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RE: [DE] Konstruktivismus, 6/7, Soziologische Varianten des Konstruktivismus

in #de-stem6 years ago (edited)

Da muss ich jetzt auch erstmal drüber nachdenken ;)

Die Frage

Wie soll ein kolletives Wissen möglich sein, wenn alles rein subjetiv ist?

beantworte ich aber im Text ziemlich direkt: Man einigt sich sozusagen auf eine Handlungsstrategie, der ein "Konstrukt der Wirklichkeit (ein Sinn)" zugrunde liegt, der zwar als Institution einen, die Menschen verbindenden, Charakter hat, aber trotzdem nicht objektiv ist. Man findet sozusagen über die vielen konkurrierenden Handlungsoptionen zueinander und beschließt, eine gemeinsame anzuwenden, aber man einigt sich in Wahrheit nicht wirklich, weil das dahinter liegende Konstrukt (die ontologische Erklärung dafür, warum es überhaupt funktioniert) unkommunizierbar ist. So habe ich es zumindest verstanden.

Warum sollten die Menschen sich nie über ontologisches Gedanken machen? War nicht gerade das die Geburtsstunde der Philosophie?

Der Konstruktivismus, besonders der radikale Konstruktivismus löst sich ja exakt von diesen ontologischen Fragen. Das sind für ihn sozusagen nur Gedankenspiele, Spekulation. Der Konstruktivismus würde nicht leugnen, dass man sich über ontologische Fragen Gedanken machen und diese auch besprechen kann, aber alle Aussagen über diese Fragen haben keinen Wahrheitswert. Sie sind alle wahr genauso wie sie gleichzeitig alle unwahr sind.

Kann es sein, dass diese ganze Theorienansammlung (und streng genommen ist es ja nichts anderes, wenn man das Postulat der Subjektivität stehen lässt) nur möglich ist, weil man heutzutage nicht mehr verifiziert, sondern statt dessen falsifiziert?

Die Frage verstehe ich nicht so recht. In den empirischen Wissenschaften macht man ja immerzu beides. Man stellt eine Theorie auf und prüft sie, indem man einen bestimmten Versuch aufbaut. Andere müssen in Tests mit den selben Versuchsaufbauten zu den selben Ergebnissen kommen können. Wenn dies eines Tages nicht mehr klappt oder man im Zuge ähnlicher Experimente plötzlich zu anderen Ergebnissen kommt, muss man die Theorie entweder korrigieren oder wieder fallen lassen.

Ich verstehe dich jetzt so, dass du annimmst, die emp. Wissenschaften würden Theorien nur noch widerlegen (wollen). Das kann ich mir so nicht vorstellen. Aber ich bin auch kein emp. Wissenschaftler.

Grundsätzlich noch eine Art inneres Bild, das ich in Bezug auf emp. Wissenschaften und spekulative Wissenschaften (Philosophie) habe: Die empirischen Wissenschaften gehen immer von außen an die Wahrheit, das Absolute heran und kratzen hin und wieder an ihm. Trial and Error. Die Philosophie, die Religion und die Künste befinden sich immerzu in der Wahrheit, aber ohne es wirklich "nach außen tragen" zu können. Sie haben ihre bestimmten Ausdrucksformen. Die höchste Form des Ausdrucks, die meiner Meinung nach Möglich ist, ist der Begriff wie Hegel ihn verstanden hat (sich selbst gleich und auch nicht gleich, sich entwickelnd, immer in der Wahrheit seiend, unabhängig davon, ob der Betrachter/Denker ihn durchdrungen hat, eine in sich unabhängige Instanz). Doch mit diesen Dingen will der Konstruktivismus eben nicht operieren. Er "weigert" sich sozusagen, das Spielchen mitzuspielen. Er ist sozusagen so etwas wie ein Religionskritiker, der darauf pocht, dass wir unser momentanes Weltwissen nur aus Beobachtungen und bestenfalls Wissenschaften, Experimenten und Co. ziehen können. Aber dieses Weltwissen ist äußerst fragil, eben wegen des Postulats der Systemgeschlossenheit. Das Problem ist, dass Menschen trotz allem das Bedürfnis nach "Mehr" haben und ständig metaphysische Fragen stellen wie "Was ist Schönheit?", "Was ist Glück?", "Gibt es Gott?" usw. Ich finde persönlich selbst die emp. Wissenschaften in gewisser Weise als kaltherzig, weil sie damit nichts zu tun haben wollen. Aber es gibt natürlich auch Naturwissenschaftler, die an Gott glauben und metaphysischen Fragen gegenüber aufgeschlossen sind. Es ist ja nicht jeder Naturwissenschaftler Konstruktivist. Aber aus meiner Sicht argumentiert der eine oder andere Naturwissenschaftler ein wenig "metaphysikfeindlich".

