Ein zynisches Plädoyer für ein neues Pessimum!
Absolut niemand hat ernsthaft behauptet, dass diese Welt ein Pony-Hof ist. Egal wie man es dreht und wendet, das Leben ist nicht fair. Immer wieder gibt es Situationen, die gemein und ungerecht sind – trotzdem bleibt einem nichts übrig als sich diesem zu ergeben und es mit Würde zu ertragen.
Gerade hier bei Steem kommt es immer wieder vor, dass man einen Beitrag liest, der das obige in Frage stellt. Manchmal indirekt und eher passiv, manchmal auch ganz offensiv als Appell sich nicht mit Negativem zu befassen. Während ich üblicherweise aus Schlachten des Glaubens versuche heraushalte und der Meinung bin, dass jede sich halt eine eigene Meinung bilden sollte, muss ich dazu nun doch einmal meinen Senf dazu geben.
Denn beim Lesen von einigen Texten bekennender Optimisten kommt mir manchmal wirklich ein wenig die Galle hoch. Bevor wir uns also nun vollends dem eigentlichen Thema widmen, muss ich ein kleines Outing machen, dass gleichzeitig ein Lippenbekanntnis gegen die vorherrschende Meinung in dieser Welt zu sein scheint: „Ich bin ein Pessimist!“.
Ein solches Bekenntnis ist dann normalerweise der Scheideweg in einer Diskussion. Manch einer wendet sich direkt angewidert ab, andere stoßen einen stillen Schrei der Entrüstung aus und setzen kurz danach den bemitleidensvollsten Blick auf, den ihre Gesichtsmaskerade anzubieten hat. „Ein Pessimist? Hier mitten unter uns?“ Das hätte man nicht für möglich gehalten, doch nicht hier in dieser wundervollen Welt!
Zunächst einmal geht dies oft mit einem allgemeinen Missverständnis einher. Ein Pessimist ist keinerswegs ein Depressiver, der seiner Lethargie verfallen ist und sich in einem letzten Todeskampf in der Welt zerwindet. Er ist auch nicht suzidal und steht unmittelbar davor sich von der nächsten geeigneten Brücke zu stürzen – ja, nicht einmal dann, wenn er auch noch dem Nihilismus einheim gefallen ist. Es drückt eben nicht eine Gemütslage, sondern eben eine Geisteshaltung aus. Und noch weniger ist es Form einer Behinderung, die wie ein Virus zu einem herüber springt, wenn man einem Pessimisten nur kurz die Hand reicht.
Aber glaubt man so manchen Optimisten beschleicht einem der Eindruck, dass ein Pessimist ein absoluter Aussäßiger sei. Man wird überhäuft von Warnungen davor, dass man sich nicht mit Pessimisten abgeben sollte. Sie würden einen ständig nur behindern, herunterziehen und frustrieren. Aha, nehmen wir dies mal als Indiz in die Anklage mit herein! In jedem Fall ist hingänglich bekannt, dass ein Pessimist ständig alles und über jeden schlecht redet und alles nur erdenkliche versucht kaputt zu machen. Doch bereits bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass dies meist nicht für materielle Dinge in dieser Welt gilt, sondern eben eher für Ideen und Emotionen. Oder hat jemand schon von vandalierenden Pessimistenhorden gehört?
Ein Pessimist kann durchaus gute Laune haben, Pläne für sein Leben schmieden und sogar versuchen anderen Menschen Hoffnung zu machen. Dies ist sogar dann möglich, wenn er selbst gar nicht daran glaubt. Aber das wäre ja Heuchlerei?! Eigentlich eben nur dann, wenn man Optimist wäre und nicht wirklich daran glaubt. Es heißt nur, dass man keine Erwartung hat. Und somit kann auch ein Pessimist durchaus so etwas wie Trost spenden und versuchen jemanden aufzumuntern. Man redet eben nur nichts schön, sondern zeigt primär jemanden: „Ich bin da für Dich!“ Und ja, dies kann mitunter auch in einer aussichtslosen Situation der Fall sein.
Bereits der Philosoph Schopenhauer erkannte einen Grundsatz im Buddhismus mit dem ich mich in meiner pessimistischen Grundhaltung wiederfinde. Denkt man an diese Religion und wird gefragt, was einem zuerst einfällt, kommt einem meistenes die „Wiedergeburt“ in den Sinn. Grundzüge darüber hinaus sind meist aber nicht sonderlich bekannt. Insbesondere eben der Kampf des Buddhisten mit dem „Samsara“ (beständiges Wandern). Den während uns in der christlichen Kultur eine „Wiedergeburt“ oder „Auferstehung“ als etwas positives erscheint, ist dies für den Buddhisten ein ewiger schier unendlicher Quell aus Leid. Den Leben bedeutet Leiden.
