Österreichische Schule (Wiener Schule) Franz Clemens Brentano
https://plato.stanford.edu/entries/brentano/
https://www.amazon.com/Brentano-Ursprung-Sittlicher-Erkenntnis-Classic/dp/1528561635
Franz Clemens Brentano war ein deutscher Philosoph, Psychologe. Ursprünglich katholischer Priester, verließ Brentano aus Protest gegen die Verkündigung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes die Kirche und war dann konfessionsloser Professor in Wien. Er ist der Wiener Schule der Ethik zuzuordnen.
Franz Brentano
(* 1838 in Marienberg a. Rhein; ✝ 1917 in Zürich)
Ausgewählte Werke:
Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis. Hg. Oskar Kraus, 2. Auflage, Leipzig 1922, Verl. Felix Meiner (im folg. zit. als URSPRUNG)
Grundlegung und Aufbau der Ethik. Nach den Vorlesungen über „Praktische Phi-losophie“ aus dem Nachlaß herausgegeben von Franziska Mayer-Hillebrand. Bern 1952, A. Francke Verl. (im folg. zit. als GRUNDLEGUNG)
Zweifacher Sinn des Ausdrucks „natürliches Recht“
… eine zweifache Bedeutung kann hier [in Bezug auf das natürliche Recht] mit dem Worte „natürlich“ verknüpft werden:
- kann es soviel sagen wie „naturgegeben“, „angeboren“, im Gegensatze zu dem, was erst durch Ableitung oder Erfahrung in geschichtlicher Entwicklung erworben wird;
- kann es, im Gegensatze zum willkürlich, durch positiven Machtspruch Bestimmten, die Regel bedeuten, welche an und für sich und ihrer Natur nach als richtig und bindend erkennbar ist. 6
Ihering hat in dem einen und andern Sinn das natürliche Recht verworfen. (…)
Ich bin vollkommen mit Ihering einig, wenn er nach dem Vorgange von John Locke alle angeborenen Moralprinzipien leugnet.
Noch mehr, mit ihm glaube ich weder an das barocke jus naturae, i.e. quod natura ipsa omnia animalia docuit, noch an das jus gentium, an ein Recht, welches durch die allgemeine Übereinstimmung der Völker als natürliches Vernunftrecht gekennzeichnet ist, wie die römischen Rechtslehrer es faßten. URSPRUNG 6
Man braucht in die Zoologie und Physiologie nicht eben gerade tief hineingeblickt zu haben, um die tierische Lebewelt nicht mehr bei der Aufstellung sittlicher Normen als Kriterium zu benützen …
Was aber jenen gemeinsamen Rechtskodex aller Völker anlangt, so war der Glaube daran ein Wahn, der in der antiken Welt sich halten mochte; die moderne Zeit, die bei erweitertem ethnographischen Horizont die barbarischen Sitten zum Vergleich heranzieht, kann dagegen in jenen Satzungen nicht mehr ein Produkt der Natur, sondern nur noch ein den vorgeschritteneren Völkern gemeinsames Kulturprodukt erkennen.
In allen dem bin ich also mit Ihering einverstanden; und ich stimme ihm auch wesentlich bei, wenn er behauptet, es habe Zeiten ohne jeden Anflug von ethischer Erkenntnis und ethischem Gefühl gegeben; jedenfalls war damals nichts der Art ein Gemeingut. Ja ich erkenne unbedenklich an, daß dieser Zustand auch dann noch fortdauerte, als größere Gesellschaften mit staatlicher Ordnung sich gebildet hatten. (…) Also auch dies müssen wir ihm zugeben, und werden darum auch nicht mehr leugnen, daß die ersten politischen Satzungen mit unterstützender Strafgewalt ohne jeden Einfluß eines ethischen Rechtsgefühls festgestellt worden sind. Es gibt also keine natürlichen sittlichen Vorschriften und Rechtssätze in dem Sinne, daß sie uns mit der Natur selbst gegeben, daß sie uns angeboren wären … 7
Jedoch: Es gibt ein allgemeingültiges, natürlich erkennbares Sittengesetz.
Aber nun tritt die andere, viel wichtigere Frage an uns heran: gibt es eine unabhängig von aller kirchlichen und politischen und überhaupt von aller sozialen Autorität durch die Natur selbst gelehrte sittliche Wahrheit? gibt es ein natürliches Sittengesetz in dem Sinne, daß es, seiner Natur nach allgemeingültig und unumstößlich, für die Menschen aller Orte und aller Zeiten, ja für alle Arten denkender und fühlender Wesen Geltung hat, und fällt seine Erkenntnis in das Bereich unserer psychischen Fähigkeiten? (…) Dem „Nein“, das er [Jhering] auch hier spricht, setze ich ein entschiedenes „Ja“ entgegen. 7f
Jedenfalls ist mit der Entscheidung der vorigen Frage, … dieser in gar keiner Weise präjudiziert. Es gibt angeborene Vorurteile; diese sind natürlich im ersten Sinne: aber es fehlt ihnen die natürliche Sanktion; sie haben, wahr oder falsch, zunächst keine Gültigkeit. Es gibt andererseits viele Sätze, die, auf natürlichem Wege erkannt, als unumstößlich feststehen, allgemeingültig für alle denkenden Wesen, die aber, wie z. B. schon der pythagoreische Lehrsatz, nichts weniger als angeboren sind, sonst hätte nicht der beglückte erste Entdecker dem Gotte seine Hekatombe geopfert. 8
Der Begriff „natürliche Sanktion“
„Sanktion“ heißt „Festigung“. Ein Gesetz kann nun in einem doppelten Sinn gefestigt werden: 1. indem es als solches festgestellt wird, wie wenn die Bestätigung eines Gesetzentwurfs durch die höchste legislative Autorität ihm Gültigkeit verleiht;
- indem es durch Beifügung von Straf-, vielleicht auch Lohnbestimmungen wirksamer gemacht wird. 8
In dem ersteren ist bekanntlich in der modernen Zeit das Wort üblicher; man nennt ein Gesetz „sanktioniert“, wenn es durch die allerhöchste Bestätigung Gültigkeit erlangt hat. Offenbar setzt die Sanktion im zweiten Sinn die im ersten Sinne voraus, und diese ist das Wesentlichere; denn ohne sie wäre das Gesetz gar nicht wahrhaft Gesetz. Und eine solche natürliche Sanktion wird darum auch vor allem Bedürfnis sein, wenn überhaupt etwas von Natur als recht oder sittlich gelten soll. 9
Gewöhnlich sich entwickelnder Drang des Gefühls als solcher ist keine Sanktion
Manche meinen, sie hätten für eine gewisse Verhaltungsweise eine natürliche Sanktion gefunden, wenn sie nachwiesen, daß ein gewisser Drang des Gefühls, so zu verfahren, sich in dem Menschen zu entwickeln pflege; wie z. B., da jeder andern diene, um Gegendienste zu empfangen, zuletzt sich eine Gewohnheit herausbilde, solche Dienste zu leisten, auch wo an gar keine Vergeltung gedacht werden könne. Das wäre dann die Sanktionierung der Nächstenliebe.
