Was hat Lewis Capaldi mit diesem Ausweis zu tun?
Die Frage wird musikalisch beantwortet:
Lewis Capaldi - Someone You Loved
Man sollte sich nicht nur vom Leben verabschieden.
So lautet zumindest das Motto bezüglich meiner bereits getroffenen Vorbereitungen für den finalen Abgang. Seit mir Ludwig Hirsch verriet, dass ein Sarg keinesfalls über eine Heizung verfügt, ebenso wenig wasserdicht ist und der Besitzer extremst mit Ungeziefer und kalten Füßen zu kämpfen hat, stellte sich mir die Frage, ob sich eine solche Aussicht mit meinen Vorstellungen deckt, die ich mir für das Leben danach sorgfältig zurechtgelegt habe. Nach reiflicher Überlegung gelangte ich zu dem Entschluss, dann doch meinen Start im Jenseits nicht unbedingt mit einer ausgewachsenen Erkältung und zerschundenen, angeknabberten Klamotten zu zelebrieren. Einen einigermaßen vernünftigen Eindruck zu hinterlassen, kann nie schaden, zumal die Auswahl an attraktiven Damen im Jenseits kaum zu überbieten sein scheint. Davon ist zumindest auszugehen. Ich brauche nur wenn die Todesanzeigen in der Wochenendausgabe der FAZ zu durchstöberen.
So schnappte ich mir eine ruhige Minute am Schlafittchen, versprach ihr das Blaue vom Himmel, nur um sie zum Bleiben zu bewegen und begann, nachdem sie sich einverstanden erklärt hatte, mit dem Auszusortieren. Das muss und kann man sich jetzt ungefähr so vorstellen oder es scheint vergleichbar mit dem Öffnen eines Kleiderschranks, um nachzuschauen, was wahrhaftig von dem ganzen Schrott noch gebraucht wird. Nur ging es jetzt nicht um die Zipfelmütze, die Oma Frieda noch gestrickt hatte, sondern um all das, was so üblicherweise in einen Sarg gepackt wird, bevor der Deckel endgültig zugeklappt wird.
Die Entscheidung bei den Füßen anzufangen, kann an logischer Vorgehensweise kaum überboten werden, denn was nutzt die ruhige Minute an meiner Seite, wenn ich mich bereits in den ersten sechs Sekunden von meinem Verstand verabschiede? So fiel der erste Blick auf meine ausgelatschten Adidas Sneakers. Wenn Überflutungen angesagt sind, zieht doch kein Mensch halbhohe Sportschuhe an. Also weg damit. Eindeutig als unnötiger Ballast erkannt und somit von der Liste gestrichen. Gummistiefel würden vielleicht Sinn ergeben, machen sich jedoch bei der Brautschau nicht sonderlich gut. Außerdem hege ich berechtigte Zweifel, ob der Bestatter mir die grünen Dinger überhaupt noch überziehen kann, da ich weiß, wie schwer ich mir (noch lebendig) damit tue. Die Socken könnte man lassen, doch weil die Jeans (die ich erst acht Jahre in meinem Bestand hüte), nach meinem Tod lockerst noch von meinem Cousin oder Nachbarn aufgetragen werden könnte, kann auch auf die Socken verzichtet werden.
Sobald ich meine eleganten, gradlinigen Beine freigelegt hatte, fiel mein Blick auf die vernarbte Haut rund um meine Knie. 1 Kreuzband-, 1 Innenbandriss, Außenmeniskus links fehlt, auf der rechten Seite dagegen nur stark lädiert, aber ansonsten ganz okay. Meiner Einschätzung nach gelten die Teile in dem Zustand auf dem Gebrauchtwarenmarkt nicht unbedingt als Selbstläufer. Aber trennen wollte ich mich auch nicht gleich davon. Erst mal abwarten, was weiter oben noch kommt. Dort angelangt, bedurfte es keiner langen Zeit des Überlegens. Die immer weiße, ohne Wenn und Aber, baumwollene Boxershorts und das, was sie darunter dezent verdeckt und dabei auch noch warmhält, das alles muss mit. In dem Punkt gibt es überhaupt keine Diskussionen, da sich bei mir immer noch hartnäckig die Hoffnung hält, jetzt nicht unbedingt von Janis Joplin dort oben in Empfang genommen zu werden. Singend ja, aber …
Ja, und dann ging es stramm auf das Eingemachte zu. Dabei landeten die Nieren als Erstes auf der Bank der harten Entscheidungen. Da ich jedoch mit den beiden Dingern noch nie irgendwelche Probleme aber auch keine Highlights erlebt habe, kam ich zu dem Entschluss, auf die mit Sicherheit verzichten zu können. Die Leber, die sich direkt danach in den Vordergrund zu drängen versuchte, beäugte ich mit besonders kritischen Blicken. Klar, sie hat mich auf all meinen Touren begleitet, Zugeführtes dabei von Gut und Böse getrennt aber, und das darf ich nicht verheimlichen, die eine oder andere Schwellung hat sie sich bei diesen Aktionen dennoch zugezogen. Ich kam zu dem Entschluss: Gebraucht, jedoch nicht verbraucht. Eine Zeit auf Eis könnte Besserung verheißen. Da ich jedoch Kälte überhaupt nicht vertrage, fiel mir auch diese Entscheidung leicht. Raus damit, wenn es ihr danach besser geht.
