Schweineleberesterase: Ein sau-cooles Tool der Biochemie

in #de-stem7 years ago (edited)

Dies ist ein für die #de-stem Community adaptierter Artikel basierend auf einem etwas weniger umfangreichen, englischen Post zum selben Thema. Den englischen Originaltext findet ihr hier.


Ein Einblick ins Labor


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Quelle: pixabay


Chemiker sehen sich schon mal mit Syntheseproblemen konfrontiert. Typischerweise machen wir uns dann mit einer Mischung aus Literatur-recherche und Laborexperimenten daran, eine passende Methode zu finden. Oftmals will man eine chemische Transformation durchführen, hat aber das Problem der unzureichenden Chemoselektivität.

Dies bedeutet, dass es für keine chemische Umwandlung eine universelle ‚Rezeptur‘ - also Synthesebedingungen - gibt, welche bei jeder Substanz immer nur die gewünschte Transformation bewirkt. Vielmals können gewisse Stoffe mit bestehenden Methoden aus einer ganzen Reihe von Gründen entweder gar nicht umgesetzt werden, oder aber sie werden nicht nur an der gewünschten Stelle in ihrer molekularen Struktur, sondern auch anderorts modifiziert.

Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, um eine problematische, unzureichende Chemoselektivität zu umgehen. Im Grunde muss man je nach betrachteter Reaktion entscheiden, welche Parameter sinnvoll angepasst werden können. Optionen, um diese Herausforderung in Angriff zu nehmen, wären etwa:

  • Ein rein chemischer Ansatz:
    Die Variation der Reaktionspartner, des Lösungsmittels und damit oftmals des zugrunde liegenden Mechanismus.

  • Reaktionskinetische-verfahrenstechnische Kniffe:
    Zugabegeschwindigkeiten, Mengenverhältnisse, ausgeklügelte Mischstrukturen, gezielter Reaktionsabbruch, usw.

  • selektive Katalyse:
    Einsatz eines Katalysators, der gezielt nur eine Reaktion begünstigt.

Schön und gut, jetzt habt ihr mal gehört mit welchen Problem man sich als synthetischer Chemiker so herumschlagen muss. Genug der Theorie. Lasst uns nun den Fokus auf ein praxisbezogenes Beispiel legen:

Um ein gezieltes Produkt herstellen zu können, habe ich eine Syntheseroute entwickelt, in welcher es in einem Schritt notwendig ist eine Carbonsäureester-Gruppe abzuspalten. Dafür gibt es eine Reihe von etablierten, chemischen Methoden, wobei es viele nötig machen den Ester sauer oder basisch zur Carbonsäure zu hydrolysieren:

Ester-Hydrolyse.jpg

Die Hydrolyse von Carbonsäureester ist standardmäßig entweder basisch (links) zum Carboxylat oder sauer (rechts) zur freien Carbonsäure möglich.

Andere Methoden wie die ‚Krapcho‘-Decarboxylierung umgehen dies zwar, verwenden jedoch aprotische, polare Lösemittel und eine signifikante Salzfracht, deren Abtrennung bei der der Reaktion folgenden Aufarbeitung dem Chemiker wiederum Kopfzerbrechen bereiten können.

Krapcho-Decarboxylierung.png

Krapcho Decarboxylierung: bedarf erhöhten Temperaturen

Daher liegt der Gedanke einen selektiven Katalysator zu verwenden auf der Hand. Gott sei Dank hat uns die Natur mit ihren Enzymen eine Reihe hochpotenter, selektiver und sogar tune-barer Biokatalysatoren zur Verfügung gestellt. In meinem Fall verwenden wir ein Enzym, welches als Esterase bezeichnet wird. – Genauer gesagt:

Schweineleberesterase (PLE)


Die gängige Abkürzung ‘PLE‘ kommt aus dem Englischen und steht für ‘Pig Liver Esterase‘. Esterasen werden von einer Vielzahl an Organismen gebildet und sind daher ubiquitär anzufinden. Da die Esterase, welche in der Leber von Schweinen gebildet wird, durchaus ein breites Spektrum an Substraten akzeptiert und dabei selektive Reaktionen mit hohen Ausbeuten ermöglicht, wird sie sehr gerne verwendet.

Heutzutage gibt es die Möglichkeit Enzyme im großen Maßstab kontrolliert darzustellen. Dazu werden die Gene, welche für das gewünschte Enzym kodieren mithilfe erstaunlich einfacher Techniken in Mikroorganismen, wie E. Coli oder Saccharomyces cerevisiae (umgangssprachlich: Hefe) transferiert. Diese erzeugen dann das Enzym, welches im Anschluss "nur noch" aufgereinigt werden muss.

Trotz der zur Verfügung stehenden, fortschrittlichen, biotechnologischen Methoden wird die PLE jedoch noch immer teilweise aus Schweinelebern extrahiert. Dies scheint also eine relativ ökonomische Option zu sein. Weiters ist es auch aus ökologischer Sicht durchaus günstig, denn es wird dabei die Schweineleber, welche bei der Fleisch- und Wurstherstellung als statistisch eher weniger geliebte Innereien-Leckerei anfällt, als sinnvolle Rohstoffquelle verwertet.