Aber diese Behauptung ist gänzlich verfehlt. Ein solcher Drang wäre wohl eine Kraft, die wirkt, doch nimmermehr eine Sanktion, die gültig macht. Auch die lasterhafte Neigung entwickelt sich nach denselben Gesetzen der Gewohnheit und übt als Drang oft die unbeschränkteste Herrschaft aus. 9
Motive der Hoffnung und Furcht als solche sind noch nicht Sanktion
Manche sprechen von einer Erziehung, welche der Mensch, der ja zu den Lebewesen gehört, die in Gesellschaft zu leben pflegen, durch die, mit welchen er umgehe, empfange. Wiederum und wiederum wird eine Forderung, ein Gebot: du sollst! an ihn gerichtet. Es liegt in der Natur der Sache, daß gewisse Handlungen ganz besonders oft und allgemein von ihm gefordert werden. Und da bildet sich denn eine Assoziation zwischen der Handlungsweise und dem Gedanken: „du sollst!“ Dabei mag es sein, daß er sich als die gebietende Macht die Gesellschaft, in welcher er lebt, oder auch unbestimmter etwas Höheres als die eigene, einzelne menschliche Person, also, man könnte sagen, etwas in gewisser Weise Übermenschliches denkt. Dieses für ihn daran geknüpfte Soll wäre nun die Sanktion des Gewissens. (…)
Der Gedanke an das Willensgebot einer höheren Macht ist nicht die natürliche Sanktion
Aber es ist offenbar, daß in einer solchen Überzeugung von dem Gebot eines Mächtigeren noch nichts gegeben ist, was den Namen der Sanktion verdient. Sie hat auch derjenige, welcher sich in den Händen eines Tyrannen oder einer Räuberbande weiß. Mag er Folge leisten, mag er Trotz bieten: ihr Gebot ist nicht, was der geforderten Handlung eine Sanktion, ähnlich der des Gewissens, erteilte. Auch wenn er gehorcht, gehorcht er aus Furcht, nicht weil er das Gebot als zu Recht bestehend betrachtete. 10
Nein, der Gedanke, es sei von jemand geboten, kann die natürliche Sanktion nicht sein. Bei jedem Gebot eines fremden Willens erhebt sich die Frage: ist es berechtigt oder unberechtigt? Und die Frage richtet sich dann nicht auf ein anderes, vielleicht von noch größerer Macht unterstütztes Gebot. Denn dann würde sie wiederkehren, und wir würden von dem Gebot zu einem Gebot, dem Gebot zu folgen, und dann zu einem dritten Gebote gelangen, welches dem Gebot, dem Gebote zu folgen, zu gehorchen geböte, und so fort ins unendliche. 10f
Also, wie der Drang eines Gefühls und die Furcht und Hoffnung auf Vergeltung, so kann auch der Gedanke an ein Willensgebot unmöglich die natürliche Sanktion für recht und sittlich sein.
Die ethische Sanktion ist ein Gebot ähnlich der logischen Regel
Doch es gibt Gebote auch noch in einem wesentlich andern Sinne; Gebote in der Bedeutung, in welcher man von Geboten der Logik spricht für unser Urteilen und Schließen. Nicht von dem Willen der Logik (die offenbar keinen Willen hat) … ist dabei die Rede. Die Gebote der Logik sind natürlich gültige Regeln des Urteilens, d. h. man hat sich darum an sie zu binden, weil das diesen Regeln gemäße Urteilen sicher, das von diesen Regeln abweichende Urteilen dem Irrtum zugänglich ist; es handelt sich also um einen natürlichen Vorzug des regelgemäßen vor dem regelwidrigen Denkverfahren. Um einen solchen natürlichen Vorzug und eine darin gründende Regel, nicht aber um ein Gebot fremden Willens wird es sich also auch bei dem Sittlichen handeln müssen. Und das ist, was Kant, aber auch die Mehrzahl der großen Denker vor ihm energisch betont haben, was aber trotzdem noch immer von vielen — und leider auch gerade von Anhängern der empirischen Schule, der ich selbst angehöre — nicht recht verstanden oder gewürdigt wird.
Der ästhetische Standpunkt. So wenig in der Logik, so wenig kann er in der Ethik der richtige sein.
Worin aber soll dieser eigentümliche Vorzug des Sittlichen, der ihm die natürliche Sanktion gibt, liegen? Manche dachten ihn sozusagen äußerlich; sie glaubten, es sei der Vorzug schöner Erscheinung. (…) 11
Ich will nun nicht leugnen, daß der Anblick der Tugend eine erfreulichere Erscheinung als die der sittlichen Verkehrtheit ist. Aber unmöglich kann ich zugeben, daß hierin der einzige und wesentliche Vorzug des sittlichen Verhaltens bestehe. (…) Nein, der eigentliche logische Vorzug ist kein Vorzug ästhetischer Erscheinung, sondern eine gewisse innere Richtigkeit, welche dann einen gewissen Vorzug der Erscheinung mit sich führt. Und so wird es denn auch eine gewisse innere Richtigkeit sein, welche den wesentlichen Vorzug gewisser Akte des Willens vor andern und entgegengesetzten und den Vorzug des Sittlichen vor dem Unsittlichen ausmacht.
Der Glaube an diesen Vorzug ist ein ethisches Motiv; die Erkenntnis dieses Vorzugs das richtige ethische Motiv, die Sanktion, welche dem ethischen Gesetze Bestand und Gültigkeit verleiht.12
Aber wie sollen wir fähig sein zu solcher Erkenntnis zu gelangen?
Hier liegt die Schwierigkeit, um deren Lösung man sich lange Zeit vergeblich bemühte.12
Notwendigkeit psychologischer Voruntersuchungen
Um uns den Einblick in den wahren Ursprung ethischer Erkenntnis zu eröffnen, wird es nötig sein etwas von den Resultaten neuerer Forschung auf dem Gebiete der deskriptiven Psychologie Kenntnis zu nehmen. (…)
Kein Wollen ohne letzten Zweck
Als Subjekt des Sittlichen und Unsittlichen bezeichnet man den Willen. Was wir wollen, ist vielfach ein Mittel zu einem Zweck. Dann wollen wir, und gewissermaßen noch mehr, diesen Zweck. Der Zweck mag selbst oft Mittel zu einem ferneren Zwecke sein; ja bei einem weitschauenden Plane erscheint oft eine ganze Reihe von Zwecken, immer einer dem andern als Mittel zu- und untergeordnet. Immerhin wird ein Zweck da sein, der vor allem und um seiner selbst willen begehrt wird; ohne diesen eigentlichsten und letzten Zweck fehlte alle Triebkraft; wir hätten die Absurdität eines Zielens ohne Ziel.
Die Mittel, die wir ergreifen, um zu einem Zwecke zu gelangen, können verschieden und können bald die richtigen, bald unrichtige Mittel sein. Richtig werden sie dann sein, wenn sie wirklich zu dem Zwecke zu führen geeignet sind.
Aber auch die Zwecke, und zwar die eigentlichsten und letzten Zwecke, können verschieden sein. Es ist ein Irrtum, der besonders im achtzehnten Jahrhundert auftauchte — heutzutage ist man davon mehr und mehr zurückgekommen —, daß jeder dasselbe, nämlich seine eigene höchstmögliche Lust anstrebe. Wer glauben kann, der Märtyrer für seine Überzeugung, der sich mit vollem Bewußtsein den entsetzlichsten Todesqualen aussetzt, — und es gab auch solche, die nicht auf jenseitige Vergeltung hofften — sei dabei nur von der Begier nach möglichst großer Lust getrieben: der hat eine höchst mangelhafte Vorstellung von den Tatsachen; sonst fürwahr müßte er jeden Maßstab für die Intensität von Lust und Schmerz verloren haben. 13
Die Frage: welcher Zweck ist richtig? ist die Hauptfrage der Ethik
Also das steht fest: auch die letzten Zwecke sind verschieden; auch zwischen ihnen schwebt die Wahl; und sie ist — da der letzte Zweck ein für alles maßgebendes Prinzip ist — die wichtigste unter allen. Was soll ich erstreben? Welcher Zweck ist richtig, welcher unrichtig? Das ist darum, wie schon Aristoteles hervorhebt, die eigentlichste und hauptsächlichste Frage der Ethik.
Welcher Zweck ist richtig? Für welchen soll sich unsere Wahl entscheiden?
Der richtige Zweck ist das Beste unter dem Erreichbaren
Wo der Zweck feststeht und es sich nur um die Wahl von Mitteln handelt, werden wir sagen: wähle Mittel, die wirklich zu dem Zwecke führen! Wo es sich um die Wahl von Zwecken handelt, werden wir sagen: wähle einen Zweck, der vernünftigerweise für wirklich erreichbar zu halten ist. Aber diese Antwort genügt nicht; manches Erreichbare ist vielmehr zu fliehen als zu erstreben: wähle das Beste unter dem Erreichbaren! Das wird also allein die entsprechende Antwort sein.