Die größten Befürchtungen hatte ich jedoch bei der Lunge, da ich die mir bereits sehr früh im irdischen Leben aus dem Leib gerannt habe, um dann später den Versuch zu starten, sie mit dem Qualm verschiedenster Pflanzen guten Mutes doch noch haltbar zu bekommen. Ob ihr es glaubt oder nicht, die amateurhafte Therapie hat funktioniert. Nur leider sind ein paar wenige Räucherschäden einfach nicht zu übersehen. Außerdem kann ich die Lunge für Husten, Kurzatmigkeit und als Initialzündung für die ausgewachsene Bronchitis verantwortlich machen. Alles Dinge, die kein Mensch wirklich gerne neben dem Bett griffbereit liegen hat. Vorhersehbare Konsequenz: Ausmusterung!
Nun lag es also frei, das Herz, das so liebend gerne den Takt vorgibt. Doch irgendwie schien die Einspritzpumpe in ihrer Aussicht auf die fehlende Nachbarschaft nicht gerade bei bester Laune, was sie durch ein paar heftige Rhythmusstörungen auszudrücken versuchte. Eigentlich bin ich als geduldiger Zeitgenosse hinlänglich bekannt, doch fängt jemand ohne erkennbaren Grund an zu zicken und die beleidigte Leberwurst zu spielen, dann ist es um den Geduldsfaden schlecht bestellt. Nach dem Motto, wer nicht will, der hat gehabt, fiel die Entscheidung einstimmig: Das Herz geht nicht mit auf meine letzte Reise.
Doch dann begann ich meine Entscheidung bezüglich des Herzens noch einmal zu überdenken, da mich weit mehr Erinnerungen als nur Pulsfrequenzen mit diesem sensiblen Muskel verbinden. Hier hervorzuheben der Moment, als mir die Frau erstmals über den Weg lief, die später voller Überzeugung “Ja” sagte. Da bewies sich mein Herz doch als wahrer Wegweiser. Also doch ein ganz gewichtiger Grund den Glücksbringer jemandem zu übergeben, der dieses Glücksgefühl auch noch erleben will.
Automatisch rutsche mein Hals auf die Unterhose, von wo der Kontrollblick auf mein bestes Stück zu jeder Gelegenheit gegeben scheint. Und trotzdem konnte ich mich an dieses Gesamtbildnis von mir nicht so recht gewöhnen. Irgendwie kam ich mir doch arg gestaucht vor. Mit dem Auftritt mag vielleicht ein schmaler Applaus während der Vorstellung des ständig klammen Wanderzirkus erreichbar sein, doch erwartet die Hammer-Frau im Himmelbett eher die gestreckte Version.
Schnell gesellte sich so die Erkenntnis an meine Seite, dass ich in dieser Zusammensetzung noch nicht einmal als skurriler Einzelgänger eine Chance auf ein Erfolgserlebnis haben würde, da mir mit dem Verlust des Mittelteils auch beide Hände abhandengekommen sind.
So erreichte mich in aller letzter Sekunde. denn die ruhige Minute näherte sich ihrem Ende, die Gewissheit, dass in dem was danach folgt, nur die positive Energie ausschlaggebend sein wird, die ich im Laufe meines irdischen Lebens angesammelt habe. Das bedeutet für mich nichts anderes, als dass ich hüllenlos aufsteigen sollte. Auch weil es dann geht schneller und um für die Dame rechtzeitig das Bett aufzuwärmen.
Das auf der Erde dann Verbleibende wird folgendermaßen aufgeteilt:
All meine Klamotten und sonstige unnütze Utensilien vermache ich meiner Cousine Helene, die aus ihrer unfassbar einfältigen Blödheit ein kleines Reich geschaffen hat, in dem sie eine immer stärkere Rolle zu übernehmen versucht.
Meine Organe, von ganz unten bis ganz oben, sollen denen zugutekommen, die diese kleine Geste nicht nur zu schätzen wissen, sondern auch sehnlichst darauf warten.
Anhang:
Inzwischen habe ich noch eine kleine Änderung vorgenommen. Meine komplette Masse habe ich der Uni-Klinik in Zagreb vermacht. Bei der Vertragsunterzeichnung drängte ich lediglich auf die Zusicherung nur von Studentinnen zerstückelt zu werden. Das fühlt sich, hoffe ich zumindest, besser an, als lege der Metzger-Lehrling im 3. Ausbildungsjahr die Hand an.
Hoffentlich halten die sich an die Abmachungen!?
Lewis Capaldi
Am 31. März 2017 veröffentlichte er seinen erste Song Bruises. Das Lied wurde weltweit in kurzer Zeit fast 28 Millionen mal auf Spotify gespielt. Kurz darauf ging er bei Virgin Records unter Vertrag und veröffentlichte am 20. Oktober 2017 seine erste EP Bloom in Zusammenarbeit mit dem Grammy ausgezeichneten Produzenten Malay.
