“Der Übersetzer” - Immer wieder das gleiche Lied (Leid)

in #deutsch6 years ago

Warum tue ich mir das überhaupt an?

Weil es andersrum noch schlimmer käme!


Heute grapsche ich mal wieder die günstige Gelegenheit beim Hintern und plaudere ein wenig aus dem Nähkästchen. Um genauer zu sein, geht es um die Spezies Mensch, ohne die es oft nicht geht, die dir jedoch andererseits fast ununterbrochen auf dem Senkel steht: die Dolmetscher oder auch Übersetzer genannt.
Diese Berufsgruppe unterteilt sich dann wiederum in die Sparte, die dich in der Redaktion oder am Flughafen abholt und mit ihren Fähigkeiten dir das Sammeln von Informationen vor Ort erleichtert.
Die andere Gruppe siehst du dagegen nie in einer Redaktion oder wartend am Flughafen, denn die sitzen fast ununterbrochen am Schreibtisch, vom Versuch beseelt, Literatur in eine andere Sprache zu übersetzen. Jedoch sind dies nicht die einzigen gravierenden Unterschiede, aber dazu später mehr (was darauf schließen lässt, bereits mit beiden Gruppierungen Erfahrungen gesammelt zu haben).

Ein wunderschönes Beispiel für die alltagstauglichen Übersetzer ist Tom (eigentlich Tomislav, aber von jedem nur Tom genannt), der mir in Bosnien-Herzegowina während des Krieges dabei behilflich sein sollte, Informationen über den Verbleib gespendeter Hilfsgüter in den Händen der kirchlichen Organisationen zu sammeln.
Als Geburtsort ist in Toms Pass Gelsenkirchen vermerkt, wo er auch aufwuchs, bis ihm der Wahn zu Kopf stieg, unbedingt im ehemaligen Jugoslawien für die Freiheit seiner Landsleute zu kämpfen. Im Süden, zwischen Minen, fliegenden Kugeln und fallenden Bomben angekommen, setzte jedoch wieder ein Teil seines Verstandes ein und er beließ die Uniform im Schrank, entschied sich aber nicht für einen geordneten Rückzug, sondern erschnüffelte urplötzlich die Gelegenheit mit seiner Zweisprachigkeit lockeres Geld zu verdienen, da fast alle ausländischen Journalisten auf Menschen wie Tom angewiesen waren.

Bei mir verhielt sich die Sache etwas anders, da ich zwar nichts von Chemie und Physik, aber dafür mehr von Sprachen verstehe und ich Jahre zuvor eine gute Gelegenheit nicht verstreichen ließ, eignete ich mir die Sprache an, die damals noch Serbokroatisch hieß, mir jedoch die Möglichkeit eröffnete, den Balkan (außer Rumänien) ohne die Familie Langenscheidt lockerst und entspannt zu erkunden. Tom nahm ich mit ins Boot, weil er auf der Gehaltsliste der Redaktion sowieso vermerkt war. Doch viel wichtiger war es mir, eine Person in meiner Nähe zu haben, der sich mit den Gegebenheiten vor Ort genauestens auskennt. Und das tat er wahrhaftig. Plötzlich war nämlich aus dem ehemaligen Freiheitskämpfer ein berechnender Jugoslawe geworden. Egal auf welcher Seite Geld abzuzapfen war, in der ersten Reihe konnte immer mein Übersetzer gefunden werden.
Dies hat in einem Krieg den Vorteil, dass du als Journalist dich nie in Ecken wagst, wo es gefährlich werden könnte, und davon gab es mehr als genug. Die Sterblichkeitsrate von Journalisten während des Balkan-Krieges war exorbitant hoch. Der Helm oder die Jacke mit der Aufschrift “Press” schien zum Justieren der Waffen bestens geeignet. Tom hatte an allem Lust, aber mit Sicherheit nicht am Sterben.

Doch nun zur eigentlichen Episode, die damit begann, dass Tom nicht darüber informiert war mit jemandem zu arbeiten, der seine Muttersprache auch verstand. Ich sah keine Veranlassung zur Aufklärung, da ich auf diese Weise sehr schnell herausfinden konnte, mit wem ich da im Boot sitze. Eine Sache ist nämlich immer, was da von einem Einheimischen erzählt wird, die andere Sache ist die, was der Übersetzer daraus macht, der dich vielleicht nicht leiden kann oder ganz einfach hinter deinem Rücken andere Interessen verfolgt.
So wurden in den ersten drei Tagen alle Dialoge auf Deutsch (bei Tom Gelsenkirchener Deutsch - kommt dem Deutsch jedoch sehr nahe) geführt. Vollkommen von seiner Loyalität überzeugt war ich dann, als wir das Gebäude der Caritas in Mostar verließen, wo ich mir erhoffte, Hinweise auf einen ganzen LKW voller elektrischer Nähmaschinen zu erhalten, der seit der Abfahrt in Karlsruhe wie vom Erdboden verschwunden schien. Egal mit welcher Frage ich den damaligen Leiter dieser Hilfsorganisation konfrontierte, Tom lieferte 100 Prozent. Beim Verlassen des Gebäudes sagte er dann zu mir: “Ich glaube, der hat uns von vorne bis hinten angelogen. Die Maschinen sind wo ganz anders gelandet.” Damit hatte er genau das bestätigt, was ich bereits zwei Tage zuvor vermutet hatte, als mir die Info zugesteckt wurde, dass in Slawonien (Kroatien) eine ganze Ladung Kefela eingetroffen war - ein dringend benötigter Stoff für das Nähen von Schutzwesten.
Jetzt sah ich den Moment gekommen, mit offenen Karten zu spielen. Eine Entscheidung, die mir einen kräftigen Tritt in den Hintern und eine tolle Freundschaft einbrachte.