Das ist gerade für die Optimisten meist eine sehr verstöhrende Erkenntnis, da es ja so viele Dinge gibt für die es sich zu Leben lohnt. Das stimmt ja auch. Es ändert aber nichts daran, dass unser Leben (ob mit Wiedergeburt oder nicht, spielt gar keine Rolle!), eben eine einzige Kaskade an leidvollen Erfahrungen ist und alles was in irgend einer Form Glück ist, dazu verdammt ist wieder zu vergehen. So grausam wie es sich vielleicht zunächst anhören mag ... wenn ihr einen Partner findet, der wundervoll zu Euch passt, sollte man stets in Erinnerung behalten, dass auch dieser auf Dauer altern, erkranken und irgendwann sterben wird. Dann kann sich all die Freude schnell in tiefe Trauer und ein Gefühl der Entwurzelung umschlagen.
„Leben bedeutet Leid!“ ist eine Aussage, die wir nicht gerne hören und uns auch nicht damit beschäftigen wollen. Den jedes Befassen damit, erinnert uns nur an unsere eigene Vergänglichkeit. Und doch ist es eine absolute Wahrheit, die nichtmal ein Soziopath ersthaft in Frage stellen wird ohne sich selbst dabei zu Verleugnen. Der Optimist findet es nun deprimierend sich mit so einer Wahrheit zu befassen und würde versuchen auf die positiven Aspekte des Lebens zu konzentieren.
Als Pessimist habe ich diese Einstellung als Grundhaltung in meinem Leben. Ich glaube nicht daran, dass irgend etwas in dieser Welt sich von alleine zum guten Wenden wird. Ich glaube nicht daran, dass man Dinge nur lang genug ignorieren muss, damit sie verschwinden. Ich glaube nicht daran, dass es einen Wert hat in etwas Hoffnung zu stecken, da es nur die Chance erhöht an etwas zu scheitern und daran zu zerbrechen. Und noch viel weniger glaube ich an „Glück“ und noch weniger daran, dass dies frei auf der Straße herum liegt und man nur auf die Knie fallen muss, um es zu bergen.
Und noch viel weniger glaube ich daran, dass eine negative Sache dadurch positiv wird, wenn man sie nur verleugnet und sich lang genug einredet, dass dies doch gar nicht so schlimm ist. Doch es gibt Dinge die wirklich schlimm sind. Und kommt ein Depressiver zu mir, sage ich ihm nicht, dass alles gute wird und er nur einmal wieder so richtig Party machen muss. Ich sage ihm, dass er eine ganze beschissene Krankheit hat und ein nicht einfacher Weg vor ihm liegt und ich ihm bereit bin dabei zu helfen.
Der Optimist ist der Wunderheiler, der versucht durch das Auflegen der Hand und ein paar flotten Sprüchen den Patienten wieder flott zu machen. Der Pessimist ist jener, der das Beil nimmt und sagt: Der Fuss sieht scheiße aus, der muss weg! Das mag man nicht toll finden, ist langfristig aber vermutlich der bessere Rat.
Denn Pessimismus ist eben nicht, dass man Dinge in dieser Welt schlecht redet. Sondern das man keine Erwartung an diese hegt und nicht den Kopf in den Sand steckt in dem man die Realität verleugnet oder ignoriert. Sondern eben darin sich mit all seiner Kraft dafür einzusetzen, dass sich Dinge wirklich zu etwas besserem Entwicklen können. Doch wie will man etwas konstruktives leisten, wenn man gar nicht bereit ist, sich näher damit zu befassen?
Machen wir mal ein einfaches Experiment. Du bist 20 Jahre alt und ein guter Freund ist jüngst weit weg gezogen. Eigentlich sieht man sich nicht mehr oft. Vielleicht 1x im Jahr, weil irgend jemand gerade einmal in der Gegend ist oder man einen Geburtstag feiert. Manches mal fällt dabei noch aus, weil man krank ist oder es irgendwelche anderen Kollisionen bei einem Termin gibt. Vielleicht sieht man sich so im besten Fall noch 40x, bevor eine Seite sterben wird. Geht man dies für sich durch und schaut vielleicht schon auf sein fortgeschrittenes Alter, wird dies eine sehr unbequeme Wahrheit sein, die sich nicht gut anfühlt!