Aber sie ist dunkel; was heißt das „das beste“? Was nennen wir überhaupt „gut“? Und wie gewinnen wir die Erkenntnis, daß etwas gut und besser ist als ein anderes?
Um diese Fragen in befriedigender Weise zu beantworten, müssen wir vor allem den Ursprung des Begriffs des Guten aufsuchen, der, wie der Ursprung aller unserer Begriffe, in gewissen konkret anschaulichen Vorstellungen liegt.
Vom Ursprung des Begriffs des Guten; er stammt nicht aus dem Gebiete der sogenannten äußern Wahrnehmung
Wir haben anschauliche Vorstellungen physischen Inhalts; sie zeigen uns sinnliche Qualitäten, in eigentümlicher Weise räumlich bestimmt. Aus diesem Gebiet stammen die Begriffe der Farbe, des Schalles, des Raumes und viele andere. Der Begriff des Guten aber hat nicht hier seine Quelle. Es ist leicht zu erkennen, daß er, wie der des Wahren, der ihm als verwandt mit Recht zur Seite gestellt wird, den anschaulichen Vorstellungen psychischen Inhalts entnommen ist 14
Der gemeinsame Charakterzug alles Psychischen
Der gemeinsame Charakterzug alles Psychischen besteht in dem, was man häufig mit einem leider sehr mißverständlichen Ausdruck Bewußtsein genannt hat. d. h. in einem subjektischen Verhalten, in einer … intentionalen Beziehung zu etwas, was vielleicht nicht wirklich, aber doch innerlich gegenständlich gegeben ist. Kein Hören ohne Gehörtes, kein Glauben ohne Geglaubtes, kein Hoffen ohne Gehofftes, kein Streben ohne Erstrebtes, keine Freude ohne etwas, worüber man sich freut, und so im übrigen. 14f
Wie bei den Anschauungen mit physischem Vorstellungsinhalt die sinnlichen Qualitäten, so zeigen bei denen mit psychischem Inhalt die intentionalen Beziehungen mannigfaltige Unterschiede. Und wie dort nach den tiefgreifendsten Unterschieden der sinnlichen Qualitäten … die Zahl der Sinne, so wird hier nach den tiefgreifendsten Unterschieden der intentionalen Beziehung die Zahl der Grundklassen der psychischen Phänomene festgestellt.
Die drei Grundklassen der psychischen Phänomene: Vorstellung, Urteil, Gemütsbewegung.
Danach gibt es drei Grundklassen. Descartes … hat sie zuerst richtig und vollständig aufgeführt (…)
Die erste Grundklasse ist die der Vorstellungen im weitesten Sinne des Wortes (Descartes' ideae). Sie umfaßt die konkret anschaulichen Vorstellungen, wie sie uns z. B. die Sinne bieten, ebenso wie die unanschaulichsten Begriffe. 15
Die zweite Grundklasse ist die der Urteile (Descartes' judicia). Diese hatte man vor Descartes mit den Vorstellungen in einer Grundklasse geeinigt gedacht; ja nach ihm verfiel man zum andern Male in diesen Fehler. Man meinte nämlich, das Urteil bestehe wesentlich in einem Zusammensetzen oder Beziehen von Vorstellungen aufeinander. Das war eine gröbliche Verkennung seiner wahren Natur. Man mag Vorstellungen zusammensetzen und aufeinander beziehen wie man will, wie wenn man sagt ein grüner Baum, ein goldener Berg, ein Vater von 100 Kindern, ein Freund der Wissenschaft: solange und sofern man nichts weiteres tut, fällt man kein Urteil.15f (…)
Was unterscheidet also die Fälle, wo ich nicht bloß vorstelle, sondern auch urteile? — Es kommt hier zu dem Vorstellen eine zweite intentionale Beziehung zum vorgestellten Gegenstande hinzu, die des Anerkennens oder Verwerfens. Wer Gott nennt, gibt der Vorstellung Gottes, wer sagt: es gibt einen Gott, dem Glauben an ihn Ausdruck. 16
Die dritte Grundklasse ist die der Gemütsbewegungen im weitesten Sinn des Wortes, von dem einfachsten Angemutet- oder Abgestoßenwerden beim bloßen Gedanken bis zu der in Überzeugungen gründenden Freude und Traurigkeit (…) Wenn in der zweiten Grundklasse die intentionale Beziehung ein Anerkennen oder Verwerfen war, so ist sie in der dritten ein Lieben oder Hassen oder (wie man sich ebenso richtig ausdrücken könnte) ein Gefallen oder Mißfallen. Ein Lieben, ein Gefallen, ein Hassen, ein Mißfallen haben wir in dem einfachsten Angemutet- und Abgestoßenwerden, in der siegreichen Freude und verzweifelnden Traurigkeit, in der Hoffnung und Furcht und ebenso in jeder Betätigung des Willens vor uns. 16
Die Gegensätze von Glauben und Leugnen, Lieben und Hassen
Wenn wir die Phänomene der drei Klassen miteinander vergleichen, so finden wir, daß die beiden letzten eine Analogie zeigen, die bei der ersten fehlt. Wir haben einen Gegensatz der intentionalen Beziehung; beim Urteil Anerkennen oder Verwerfen; bei der Gemütstätigkeit Lieben oder Hassen, Gefallen oder Mißfallen. Beim Vorstellen findet sich nichts Ähnliches. Ich kann wohl Entgegengesetztes vorstellen, wie z. B. Schwarz und Weiß; ich kann aber nicht dasselbe Schwarz in entgegengesetzter Weise vorstellen, wie ich es in entgegengesetzter Weise beurteile, je nachdem ich daran glaube oder es leugne; und mit dem Gemüt mich entgegengesetzt zu ihm verhalte, je nachdem es mir gefällt oder mißfällt.
Von den entgegengesetzten Verhaltungsweisen ist immer eine richtig, eine unrichtig.
Hieran knüpft sich eine wichtige Folgerung. Von den Tätigkeiten der ersten Klasse kann man keine richtig oder unrichtig nennen. Dagegen wird bei der zweiten Klasse in einem jeden Fall von den zwei entgegengesetzten Beziehungsweisen des Anerkennens und Verwerfens die eine richtig, die andere unrichtig sein, wie von alther die Logik geltend macht. Und Ähnliches gilt dann natürlich auch bei der dritten Klasse. Von den zwei entgegengesetzten Verhaltungsweisen des Liebens und Hassens, Gefallens und Mißfallens ist in jedem Falle eine, aber nur eine, richtig, die andere unrichtig.
Der Begriff des Guten
Hier sind wir nun an der Stelle, wo die gesuchten Begriffe des Guten und Schlechten, ebenso wie die des Wahren und Falschen, ihren Ursprung nehmen. Wir nennen etwas wahr, wenn die darauf bezügliche Anerkennung richtig ist. Wir nennen etwas gut, wenn die darauf bezügliche Liebe richtig ist. Das mit richtiger Liebe zu Liebende, das Liebwerte, ist das Gute im weitesten Sinne des Wortes.
Scheidung des Guten im engern Sinn von dem um eines andern willen Guten
Dieses scheidet sich dann, da alles, was gefällt, entweder um seiner selbst oder um eines andern willen gefällt, was dadurch bewirkt oder erhalten oder wahrscheinlich gemacht wird, in das primär Gute und in das sekundär Gute, d. h. in das, was gut ist in sich selbst, und in das, was gut ist um eines andern willen, wie dies insbesondere beim Nützlichen der Fall ist. 17
Liebe beweist nicht immer Liebwürdigkeit
Das in sich Gute ist das Gute im engeren Sinn. (…) Aber nun die noch wichtigere Frage: wie erkennen wir, daß etwas gut ist? Sollen wir sagen: was immer geliebt wird und geliebt werden kann, ist liebwert und gut? Offenbar wäre dies nicht richtig … Der eine liebt, was der andere haßt; und nach einem bekannten psychologischen Gesetz … geschieht es oft, daß einer, was er zunächst nur als Mittel zu anderem begehrt hat, aus Gewohnheit schließlich um seiner selbst willen begehrt; wie denn der Geizhals dazu kommt, in sinnloser Weise Reichtümer anzuhäufen und sich selbst dafür zu opfern. Also das wirkliche Vorkommen der Liebe bezeugt keineswegs ohne weiteres die Liebwürdigkeit, wie ja auch das wirkliche Anerkennen keineswegs ohne weiteres die Wahrheit beweist. 18
Die Sache scheint rätselhaft, aber das Rätsel findet eine sehr einfache Lösung.
