Wissenschaftliche Grundlagen zum Thema HSP

in #psychology7 years ago

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Am Donnerstag wurde ich als Gastreferent auf eine Informationsveranstaltung zum Thema Highly Sensitive Persons in Wien eingeladen. Diese Treffen sind kostenlos und werden vom Verein „Zart besaitet“ durchgeführt. Nähere Informationen findest du hier:

http://www.zartbesaitet.net/termine/

Was die wenigsten wissen, dass ich bei solchen Auftritten sehr nervös bin.

Aber nicht annähernd so aufgeregt, wie vor 5 Jahren als ich das Buch „Zart besaitet“ in die Finger bekam.

Da standen meine privatesten Geheimnisse drin.

Der tropfende Wasserhahn, der mich in den Wahnsinn treibt, die tickende Uhr, die mir den Schlaf raubt, meine außergewöhnliche Schreckhaftigkeit. Als Kind habe ich zu quietschen begonnen, jedesmal wenn der Ball gegen die Fensterscheibe knallte. Und während die anderen Kinder fröhlich Schneeballschlachten frönten, biss ich mir auf die Zunge, damit niemand meine klappernden Zähne hören konnte.

Ich wußte, dann war es vorbei mit meiner Männlichkeit. Dann würde mich niemand mehr ernst nehmen. Und obwohl ich diese Zustände all die Jahre vor meinem Umfeld verborgen hatte, wußte das Buch davon....

Ich bin ein HSP

Was ist nun ein HSP. Zuerst es ist die Abkürzung für Highly Sensitive Person. Ein Begriff der 1991 von Dr Elaine Aron geprägt wurde.

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Dr. Aron erhielt ihren Master in der York University in Toronto in Klinischer Psychologie. Ihr Doktoratstudium absolvierte sie auf dem Pacifica Graduate Institut für klinischer Tiefenpsychologie, wie auch in dem C. G. Jung Institut in San Francisco.
Neben den Forschungsarbeiten zu den Hochsensiblen, zählen sie und ihr Mann Dr. Arthur Aron zu den führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Erforschung der Psychologie der Liebe und der Beziehungen. Mehr Infos unter ihrer Seite:
http://hsperson.com

Grundlagen der Hochsensibilität:

Auf der Basis von Forschungsarbeiten bekannter Wissenschaftler stellt sie die Theorie auf, dass zwanzig Prozent der Bevölkerung mehr Reize aufnehmen als der Rest der Bevölkerung. Und diese unterschiedliche Wahrnehmung zu einer differenzierten Persönlichkeit führt.

Viele Wissenschaftler wie Iwan Pawlow, Carl Gustav Jung, Alice Miller und viele andere haben auf dem Gebiet der Hochsensibilität geforscht und publiziert. In dem folgenden Teil werden die Ergebnisse dieser Arbeiten zusammengefasst.

Grundsätzlich versteht man unter Sensibilität die “Fähigkeit des Organismus, Reize durch Empfangs- und Sinnesorgane wahrzunehmen und zu verarbeiten.” (Isis, 1996, S759)

Einige Menschen werden schneller durch einen höheren sensorischen Input überstimuliert. Dadurch kommt es zu einer regelrelrechten Reizüberflutung (vgl. Evers 2008, S.189)

Der Begriff der Hochsensibilität kommt in den Forschungsergebnissen nicht sehr oft vor. Viel öfters gibt es Verweise auf den Begriff der “Introversion”.

Nach Carl Gustav Jung sind das jene Personen, die ihre Aufmerksamkeit nach innen richten. Lange Zeit wurden die Begriffe HSP und Introversion gleichgestellt und erst die Arbeit von Dr. Aron hat dazu beigetragen diese Mißverständnis zu klären. (vgl. Parlow, 2003, S.50)

Carl Gustav Jung

(* 26. Juli 1875 in Kesswil, Schweiz; † 6. Juni 1961 in Küsnacht/Kanton Zürich)

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Der Sohn eines Schweizer Pfarrers und Schüler von Sigmund Freuds definierte den introvertierten Menschen als “am Subjekt interessiert”, im Gegensatz dazu der extrovertierte Menschen als “am Objekt interessiert”.
Damit versucht er zu erklären, dass der introvertierte Persönlichkeitstypus an den inneren Zuständen interessiert ist, sei es die eigenen oder die der anderen.

