Xenoöstrogene Teil 3: Isoflavone, Soy boys, und tatsächliche problematische Nebenwirkungen von Sojaprodukten.

in #de-stem6 years ago (edited)

Das ist eine deutschsprachige Adaption und Zusammenführung meiner drei kürzlich verfassten Posts zum Thema Soja-Isoflavone:


Soja, die Hauptnahrungsquelle für Isoflavone. Bild von pixabay

Soja - ein echtes "Super Food"

Sojabohnen sind ein Grundnahrungsmittel, vor allem in der asiatischen Kultur, aber seit einigen Jahren auch vermehrt im Westen, wo sie aufgrund ihrer vorteilhaften Proteinzusammensetzung zu einem wichtigen Fleisch- und Milchersatz des im Trend liegenden Veganismus wurden.
Soja kann in vielfältiger Weise zubereitet werden. Neben den Bohnen an sich ist die fermentierte Form, der Tofu, aus der asiatischen Küche nicht wegzudenken. Löst/emulgiert man die Proteine der Bohnen in Wasser, erhält man die Soja"milch", mit der auch Veganer ihren Kaffee wieder trinken können. Genauso kann man Säuglingsmilch auf Sojabasis herstellen, die für gegen Kuhmilch allergische Säuglinge entwickelt wurde. Und dann gibt es natürlich noch die Fitness-Industrie, in der vegane Proteinpulverchen auch nicht fehlen dürfen...

Kurz, Soja ist eine echte Wunderpflanze. So so gesund sollen die Bohnen sein! Schon gehört, Sojabohnen enthalten Polyphenole. Und die sind, das weiß doch jeder hipper Super-Food-möchtegern-Jamie-Oliver, antioxidativ und schützen gegen Krebs!

Die Kehrseite der Medaillie

Letzteres stimmt sogar vermutlich - Asiaten haben tatsächlich wesentlich geringere Brust- und Gebärmutterhalskrebsraten. Ersterer war auf Japan bis in die 1970er-Jahre sogar praktisch unbekannt. Und es spricht tatsächlich einiges dafür, dass die im Soja enthaltenen Polyphenole - die Isoflavone, ein Mitgrund dafür sein könnten.

Das Problem daran erschießt sich erst, wenn man die Frage stellt, warum diese anti-Krebs ("chemopräventiv") wirken, und warum genau gegen diese Krebsarten.
Es liegt nähmlich eher nicht an der anti-oxidativen Wirkung der Isoflavone, sondern vielmehr an - meine Stammleser werden es ahnen - der Tatsache, dass Isoflavone xenoöstrogen wirken, sprich in der Lage sind, menschliche Östrogenrezeptoren zu aktivieren und somit hormonell wirksam sind.

Aber Sco!, hör ich euch sagen. Jetzt warnst du uns die ganze Zeit vor Xenoöstrogenen, und dann verhindern sie Krebs?

In der Tat mag das erstmal etwas paradox klingen. Aus Tierversuchen weiß man aber inzwischen, dass die weiblichen Sexualorgane von Ratten, die von der Kindheit an Soja zum fressen bekommen, tatsächlich seltener von Krebs betroffen sind.
Vermutlich ist der kindliche Körper in der Lage, sich an die doch relativ moderaten Mengen an hormonell wirksamen Substanzen, die mit der regulären Nahrung aufgenommen werden, zu gewöhnen, indem einfach die Produktion von Östrogenrezeptoren (ERs) etwas herunter reguliert wird. Diese spielen aber in der Kanzerogenese - also der Entstehung von Krebs - in den besagten Organen eine große Rolle. Weniger ERs, weniger Brustkrebs, so könnte grob vereinfacht dann die Zauberformel lauten.

Isst man Soja im Erwachsenenalter, bringt das aber nichts mehr. Ratten, die erst adult mit Soja gefüttert wurden, erkrankten genauso viel oder sogar leicht öfter an Krebs, das war zumindest das Ergebnis mehrerer Studien, die unter Lebensmitteltoxikologen hohe Wellen geschlagen haben.1

Also was nun - sind Isoflavone gefährlich?

Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach zu beantworten und hängt stark davon ab, wieviel an Isoflavonen wer aufnimmt.

