Lösungsmöglichkeiten | Possibilities for solutions

in Deutsch Unpluggedlast month (edited)

Lösungsmöglichkeiten?


[English below]

Was ist eine Aporie? In dem hier von mir gemeinten Sinn: eine Ausweglosigkeit des Denkens. Diese entsteht dadurch, dass das Denken sich in Widersprüchlichkeiten verstrickt, die in der Sache selbst zu liegen scheinen. Es geht hierbei nicht um das Denken einer bestimmten Person oder Gruppe, sondern um DAS Denken, genauer: um die Vorstellung einer praktischen Vernunft, die bei einer Fragestellung keinen Lösungsweg findet, weil sie sich in einem Labyrinth zu verlaufen scheint.

Praktische Vernunft stellt die hauptsächliche Frage: Was ist zu tun? Von dort aus untersucht sie Bedingungen und Möglichkeiten des Handelns und der moralisch-ethischen Grundlagen des Handelns. Dabei ist sie auf einen zentralen Begriff angewiesen, den die theoretische Vernunft (Hauptfrage: Was ist wissbar?) nicht beweisen, ihr nicht zur Verfügung stellen kann: Freiheit. Die theoretische Vernunft kann aber auch nicht beweisen, dass es keine Freiheit gibt, obwohl sehr viel dafür zu sprechen scheint. Insbesondere die ins schier Unabsehbare verketteten und verflochtenen Gefüge von Ursache und Wirkung.

Eine Aporie der Freiheit lautet demgemäß: Wer kann unter welchen Bedingungen eine Kausalkette initiieren? Wer ist nicht selbst mehr oder weniger oder vielleicht sogar durch und durch abhängig von vorausgehenden Ursachen? Und wenn niemand einen echt neuen Anfang setzen kann - was ist dann Freiheit? Wenn doch alles abhängig ist von den vorausgehenden Ursachen bis zurück zu einem gedachten (aber auch im sogenannten Urknall nicht wirklich gefundenen) Anfang? Ist Freiheit dann ein leeres Wort, ein Traum, eine Illusion, eine gefährliche Idee vielleicht sogar?

Darum gibt es nicht wenige Anhänger der Lehre von der Vorbestimmung, der Prädestination. Denn das scheint logisch daraus zu folgen. Es führt aber in neue gedankliche Widersprüche hinein: Wenn alles vorherbestimmt ist außer dem absolut erstursächlichen Beweger, woher kommt dann das Böse? Eine vorgeschlagene Lösung für dieses Dilemma lautet: Für Gott gibt es das Böse gar nicht. In der Gottheit fallen gut und böse zusammen, unerklärlich, aber wahr. In der Gottheit fallen nach dieser Ansicht überhaupt alle Gegensätze zusammen. Diese Lösung hat etwas Bestechendes, aber nicht an der Oberfläche.

Wenn ich Spekulatius über Gottheiten mal bei Seite lasse, dann sieht es für mich so aus, als sei die Unterscheidung zwischen Gut und Böse noch wichtiger, noch drängender für die conditio humana als die Unterscheidung zwischen nützlich und schädlich. Aber diese Unterscheidung macht eine nicht hintergehbare Voraussetzung: dass ich über mein Tun und Lassen entscheiden kann, dass ich nicht wortwörtlich gezwungen bin, etwas zu tun oder etwas zu lassen. Darin besteht sozusagen das Minimum meiner Freiheit, und ohne diese Voraussetzung gäbe es keine Verantwortung, keine Schuld, folglich auch keinen Bedarf, Gut von Böse zu unterscheiden. So lebt und existiert zwar der größte Teil der bekannten Galaxis, und nur auf einem kleinen, unbedeutenden Planeten in einem vergessenen Seitenarm dieser Galaxis tummeln sich ein paar Hirnträger, die das anders sehen möchten. Aber vielleicht ist das ihre Auszeichnung innerhalb der „Natur“?

Unter diesen Hirnträgern gibt es indes auch solche, die sagen: Papperlapapp! Nur Gott gehorchen macht frei, sonst nichts, denn wer auf Gott hört, und nur der/die/das, tut das Gute. Das Böse ist der Eigensinn, der Ungehorsam, der Zweifel an Gottes Gebot. Schaut doch auf den Verlauf im biblischen Paradies, sagen sie, wie der Ungehorsam von Adam und Eva oder von Eva und Adam die Sünde, den Abfall von Gott, in die Welt gebracht haben, die zuvor durch und durch gut war, wie es in der biblischen Schöpfungsgeschichte aufgeschrieben ist.