Beim schottischen Music Award 2017 wurde er zum Breakthrough Artist of the Year ernannt.
Die erste Hälfte des Jahres 2018 machte er eine Tournee durch Nordamerika und Europa und veröffentlichte anschließend seine nächsten Singles Rush und Though. Seine Single Someone You Loved wurde 2018 und 2019 in den Top-Ten platziert
Hinweise auf lesens- und hörenswerte Beiträge:
Wer interessiert am Jazz ist, der findet hier was: #jazzfriday
Soll es was ganz Leckeres für den Magen sein: #w74-rezepte
Kurzgeschichten oder Ausflüge in die deutsche Sprache, dann wird man sicher fündig unter: #ganzwenigtext
Alte Ausgaben des Wochenrückblickes liegen hier: #wochenrueckblick
Mahnende Worte von der Kanzel herab (oder von wo auch immer): #sonntagspredigt
Nicht zu vergessen: BRenNgLAS
Guten Morgen Wolfram,
das ist ein unglaublich starker Beitrag! Phantastisch, wie es dir gelingt, so ein ernstes Thema humorvoll rüberzubringen und am Ende durch die wohl gewählten Musikarrangements dem Leser eine Gänsehaut zu verpassen!
Jepp, ich habe den Text sehr gern gelesen, gut geschmunzelt und hoffe, dass du damit viele Leute erreichst und zum Nachdenken anregst.
Ich selbst habe nicht so viel nachgedacht, denn es ist für mich selbstverständlich, den Organspendeausweis seit Jahren mit mir rumzuschleppen. Dabei mache ich mir nicht ganz so viele Gedanken um jedes einzelne Organ, wie du, sollen die Ärzte doch selbst entscheiden, was sie noch gebrauchen können. Bei Fehlentscheidungen ist zur Not alles kompostierbar.
Zudem bin ich ein Verfechter einer nötigen Gesetzesänderung: Eine Organspendebereitschaft sollte quasi verpflichtend gegeben sein, es sei denn, du widersprichst und trägst so einen Schrieb mit dir herum. Dafür wird dich niemand verurteilen, denn es ist eine ganz persönliche moralisch-ethische Entscheidung, die jeder guten Gewissens treffen darf. Wenn jemand wirklich Angst davor hat, im abgekühlten Zustand aufgeschnitten zu werden oder einfach nur aus Prinzip sagt "Der Staat hat nicht auch noch über meinen Körper zu verfügen", wird er sich schon ganz schnell so einen "Nichtorganspendeausweis" besorgen, weil es ihm persönlich wichtig ist.
So würde vermieden werden, dass Menschen, gar junge Leute mit fast ladenneuen Innereien, von einer Sekunde auf die andere vollständig atemlos unterm Auto liegen, das sie überfahren hat, noch bevor sie ihren immer wieder aufblitzenden Gedanken "Ach ja, ist wichtig, ich sollte mir mal so einen Ausweis besorgen" in die Tat umgesetzt haben.
Vergiss bitte Janis Joplin & Co und bleibe uns noch recht lange erhalten!
Liebe Grüße,
Christiane
Christiane,
ich sage es immer so. Jeder kommt irgendwie immer als Mietwagen auf die Welt.
Manchmal heiß ersehnt, manchmal aus der Not heraus akzeptiert und auch sehr oft gleich weitergereicht, weil entweder das Model nicht mit dem in Einklang zu bringen war, was man sich erträumt hatte oder das Service-Team mit der Aufgabe schlichtweg überfordert ist.
Und nie schaffen wir es über den Status des Mietwagens hinaus, da wir ein Leben lang uns immer irgend jemandem verpflichtet fühlen. Dieser Logik folgend, eröffnet sich nach einem kapitalen Motorschaden nur der Weg zurück in die Werkstatt.
Die alles zerstörende Presse kann nicht die Lösung sein.
Aber, wie du selbst am Interesse zu diesem Thema erkennen kannst, wäre es besser gewesen überhaupt keine Inspektion durchzuführen.
Liebe Grüße
Wolfram
Starker Vergleich! Den übernehme ich, wenn's recht ist.
Deinem letzten Satz kann ich überhaupt nicht zustimmen! Du kennst meine Meinung bezüglich deiner Perlen, die du hier vor... naja. Du hast einfach nur die falsche Werkstatt angesteuert.
Lieber Gruß,
Christiane
Colle Idee und gewohnt amüsante Umsetzung!
Köstliche Bilder, die du hervorrufst bei diesem durchaus ernsthaften Thema. Und ein schöner Song zur Untermalung... Rundum gelungen Lieben Gruß Kadna
Musik und etwas Interesantes zum Lesen - der Post ist schon fast ein Ü-Ei mit Kaffee statt Schoki :)
Jetzt habe ich es bei dir bereits fast vom i zum ü geschafft.
Was muss ich abliefern, um die 21 % zu überwinden?