In den asozialen Medien wurde vor nicht allzu langer Zeit ein Video mit dem Titel "Soy Boys" viral, in dem Paul Joseph Watson von InfoWars einen Zusammenhang zwischen dem hohen Sojakonsum und dem aus seiner Sicht unmännlichen Verhalten der "nervigsten Linken auf Twitter" herstellte, und das auf die östrogene Wirkung der Isoflavone zurück führte:

Diese Vermutungen halten der wissenschaftlichen Betrachtung allerdings nicht stand:

Es gibt zwar einige wenige Studien, in denen hoher Sojakonsum leichte Effekte auf Männer zeigte, das Gros der wissenschaftlichen Untersuchungen fand aber nicht den geringsten Zusammenhang zwischen der Menge an aufgenommenen Sojaprodukten und femininen Verhalten oder anderen Parametern wie Spermienqualität, Testosteronspiegel etc.2,3,4

Es ist relativ gut gesichert, dass Soja in der Nahrung für Erwachsene ungefährlich ist - es werden durch die schlechte Bioverfügbarkeit (Isoflavone werden schnell abgebaut und schlecht resorbiert) schlicht keine Konzentrationen im Blut erreicht, die hoch genug für endokrine Auswirkungen sind - schon gar nicht bei Männern, die wesentlich weniger ERs besitzen als Frauen und dementsprechend unsensitiver auf Xenoöstrogene reagieren.
Denkbar wären Auswirkungen höchstens bei bei der Einnahme von Isoflavonen als Nahrungsergänzungsmittel - womit wir beim nächsten Thema wären:

Konzentrierte Isoflavone

Die manchmal etwas zwielichtige Nahrungsergänzungsmittelindustrie verkauft ihre Produkte quasi als Medikamente, fällt aber unter die gesetzlichen Regelungen für Nahrungsmittel. Das hat zur Folge, dass sie die gesundheitlichen Vorteile ihrer Produkte wesentlich weniger gut belegen müssen, wenn sie Behauptungen aufstellen.

Konzentrierte Isoflavone aus Sojabohnen werden tatsächlich als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben, und zwar dezitiert zur Linderung von Symptomen der Menopause und zur Vorbeugung gegen Brustkrebs.
Zweiteres ist ausgemachter Schwindel, denn wie wir inzwischen wissen, muss zur Verringerung des Krebsrisikos die regelmäßige Einnahme von Isoflavonen schon im Kleinkindalter beginnen, und das ist bei einer Frau im mittleren Alter, die anfängt, sich Sorgen um ihren Hormonhaushalt zu machen, ja wohl eher nicht der Fall.

Ersteres dürfte bis zu einem gewissen Grad tatsächlich funktionieren. Die Menopause samt Symptomatik wird vor allem durch das plötzliche Absinken des Östrogenspiegels verursacht. Hormonell wirkende Phytoöstrogene wie Isoflavone können da tatsächlich die Symptome lindern, müssen aber entsprechend konzentriert werden, damit die dafür nötigen Dosen erreicht werden (die Sojaaufnahme über die reguläre Nahrung reicht da eher nicht).

Das Blöde ist jetzt aber, dass hohe Dosen von Isoflavonen andere Probleme verursachen können: Da ist z.B. Genistein, das wichtigste Isoflavon, in der Lage, Topoisomerasen zu beeinträchtigen (ich hab über die mal gebloggt) und somit DNA-Schäden zu verursachen. DNA-Schäden können auf lange Sicht aber zur Bildung von Krebs führen.5


Die chemische Struktur von Genistein.

Unterm Strich könnte es also sein, dass Isoflavone als Nahrungsergänzungsmittel das Gegenteil von dem machen was auf der Packung steht und Krebs verursachen, weil die Konzentrationen der Substanzen im Körper so unnatürlich hoch werden können.

