Steuervereinfachung politisch unmöglich?steemCreated with Sketch.

in #deutsch7 years ago (edited)

Manchmal entstehen in Posts neue thematische Stränge durch Kaskadierung von Kommentaren und Replies. Für meinen Freund @jaki01, aber auch für alle anderen, die an einem Diskurs über "Steuervereinfachung" interessiert sind, eröffne ich hierzu einen neuen Hauptartikel. Ich habe mich bestimmt seit mehr als 30 Jahren für dieses Thema begeistert und es daher genau verfolgt.

@jaki01 schrieb:

Meiner Meinung nach ist aber die Einführung immer höherer (und zahlreicherer Arten von) Steuern der falsche Weg! Ich würde stattdessen die Einkommensteuererklärung radikal vereinfachen und in Zuge dessen jegliche Absetzmöglichkeiten streichen. Da Reiche meist über viel mehr solcher Sparmöglichkeiten verfügen, würde diese Maßnahme zu einer gewissen Umwerteilung führen, ohne irgendwelche Steuersätze zu erhöhen. Außerdem würde der Staat sehr viel weniger Geld für Steuerbürokratie ausgeben müssen, ein Plus, das letztlich in niedrigere Steuern für alle umgemünzt werden könnte. Außerdem entfiele für jeden Einzelnen die lästige Beschäftigung mit der Steuererklärung (bzw. das Lästige Bezahlen eines Steuerberaters).
Prinzipiell halte ich selbst gar nichts von immer höheren Steuern, solange der Staat seine Möglichkeiten nicht ausschöpft, verantwortungsvoller und vor allem sparsamer mit den eingenommenen Geldern umzugehen - wer Steuergelder z. B. für einen G20-Gipfel mitten in Hamburg ausgibt (warum zelten die Politiker nicht einfach auf der Lüneburger Heide? :), ist m. E. verantwortungslos. Und weitere Beispiele gibts es zu Genüge - ich sollte einen Artikel darüber schreiben!

Das ist exakt auch meine Meinung, lieber @jaki01!

Nachdem ich somit 100%igen Konsens festgestellt habe, könnte ich diesen Artikel an dieser Stelle beenden? Leider nein.

Steuervereinfachung in Deutschland: Eine Chronologie des Scheiterns

Die folgenden Sachverständigen und Politiker haben sich seit den 1990er Jahren für eine Vereinfachung des deutschen Steuersystems im oben skizzierten Sinne eingesetzt und sind alle gescheitert:

  • Peter Bareis (1994), Kommission der Universität Hohenheim
  • Gunnar Uldall, CDU (1996)
  • Helmut Pelzer (1996), "Ulmer Modell" (Zentrum für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung)
  • Paul Kirchhof (2001), Forschungsgruppe Bundessteuergesetzbuch der Universität Heidelberg
  • Friedrich Merz (2003), "Bierdeckelsteuer"
  • Roland Koch und Peer Steinbrück (2003), CDU-SPD Kommission "Koch-Steinbrück Liste"
  • Joachim Lang (2005), Kölner Entwurf eines Einkommensteuergesetzes
  • Guido Westerwelle (2009) via Wahlprogramm der FDP

Die obige Aufstellung stammt hauptsächlich aus diesem sehr lesenswerten Artikel: https://de.wikipedia.org/wiki/Steuerreform

"Dieser Professor aus Heidelberg" (Gerhard Schöder im Bundestagswahlkampf 2002)

Im Schattenkabinett der CDU/CSU war Paul Kirchhof als Finanzminister vorgesehen und sollte seine Steuervereinfachungspläne im Amt umsetzen. Der Bundeskanzler Gerhard Schröder schoss sich kurz vor der Wahl auf Kirchhof ein und rettete mit seiner gezielten Desinformation eine hauchdünne Mehrheit für Rot/Grün.
Sihe hierzu http://www.zeit.de/zeit-magazin/2016/07/paul-kirchhof-rettung .

"Einfacher, niedriger, gerechter" (Die FDP-Forderung im Bundestagswahlkampf 2009)

Die FDP kam zusammen mit der CDU/CSU an die Regierung. Was wurde umgesetzt?
Das Finanzministerium ging mit Wolfgang Schäuble an die CDU und die FDP-Forderung verschwand sang- und klanglos im Papierkorb. Stattdessen bekamen wir die EURO-Rettung in Form von Griechenland-Paket, Portugal-Paket, ESFS, ESM etc.
Die FDP plakatierte dann kurz vor der Wahl 2013 noch die Parole "Solidaritätszuschlag abschaffen", wofür sie vier lange Jahre in der Regierung Zeit gehabt hätte und flog dann - meines Erachtens völlig zu Recht - aus dem Bundestag.