Blicken wir, um die Antwort vorzubereiten, noch einmal vom Guten auf das Wahre hinüber!
Blindes und einsichtiges Urteil
Nicht alles, was wir anerkennen, ist darum wahr. Wir urteilen vielfach ganz blind. Manche Vorurteile, die wir sozusagen mit der Muttermilch eingesogen, stehen uns wie unleugbare Prinzipien fest. Zu andern eben so blinden Urteilen haben alle Menschen von Natur eine Art instinktiven Drang, wie sie z. B. blindlings der sogenannten äußeren Wahrnehmung und dem frischen Gedächtnis vertrauen. Was so anerkannt wird, mag oft wahr sein; es könnte aber zunächst auch ebensogut falsch sein, denn das anerkennende Urteil ist durch nichts als richtig charakterisiert.18f
Dies ist dagegen bei gewissen anderen Urteilen, die man im Unterschied von jenen blinden „einleuchtende“, „evidente“ Urteile genannt hat, der Fall, wie beim Satze des Widerspruchs und bei jeder sogenannten inneren Wahrnehmung, die mir sagt, daß ich jetzt Schall- und Farbenempfindungen habe und das und das denke und will. URSPRUNG, 19
Es ist nicht möglich, aber auch nicht nötig, alle Urteile zu beweisen. Es gibt unmittelbar einleuchtende, seien es evidente Wahrnehmungen, seien es allgemeine Gesetze a priori, die unmittelbar aus den Begriffen einleuchten. Solche Urteile können nicht falsch sein, wohl aber kann es geschehen, daß blinde, weil subjektiv überzeugt, irrtümlich für evident gehalten werden.
Ohne evidente Urteile gäbe es keine Wissenschaft, sondern bloß Anhäufungen von Regeln, welche die Gewohnheit sanktioniert. GRUNDLEGUNG, 23
Worin besteht nun der wesentliche Unterschied zwischen jener niederen und dieser höheren Urteilsweise? (…) Ein Unterschied des Überzeugungsgrades ist es nicht; die instinktiven und blind-gewohnheitsmäßigen Annahmen sind oft nicht im allermindesten vom Zweifel angekränkelt, und manche wird man sogar dann nicht los, wenn man schon ihre logische Unberechtigung einsieht. Aber sie werden in dunklem Drang gefällt; sie haben nichts von der Klarheit, welche der höheren Urteilsweise eigen ist. Wirft man die Frage auf: warum glaubst du denn das eigentlich?, so wird ein vernünftiger Grund vermißt. Würde man dieselbe Frage bei einem unmittelbar evidenten Urteil aufwerfen, so wäre wohl auch hier keine Begründung zu geben; aber die Frage würde angesichts der Klarheit des Urteils gar nicht mehr am Platze, ja geradezu lächerlich erscheinen. Jeder erfährt den Unterschied zwischen der einen und anderen Urteilsweise in sich; in dem Hinweis auf diese Erfahrung muß, wie bei jedem Begriff, die letzte Verdeutlichung bestehen. URSPRUNG, 19
Analoger Unterschied auf dem Gebiete des Gefallens und Mißfallens; Kriterium des Guten
Viel weniger hat man die Tatsache eines analogen Unterschieds zwischen höherer und niederer Tätigkeit auf dem Gebiete des Gemütes, des Gefallens und Mißfallens, beachtet.
Unser Gefallen und Mißfallen sind oft, ganz ähnlich wie die blinden Urteile, nur instinktive oder gewohnheitsmäßige Triebe. So ist es bei der Lust des Geizigen an der Anhäufung des Geldes … 19f
Viele Philosophen, und darunter sehr bedeutende Denker, haben diese Weise des Gefallens, welche nur den niedrigeren Erscheinungen der Klasse eigen ist, allein beachtet und haben es ganz übersehen, daß es auch ein Gefallen und Mißfallen höherer Art gibt. David Hume z. B. zeigt sozusagen in jedem Worte, daß er gar keine Ahnung von der Existenz dieser höheren Klasse hat. Ja wie allgemein ein solches Übersehen stattfand, das zeigt sich darin, daß die Sprache keinen gebräuchlichen Namen für sie bietet. 20
Wir haben, sagten wir eben, von Natur ein Gefallen an gewissen Geschmäcken und einen Widerwillen gegen andere; beides rein instinktiv. Wir haben aber auch von Natur ein Gefallen an klarer Einsicht und ein Mißfallen an Irrtum und Unwissenheit. „Alle Menschen“, sagt Aristoteles … „begehren von Natur nach dem Wissen“. Dies Begehren ist ein Beispiel, das uns dient. Es ist ein Gefallen von jener höheren Form, die das Analogon ist von der Evidenz auf dem Gebiete des Urteils. 20
In unserer Spezies ist es allgemein; würde es aber eine andere Spezies geben, welche, wie sie in Bezug auf Empfindungen anders als wir bevorzugt, im Gegensatze zu uns den Irrtum als solchen liebte und die Einsicht haßte : so würden wir gewiß nicht so wie dort sagen : das ist Geschmackssache, „de gustibus non est disputandum“ ; nein, wir würden hier mit Entschiedenheit erklären, solches Lieben und Hassen sei grundverkehrt, die Spezies hasse, was unzweifelhaft gut, und liebe, was unzweifelhaft schlecht sei in sich selbst. Warum hier so und anders dort, wo der Drang gleich mächtig ist? — Sehr einfach! Dort war der Drang ein instinktiver Trieb; hier ist das natürliche Gefallen eine höhere als richtig charakterisierte Liebe. Wir bemerken also, indem wir sie in uns finden, daß ihr Objekt nicht bloß geliebt und liebbar und seine Privation und sein Gegensatz gehaßt und haßbar sind, sondern auch, daß das eine liebenswert, das andere hassenswert, also das eine gut, das andere schlecht ist. 20f
Ein anderes Beispiel! Wir geben, wie der Einsicht vor dem Irrtum, so, allgemein gesprochen, der Freude (wenn es nicht gerade eine Freude am Schlechten ist) vor der Traurigkeit den Vorzug. Wenn es Wesen gäbe, welche hier umgekehrt bevorzugten, so würden wir dies, und mit Recht, als ein verkehrtes Verhalten bezeichnen. Es sind eben auch hier unsere Liebe und unser Haß als richtig charakterisiert.
Einen dritten Fall bietet die richtige und als richtig charakterisierte Gemütstätigkeit selbst. Wie die Richtigkeit und Evidenz des Urteils, so zählt darum auch die Richtigkeit und der höhere Charakter der Gemütstätigkeit selbst zu dem Guten, während die Liebe zum Schlechten selber schlecht ist. 21
Denn das allerdings dürfen wir uns nicht verhehlen: wir haben keine Gewähr dafür, daß wir von allem, was gut ist, mit einer als richtig charakterisierten Liebe angemutet werden. Wo immer dies nicht der Fall ist, versagt unser Kriterium, und das Gute ist für unsere Erkenntnis und praktische Berücksichtigung soviel wie nicht vorhanden. 21f
Das Gute auf dem Gebiete der Gemütstätigkeit
Unser Kriterium läßt sich uns .. auf beiden Gebieten der Gemütstätigkeit, unter den sinnlichen sowohl als unter den noetischen [geistigen] Akten, solches Erkennen, was ein Gut ist.