Säuglingsmilch auf Sojabasis

Es gibt einen weiteren Fall, in dem der Einsatz von Soja kritisch zu betrachten ist. Sojamilch eignet sich nämlich aufgrund der wertvollen Proteinzusammensetzung hervorragend zur Herstellung von pflanzlicher Säuglingsnahrung. Was ursprünglich nur als Produkt für Kinder, die auf die herkömmlichen Produkte aus Kuhmilch allergisch reagierten, gedacht war, greift leider um sich. Im Anglo-amerikanischen Raum erreicht Soja-Folgemilch Marktanteile über 20%, in Israel sogar knappe 40%. In Kontinentaleuropa ist das zum Glück noch eher eine Randgruppenerscheinung (winke winke in Richtung Veganer, ich hoffe ihr lest noch mit!)

Das Erschreckende ist, dass die endokrine Wirkung dieser Produkte auf Kinder recht gut belegt ist. Säuglinge essen ja NUR Milch, und daher ist die Exposition gegenüber allem, was in ihrer Nahrung zu finden ist, wesentlich höher als bei älteren Menschen, die ihre Ernährung abwechslungsreicher gestalten.

Es ist inzwischen nachgewiesen, dass Mädchen, die mit Sojamilch ernährt wurde, im Schnitt früher die Periode bekommen und auch später noch häufiger über Menstruationsbeschwerden klagen.6
Bei Buben gibt es allerdings keine Belege für adverse Effekte7,8 - wir Männer haben in dem Fall das Glück, sehr wenige Östrogenrezeptoren zu besitzen.


Fun fact am Rande: männliche Affen, die mit Sojamilch großgezogen wurden, bekamen in dieser großartigen Studie größere Genitalien. Keine weiteren Nebenwirkungen.
Don't try it at home und so...


Diese Umstände hat das Bundesinstitut für Risikobewertung zu folgendem Statement veranlasst:

"Wie sich eine erhöhte Zufuhr an Isoflavonen bei Säuglingen langfristig auswirkt, ist nicht abschließend geklärt. [...] Nicht oder nicht voll gestillte Säuglinge sollten sie nur in begründeten Ausnahmefällen und nach ärztlicher Empfehlung regelmäßig bekommen. Sojanahrung für Säuglinge ist nicht für die Ernährung gesunder Säuglinge gedacht.“9

Dem ist wenig hinzuzufügen, und man kann nur hoffen, dass die Leute sich das zu Herzen nehmen und diese Erkenntnis auch über den Atlantik schwappt, wo die Behörden zwar inhaltlich das selbe sagen, es aber noch wesentlich schwammiger formulieren.

Zusammenfassung & Schlussfolgerung

Ich hoffe es war für euch interessant. Ich habe Genistein selbst schon im Labor gehabt, aber in eine ganz andere Richtung geforscht, und mir hat die Recherche hier echt Spaß gemacht, weil ich echt noch einiges dazu lernen konnte.

Kurz zusammengefasst kann man sagen, dass auf Basis der derzeitigen Stand der Forschung:

  • die Ernährung mit Soja für Erwachsene höchstwahrscheinlich ungefährlich ist
  • der lebenslange Sojakonsum vermutlich das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, verringert
  • der Einsatz als Ergänzungsmittel zur Milderung von Symptomen der Menopause eher kritisch zu betrachen ist
  • Säuglingsnahrung auf Sojabasis nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen verwendet werden sollte, da adverse Effekte hier nachgewiesen sind

Danke für die Aufmerksamkeit, war mir ein Volksfest. Und danke @felixxx für das Antreiben des Projekts durch kritische Fragen.


Disclaimer:
In meinem Blog schreibe ich meine ehrliche Meinung als toxikologischer Forscher, nicht mehr und nicht weniger. Ich bin ein Mensch, manchmal unterlaufen mir Fehler. Diskutiert mit mir, seid anderer Meinung – wenn ihr die besseren Argumente bringt, überleg‘ ich gern ein zweites Mal.

Sort:  

Ein toller Artikel @sco, wie gewohnt Maßstäbe setzend. Die Wirkung von Sojamilch auf die Größe der Geschlechtsteile männlicher Affen zeigt mal wieder, was gründliche Forscher so alles an Beobachtungsparametern in Ihre Studien einbeziehen ;-) - aber mit Zwillingspärchen (Hut ab), das scheint mir aussagekräftig zu sein!

Danke.

Ja, es ist echt gut gemacht. So macht Wissenschaft Spaß...vielleicht gelingt es mir, die Studie unauffällig als Zitat in mein nächstes paper zu schummeln ;-)

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