stricke reißen, einen Zufluchtsort aufsuchen kann und derjenige, der diesen Ort behebergt, mir dies absolut glaubwürdig vermittelt, so kann es sein, dass ich die Zuflucht überhaupt nicht brauchen werde.

Erst mit der Versicherung, dass ich bedingungslose Aufnahme finde, bewege ich mich mit Souveränität und Zuversicht durchs Leben.

Habe ich hingegen den Eindruck, eine solche Zuflucht ist nicht vorhanden, dann bin ich "verlassen" und die Welt ist ein unsicherer und kalter Ort, in der jeder nur für sich kämpft. Ich denke, viel hängt davon ab, ob ich auch bereits ohne ein solches bedingungsloses Grundeinkommen einen Hafen anlaufen kann oder ob ich denke, dass es ihn nicht gibt.

Schön, wie du diese Angelegenheit beleuchtet hast. Danke:)

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Danke für deinen Kommentar. Du sprichst einen interessanten Punkt an. Gäbe es nicht so viele Menschen, die die Welt als herzlos empfinden, würde vermutlich niemand über ein BGE nachdenken. Meinst du auch, dass die BGE-Befürworter quasi dafür kämpfen, dass wir in unserer Gesellschaft mittels eines BGEs eine Art "bedingungslose Fürsorge füreinander" installieren?

Für viele Bezieher von HARTZIV ist der Wunsch nach einem BGE ja eine Art Hilferuf, da sie sich durch all die Bedingungen, die die Arbeitsagentur bzw. der Staat aufstellt, in ihrer Welt bzw. ihrem Umfeld gar nicht mehr frei bewegen können oder es ihnen zumindest ein Stück weit erschwert wird.

Ich sehe aber auch die andere Seite, den potentiellen Missbrauch dieser "sozialen Hängematte". Das ist ein Argument, das immer wieder kommt und das man schwerlich wegdiskutieren kann. BGE-Befürworter sagen für gewöhnlich, dass wir es uns als Gesellschaft leisten können (sollten), sie mitzuziehen.

Natürlich können wir das, aber noch ist es nach meinem Empfinden so, dass es da eine Art "magische Grenze" gibt, die nicht überschritten werden darf. Nach meinem Gefühl glauben viele Menschen, dass es zwar gerade noch moralisch vertretbar ist, Menschen mitzuziehen, die das System heute schon (aus)nutzen, dass wir aber Menschen, die vorläufig gerne einen für sie bisher belastenden Job (z.B. Zeitarbeit oder im Niedriglohnsektor) aufgeben würden, um sich neu aufzustellen, nicht mitziehen dürfen. Denn wenn die "Dämme brechen" und die Frage der gerechten Versorgung der Menschen nicht mehr staatlich geregelt wird, müssten wir wieder füreinander einstehen und könnten uns nicht mehr darauf verlassen, dass der Staat schon dafür sorgen wird, dass unser Nachbar nicht verhungert.

An dieser Stelle sieht man, dass die Menschen noch nicht bereit sind füreinander einzustehen. Ich glaube auch nicht, dass es der Staat ist, der uns quasi damit einlullt, dass das so ist, sondern, dass die Mehrheit der Deutschen so denkt, da sie sich als Leistungsträger fühlen und wenig holistisch bzw. außerhalb dieses Systems der herkömmlichen Arbeitswelt denken.

Meinst du auch, dass die BGE-Befürworter quasi dafür kämpfen, dass wir in unserer Gesellschaft mittels eines BGEs eine Art "bedingungslose Fürsorge füreinander" installieren?

Ja, das glaube ich. Es ist die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Überwiegend definieren wir Menschen unsere Nützlichkeit über ein Erwerbseinkommen. Alles, was nicht in Form von Einkommen an Tätigkeiten passiert (Ehrenamt, Elternschaft, Pflege der Alten, Kulturarbeit etc.) rangiert in der gesellschaftlichen Anerkennung weiter unten im Vergleich dazu. Die Befürworter finden das nicht richtig. Ich auch nicht:)

Was den Missbrauch betrifft, ist der Rahmen zu eng gefasst. Wenn ich nur den finanziellen Missbrauch sehe, aber nicht darauf schaue, welche nützlichen Dinge ein Mensch mit dem von ihm missbrauchten Geld tut, erschließt sich mir ein anderer Raum. Ich kann dann sehen, dass jemand beispielsweise sich "Zeit kauft", um mit einer Erkrankung oder depressiven Phase zurecht zu kommen oder weil es eine Frau ist, die Kinder hat und im Moment keine Kapazitäten hat für eine Erwerbsarbeit usw. Die meisten Gründe für einen Missbrauch sind recht menschlich und nachvollziehbar. Es ist lediglich die Art der fehlenden Kommunikation, den Missbrauch zu erläutern.

Ich habe etwa 80% Sozialhilfebezieher in meiner Beratung. Viele werden sanktioniert, weil sie sich nicht rechtzeitig um die Auflagen des Jobcenters gekümmert haben. Was sie natürlich hätten tun sollen. Von vorsätzlich betrügerischer Absicht kann ich da nicht sprechen. Es hat in der Regel psycho-soziale Gründe, die ein Jobcenter nicht in der Lage ist, aufzufangen oder zu addressieren.

Sich nicht über Missbrauch zu ärgern, ist meiner Erfahrung nach die beste Methode, um einen klaren Blick zu behalten.