Die sinnliche Lust ist ein Empfindungsakt, gerichtet auf eine gewisse sinnliche, lokalisierte Qualität, der … nicht nur den Charakter des Vorstellens und Anerkennens, sondern auch den des intensiven Liebens hat. Es ist dieses Lieben nun zwar an und für sich rein instinktiv, blind; wohl aber gehört es zu den Gegenständen, die, wenn wir sie im allgemeinen vorstellen, eine als richtig charakterisierte Liebe motivieren. M. a. W. Lust ist etwas in sich Gutes. Ihr Gegensatz, das intensive, sinnliche Hassen, das wir Schmerz nennen, ist Gegenstand eines als richtig charakterisierten Hasses, m. a. W. sinnlicher Schmerz ist ein Übel. Es stehen aber diese Akte blinden, instinktiven Liebens nicht an höchster Stelle unter dem Guten unserer Gemützstätigkeit. Es hat eine solche blinde Sinneslust ohne Hinzutreten anderer Güter etwas Minderwertiges gegenüber einer geistigen Freude. (…)
Unter den noetischen Gemütstätigkeiten sind wiederum blinde und als richtig charakterisierte zu unterscheiden. Und hier und dort ist in sich Gutes zu finden. So ist auch eine blinde, rein gewohnheitsmäßige Freude, eine blinde Trauer, die eine als Gutes, die andere als Übles zu erkennen, abgesehen von dem, was sie zum Gegenstande hat. Hingegen sind alle als richtig charakterisierten Gemütstätigkeiten in sich gut. Es gilt dies von Liebe und Haß in allen Formen. So ist z.B. auch ein edler Schmerz, wie der über den Sieg des Unrechts, das Verkanntsein der Wahrheit, in sich wertvoll. (…)
Wenn blinde sinnliche Lust auch ein niedriges Gut ist, so ist sie doch nicht Lust am schlechten. Und selbst einer solchen wohnt, eben seil sie Lust ist, noch immer Gutes inne. Ein Übel ist Freude am Schlechtem als unrichtige Gemütstätigkeit. Wer wollte wohl ein Nero sein und die Lust der Grausamkeit in vollen Zügen aus blutigem Becher schlürfen. (…)
Wenn die Liebe dort, wo sie im Glauben an die Wirklichkeit des Geliebten sich betätigt, den Charakter der Freude hat und dadurch höheren Wert besitzt, so ergibt sich doch … eine neue Vorbedingung des Wertes als erforderlich. Ist nämlich der Glaube ein irriger, so mindert sich der Wert der Freude. Ich möchte mich nicht bloß nicht freuen am Unglück meines Vaters, sondern auch nicht Freude genießen in einem irrtümlichen Glauben an Großtaten des Verstandes oder der Tugend, die ich vollbracht zu haben mir einbilde. GRUNDLEGUNG, 186f
Vielheit des Guten
Aber nicht eines, vieles ist, was wir so als gut erkennen. Und daher bleiben die Fragen: welches ist unter dem Guten und insbesondere unter dem erreichbaren Guten das Bessere? und welches das höchste praktische Gut, damit es als Zweck maßgebend werde für unser Handeln? (…)
Ob unter dem „Besseren“ das zu verstehen sei, was mit mehr Intensität geliebt zu werden verdiene
Wenn „gut“ das ist, was wert ist, um seiner selbst willen geliebt zu werden, so scheint „besser“ das, was wert ist, mit größerer Liebe geliebt zu werden. URSPRUNG, 22
Das „mehr“ bezieht sich nicht auf das Intensitätsverhältnis zweier Akte, sondern auf eine besondere Spezies von Phänomenen, die zur allgemeinen Klasse des Gefallens und Mißfallens gehört, nämlich auf die Phänomene des Vorziehens. 23
Wann und wie erkennen wir, daß etwas in sich selbst vorzüglich ist? der Fall des Gegensatzes, des Mangels, der Addition zu Gleichem
Und nun zur Frage: wie erkennen wir, daß etwas wirklich das Bessere sei?
Die einfache Erkenntnis als gut und schlecht vorausgesetzt, scheinen wir — die Analogie legt es nahe — diese Einsicht aus gewissen Akten des Vorziehens, die als richtig charakterisiert sind, zu schöpfen. Denn wie die einfache Betätigung des Gefallens, ist auch das Vorziehen teils niederer Art, d. h. triebartig, teils höherer Art und, analog dem evidenten Urteil, als richtig ausgezeichnet. 23f
Hierher gehört offenbar vor allem (1.) der Fall, wo wir etwas Gutes und als gut Erkanntes etwas Schlechtem und als schlecht Erkanntem vorziehen.
Dann aber (2.) ebenso der Fall, wo wir die Existenz eines als gut Erkannten seiner Nichtexistenz vorziehen oder die Nichtexistenz eines als schlecht Erkannten seiner Existenz vorziehen. (…) Und weiter gehören darunter auch noch die Fälle, wo wir das ganze Gute einem Teil des Guten, dagegen einen Teil des Schlechten delm ganzen Schlechten vorziehen. Schon Aristoteles hebt es hervor, daß bei Gutem die Summe immer besser sei als der einzelne Summand. 24
Ein dem vorigen innigst verwandter Fall ist (3.) der, wo ein Gutes einem anderen Guten vorgezogen wird, welches zwar nicht einen Teil von ihm bildet, aber einem seiner Teile in jeder Hinsicht gleich ist. Nicht bloß zu demselben, auch zu einem in jeder Hinsicht gleichen Guten ein Gutes fügend, bekommt man in der Summe ein Besseres. 25
Fälle, wo die Frage unlösbar ist
Jede Einsicht, sagten wir, ist etwas in sich Gutes, und jede edle Liebe ist ebenso etwas Gutes in sich. Beides erkennen wir klar. Aber wer sagt uns, ob dieser Akt der Einsicht oder jener Akt edler Liebe in sich das Bessere sei? (…) Wie so vielfach auf psychischem Gebiete, sind uns auch hier eigentliche Maßbestimmungen unmöglich. Wo nun die innere Vorzüglichkeit nicht ausfindig zu machen ist, da gilt, was wir in ähnlicher Lage von der einfachen Güte sagten, — sie ist für unsere Erkenntnis und praktische Berücksichtigung soviel wie nicht vorhanden. 26
Ob der Hedoniker in dieser Beziehung im Vorteil sein würde
Es gibt Leute, welche im Gegensatze zu dem, was die Erfahrung mit Evidenz erkennen läßt, behaupten, nur Lust sei ein Gut in sich, und die Lust sei das Gute. Nehmen wir einmal an, diese Ansicht sei richtig, würde sich daran … der Vorteil knüpfen, daß uns dann durchweg eine relative Wertbestimmung der Güter gelänge, indem wir nun nur homogene Güter hätten, welche eine Messung aneinander gestatteten? — Jede intensivere Lust wäre ein größeres Gut als eine minder intensive, und die doppelt so intensive an Güte gleich zwei halb so intensiven; so käme dann Klarheit in alles. 26f
Wie lächerlich aber würde sich einer erst machen, wenn er behauptete, seine Lust beim Rauchen einer guten Zigarre, 127 mal oder auch 1077 mal zu sich selbst addiert, gebe genau das Maß der Lust, welche er beim Anhören einer Beethovenschen Symphonie oder beim Anblick einer Raphaelischen Madonna in sich erfahre. Ich glaube, ich habe genug gesagt, und brauche nicht auch noch auf die Schwierigkeit, die Intensitäten von Lust und Pein aneinander zu messen, hinzuweisen. 27
Das Bereich des höchsten praktischen Gutes
Aus dem, was wir von Fällen eines als richtig charakterisierten Bevorzugens anführten, ergibt sich nämlich der wichtige Satz, daß das Bereich des höchsten praktischen Gutes die ganze unserer vernünftigen Einwirkung unterworfene Sphäre ist, soweit in ihr ein Gutes verwirklicht werden kann. Nicht allein das eigene Selbst: die Familie, die Stadt, der Staat, die ganze gegenwärtige irdische Lebewelt, ja die Zeiten ferner Zukunft können dabei in Betracht kommen. Das alles folgt aus dem Satze der Summierung des Guten. Das Gute in diesem weiten Ganzen nach Möglichkeit zu fördern, das ist offenbar der richtige Lebenszweck, zu welchem jede Handlung geordnet werden soll; das ist das eine und höchste Gebot, von dem alle übrigen abhangen. Die Selbsthingabe, und unter Umständen die Selbstaufopferung, wird sonach Pflicht; das gleiche Gute, wo immer es sei (also auch im andern), wird nach seinem Werte (also überall gleich) zu lieben sein, und Mißgunst und scheeler Neid sind ausgeschlossen. 27f
Dieses Gute, das wir verwirklichen sollen, ist nach den vorhergegangenen Analysen: das größtmögliche Maß von seelischen Gütern bei allen in unserer Einflußsphäre fallenden beseelten Wesen. Das ist in quantitativer wie qualitativer Hinsicht zu verstehen. Und da man einen, der diese Güter in hohem Maße besitzt, einen Glücklichen nennt, so kann man das höchste praktische Gut auch als das höchstmögliche Glück des weitesten, unserer Einwirkung zugänglichen
Kreises von Lebewesen definieren.