Und heute?

Ist das von @jaki01 und mir angestebte Ziel einer wirklichen Steuervereinfachung mittlerweile aus den Agenden der etablierten bzw. chancenreichen Parteien (also CDU, CSU, SPD, Linke, Grüne, FDP, AfD) verschwunden?

Von der FDP haben wir gelernt, dass Programme keine Verbindlichkeit besitzen. Wer würde heute (nochmal) FDP wählen, weil er sich eine Steuervereinfachung erhofft?

Was sagen die Wahlprogramme?

Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, alle Wahlprogramme zu untersuchen. Aber ich habe eines gefunden, in dem das Folgende steht:

Unser Steuersystem ist das komplexeste der Welt. Eine Vereinfachung wurde von den etablierten Parteien schon lange versprochen, aber nie realisiert. Globalisierung und Euro-Krise erfordern ein grundsätzliches Umdenken. Es ist Zeit für eine grundlegende Reform, die sich an den folgenden Punkten orientieren sollte:
− Reduzierung der Steuer- und Abgabenquote
− Reformierung der Steuersysteme
− Rückbau der Bürokratie
− Mittelstandsfreundliche Wirtschaftspolitik
− Die Bezahlung von Kirchenrepräsentanten wie Bischöfen etc. aus allgemeinen Steuermitteln ist abzuschaffen

Meine These: Steuervereinfachung ist nicht "links"

Der Sozialismus braucht die beliebige Zugriffsmöglichkeit auf die Arbeitskraft und die Vermögen des Staatsvolks. Linke Parteien werden sich niemals mit auf niedrigem Niveau gedeckelten Steuersätzen begnügen. Die SPD hat in der derzeitigen Großen Koalition mittles der "Reichensteuer" eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42% auf 45% durchgesetzt.
Eine neue Partei, die sich als "linksliberal" verortet, wird folglich niemals eine Steuervereinfachung zustande bringen.
Desweiteren steht ein einfaches Steuersystem unter dem Verdacht, nicht "gerecht" zu sein. Die Herstellung von mehr Gerechtigkeit ist aber ein plakatives Kernanliegen aller Linken.

Politikversagen am Beispiel der Süßkartoffel

Wer sich einmal mit den Regelungen zur normalen und ermäßigten Mehrwertsetuer befasst hat, dem werden die Haare zu Berge stehen. Beispielweise wird die Süßkartoffel im Gegensatz zur gewöhnlichen Kartoffel mit 19% versteuert. Dieser Artikel aus dem Jahr 2007 beschäftigt sich mit dem Mehrwertsteuer-Irrsinn: https://www.welt.de/politik/article1356837/19-Prozent-auf-Windeln-7-Prozent-auf-Trueffel.html

Fazit

  • Dank der Unfähigkeit der bisherigen Regierungen und Parlamente verschwenden wir als Gesellschaft unnötig viel kostbare Zeit für die Bedienung eines viel zu komplexen und ineffizienten Steuersystems
  • Nur zu wählen reicht nicht - egal, ob und wen wir wählen
  • Wer sich Änderungen wünscht, muss sich aktiv und lautstark dafür einsetzen

1 SBD Bonus

Wer als erster in einem Kommentar hinterlegt, aus welchem Wahlprogramm der oben zitierte Passus stammt, bekommt von mir 1 SBD Prämie.

Disclaimer

Dieser Artikel stellt keine Wahlwerbung für eine bestimmte Partei dar. Aber er ist durchaus als Warnung vor "linken" Parteien zu verstehen.

Ich freue mich auf Eure möglichst zahlreichen Kommentare.

Sort:  

Danke für die interessante Darstellung.
Ich denke es wird erst dann eine deutliche Steuervereinfachung geben, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, d.h. in einer grossen Wirtschafts-/ Staatsschulden- bzw. Finanzkrise.
Dann könnte es meiner Meinung nach erst zu einer Enteignung (20% vom Vermögen, ähnlich wie in Zypern) kommen und anschliessend werden die Steuern gesenkt, um "die Wirtschaft anzukurbeln".