Ich möchte es mit Ladendiebstahl vergleichen. Zu akzeptieren, dass sagen wir, 3-5% der Menschen Diebe sind, damit kann ich leben. Weil ich realistisch genug bin, zu erkennen, dass die Welt kein perfekter Ort ist. Tatsache ist, dass ein Ladengeschäft und auch die Gemeinschaft in der Lage sein soll, sich Diebe leisten zu können. Insoweit da kein gedanklicher Toleranzraum herrscht, würde ich ansonsten Gefahr laufen, eine Art Restriktionspolitik durchzusetzen, die entgegen menschlicher Erfahrungen keinerlei Abweichungen akzeptiert.

Mein kürzlicher Artikel auf Englisch befasst sich mit dem Sozialstaat. Lies doch mal rein, es beantwortet ein wenig das, was du "mitziehen" nennst:

https://steemit.com/life/@erh.germany/my-prove-that-everything-is-good-even-the-bad-is-good

Deine Fragen und Beobachtungn sind aus meiner Sicht sehr geeignet, für sich selbst beantwortet zu werden und eine Position dazu zu finden, die nicht vom Wunsch nach Veränderung “der anderen" ausgeht. Das entzieht sich meiner Kontrolle und lässt mich in einer Warteposition.

Ich hab' deinen Artikel gerade gelesen und glaube, ich verstehe ungefähr, was du meinst. Wir sollten uns weder nur als Geber noch als Nehmer sehen, sondern immer als beides, je nach Kontext. Das erscheint mir auch total logisch.

Man könnte jetzt vielleicht sagen, dass es beim Missbrauch so ist, dass vor allem die eine Seite, das Nehmer-Sein, sichtbar ist und im Vordergrund steht und die Geber-Seite in den Hintergrund verschwindet.

Was das Thema Missbrauch angeht, denke ich persönlich immer ein bisschen an den kategorischen Imperativ. Das heißt nicht, dass ich bei jeder Handlung überlege, ob ich sie als Modellhandlung für alle anderen Menschen vorschlagen würde (das wäre meiner Meinung nach einfach nicht praktikabel), sondern, "Was wäre, wenn das alle so täten?". Ich weiß, dass diese Frage etwas streng, spießig oder vielleicht auch zynisch klingt, aber wenn man sie sich stellt, bekommt man zumindest ein Gefühl dafür ob, oder was, mit unserer Handlung (oder der Gesellschaft) nicht stimmt.

Denn dass ich die Frage mit "Dann würde unser Sozialsystem zusammenbrechen." beantworten würde, bedeutet ja nicht automatisch, dass meine Handlung (z.B. der Sozialbetrug) an sich moralisch falsch ist (es kommt hier ja schließlich, wie du auch schon richtig gesagt hast, auf den Kontext an). Es sagt erstmal nur, dass das Sozialsystem, das die Gesellschaft installiert hat, so eine Handlung nicht aushalten würde, dass es ihr System sprengen würde.

Jemand, den ich nicht persönlich kenne, hat in der Öffentlichkeit (Youtube-Video) gesagt, dass er im Ausland (nicht EU) HARTZIV bezieht (ich vermute mit einem Helfer in Deutschland, der Behördenbriefe abfängt) und rechtfertigt das für sich und vor den anderen, indem er sagt, er habe ja vorher jahrelang eingezahlt.

Wenn ich jetzt meine Frage wieder nehme "Was wäre, wenn das alle so machen würden?" kommt etwas Interessantes raus. Denn, rein theoretisch betrachtet, hätte jeder die Möglichkeit (wohlgemerkt aber nicht das Recht), es genau wie er zu tun. Er hat übrigens sogar gesagt, er überlegt, ob er auf Youtube Tipps gibt, wie man das am besten macht.

Ich möchte jetzt nicht moralisch über diesen Menschen urteilen. Ich kenne ihn nicht. Es sei' ihm gegönnt, dass er für sich einen Weg gefunden hat, wie er finanziell die Zeit bis zu seiner nächsten bezahlten oder nicht bezahlten Tätigkeit (ich nehme mal an, er zieht das nicht bis zu seinem Lebensende durch) überbrückt.

Aber was folgt daraus für den Rest der Menschen? Für die, die das Sozialsystem finanzieren? Ich würde sagen, auf der einen Seite werden diese Menschen betrogen. Aber natürlich nur, wenn man das Sozialsystem nicht als interdependentes System (wie in deinem Artikel), sondern als "Zwei-Klassen-System" aus Gebern und Nehmern betrachtet.

Wenn ich diesen Einzelfall aus einem weiteren Blickwinkel, dem "interdependenten" Blickwinkel betrachte, befreit es mich natürlich auch von dem Leistungsdruck, dem ich mich selbst als vermeintlichem "Dauergeber" aussetze. Denn es ist ok, auch mal Nehmer zu sein. Egal, ob man dem Vorbild des Mannes aus dem Beispiel jetzt nacheifern möchte oder nicht.

Das ist genau das, was ich mit der täglichen Übung der Dankbarkeit, die ich in meinem Beitrag Der Mythos vom Reichsein beschrieben habe, versuche, das für mich Gute und Positive herauszuziehen. Mir zu überlegen, wie ich daran wachsen kann. Und ich kann sozusagen an diesem Beispiel wachsen und mir selbst sagen: Auch ich muss nicht immer nur Geber sein. Und zwar weil ich ganz real auch nicht immer nur Geber bin.

Du hast diese Übung in deinem letzten Kommentar an @reinhard-schmid auch sehr schön erklärt.

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