Damit ist ein oberstes Sittengesetz aufgestellt, das weder von der Bevorzugung des Eigenen noch des Fremden ausgeht, weder von der ausschließlichen Schätzung noch Geringschätzung der Lust, also weder Altruismus noch Egoismus, weder Hedonismus noch Asketismus zu nennen ist. Will man dieses unser Prinzip ein utilitaristisches (Nützlichkeitsprinzip) nennen, so steht dem nichts im Wege. Sich so nützlich als möglich zu machen und so vielen so nützlich als möglich, das heißt ja, das Beste unter dem Erreichbaren anzustreben. GRUNDLEGUNG, 223
Man muß sich wohl davor hüten, aus dem Prinzipe der Liebe des Nächsten wie sich selbst die Folgerung zu ziehen, daß jeder für jeden anderen ebenso sorgen müsse wie für sich selbst; was, weit entfernt das allgemeine Beste zu fördern, es vielmehr wesentlich benachteiligen würde. Es ergibt sich dies aus der Erwägung des Umstandes, daß man zu sich selbst eine andere Stellung hat als zu allen anderen, und unter diesen wieder dem einen mehr, dem anderen weniger zu helfen und zu schaden in der Lage ist. Wenn Menschen auf dem Mars leben sollten, so kann und soll der erdbewohnende Mensch ebenso ihnen Gutes wünschen, nicht aber ebenso für sie Gutes wollen und erstreben, als für sich und etliche seiner Mitgenossen auf Erden. Hiermit in Zusammenhang stehen die Mahnungen, denen man in jeder Moral begegnet, sich zunächst um sich selbst zu kümmern: Γνῶθι σαυτόν [Erkenne dich selbst], „kehre vor der eigenen Türe!“ usw. Die Forderung, zunächst für Weib, Kind, Vaterland zu sorgen, tritt auch überall auf. (…) Auf diese Weise geprüft, erweisen sich auch die kommunistischen Thesen als unberechtigt, die man aus dem schönen Grundsatze der allgemeinen Bruderliebe mit unlogischer Überstürzung ableiten wollte. URSPRUNG FN 50, S. 36
Die natürliche Sanktion von Rechtsgrenzen
Und weiter kommen wir, nachdem wir schon so manche Liebespflicht gegen das höchste praktische Gut hervorkeimen sahen, nun auch an den Ursprung der Rechtspflicht. Die Vereinigung, welche eine Teilung der Arbeit möglich macht, kann allein die Bedingung für die Erreichung des höchsten praktischen Gutes, wie wir es erkannt haben, werden. So ist denn der Mensch ethisch bestimmt zum Leben in der Gesellschaft. Und leicht ist's nachweisbar, wie hier, damit nicht jeder für jeden mehr störend als fördernd werde, Grenzen des freien Waltenseiner jeden Persönlichkeit bestehen müssen und wie diese Grenzen (wie immer sich hier manches aus bloßer natürlicher Erwägung ergibt) doch einer genaueren Bestimmung durch positive Determination und einer weiteren Sicherung durch die unterstützende öffentliche Gewalt bedürfen.
Und wie auf diese Weise die natürliche Erkenntnis den Bestand positiven Rechts im allgemeinen fordert und sanktioniert, so kann sie auch im besondern Forderungen erheben, von deren Erfüllung das Maß des Segens, den die Rechtsordnung bringt, wesentlich abhängt. In dieser Weise also gibt oder versagt die höchste Krone, welche die Wahrheit trägt, den Werken positiver Gesetzgebung ihre Sanktion, und aus ihr ziehen sie ihre wahre bindende Kraft. 28f
Die natürliche Sanktion für positive Sittengesetze
Außer den Satzungen, welche die Rechtsgrenzen betreffen, gibt es in jeder Gesellschaft noch andere positive Bestimmungen, welche die Weise angehen, wie man sich innerhalb seiner Rechtssphäre zu benehmen, wie man über seine Freiheit und sein Eigentum zu verfügen habe. Die öffentliche Meinung billigt Fleiß, Generosität und Ökonomie, jedes an seiner Stelle, und mißbilligt Trägheit, Geiz, Verschwendung und vieles andere. Im Gesetzbuch finden sich die Vorschriften nicht, aber im Herzen des Volkes stehen sie geschrieben. Und auch Lohn und Strafe fehlen bei dieser Art von positiven Geboten nicht; sie bestehen in den Vorteilen und Nachteilen guten und schlechten Rufes. Hier haben wir sozusagen einen positiven Kodex der Sittlichkeit, der den positiven Rechtskodex ergänzt. Auch dieses positiv Sittliche kann richtige und irrige Bestimmungen enthalten. Um wahrhaft verpflichtend zu sein, muß es mit den Regeln zusammenstimmen, die, wie wir zuvor sahen, durch die Vernunft als Liebespflichten gegen das höchste praktische Gut sich erkennen lassen.
Und so haben wir denn wirklich die gesuchte natürliche Sanktion für recht und sittlich gefunden. 29
Wahre und falsche Relativität ethischer Regeln
Bei der Vielheit untergeordneter Regeln, welche der Griffel der Natur selber in die Gesetzestafeln eingräbt, sind … utilitarische Rücksichten maßgebend. Da wir nun in verschiedenen Lagen über verschiedene Mittel verfügen, so werden auch für verschiedene Lagen verschiedene spezielle Vorschriften gelten müssen.