Oder anders ausgedrückt, während der Extrovertierte am Objekt selbst interessiert ist, geht es dem Introvertierten primär um die mit dem Objekt verknüpften Bedeutungen- Woher kommt es, woraus ist es hergestellt, welchen Sinn hat, wie es ihm geht, wie es mit anderen Objekten in Beziehung steht,… und so weiter.

Laut Jung sind Objekte für den Introvertierten eine private und keine öffentliche Sache. Mit öffentlich meint Jung nicht den öffentlichen Raum in gesellschaftlichen Sinne sondern jede Person, die neben dem Objekt noch involviert ist.

Als Konsequenz dieser Erkenntnis, geht C.G. Jung davon aus, dass Introvertierte am liebsten in einem selbstkontrollierten Umfeld leben, in dem sie das Maß an sensorischen Inputs selbst kontrollieren können.

Sie neigen sehr leicht zu einer sensorischen Überlastung. (vgl. Parlow, 2003, S.51)

Eine konsequente Weiterführung dieses Gedanken bedeutet, dass introvertierte Jugendliche in jeder Disco oder Bar ebenfalls überstimuliert werden. Alkohol und andere Suchtmittel führen zu einer Abschottung nach Aussen und einer Erhöhung des Selbstwertes.

Ivan Pawlow

(26. September 1849 in Rjasan; † 27. Februar 1936 in Leningrad)

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Ein russischer Physiologe, der 1904 den Nobelpreis erhielt für die Entdeckung des bedingten Reflexes.

Auf der Suche nach einer möglichen objektiven Messbarkeit der Sensibilität von Menschen, entdeckte er einen markanten Punkt an dem Menschen Lautstärke nicht mehr aushielten.

Er setzte seine Versuchspersonen einen steigenden Lärmpegel aus und beobachtete wann sie “dicht machten” diesen Punkt nannte er “transmarginale Hemmung”.

Entgegen den Willen der TeilnehmerInnen pressen sie ab einer gewissen Lautstärke die Hände gegen die Ohren, gehen in Kauerstellung und werden sogar bewußtlos.

Die Versuchspersonen hielten unterschiedliche Belastungen aus aber etwas an der Studie war verblüffend. 20% der Teilnehmer erreichten ihre transmaginale Hemmung sehr schnell dann gab es einen Abstande und dann kamen die restlichen 80%. Da es keinen fließenden Übergang zwischen diesen zwei Gruppen gab betrachtete er die Hochsensiblen als eigenen Menschenschlag. Seiner Meinung war diese Veranlangung genetisch festgelegt. (vgl. Parlow, 2003, S.53)

Jerome Kagan

(* 25. Februar 1929 in Newark, New Jersey)

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Die Forschungsergebnisse Jerome Kagans (geboren 1929) unterstützten Ian Pawlos Theorie. Kagan gehört zu den Pionieren der Entwicklungspsychologie und er führte seine Untersuchungen an Säuglingen durch. Dabei untersuchte er deren Reaktionen auf unterschiedliche Reize. Und wiederum gab e seine Gruppe von 20%, die starker reagierte als der Rest. Diese sensiblen Neugeborenen bezeichnete er als gehemmt, weil sie sich in den Folgejahren zu weitaus vorsichtigeren und introvertierteren Kindern entwickelten.

Darüberhinaus entdeckte Kagan, dass seine gehemmten Säuglinge Stress körperlich anders verarbeiten. Sie wiesen eine höhere Herzfrequenz auf, ihre Pupillen weiteten sich früher und ihre Stimmbänder spannten sich eher.

Auch bei Untersuchungen der Körperflüssigkeiten zeigten sich große Unterschiede zwischen den zwei Gruppen. Bei den hochsensiblen Babys wurde eine hohe Konzentration eines Neurotransmitters namens Noradrenalin festgestellt.