Ja, das sehe ich auch so. Rette sich, wer kann. Kauft Bitcoin :-)

Ja, zu Zypern und Griechenland habe ich auch mal einen Artikel geschrieben. Die Enteignung dürfte zunächst mal über Bankguthaben laufen. Also ist es ganz schlau, das Geld nicht bei den Banken, sondern in der Blockchain zu lagern. Der Bäcker oder der Vermieter wird, wenn die Banken erst mal länger geschlossen haben, ganz schnell lernen, daß er mit BitCoin weiterhin am Handel teilhaben kann. Wohl dem, der dann nicht auf Banken angewiesen ist.

Auf Coinbase anmelden und 8€ in BitCoin erhalten

Ich persönlich wäre ja dafür gar keine Steuern, Krankenpflichtversicherung usw. mehr zahlen zu müssen.

Dann müßten die Menschen nämlich anfangen sich mit sich näher zu beschäftigen, anstatt mit einer "Einmalzahlung" ihre Verantwortung in Staatshände abzugeben.
Wenn die Menschen 70 Prozent mehr Geld in der Tasche haben, dann sollte es auch möglich sein gemeinsam einen Straßenbau zu finanzieren, sofern dieser denn wirklich nötig ist...

Außerdem bewirken diese Abgabepflichten ja auch, daß Menschen dazu genötigt werden Geld zu verdienen.
Und wenn ich über eine Gesellschaft ohne Geld nachdenke, dann muß diese heilige Kuh früher oder später nun mal geschlachtet werden.

:)

Ganz meine Meinung!

Danke für das lange Zitat - hätte ich gewusst, dass du höchstpersönlich meinen Kommentar in deinen Artikel einfügst, hätte ich vorher erst mal ein paar böse Rechtschreibfehler herausgebügelt (was ist eine "Umwerteilung"?). Ich rede mich mal mit der nachtschlafenden Stunde heraus, zu der ich das schrieb. :-)

Nun, ich sag' mal so: traditionell linke Parteien sind bisher in der Tat nicht dadurch aufgefallen, Steuergesetze zu vereinfachen, da hast du Recht (am schlimmsten ist die SPD!).
Dass sich "links" (wir hatten ja unter meinem Artikel über "DEMOKRATIE IN BEWEGUNG" schon einmal darüber diskutiert, wie sich dieser Begriff überhaupt definiert) und schlankere Steuergesetze aber per Definition ausschließen würden, glaube ich nicht. Zumindest strebt ja z. B. "DIB" ebenfalls eine Steuervereinfachung an ... Das gleiche gilt für die "Piraten" (wobei man da fragen müsste, ob die überhaupt "links" sind). Sehr interessant aus "linksliberaler" Sicht ist übrigens auch die Neue Liberale.

In der Sache sind wir uns offensichtlich absolut einig, dass eine Vereinfachung dringend nötig wäre. Obwohl ich sie - aus anderen Gründen - nicht wählen würde, muss ich zugestehen, dass ich der AfD, was ihre Aussagen bezüglich Steuergesetze betrifft, absolut zustimme.

Zeige mir mal EIN Beispiel dafür, dass eine sich als "links" bezeichnende ReGIERungsartei in einem westlichen Land Steuern in nennenswertem Umfang gesenkt oder vereinfacht hat. Die durchgeführten Senkungen der Sätze oder die Verschiebung der Tarifeckpunkte waren stets nur ein Inflationsausgleich. Da wir in Deutschland sogar unter einer CDU-Regierung nichts dergleichen gesehen haben, eralube ich mir, die CDU ebenfalls als "links" einzustufen.

Wie ich schrieb, taten das die traditionellen, sich als 'links' bezeichnenden Parteien nicht. Aber ich bin der Meinung, dass starres 'Links-Rechts-Denken' ohnehin ein überkommenes Relikt aus alter Zeit ist. Es geht darum, Lösungen für ganz konkrete Probleme zu finden - das heißt, man kann durchaus in bestimmten Bereichen Ansichten vertreten, die traditionell als 'links' galten (z. B. sich für die Rechte von Minderheiten wie Homosexuellen oder für Umweltschutz einzusetzen), in anderen Bereichen dafür Standpunkte, die als liberal angesehen werden (z. B. in der Steuergesetzgebung). Genau das tun die von mir oben genannten moderneren, neuen 'linken' Parteien. Ob sie dann noch als 'links' bezeichnet werden sollten, weiß ich nicht, aber das ist mir auch nicht so wichtig, da es mir um Inhalte und nicht um Bezeichnungen geht.

