RE: Österreichische Schule (Wiener Schule) Franz Clemens Brentano
Alter Schwede!
Wenn ich gewusst hätte das der Post eine Vorlesung über Ethik wird, hätt ich das Durchlesen wohl auf morgen verschoben.
Aber Spaß beiseite, danke für den Post. War sehr interessant zu lesen. Dem ausführlichen Post möchte ich allerdings auch einen ausgiebigen Kommentar widmen. Ein kurzer Einwurf scheint mir hier völlig fehl am Platz zu sein. Also!
Zunächst den Gegensatz von Lieben und Hassen. Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit!
Denn man kann nur hassen was man liebt. Denn Hass setzt ja voraus das eine Sache für mich von Bedeutung ist. Nur eben ins Neagative gewendet.
Erst Gleichgültigkeit lässt mich einer Sache keine Bedeutung mehr beimessen.
Auch bei "Das Bereich des höchsten praktischen Gutes" hab ich so meine Bedenken.
Für mich scheint es kein hinreichender Grund zu sein, das Gute in der Welt zu fördern, sei der Inhalt eines rechten Lebenszweckes. Oder in der Gesellschaft oder im Staat?
Mir scheint es eher notwendig zu sein, dass sich die Menschen erstmal wieder Gedanken darüber machen das es sowas wie ein gutes oder richtiges Leben gibt. Jeder Mensch hat schon genug damit zu tun sein eigenes Leben gut zu leben. Wie sollte da die Beschäfftigung mit dem Wohl der Allgemeinheit erst zu einem guten Leben führen können?
Klingt in meinen Ohren mehr wie Ideologie als Philosophie, aber ich kann mich auch täuschen.
Der Abstatz über die Nächstenliebe ist für einen ehemaligen katholischen Priester schon etwas seltsam.
Wenn ich mich recht entsinne war es bereits Augustinus der sagte, das Gebot der Nächstenliebe schließe nicht die ganze Welt mit ein. Zuerst kommen die Familie, Freunde, Verwandte, Nachbarn. Dann kommen Heimat und Vaterland (was das selbe sein kann aber nicht muss!) und dann erst der ganze Rest der Welt. Die Begründung? Man kann sich, als einzelne Person, n icht um alle kümmern, sondern nur um die die um einen herum sind.
Im Übrigen liegt die Betonung bei diesem Gebot bei "wie dich selbst". Den sich selbst zu lieben wird ja vorausgesetzt um überhaupt andere lieben zu können.
Auch mit seiner Beschreibung des "besten" habe ich so meine liebe Not. Das Beste ist nämlich nicht automatisch das Richtige. Kann es, muss es aber nicht.
Zum Schluss scheint er dann ganz schön in, ich möchte mal sagen, Überheblichkeit, abzugleiten.
Nun, ich bin auch kein Befürworter des "Edlen Wilden" , jedoch scheint mir die Behauptung, jede Form von Gesellschaft wäre aus der Tyrannei erwachsen als, sagen wir mal, gewagt!
Aus den Anfängen aller, einfach ausgedrückt, "staatlicher", "gesellschaftlicher", Ordnung besitzen wir keinerlei Quellen. Und die wenigen primitiven Völker und Kulturen die es noch gibt, scheinen eher nahe zu legen, dass Gesellschaft aus der Familie erwachsen ist.
Damit will ich nicht sagen, dass an seinen Aussagen nichts dran ist. Alles allerdings nur auf das zu reduzieren wird dem Problemfeld jedoch auch nicht gerecht.
Wünsche noch eine geruhsame Nacht.
Wow, @parzifal1, zuerst möchte ich Dir mitteilen, dass es mich sehr froh stimmt, dass überhaupt jemand den Literaturzusammenschnitt gelesen hat - das ist heute sehr selten geworden. Und das jemand auch noch konstruktive Kritik zusammenfasst, das ist noch seltener. Ich weiß nicht genau, wie oft ich diesen Anlauf genommen habe.
Wenn Du meine Textauszüge der letzten Tage verfolgst, wirst Du feststellen, dass außer der Phänomenadäquanz, alle Literaturzusammenschnitte von Denkern sind, die der österreichischen Schule zugeordnet werden und werden können. Viele Strömungen zitieren in ihren Werken den ein oder anderen davon. Es war also so, dass auch in der österreichischen Schule nicht über alles und jeden Einigkeit bestand. Der Vorteil jedoch war, dass in dieser Tradition auch viele Salons und Kaffeehäuser von diesen unterschiedlichen Strömungen besucht wurden, in diesen dann oft auch heftig diskutiert wurde. Es gab also keinen Einheitsbrei, wie sich das heute darstellt. Das merkt man auch an deinem Kommentar, der sich über das eine und andere Gedanken macht, teilweise ablehnend, teilweise in bedingter Zustimmung. Schade nur, dass solche Möglichkeiten der Diskussion nur noch in schriftlicher Form stattfinden, die wesentlich zeitaufwendiger sind, als in verbaler Form.
Ich habe auch bewusst, nur Textauszüge verwendet, ohne einen Artikel mit eigener Meinung und Erkenntnis zu verfassen. Denn was macht es für einen Sinn, über etwas zu diskutieren, von dem der gegenüberstehende nicht einmal weiß, wovon ich spreche. Vor allem wenn ich nur Zitatstellen einbaue, die den gesamten Abschnitt dieses Zitats außer Acht lassen.
