Coole Aufgabe - ich bin zurück zu Naturreligionen gegangen... ;-)

Mahaschiwa

„Großmutter, erzähle uns bitte noch einmal die Geschichte wie Gerjen der Weise den Großen Geist gefunden hat!“

Alle Kinder hatten sich um die alte Frau geschart, die dicht am Feuer saß und genüsslich den Noliak schlürfte, den es nur anlässlich des Jahrestages von Gerjens Entdeckung gab. Dies war auch der Grund, warum die Kinder noch immer auf dem heiligen Platz herumtobten. Sie hatten den Klang der alten Trommel vernommen, die alle Feiernden zum Feuer rief. Wie es die Tradition vorsah, durften die Kinder ihre alljährliche Frage stellen. Danach mussten sie warten bis die weise Alte ihren Noliak ausgetrunken hatte. Wie jedes Jahr machte sie ein Geduldsspiel daraus. Laut schlürfend nahm sie kleine Schlucke und die Kinder wurden immer zappeliger. Endlich war es so weit! Sie stand auf und trat würdevoll ans Feuer. Ihr Blick ging einmal in die Runde, denn jeder sollte zuhören. Dann begann sie mit der Geschichte zwischen ihrem Volk und dem Großen Geist:

„Lang, lang ist es her. Ich war nicht dabei, es wurde mir erzählt. Und ich erzähle es euch, auf dass der große Geist unseren guten Willen sieht und unserem Volk wohl gesonnen ist. Mahaschiwa!“
„Mahaschiwa!“ tönte es aus unzähligen Kehlen zurück.
„Es war der dritte Tag im Monat des Mondes als Gerjen der Weise wie gewohnt seinen Rundgang durch das Lager machte. Er trug den schwarzen Umhang und signalisierte damit, dass er nicht ansprechbar war. Das ging bereits seit mehreren Tagen so und alle warteten darauf, dass er endlich sprechen würde. Gerjen war nicht sehr groß gewachsen, dafür hatte er einen besonderen Geist mitbekommen, der ihn viele wichtige Dinge bereits erkennen ließ. Also war die Neugier groß.
Nun, an diesem Tag, der sich heute zum 458 Mal jährt, kam ein heftiger Wind auf und wirbelte die trockenen Blätter durch die Luft. Gerjen sah ihnen zu, wie sie langsam niedersanken, als der Wind wieder ruhiger wurde. Plötzlich blieb er stehen.
Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Sollte er jetzt endlich reden? Der alte Weise schaute zum Himmel und anschließend in die Runde.
„Hört mein Volk, hört meine Worte. Seit Tagen ist nur eine Frage in meinem Kopf – es ist die Frage aller Fragen und ich habe mich ihr gestellt. Woher kommt das Leben? Warum wachsen Kinder im Bauch einer Frau? Warum wachsen Nüsse an den Bäumen? Wie also entsteht das Lebendige? Keiner hat es bis jetzt beobachten können. Warum nicht? Weil es unsichtbar ist. Was, meine lieben Freunde, ist unsichtbar und bewirkt dennoch sehr viel? Ich dachte zuerst an das Wasser, weil es Pflanzen aus der Erde sprießen lässt. Aber Männer und Frauen nutzen das gleiche Wasser und ich kenne keinen Mann, der ein Kind bekommen hat. Nein, es muss etwas Unsichtbares sein! Gerade eben habe ich „ES“ gesehen: Wer bringt uns denn die Regenwolken? Wen können wir nicht sehen, wenn er Blätter vom Baum weht? Der Wind! Es muss ein besonderer Wind sein, der in die Frauen fährt und ihr Lebendiges einhaucht! Der Wind! Ich nenne ihn jetzt den Großen Geist und wir alle werden ihn ehren, auf dass er unsere Frauen und unsere Erde weiterhin fruchtbar mache! Der Große Geist - Mahaschiwa!“
„Mahaschiwa!“ tönte es aus unzähligen freudigen Kehlen zurück.
Als es wieder ruhiger wurde, fuhr Gerjen fort: „Jedes Jahr, am dritten Tag des Mondes, werden wir ein großes Fest ihm zu ehren feiern. Ihr Frauen werdet ein besonderes Getränk brauen, das es nur an diesem Tag geben wird. Jeder Schluck ist IHM gewidmet – dem Großen Geist – seine Geschichte wird am Feuer erzählt werden! So soll es sein. Mahaschiwa!“
„Mahaschiwa!“ tönte es aus unzähligen Kehlen zurück.

Die alte Frau machte eine kurze Pause und schaute noch einmal in alle Gesichter. „Seit diesem Tag gedenken wir Mahaschiwa, so wie wir es heute tun. Nun meine Lieben haben wir die Tradition erfüllt und ich eröffne damit die Feier! Mahaschiwa!“
„Mahaschiwa!“ tönte es aus unzähligen Kehlen zurück. Die Kinder, die wie immer fasziniert der Geschichte gelauscht hatten, liefen stolz zu ihren Eltern und die Tänze zu Ehren des Großen Geistes begannen, während die Alte genussvoll aus ihrem zweiten Becher schlürfte...