Ist nicht die erste Sinn vermittelnde Instanz die Familie, bzw. dir Großfamilie/Sippe? Gerade wenn man primitive Kulturen betrachtet. Von "Gesellschaft" ist da nicht viel zu sehen. Wobei wieder die Frage wäre, was denn eigentlich eine Gesellschaft sein soll. Ich vermute mal es dürfte sich um einen Begriff, ähnlich dem Bürger oder Untertan, handeln.

Was die erste Sinn vermittelnde Instanz ist, ist aus meiner Sicht jetzt nicht so relevant für die Theorie. Ich denke, es wird im Laufe der Evolution einen Punkt gegeben haben, an dem der Mensch anfing über sich selbst reflektieren, er wurde bewusster. Ich denke spätestens als homo sapiens sapiens. Sobald er "seine Innenwelt verlassen konnte" wurden alle anderen homo sapiens sapiens für ihn zur Sinn vermittelnden Instanz. Ich habe Gesellschaft gewählt, aber ja, es ist vielleicht nicht die beste Wortwahl.

Zu diesem letzten Thema gibt es noch ein paar interessante Theorien wie die, dass der Mensch bis er sich über sich und die anderen bewusst wurde, nur nachgeahmt hat, was er bei anderen gesehen hat. Weil er keinen Zugang zu höheren Bewusstseinsebenen und schon gar nicht so irgendwelchen metaphysischen Entitäten, Göttern oder ähnliches hatte, konnte er seinen Handlungen nichts darüberliegendem / Sinn behaftetem zuordnen. Er tat sozusagen Dinge, ohne zu wissen warum. Aber dieses Thema ist bei mir recht lange her, das habe ich nur mal so am Rande gestreift. Ich kann es daher hier auch nicht länger ausarbeiten.

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Danke für deine ausführlichen Antworten.

Wenn ich dich also recht verstehe, dann bräuchten wir einen anderen Begriff als den des Wissens. Denn, Wissen setzt ja voraus, das etwas ist. Und zwar objektiv. Wenn ich mich nur darauf einige, was ist, können wir uns auch irren, oder sogar lügen (hier möchte ich auf das Hermeneutische Wahrheitsproblem verweisen).
Man müsste dann ja den Konstruktivismus eher als Glauben den als Wissenschaft bezeichnen, denn, er setzt etwas voraus das man nicht überprüfen kann, und zwar nicht wissenschaftlich überprüfen kann! Gleichzeitig behauptet er, er habe recht.
Das schlägt auch den Bogen zur Falsifikation. Ich meinte damit die Wissenschaftstheorie nach Sir Karl Raimund Popper.
Ursprünglich war es in der Wissenschaft üblich, wenn man eine Theorie aufstellt, gilt sie so lange als ungültig, bis sie bewiesen wurde. Das nennt man Verifizieren. Trial and error, hat nur bedingt etwas damit zu tun. Denn, dazu ist keine Verstandesleistung von Nöten, sprich , kein Reflektieren.
Seit Poppers Zeiten jedoch, hat man das ganze umgedreht (böse Zungen könnten auf die Umdeutung aller Werte verweisen). In den Naturwissenschaften hat sich das klarerweise nicht wirklich durchgesetzt, in den Geisteswissenschaften jedoch schon (gibt es die in der BRD noch?, in Österreich wurden die schon abgeschafft, bei uns gibt es nur mehr Gesellschaftswissenschaften). Man Falsifiziert. Das bedeutet, eine Theorie ist solange gültig, bis sie wiederlegt wurde. Dies ist, meiner Meinung nach, die einzige Möglichkeit gewesen, den postulierten Pluralismus retten zu können.
Denn jetzt kann ich mir alles konstruieren, was ich will, ohne es je beweisen zu müssen. Im Grunde ist das Willkür in Reinkultur. Meiner Meinung nach hat das dann eben mehr mit einem Glauben als mit einer Wissenschaft zu tun.