„Lass es bleiben!“ würde der Optimist sagen, vielleicht sieht man sich ja häufiger! Es wird schon etwas passieren, dass man sich öfters sieht! Als Pessimist jedoch sage ich klar, dass ich nicht daran glaube. Sondern das man versuchen muss aus den wenigen Treffen das Maximum zu erzielen. Vielleicht eben nicht die ganze Zeit mit belanglosen Smalltalk über das eigene Leben und die Arbeit verbringen - über Dinge reden mit denen wir uns eigentlich sowieso gar nicht befassen wollen. Sondern eben wirklich die Zeit mit etwas gehaltvollen Verbringen, dass einen wirklich zeigt, dass man aneinander wertschätzt. Wenn wir schon nichts daran ändern können wie das Leben ist, dann sollten wir stets das Beste daraus machen. Moment? Ist das nicht das Argument der Optimisten?
Die Woche mit all ihrer Anstrengung darf vielleicht nicht nur die Brücke zum Wochenende sein, sondern muss auch irgendwie sinnvoll genutzt werden. Und ja, auch jede Beziehung erhält sich nicht von alleine, trotz aller Schwüre sich Ewig die Treue zu halten, sondern ist eben auch immer ein Stück Arbeit. Jeder in einer, wird dies sicherlich mit gequältem Lächeln bestätigen können.
Aber erst dann, wenn man so etwas nicht nur ständig verdrängt, weil es einen vermeintlich „belastet“, kann man Beginnen es vernünftig zu gestalten. Und wenn diese Welt wirklich einen inneren Geist der Entrophie innewohnt, der alles in ihr verdammt irgendwann ins Chaos zu stürzen, so sollte dies eine Motivation sein sich an jedem Tag diesem entgegen zu stellen und sie neu zu ordnen – und nicht es zu verleugnen!
Ich bin es wirklich Leid ständig von Optimisten zu lesen, die wieder einmal behaupten, dass man sich nicht mit Pessimisten befassen sollte, weil diese einen nur herunter ziehen. Nein, ihr macht es Euch zu leicht! Den der Pessimist ist jemand, der bereit ist die Welt konstruktiv zu gestalten, da er eben nicht daran glaubt, dass man Dinge einfach nur positiv sehen muss – egal wie elend sie auch sind.
„Der Optimist glaubt, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben. Der Pessimist befürchtet, dass der Optimist damit Recht hat.“ - James Branch Cabell
Eigentlich fasst dies die Grundhaltung recht gut zusammen, wenn auch zugegeben auf sehr sarkastische Art und Weise.
Und solltest Du Dich (wie die meisten Menschen) zu den Optimisten zählen. Dann hoffe ich, dass ich Dich ein wenig mit diesem Text zum Nachdenken gebracht habe und wenigstens aufzeigen konnte, dass ein Pessimist keineswegs ein Depressiver mit einer ansteckenden Krankheit ist. Und erst recht niemand ist, der sich vor Verantwortung drückt und sich ständig verkriecht. Ein Pessimist ist jemand, der glaubt, dass diese Welt schlecht ist und das sie auch schlecht bleiben wird, wenn man nicht verdammt viel Energie rein steckt um dies zu ändern... und es selbst wenn es nur ein temporärer Effekt bedeuten würde ;)
Habt ihr Euch schon einmal gefragt, wieso es soviele „Optimisten“-Ratgeber gibt, aber keinen der einem lehrt pessimistisch zu denken? Weil es einfacher ist in unserer Gesellschaft jemanden als „Schwarzseher“ und „Jammerer“ zu deklarieren als eben Probleme zu erkennen und zu lösen. Den das Boshafte an der Unstellung ist, dass aus einer Geisteshaltung eine Handlungshaltung erwächst. Denn was jeder dieser optimistischen Missionare im Herzen ganz genau weiß ist, dass der
"Pessimismus der Schatten ist, den der Optimismus werfen muss, um überhaupt ernst genommen zu werden." - Frank Schätzing
Wenn Du also mal wieder ins zweifeln kommst, wieso Dinge nicht so funktionieren wie sie es sollten, dann schnapp Dir doch mal einen Pessimisten und frage ihn danach, was er denkt. Vielleicht erwächst Dir daraus ja eine neue Perspektive. In einem kannst Du Dir aber gewiss sein: Wenn er nicht mehr weiter weiß, wird er es Dir sagen. Das willst Du dann vielleicht nicht hören wollen, aber auf lange Sicht ist es vielleicht doch heilsamer...