Sie können geradezu entgegengesetzt lauten, ohne natürlich, da sie ja für verschiedene Umstände berechnet sind, deshalb wahrhaft widersprechend zu sein. In diesem Sinne also wird eine Relativität des Ethischen mit Recht behauptet. 30
Nach dieser [einer falschen Relativitätslehre] würde kein Satz der Ethik, auch nicht der, daß man das Beste des weitesten Kreises beim Handeln maßgebend machen solle, ausnahmslose Gültigkeit haben. In der Urzeit und auch später, lange Jahrhunderte hindurch, wäre, wie er ausdrücklich behauptet, ein solches Verfahren ebenso unsittlich gewesen wie in spätem das entgegengesetzte. Wir müßten, in die Zeiten der Menschenfresserei zurückblickend, mit den Menschenfressern und nicht mit dem sympathisieren, der etwa, innerlich seiner Zeit vorauseilend, schon damals die allgemeine Nächstenliebe gepredigt hätte. 30f
Woher die allgemein verbreiteten ethischen Wahrheiten stammen; Unklarheitüber Vorgänge im eigenen Bewußtsein
Wie kommt es, daß die gangbaren öffentlichen Meinungen in bezug auf sittlich und recht selber in so vielen Beziehungen als richtig sich erweisen? Wenn ein Denker wie Kant die Quellen, aus welchen wirkliche ethische Erkenntnis fließt, nicht gefunden hatte: wie können wir glauben, daß das gewöhnliche Volk dahin gelangt sei, um aus ihnen zu schöpfen? (…) Doch auch die Schwierigkeit löst sich in sehr einfacher Weise, wenn wir erwägen, wie gar vieles in unserm Erkenntnisschatze sich findet und in neuen Erkenntnissen fruchtbar erweist, ohne daß wir uns den Prozeß zu deutlichem Bewußtsein bringen 32
Niedere Strömungen, die einen Einfluß üben
Nicht jede Meinung über sittlich und recht, die heutzutage in der Gesellschaft gilt, und die, wenn man die Ethik fragt, auch durch sie als richtig sanktioniert wird, ist jenen lauteren und edeln Quellen, die auch im verborgnen strömend ergiebig waren, entflossen. Viele solche Ansichten sind auf logisch ganz unberechtigtem Wege zustande gekommen und nahmen, wenn man die Geschichte ihrer Entstehung untersucht, ihren Ursprung aus niederen Trieben, aus selbstischen Gelüsten durch Umbildungen, welche diese nicht etwa durch höhere Einflüsse, sondern einfach durch den instinktiven Drang der Gewohnheit erfuhren. Es ist wirklich wahr, was so viele Utilitarier hervorheben, daß der Egoismus es empfiehlt sich anderen gefällig zu erweisen, und daß ein solches Verhalten, fort und fort geübt, schließlich zu einer für die ursprünglichen Zwecke blinden Gewohnheit wird. (…) So mag denn mancher wirklich dazu geführt werden, in blindem, gewohnheitsmäßigem Drange mit einer gewissen Selbstlosigkeit auch das Wohl anderer zu lieben. Es ist weiter wahr, was einige im besondern geltend machten, daß es in der Geschichte oft vorkommen mußte, daß ein Übermächtiger einen Schwachen egoistisch sich unterwarf und diesen unter dem Einflüsse der Gewohnheit mehr und mehr zum willigen Knechte sich erzog. Und in dessen Sklavenseele wirkte dann zuletzt ein Αὐτὸς ἔφα [er selbst hat es gesagt] mit blindem, aber nicht minder mächtigem Drang, wie ein treibendes „du sollst“, als wäre es eine Offenbarung der Natur über gut und böse. Bei jeder Verletzung eines Befehls fühlte er sich, wie ein wohldressierter Hund, beunruhigt und innerlich gequält. Hatte ein solcher Gewaltiger sich viele unterworfen, so mochte sein wohlberatener Egoismus ihn dazu bestimmen, Gebote zu geben, die dem Bestande seiner Horde förderlich waren. Sie wurden ebenso sklavisch seinen Leuten zur Gewohnheit und sozusagen zur Natur wie andere. Und so mochte die Rücksicht auf das Ganze dieser Gesellschaft nach und nach jedem Untertan etwas werden, wozu er sich mit dem eben beschriebenen Gefühle gedrängt fand. Zugleich erkennen wir leicht, wie bei seiner steten Fürsorge für die Seinigen in dem Tyrannen selbst Gewohnheiten sich bilden mußten, welche der Berücksichtigung der Wohlfahrt dieses Kollektivs günstig waren. Ja er mochte schließlich ebenso wie der Geizige, der sich für die Erhaltung seines Schatzes hinopferte, dahin kommen, für die Erhaltung seiner Bande bereitwillig zu sterben. — Bei dem ganzen beschriebenen Prozeß, wenn er sich so vollzieht, haben die ethischen Erkenntnisprinzipien den geringsten Einfluß. Der Drang, welcher auf solche Weise entsteht, und die Meinungen, welche infolgedavon für oder gegen ein gewisses Verhalten sich aussprechen, haben nicht das mindeste mit der natürlichen Sanktion zu tun und entbehren jeder ethischen Würde. Aber man begreift sehr wohl — und namentlich wenn man nun auch noch den Fall erwägt, wo Horde mit Horde in Beziehung tritt und freundliche Rücksichten auch hier sich als vorteilhaft zu erweisen beginnen —, wie der Weg dieser niederen Dressur zu Meinungen führen kann, ja vielfach früher oder später, man darf wohl sagen, führen muß, die mit Lehrsätzen, welche aus der wahren Schätzung des Guten fließen, zusammenstimmen. 35-37
Gesetzesentwürfe für die legislative ethische Gewalt
Die gesetzlichen Ordnungen und Sitten, welche damals sich bildeten, haben … dem, was die Ethik fordert, so vielfach sich angenähert, daß dieser eigentümliche Fall von Mimikry viele über den Mangel tiefergehender Verwandtschaft täuschte. Was dort ein blinder Drang, hier die Erkenntnis des Guten zum Gebot erheben läßt, trifft oft inhaltlich vollständig zusammen. Die legislative ethische Gewalt fand darum in jenen auch schon kodifizierten Gesetzen und Sitten sozusagen Gesetzesentwürfe vor sich, die sie mit etlichen Abänderungen ohne weiteres sanktionieren konnte. 38f
Alter Schwede!
Wenn ich gewusst hätte das der Post eine Vorlesung über Ethik wird, hätt ich das Durchlesen wohl auf morgen verschoben.
Aber Spaß beiseite, danke für den Post. War sehr interessant zu lesen. Dem ausführlichen Post möchte ich allerdings auch einen ausgiebigen Kommentar widmen. Ein kurzer Einwurf scheint mir hier völlig fehl am Platz zu sein. Also!
Zunächst den Gegensatz von Lieben und Hassen. Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit!
Denn man kann nur hassen was man liebt. Denn Hass setzt ja voraus das eine Sache für mich von Bedeutung ist. Nur eben ins Neagative gewendet.
Erst Gleichgültigkeit lässt mich einer Sache keine Bedeutung mehr beimessen.
Auch bei "Das Bereich des höchsten praktischen Gutes" hab ich so meine Bedenken.
Für mich scheint es kein hinreichender Grund zu sein, das Gute in der Welt zu fördern, sei der Inhalt eines rechten Lebenszweckes. Oder in der Gesellschaft oder im Staat?
Mir scheint es eher notwendig zu sein, dass sich die Menschen erstmal wieder Gedanken darüber machen das es sowas wie ein gutes oder richtiges Leben gibt. Jeder Mensch hat schon genug damit zu tun sein eigenes Leben gut zu leben. Wie sollte da die Beschäfftigung mit dem Wohl der Allgemeinheit erst zu einem guten Leben führen können?
Klingt in meinen Ohren mehr wie Ideologie als Philosophie, aber ich kann mich auch täuschen.
Der Abstatz über die Nächstenliebe ist für einen ehemaligen katholischen Priester schon etwas seltsam.
Wenn ich mich recht entsinne war es bereits Augustinus der sagte, das Gebot der Nächstenliebe schließe nicht die ganze Welt mit ein. Zuerst kommen die Familie, Freunde, Verwandte, Nachbarn. Dann kommen Heimat und Vaterland (was das selbe sein kann aber nicht muss!) und dann erst der ganze Rest der Welt. Die Begründung? Man kann sich, als einzelne Person, n icht um alle kümmern, sondern nur um die die um einen herum sind.
Im Übrigen liegt die Betonung bei diesem Gebot bei "wie dich selbst". Den sich selbst zu lieben wird ja vorausgesetzt um überhaupt andere lieben zu können.
Auch mit seiner Beschreibung des "besten" habe ich so meine liebe Not. Das Beste ist nämlich nicht automatisch das Richtige. Kann es, muss es aber nicht.
Zum Schluss scheint er dann ganz schön in, ich möchte mal sagen, Überheblichkeit, abzugleiten.
Nun, ich bin auch kein Befürworter des "Edlen Wilden" , jedoch scheint mir die Behauptung, jede Form von Gesellschaft wäre aus der Tyrannei erwachsen als, sagen wir mal, gewagt!
Aus den Anfängen aller, einfach ausgedrückt, "staatlicher", "gesellschaftlicher", Ordnung besitzen wir keinerlei Quellen. Und die wenigen primitiven Völker und Kulturen die es noch gibt, scheinen eher nahe zu legen, dass Gesellschaft aus der Familie erwachsen ist.
Damit will ich nicht sagen, dass an seinen Aussagen nichts dran ist. Alles allerdings nur auf das zu reduzieren wird dem Problemfeld jedoch auch nicht gerecht.
Wünsche noch eine geruhsame Nacht.
Wow, @parzifal1, zuerst möchte ich Dir mitteilen, dass es mich sehr froh stimmt, dass überhaupt jemand den Literaturzusammenschnitt gelesen hat - das ist heute sehr selten geworden. Und das jemand auch noch konstruktive Kritik zusammenfasst, das ist noch seltener. Ich weiß nicht genau, wie oft ich diesen Anlauf genommen habe.