Und das die Menschen ein Bedürfniss nach mehr haben, würde ich jetzt nicht als Problem bezeichnen. Wie schrieb Aristoteles:"Alle Wesen streben von Natur aus nach Wissen." Der Mensch willl eben alles wissen. Und warum auch nicht? Wenn das in unserer Natur steckt, ist das unser Wesen. Wenn das unser Wesen ist, sind nicht wir das Problem, sondern der Konstruktivismus der unser Wesen beschränkt (im Sinne von, nur eine Seite der Medaille).

Ebenfalls danke für deine Gedanken! Mit dem modernen Wissenschaftsbegriff hatte ich mich noch nicht so intensiv auseinandergesetzt. Von daher konnte ich noch etwas dazulernen, danke!

Wenn ich dich also recht verstehe, dann bräuchten wir einen anderen Begriff als den des Wissens. Denn, Wissen setzt ja voraus, das etwas ist. Und zwar objektiv.

Ich sehe Wissen eher unter dem Aspekt "gangbare/viable Informationen". Ich finde, wir sollte die Unterscheidung zischen Subjekt und Objekt, also uns und unserer Außenwelt in einigen Teilen aufgeben. Wir beobachten sie ja nicht nur, wir beeinflussen sie auch direkt. Schon in der romantischen Literatur (z. B. "Aus dem Leben eines Taugenichts", Joseph von Eichendorff), aber sicher auch davor schon, bildete die Umwelt den Gemütszustand des Protagonisten/Helden ab. Ich glaube, das ist nicht nur ein Stilmittel, sondern sagt auch etwas über unsere Welt aus. Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir das wieder oder zumindest mehr anerkennen.

Ich verfolge so einige Diskussionen im Internet, habe aber aufgehört, mich an ihnen zu beteiligen. Darin sind sich die Akteure dieser Zusammenhänge nicht immer bewusst. Sie argumentieren immer wieder wie empiristisch arbeitende Wissenschaftler, die eine gewisse Form der Eigendynamik in dem Zusammenspiel Subjekt - Objekt, die von außen nicht hinterschaubar ist, nicht anerkennen, weil sie sich zu sehr in ihrem "Ich habe beobachtet / gelesen / faslifiziert / verifiziert..." feststecken und auch, weil sie vergessen haben, dass eine Diskussion im Internet über konkrete Lebensfragen wichtige Aspekte des menschlichen Zusammenlebens, die wir zum Aufbau von Nähe und Vertrauen brauchen, ausblendet. Hier findet keine echte Kommunikation mehr statt (falls es die überhaupt gibt). Das ist sehr schade. Mein Gefühl sagt mir, dass wir uns an vielen Stellen schon in einem Zirkel befinden, der sich selbst kontrolliert und aufrechterhält. Wie eine Echokammer. Na ja, soviel zu meiner Beobachtung. Vielleicht hast du ja schon Ähnliches erlebt. Ich für meinen Teil werde immer skeptischer und folge da auch ganz klar der Position von @erh.germany hier auf steemit.

Einen schönen Dienstag wünsche ich dir!

Ich denke, dass würde ich so unterschreiben.

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