Wie ist das eigentlich in Kanada mit Trudeau? "ZEIT ONLINE" bezeichnet ihn als "jung, links, liberal" ... interessanter Mann. :)

Zu Justin erschien hier auf Steemit mal einen Artikel von @pollux.one mit dem Titel "Ist Sozialismus vererbbar ?" oder so ähnlich,
denn es gab Gerüchte, er sei der uneheliche Sohn von Fidel Castro. Meine Lesart zu Trudeau ist - wie du dir vielleicht denken kannst - eine andere.

Ich bin voll bei dir, dass wir uns nicht zu sehr mit Etikettierungen wie "links" und "liberal" ausbremsen lassen sollten, aber leider werden diese Vokabeln im öffentlichen Diskurs weiterhin als Propagandamittel erfolgreich eingesetzt.

Links = mitmenschlich, gutherzig, empathisch, sozial
Liberal = tolerant, verständnisvoll
Konservativ = rückständig, altbacken, starr
Rechts = menschenverachtend, gewaltbereit

Dieses medial permantent transportierte Wertungsschema liegt wie Mehltau auf dem Acker der Diskursfähigkeit. In sofern ist es leider doch vonnöten, diese Begrifflichkeiten zu hinterfragen. Es ist doch kein Wunder, dass sich eine neue Partei lieber die gutklingenen Etiketten anhängt und damit einen positiven Bias zu verbreiten versucht. Mir ist das hingegen eher suspekt.

Ich werde mich bemühen, stets jeweils den konkreten Einzelfall zu bewerten, ohne in die von dir genannten Klischees zu verfallen.

Der Fairness halber sollte aber erwähnt werden, dass, je nach dem wer die Etikette verteilt, 'links' durchaus auch nicht immer so gut wegkommt und nicht nur mit positiven Attributen assoziiert wird - man denke an wenig schmeichelhafte Bezeichnungen wie "linksgrünversifft" oder "Gutmenschentum".

In diesem Punkt war das "finstere" Mittelalter mit seinem Zehnt wirklich fortschrittlich.

Sehr interessant! Da sitzen sie nun alle zusammen, die Sklaven, und machen sich Gedanken, wie ihr Herr sie am besten ausbeuten solle. Vielleicht haben ja die Unter-Sklavenhalter aus Unfähigkeit das System nicht ganz optimal ausgebaut. Helfen wir ihnen doch mit ein paar Vorschlägen. - So weit ist es schon gekommen. Erschütternd!

Danke!! Deutsch ist sowieso schwer für, aber Steuerdeutsch :-0 ist ein Alttraum.

Er stammt vom Kevin der Parteien.

Kevin?? Allein zu Haus?

Moin Moin Vereinfachung der Besteuerung klingt großartig! Es war einer der wenigen Momente in meinem Leben in dem ich die CDU sexy fand als Friedrich Merz damals sagte eine Steuererklärung muss auf einem Bierdeckel möglich sein. Ich hab mich schon gesehen aus der hiesigen Kneipe den ein oder anderen Bierdeckel zu schnorren um darauf entspannt meine Steuererklärung niederzuschreiben. Leider nein die CDU hat den Sportskameraden Merz in die Wüste geschickt... Darauf aufbauend ist Steuersenkung oder Vereinfachung auch nicht wirklich konservatives Gedankengut...
will denn wirklich keine Partei an dieses Elend namens Steuer die Axt anlegen ?

Schaue doch nochmal in den Artikel ....

Auszug aus dem Wahlprogramm der AFD wenn ich nicht irre. Und ja du hast Recht die AFD fordert das. Und das ist großartig! Aber das ist nicht alles was sie fordert ... Ich stolpere da mehrfach im Wahlprogramm

Ich hatte mir gleich gedacht, daß das die AfD ist.
Aber gut:
Der frühe Vogel fängt den Wurm.

Glückwunsch @jedigeiss!

Upvote und 1 SBD verdient.
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und ein guter Punkt ist nicht unbedingt entscheidend.

Ich würde mir manchmal gerne aus dem Baukasten system ne Partei zusammenbauen. Und die Steuerpolitik uns auch gerade der Abbau der Bürokratie würde ich mir gerne aus dem Baukasten der AFD nehmen :) ist angekommen danke !

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Sorry for delay
I checked your post just now and I read it by google
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