Neurotransmitter sind biochemische Botenstoffe, die Reizleitung von Nervenbahnen im Gehirn beeinflußen. Noradrenalin optimiert diese und sorgt dafür, dass wir uns in einem Wachzustand befinden. So gesehen sind die introvertierten Neugeborenen geistig ununterbrochen in Bereitschaft. Neben den Neurotransmitter konnte auch ein erhöhter Wert des Stresshormons Cortisol festgestellt werden. Und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine ruhige oder aufgeregte Situation handelt. (vgl. Parlow, 2003, S.54)

Tierreich

Untersuchungen bei über 100 verschiedenen Tierarten haben ebenfalls ergeben, dass es für die Population von Vorteil ist, wenn ein kleiner Anteil mit einer erhöhten Aufmerksamkeit ausgestattet ist. Die Forschungsergebnisse überschneiden sich mit denen von Pawlow und Kagan.

Kulturrelle Bedeutung von Hochsensibilität

Abhängig von dem Kulturkreis in dem man augewachsen ist, wird Sensibilität als etwas positives oder abwertendes gesehen. Im Asiatischen Raum wird Zurückhaltung als erstrebenswerte Eigenschaft angesehen. Zurückhaltende Schüler gelten als beliebt.
Im angloamerikanischen und europäischen Raum sind schüchterne Kinder oft als Aussenseiter verschrien und werden von der Gruppe gemieden. Erfolgreiche Menschen sind in unseren Breitengraden extrovertiert und drängen sich ins Rampenlicht.

Weiterführende Links:

Bücher:

Parlow, G. (2003). Zart besaitet. Selbstverständnis, Selbstachtung und Selbsthilfe für hochsensible Menschen. Wien: Festland, 2. überarbeitete Aufl.

Elaine N. Aron (2012). The Highly Sensitive Person. How to thrive when the world overhelms you. New York: Broadway Books

Online:

http://hsperson.com
http://www.zartbesaitet.net
http://www.hochsensibilitaet.ch

Termine in Ö:

http://www.zartbesaitet.net/termine/

Falls du selber wissen möchtest, ob du ein HSP bist oder nicht, hab ich hier noch einen link zu einem Selbsttest:
http://www.zartbesaitet.net/survey/site.php?a=su_onepage&su_id=1

Wie sind deine Erfahrungen mit Hochsensibilität?
Erkennst du dich wieder?

Alles Liebe
Chris

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Ein großartiger Artikel, es ist klar beschrieben, worum es im Grunde geht. Und ich habe mich ganz klar wiedererkannt. Die Frage, die sich mir jetzt gerade stellt, ist: Was habe ich davon, dass ich von der Evolution dafür auserkoren wurde, dass ich die anderen der Sippe rechtzeitig warnen soll, falls irgendwas ist.

Wie erkläre ich meinem Körper, dass er leider in ständiger Alarmbereitschaft leben muss, ganz nebenbei mit einem lebenslang erhöhten Cortisol-Spiegel, sprich Dauerstress?

Ich habe mich mit dem Thema noch nicht beschäftigt weil mir sowieso klar war, dass ich zu diesen 20 Prozent gehöre, ich wusste aber nicht, dass es so viele andere gibt. Jetzt werde ich mich sicher intensiver mit dem Thema beschäftigen, auch weil mir gerade ein möglicher Zusammenhang klar wurde, zwischen den 20 Prozent der Menschen, die wissen wollen, was wirklich abgeht in der Welt, während die anderen mit Bier und TV zufrieden sind.

Natürlich bin ich andererseits froh, darüber, dass ich nicht zu den "Dumpfbacken" gehöre, auch wenn´s stressig ist.

Spannend!

In dem Thema geht es besonders stark um Abgrenzung und Wahrung der eigenen Grenzen auf der einen Seite und auf der anderen Seite auch um die Neubewertung seiner Situation.

Im alten System ist man vunerabel.

Mit HSP hat diese Eigenschaft zum ersten Mal ich eine positiven Beigeschmack erhalten. Man geht auch davon aus, dass die Mehrheit der Nobelpreisträger zu den HSP zählen.

Also wer weiß, was dir noch bevorsteht;-)

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