Auch wenn das heute gängige Praxis ist, ist es genau diese, die sich dazu eignet neue Meme zu streuen und den Inhalt konträr zur eigentlichen Aussage ins Gegenteil zu verkehren. Das zieht sich heute durch alle Schichten und wird als gegeben hingenommen. Ob in Wissenschaft, Ökonomik, Recht, usw. Sogar in Rechtsurteilen wird dieses Verfahren angewendet, indem Zitatstellen verwendet finden die komplett aus dem Zusammenhang gerissen sind lediglich mit einem Quellverweis auf Aktenzeichen oder Randnotizen. Wer ließt schon den Quellverweis, oder die Randnotiz in einer Zeit, wo doch Zeit kostbar ist und Kurznachrichten dominieren. Das führt zu den absurdesten Ergebnis in fasst allen Bereichen.
Nun zu deiner Äußerung zur Liebe. Nach meinen Erkenntnissen ist Liebe ein zu groß gefasstes Wort. Es beschreibt etwas umfassendes. Was aber dabei außer acht bleibt, dass der Liebe immer etwas vorausgehen muss, das ohne das "Ich" nicht denkbar ist. Das Gegenteil von Liebe mit Gleichgültigkeit zu bewerten ist ein interessanter Ansatz. Es sei dabei aber zu bedenken, ob Gleichgültigkeit überhaupt allgemein denkbar ist, oder sich nur spezifisch denken lässt. Gleichgültigkeit zu Ende gedacht als etwas allgemeines, würde bedeuten nicht Leben, nicht Existieren, also "Nichts". Dass man nicht hassen kann, ohne zu Lieben, ist dabei meiner Ansicht nach ein guter Grundgedanke auf den man aufbauen kann. Das bedeutet aber auch, dass der "Liebe" etwas vorausgehen muss, das in "Hass" überschlagen kann. Ich kann also "hassen" auch ohne "geliebt" zu haben. Hass aus dem Vorläufer zur Liebe; Hass aus dem der Liebe Vorausgehenden. In diesem Punkt bin ich näher bei Victor Frankl https://steemit.com/deutsch/@zeitgedanken/oesterreichische-schule-wiener-schule-prof-viktor-e-franken
Weit gefasst stimme ich mit Dir überein, "Den sich selbst zu lieben wird ja vorausgesetzt um überhaupt andere lieben zu können."
Auch gebe ich Dir recht, dass sich Brentano hier selbst in Widerspruch setzt. Auch im Bereich der Nächstenliebe bin ich sehr nah an deiner Auffassung.
Dass das "Beste" nicht automatisch das Richtige ist, auch da stimme ich überein, denn das "Beste" für wen?
Bei der Gesellschaftsordnung, zeigt sich aber wieder, das Brentano hier am Staatsideal festhält, was er aus der katholischen Kirche übernommen hat. Das gilt auch für die protestantische Variante. Dort ist der Unterschied nur drin zu finden, dass die katholische Kirche das Staatsideal unter den Papst stellt und die Protestanten unter dem Schutz der Fürsten und heutige Staatsform.
Bezugnehmend zur Staatsgesellschaft, gibt es tatsächlich keine Quellen. Der Begriff in seiner heutigen Verwendung ist jünger als man denkt. "Staaten hat es immer schon gegeben", so die gängige Auffassung, ist dabei absolut irreführend und weit neben der Geschichte.
Und ich bin auch ganz bei Dir, dass man Gesellschaft nicht nur darauf reduzieren kann um das Problemfeld zu lösen. Dieses Kunstgebilde "Gesellschaft" ist dabei nicht als Kern zu betrachten, sondern die "Vergesellschaftung". Man kann eine Gesellschaft erkenntnistheoretisch nicht untersuchen, sondern nur die einzelnen Individuen. Was Gegenstand sein müsste ist, warum sich Individuen "vergesellschaften".
Zu Liebe, Hass und Gleichgültigkeit. Ich hab es spezifisch aufgefasst, nicht allgemein.
Allgemein betrachtet, dürfte Gleichgültigkeit wohl eher fehl am Platz sein.
Bei der Vergesellschaftung denke ich spielt die Moderne eine gravierende Rolle. Ich fasse die Industrialisierung als eine absolute Kulturschwelle auf. Also als etwas das unser Leben fundamental, im wahrsten Sinn des Wortes, ändert. Das letzte Mal als dies geschah war in der Steinzeit als der Mensch vom Jäger und Sammler zum Bauern geworden ist. Bis diese Transformation abgeschlossen ist, dürfte allerdings noch die eine oder andere Generation vergehen, siehe Digitalisierung, Robotik, Genetik oder Weltraumkolonisation. Was sich dann daraus entwickeln wird ist, denke ich, gar nicht fassbar.
Daher, wer weiß, könnte die Vergesellschaftung, das Entstehen der Masse, auch nur ein "Übergangsphänomen sein.
Wenn es stimmt das die Moderne die Menschen entwurzelt hat, so würde der Zusammenschluss dieser Menschen daher kommen, dass sich "Gleichgesinnte" zusammen geschlossen haben. So betrachtet kann man annehmen, dass sich daraus ein neues Sozialgefüge entwickeln wird. Ich vermute, an diesem Punkt wird die heute so viel gepriesene Gesellschaft nicht mehr nötig sein. Hier denke ich z.B. an die ganzen Subkulturen.
Eine kleine Anregung hätte ich noch. Vielleicht solltest du die Posts etwas kürzer halten. Vielleicht in 2 oder 3 Teile aufteilen? Denn, wie du schon so treffend geschrieben hast, heutzutage sind die Menschen nur mehr kurze Texte gewohnt. Da ist uns tatsächlich etwas verloren gegangen.