Aber auch sie setzen voraus: Das darin vorgestellte Ur-Paar der Menschheit, Adam und Eva, seien nicht gezwungen gewesen, eine autoritative Regel zu brechen. Eva hätte anders handeln können, Adam hätte anders handeln können, sie waren frei in ihrer Entscheidung, das Gebotene zu tun bzw. das Verbotene zu lassen. (Nebenbei bemerkt teile ich nicht die Meinung eines gewissen Paulus, der Abfall von Gott sei durch Eva in die Welt gekommen. Der wahre Bösewicht in dieser durchaus tiefsinnigen Geschichte ist eindeutig Adam, der die List erfand, eine Schuld, eine Missetat, einen Ungehorsam auf wen anders abzuwälzen, und der dabei sogar noch auf die Dreistigkeit verfiel, die letzte Schuld Gott selbst zuzuweisen. Krasser Typ! Aber laut Mythos ebenfalls von Gott gemacht – offensichtlich auch eine Aporie… Klammer zu!)

Was Freiheit sein soll, ist als Entscheidungsfreiheit benannt und so ziemlich jedem bekannt, aber damit keineswegs erwiesen oder verstanden. Sie sei „die Einsicht in die Notwendigkeit“, hat ein als bedeutend geltender Denker mal geschrieben. Diese Formulierung ist eine der gefährlichsten überhaupt, denn dann kann ich ja mit angeblicher Notwendigkeit jedwede Freiheit beschneiden und eigene Verantwortlichkeit mal kurz aushebeln. (Das sage ich natürlich nur rein theoretisch, es kam noch nie vor.)

Wie frei bin ich, an dieser Stelle aufzuhören?

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photo: ty-ty (presumably)


Possibilities for solutions?

What is an aporia? In the sense I mean here: a deadlock in thinking. This arises because thinking becomes entangled in contradictions that seem to lie in the matter itself. This is not about the thinking of a particular person or group, but about THE thinking, more precisely: about the idea of a practical reason that cannot find a solution to a question because it seems to be lost in a labyrinth.

Practical reason asks the main question: What is to be done? From there, it analyses the conditions and possibilities of action and the moral and ethical foundations of action. In doing so, it relies on a central concept that theoretical reason (main question: What is knowable?) cannot prove, cannot make available to it: Freedom. However, theoretical reason cannot prove that there is no freedom either, although there seems to be a lot in favour of this. In particular, the almost incalculably interlinked and interwoven structures of cause and effect.

Accordingly, an aporia of freedom is: Who can initiate a causal chain and under what conditions? Who is not himself more or less or perhaps even thoroughly dependent on preceding causes? And if nobody can make a genuinely new beginning - what is freedom then? If everything is dependent on the preceding causes right back to an imagined (but not actually found in the so-called Big Bang) beginning? Is freedom then an empty word, a dream, an illusion, perhaps even a dangerous idea?

This is why there are quite a few supporters of the doctrine of predestination. Because it seems to follow logically from this. However, it leads to new intellectual contradictions: if everything is predetermined except for the absolute prime mover, where does evil come from? One proposed solution to this dilemma is: for God, evil does not exist. In the divinity, good and evil coincide, inexplicable but true. According to this view, all opposites coincide in the divinity. There is something captivating about this solution, but not on the surface.
If I leave speculation about deities to one side, then it seems to me that the distinction between good and evil is even more important, even more pressing for the human condition than the distinction between useful and harmful. But this distinction makes an unavoidable assumption: that I can decide what to do and what not to do, that I am not literally forced to do something or not to do something. This is the minimum of my freedom, so to speak, and without this prerequisite there would be no responsibility, no guilt, and consequently no need to distinguish good from evil. This is how most of the known galaxy lives and exists, and only on a small, insignificant planet in a forgotten branch of this galaxy are there a few brain bearers who would like to see things differently. But perhaps that is their distinction within ‘nature’?