Wenn Du meine Textauszüge der letzten Tage verfolgst, wirst Du feststellen, dass außer der Phänomenadäquanz, alle Literaturzusammenschnitte von Denkern sind, die der österreichischen Schule zugeordnet werden und werden können. Viele Strömungen zitieren in ihren Werken den ein oder anderen davon. Es war also so, dass auch in der österreichischen Schule nicht über alles und jeden Einigkeit bestand. Der Vorteil jedoch war, dass in dieser Tradition auch viele Salons und Kaffeehäuser von diesen unterschiedlichen Strömungen besucht wurden, in diesen dann oft auch heftig diskutiert wurde. Es gab also keinen Einheitsbrei, wie sich das heute darstellt. Das merkt man auch an deinem Kommentar, der sich über das eine und andere Gedanken macht, teilweise ablehnend, teilweise in bedingter Zustimmung. Schade nur, dass solche Möglichkeiten der Diskussion nur noch in schriftlicher Form stattfinden, die wesentlich zeitaufwendiger sind, als in verbaler Form.
Ich habe auch bewusst, nur Textauszüge verwendet, ohne einen Artikel mit eigener Meinung und Erkenntnis zu verfassen. Denn was macht es für einen Sinn, über etwas zu diskutieren, von dem der gegenüberstehende nicht einmal weiß, wovon ich spreche. Vor allem wenn ich nur Zitatstellen einbaue, die den gesamten Abschnitt dieses Zitats außer Acht lassen.
Auch wenn das heute gängige Praxis ist, ist es genau diese, die sich dazu eignet neue Meme zu streuen und den Inhalt konträr zur eigentlichen Aussage ins Gegenteil zu verkehren. Das zieht sich heute durch alle Schichten und wird als gegeben hingenommen. Ob in Wissenschaft, Ökonomik, Recht, usw. Sogar in Rechtsurteilen wird dieses Verfahren angewendet, indem Zitatstellen verwendet finden die komplett aus dem Zusammenhang gerissen sind lediglich mit einem Quellverweis auf Aktenzeichen oder Randnotizen. Wer ließt schon den Quellverweis, oder die Randnotiz in einer Zeit, wo doch Zeit kostbar ist und Kurznachrichten dominieren. Das führt zu den absurdesten Ergebnis in fasst allen Bereichen.
Nun zu deiner Äußerung zur Liebe. Nach meinen Erkenntnissen ist Liebe ein zu groß gefasstes Wort. Es beschreibt etwas umfassendes. Was aber dabei außer acht bleibt, dass der Liebe immer etwas vorausgehen muss, das ohne das "Ich" nicht denkbar ist. Das Gegenteil von Liebe mit Gleichgültigkeit zu bewerten ist ein interessanter Ansatz. Es sei dabei aber zu bedenken, ob Gleichgültigkeit überhaupt allgemein denkbar ist, oder sich nur spezifisch denken lässt. Gleichgültigkeit zu Ende gedacht als etwas allgemeines, würde bedeuten nicht Leben, nicht Existieren, also "Nichts". Dass man nicht hassen kann, ohne zu Lieben, ist dabei meiner Ansicht nach ein guter Grundgedanke auf den man aufbauen kann. Das bedeutet aber auch, dass der "Liebe" etwas vorausgehen muss, das in "Hass" überschlagen kann. Ich kann also "hassen" auch ohne "geliebt" zu haben. Hass aus dem Vorläufer zur Liebe; Hass aus dem der Liebe Vorausgehenden. In diesem Punkt bin ich näher bei Victor Frankl https://steemit.com/deutsch/@zeitgedanken/oesterreichische-schule-wiener-schule-prof-viktor-e-franken
Weit gefasst stimme ich mit Dir überein, "Den sich selbst zu lieben wird ja vorausgesetzt um überhaupt andere lieben zu können."
Auch gebe ich Dir recht, dass sich Brentano hier selbst in Widerspruch setzt. Auch im Bereich der Nächstenliebe bin ich sehr nah an deiner Auffassung.
Dass das "Beste" nicht automatisch das Richtige ist, auch da stimme ich überein, denn das "Beste" für wen?
Bei der Gesellschaftsordnung, zeigt sich aber wieder, das Brentano hier am Staatsideal festhält, was er aus der katholischen Kirche übernommen hat. Das gilt auch für die protestantische Variante. Dort ist der Unterschied nur drin zu finden, dass die katholische Kirche das Staatsideal unter den Papst stellt und die Protestanten unter dem Schutz der Fürsten und heutige Staatsform.
Bezugnehmend zur Staatsgesellschaft, gibt es tatsächlich keine Quellen. Der Begriff in seiner heutigen Verwendung ist jünger als man denkt. "Staaten hat es immer schon gegeben", so die gängige Auffassung, ist dabei absolut irreführend und weit neben der Geschichte.
Und ich bin auch ganz bei Dir, dass man Gesellschaft nicht nur darauf reduzieren kann um das Problemfeld zu lösen. Dieses Kunstgebilde "Gesellschaft" ist dabei nicht als Kern zu betrachten, sondern die "Vergesellschaftung". Man kann eine Gesellschaft erkenntnistheoretisch nicht untersuchen, sondern nur die einzelnen Individuen. Was Gegenstand sein müsste ist, warum sich Individuen "vergesellschaften".
Zu Liebe, Hass und Gleichgültigkeit. Ich hab es spezifisch aufgefasst, nicht allgemein.
Allgemein betrachtet, dürfte Gleichgültigkeit wohl eher fehl am Platz sein.
Bei der Vergesellschaftung denke ich spielt die Moderne eine gravierende Rolle. Ich fasse die Industrialisierung als eine absolute Kulturschwelle auf. Also als etwas das unser Leben fundamental, im wahrsten Sinn des Wortes, ändert. Das letzte Mal als dies geschah war in der Steinzeit als der Mensch vom Jäger und Sammler zum Bauern geworden ist. Bis diese Transformation abgeschlossen ist, dürfte allerdings noch die eine oder andere Generation vergehen, siehe Digitalisierung, Robotik, Genetik oder Weltraumkolonisation. Was sich dann daraus entwickeln wird ist, denke ich, gar nicht fassbar.
Daher, wer weiß, könnte die Vergesellschaftung, das Entstehen der Masse, auch nur ein "Übergangsphänomen sein.
Wenn es stimmt das die Moderne die Menschen entwurzelt hat, so würde der Zusammenschluss dieser Menschen daher kommen, dass sich "Gleichgesinnte" zusammen geschlossen haben. So betrachtet kann man annehmen, dass sich daraus ein neues Sozialgefüge entwickeln wird. Ich vermute, an diesem Punkt wird die heute so viel gepriesene Gesellschaft nicht mehr nötig sein. Hier denke ich z.B. an die ganzen Subkulturen.
Eine kleine Anregung hätte ich noch. Vielleicht solltest du die Posts etwas kürzer halten. Vielleicht in 2 oder 3 Teile aufteilen? Denn, wie du schon so treffend geschrieben hast, heutzutage sind die Menschen nur mehr kurze Texte gewohnt. Da ist uns tatsächlich etwas verloren gegangen.
Hallo @zeitgedanken, noch ein Tipp:
Schreib als Tag auch #austria oder #steemit-austria, dann sehen es unsere Freunde aus Österreich auch und schließlich geht es ja um die Österreichische Schule. Außerdem kommt dann auch manchmal der austrobot vorbei.
Ich korrigiere, danke für den Hinweis.
Hallo @zeitgedanken, du hast von mir ein Upvote erhalten! Ich bin ein Upvote-Bot und meine Mission ist, hochwertigen Content unter #Steemit-Austria zu fördern. Hier kannst du mehr über mich und meine Funktionsweise erfahren. Wie du an meinen curation-rewards mitverdienen kannst, wird dort ebenfalls beschrieben.
Übrigens: Wenn du den Tag #steemit-austria verwendest, finde ich deine Posts noch leichter!
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