Nun zu der Biotransformation, welche ich mit Hilfe der PLE durchführe: Esterasen spalten spezifisch die Esterbindung und formen dabei die korrespondieren Alkohole und die freie Carbonsäure. Da bei der von mir durchgeführen Reaktion intermediär eine sogenannte ß-Keto-Carbonsäure entsteht, findet unter den Reaktionsbedingungen eine spontane Decarboxylierung statt.

PLE_Reaktions-Schema.png

Exemplarische Esterase-katalysierte Reaktion mit darauffolgender Decarboxylierung.

Da Esterasen Einfachbindungen reversibel spalten, werden sie gemäß Enzyme Commission Klassifizierung zu den Hydrolasen gezählt.


Praktischer Teil


Das Ausgangsmaterial wird mit dem wässrigen Natriumhydrogen-carbonat-Puffer in einem kleinen Reaktionsgefäß vorgelegt. Da der Ester ziemlich unpolar ist, löst sich nur ein kleiner Teil in das wässrige Puffersystem.


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Wässriger farbloser Reaktionspuffer mit gelbem Carbonsäureester.
Bild: Honor 5C Smartphone


Der gelöste Anteil wird sobald die Schweineleberesterase zugegeben wurde und in der wässrigen Phase ihre Aufgabe als Biokatalysator beginnt umgesetzt. Es kommt dabei zu einem konstanten Austausch zwischen den beiden flüssigen Phasen bis der Umsatz vollständig ist.

Von der hochaktiven Esterase gibt man nur ein paar Milligram zu und schüttelt das Reaktionsgefäß, so dass man eine gelbich-trübe Emulsion bekommt. Mit einer Spritze punktiert man das Septum im Deckel und erlaubt damit dem sich bildenden Kohlendioxid zu entweichen.

Damit wirkt man sowohl der potentiell gefährlichen Bildung eines Überdruckes im Reaktionsgefäß entgegen und man beeinflusst die Lage des Reaktionsgleichgewichtes positiv gemäß Le Chatelier.


PLE.png
Kommerziell erhältliche Schweineleberesterase
Bilder: Honor 5C Smartphone


Als nächstes gibt man der Reaktion Zeit und sorgt für eine Temperatur, welche eine hohe Enzymaktivität verspricht. Dazu wird die Reaktions-mischung für 24 h bei 30 °C in programmierbare Schüttler gegeben.


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Schüttler mit einstellbaren Geschwindigkeiten und Temperaturen
Bild: Honor 5C Smartphone


Letztlich muss die fertige Reaktion aufgearbeitet werden. Dies stellt in den meisten Fällen den größten Aufwand für den Chemiker selbst dar. Doch bei diesem System hier ist sogar die Aufarbeitung schnell und einfach erledigt:

  1. Die Reaktionsmischung wird mit Salzsäure neutralisiert.
  2. Das unpolare Produkt wird mit Ethylacetat extrahiert.
  3. Die organische Phase (inkl. Produkt) wird mit MgSO4 getrocknet.
  4. Die trockene, organische Phase wird in ein Zielgebinde gegeben.
  5. Das Lösungsmittel wird abdestilliert und zurück bleibt das Produkt.

Für den letzten Schritt verwendet man einen 'Rotavapor'. Dies ist im Grunde eine ready-to-work bench-top Destillationsapparatur, welche das simple, schnelle Abziehen von Lösungsmitteln ermöglicht. Eine präzise, destillative Trennung ist damit nicht möglich, braucht man hier aber auch nicht.


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Rotavapor:
Wasserbadheizung, Kühlschlange, Auffanggefäß und Vakuumpumpe

Bild: Honor 5C Smartphone


...und schon habe ich ein sehr reines Produkt in exzellenter Ausbeute!


Ich hoffe der heutige kleine Ausflug ins Labor hat gefallen! :)

Euer,
mountain.phil28

Referenzen:

  1. A. P. Krapcho, et al. Tetrahedron Letters, 1974, 15 (13), pp. 1091-1094
  2. E. Brüsenhaber, et al. Applied Microbiology and Biotechnology, 2010, 86 (5), pp. 1337-1344
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Sehr cooler Einblick in die Synthese!

Eine Frage:

Dazu wird die Reaktions-mischung für 24 h bei 30 °C in programmierbare Schüttler gegeben.

Warum 30° und nicht 37°, was ja die natürliche Umgebungstemperatur der PLE wäre?

Das hat rein praktisch-logistische Gründe. Grundsätzlich kann man im Temperaturfenster von 30-40°C mit der PLE vernünftig arbeiten.
LG,
mountain.phil28

there is not an english version? :(

@benainouna: Click on the link here. You will be redirected to a shorter english version. If you have any questions then, feel free to ask in the comments there! :-)
Best,
mountain.phil28

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