Among these brain bearers, however, there are also those who say: ‘Fiddlesticks! Only obeying God makes you free, nothing else, because whoever listens to God, and only he/she/it, does what is good. Evil is selfishness, disobedience, doubting God's commandment. Look at the course of events in the biblical paradise,‘ they say, ‘how the disobedience of Adam and Eve or Eve and Adam brought sin, rebellion against God, into the world, which was previously good through and through, as recorded in the biblical creation story.‘

But they also presuppose that the original couple of humanity, Adam and Eve, were not forced to break an authoritative rule. Eve could have acted differently, Adam could have acted differently, they were free in their decision to do what was commanded or not to do what was forbidden. (By the way, I do not share the opinion of a certain Paul that rebellion against God came into the world through Eve. The real villain in this quite profound story is clearly Adam, who invented the trick of shifting a guilt, a misdeed, a disobedience onto someone else, and who even had the nerve to assign the ultimate guilt to God himself. What a bloke! But according to myth, also made by God - obviously also an aporia... parenthesis closed!)

What freedom is supposed to be is called freedom of choice and is known to pretty much everyone, but is by no means proven or understood. It is ‘the realisation of necessity’, as an eminent thinker once wrote. This formulation is one of the most dangerous of all, because then I can use alleged necessity to curtail any freedom and briefly override my own responsibility. (Of course, I am only saying this in theory, it has never happened).

How free am I to stop at this point?

Translated with DeepL.com (free version)


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 last month 

Ich schätze, ich muß Dich viel öfter alleine lassen ;-)))

Frage: wenn wir die Sache mit der Einsicht in die Notwendigkeit als Freiheitsdefinition verneinen, wie sieht es dann mit dem Gegenteil aus...? Also - notwendig wäre XYZ, aber man entscheidet sich bewußt dagegen. Sagen wir, eine medizinische Behandlung, zum Beispiel: Freiheit?

 last month 

Als "Uneinsichtigkeit in die Notwendigkeit" gewinnen wir nicht eine mögliche Definition der Freiheit, sondern der Dummheit.

Scherz bei Seite.
Der Begriff der "Notwendigkeit" ist in der Philosophie ein anderer als in der Alltagssprache. Im Alltag wird nicht unterschieden zwischen "nötig", "dringlich", "wichtig", "notwendig" oder auch "unbedingt".
Das und das sei "unbedingt" zu tun, diese oder jene Reparatur "notwendig".

Davon war Hegel weit entfernt mit seiner Definition der Freiheit, denn bei ihm steht hinter Notwendigkeit ein Gar-nicht-anders-können. Notwendig ist, wozu es keine Alternative gibt, und zwar nicht, weil irgendwer behauptet, es gäbe keine, sondern weil es keine gibt, soweit das praktische Wissen reicht oder soweit die Logik reicht. Es wird dabei nicht immer eine Not gewendet, sondern Verkettungen von Bedingungen erfasst: Wenn ich auf die Straße treten will, muss ich das Haus verlassen. Das Haus zu verlassen, ist notwendig, um auf die Straße treten zu können. Sobald ich das einsehe, sagt Hegel, gewinne ich meine Freiheit zurück, obwohl ich Bedingungen unterworfen bin. Wie ich dann handele - ob ich lieber drin bleibe oder wirklich heraus trete -, bleibt so oder so meine freie Entscheidung, aber ich muss mich nicht gezwungen sehen, das Haus zu verlassen, nur weil ich auf die Straße treten will, sondern ich kann einsehen, dass als Teil meiner freien Entscheidung, auf die Straße zu treten, bestimmte praktische Bedingungen dabei von mir erfüllt werden müssen, die ihrerseits nicht der Gegenstand sind meiner Entscheidung, sondern als eine Art Nebenwirkung meiner Entscheidung auftreten.

 last month 

Schon immer wieder luschdig , wie die Vielsovielvieh !sich auf die Religion zurückverfestigt ?
Wo doch die zitierte GesChiChte nur die Basis des Sklavizismus bildet und somit Freiheit ausschließlich in den von Dir auch "erkannten" sklavizistischen Grenzen stattfindet , so wie auch die Dingsozofie .
Wenn statt der "Sünde" der Wille stünde , höhö , und nicht auch noch die Prägung , denn !es ist allein der Prägung zuzuschreiben , dass die MensChChen nicht mehr auf Besen ´Rumfliegerieren können .
Oder so .

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CONGRATULATIONS!!
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