Und wenn Du nun ein wenig demotiviert bist und glaubst, dass Pessimisten nur dazu taugen Dir deine Stimmung zu ruinieren, dann wende doch mal etwas von dem hier gesagt an. Greif zum Hörer und Ruf einen Dir wertvollen Menschen an um ihn mal wieder einzuladen. Sage nicht, dass Du dies einfach nur so tust oder erfinde etwas fadenscheiniges. Sage die Wahrheit: „Das man sich mal wieder sehen sollte, weil die Zeit ansonsten so schnell vorrüber geht und man die Person wertschätzt.“
Und geht hinaus in die Welt und tut etwas gutes, ordnet das Chaos darin, um der in allen innewohnenden Entrophie für einen Moment ein Schnippchen zu schlagen und helft jenen, die sich scheinbar blind durch ihr bewegen. Aber habt danach keine Erwartung daran, dass sich irgend etwas verbessern würde oder Euch etwas gutes widerfahren wird. Das ist Mupitz und wird nur zur Enttäuschung führen. Tut es für Euch und weil Ihr es für richtig haltet.
In diesem Sinne: "Optimisten haben gar keine Ahnung von den freudigen Überraschungen, die Pessimisten ständig erleben." - Peter Bamm
Keineswegs habe ich ich beim Schreiben dieses Textes die Erwartung gehabt dich zu amüsieren oder gar nachdenklich zu stimmen. Wenngleich es durchaus meine Intention beim Schreiben war. Ich wollte lediglich einmal aufzeigen, wie schnell gerade Optimisten in die esoterische Ecke abdriften und beginnen sich nur noch gegenseitig auf die Schulter zu klopfen.
Also hört auf Pessimisten schlecht zu reden. Wir sind auch nur Menschen, die eine andere Strategie in ihrem Leben zu ihrem Glück wählen. Wir sind jene die stets das Scheitern mit einkalkulieren und daher oft einen Plan B auch in aussichtslosen Situationen haben. Ja, wir sind jene, die ständig irgendwo im Augen noch ein Netzwerkkabel oder eine Steckdosenleiste haben, weil wir bereits wussten, dass irgend jemand es vergessen würde. Und auch jene Nichtraucher, die trotzdem ein Feuerzeug mit dabei haben... ;)
Schließt Du uns aus deinem Leben aus, wird dir vielleicht irgendwann in einer sehr dunkel Stunde ein sehr guter Freund fehlen, der Dir nicht ins Gesicht lügt, sondern Dir die Wahrheit sagt. Weil er den Mut hat dies auch dann zu tun, wenn es weh tut. Doch manchmal ist gerade die Wahrheit zu hören etwas, dass unglaublich befreiend und beruhigend sein kann. Also hört auf Pessimisten schlecht zu reden. Das ist nämlich wahrlich kein besonders positives Weltbild mehr, dass Du dann verkörperst. Und es wird auch nicht besser dadurch, dass Du dies mit einem Lächeln tust!
Und nein, der Text ist bewusst bissig und offensiv verfasst. Ich habe absolut nichts gegen Optimisten und einige meiner besten Freunde sind welche. Nur selten schleiche ich des Nachts um die Häuser, um mir einen von Euch zu reißen. Buh! :D
Für mich sind Pessimisten auch die wahren Realisten, weil sie die Dinge nicht verklären. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich zu 100 % Pessimist bin, aber ich finde es auf jeden Fall gut, die Dinge so anzunehmen, wie sie sind und darauf aufzubauen.
"Hoping for the best, but expecting the worst."
Also ich bevorzuge einen optimistischen Pessimisten. Hat immer einen Plan B, denkt aber nicht, dass er ihn brauchen wird.
Ansonsten bin ich doch für einen Realisten, der sich grösstenteils aus beiden extremen zusammensetzt.
In einer Person ist das schon ein wenig schizophren ;) Aber ich habe sehr gute Erfahrungen bei der Teamarbeit machen können, wenn man von beiden welche drin hat. Während der Optimist meist der Kreative ist und dafür sorgt, dass man nicht in einem Deadend landet, kümmert sich der Pessimist ums validieren. Wenn dann plötzlich beide es für eine gute Idee halten, dann hat man meist etwas großes am Haken.
Dies ist gerade auch der Grund, wieso ich mich hier gegen die Verteufelung des Pessimismus stelle. Ich glaube aufrichtig daran, dass einem sonst eine ganze Menge an Perspektiven entgeht. Den fast jedem Gedanken wohnt immer auch ein Funken Wahrheit inne.