Kommen wir nun zu den introvertierten Schreibtischtätern, wie ich sie gerne nenne. Menschen, nicht wie Tom, der ellenlange Ausführungen in der Übersetzung mit einem Satz auf den Punkt bringen kann, die dafür im Detail versinken können, es letztendlich sehr gut hinbekommen oder ganz kläglich an der Aufgabe scheitern. Dies gilt insbesondere dann, wenn Lyrik zu übersetzen ist.

Jetzt werdet ihr euch sicherlich fragen, wenn ich die Sprache doch beherrsche, ich meinem kroatischen oder serbischen Verlag Roman, Kurzgeschichten oder den Lyrikband nicht gleich auf Serbisch oder Kroatisch anbiete. Ganz einfach, weil ich (was die Literatur betrifft) ausschließlich auf mein Deutsch vertraue. Reportagen oder Kommentare bilden da eine Ausnahme.
Da der Wortschatz eines Literaturübersetzers den meinen um ein Vielfaches übersteigt, sind solche Dinge bei diesen Könnern (oder Versagern) in den besseren Händen.

Allgemein ist es nun so, dass meist der Verlag sich um einen Übersetzer kümmert, der sich mit dem Autor dann um Formulierungen prügeln darf. Das Gespräch mit der Übersetzerin, die mir auf diesem Weg vor die Nase gesetzt wurde, endete nach einer Stunde mit der beiderseitigen Erkenntnis, uns nicht leiden zu können. Soll ja vorkommen! Zumal diese Frau sich ständig darüber echauffierte, wie ich das “ch” ausspreche. Was kann ich dafür, dass ich Saarländer bin? Wir sind halt mehr für das “sch” geboren, fühlen uns mit den drei Buchstaben wohl und versuchen sie auch daher ständig irgendwo in unserer Rhetorik unterzubringen. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, alle Saarländer seien Legastheniker.
Außerdem ist es furchtbar nervend, wenn du in jedem Satz mit einem “chchchchch” unterbrochen oder unterlegt bekommst. Außerdem hatte ich das Gefühl, sie nähre geradezu ihr unfassbar unvorteilhaftes Aussehen mit solchen Eskapaden. Wie gesagt: Nach 60 Minuten war Feierabend.

Auf der danach eingeleiteten eigenmächtigen Suche stieß ich auf einen Mann, der mir als Übersetzer des österreichischen Schriftstellers und Dramaturgen Thomas Bernhard aufgefallen war. Der Mann hatte überraschender Weise sogar Zeit sich mit mir zu treffen. Vereinfacht wurde dies durch die Tatsache, dass Samir Turanagić (Name wurde von mir geändert) quasi vor meiner Haustür in Zagreb wohnt.
Was konnte ich mir über diesen Mann im Vorfeld unseres ersten Aufeinandertreffens zusammenreimen? Das, was im Netz zu finden ist und (am Namen ersichtlich) dass er aus Bosnien stammen muss und einen muslimischen Hintergrund besitzt. Nicht die schlechtesten Vorgaben.
Samir bat mich, ihn an seiner Stadtwohnung abzuholen, damit er mich in das Café führen könne, das seiner Ansicht nach den besten Kaffee in Zagreb serviert. Das hörte sich vielversprechend an und ließ mich auch kurzfristig die Parkplatzsituation in der Hauptstadt vergessen.
Dank einem gefälschten Schwerbehindertenausweis, der mich vor Jahren eine Flasche Schnaps und ein Abendessen kostete, fand meine Rostlaube einen extrem weiträumigen Parkplatz, gerade mal 500 Meter vom Stadtzentrum entfernt. Dafür liebe ich meine Mitbürger. Für die schwierigen Momente im Leben haben sie immer eine einfache Lösung.
Das erste “Körperteil”, das Samir mir bei unserer Begrüßung entgegenstreckte, war nicht (wie eigentlich erwartet) seine Hand, stattdessen klopfte mir ein weißer Langstock ans Bein und eine Stimme gab zu erkennen, dass die Person, zu der der Blindenstock gehörte, gedanklich auf dem richtigen Weg war. Die Vermutung lautete: “Du musst Wolfram sein.”
Dem wagte ich nicht zu widersprechen, zumal er nach meinem Klingeln an der Haustür mich über die Gegensprechanlage fragte, wer da unten den Finger gerade auf seine Klingel drückte.

Ein blinder Übersetzer. Ich glaubte im falschen Film zu sein. Sollte ich meine Texte nun zuerst in Brailleschrift umwandeln? Ist hier ein Doppelverdiener zugange? Fragen über Fragen. Doch die wichtigste Frage war: Wie geht man neben einem Blinden her? Muss ich ihm sagen, wann die Fußgängerampel auf Grün schaltet? Oder soll ich einfach losmarschieren und fragen: “Auf welchen Zug wartest du noch?”
Der Kaffee war mittelmäßig, das Gespräch interessant und mein Umgang im Beisein eines Blinden immer entspannter.
Wir einigten uns darauf, dass ich ihn mit ein paar Happen Lyrik und Kurzgeschichten aus meiner Feder füttere und er sich nach deren Verdauung wieder bei mir meldet. Daraufhin gab ich zu bedenken, dass er hier nicht als Lektor, sondern lediglich als Übersetzer gefragt ist. Seine Antwort hätte mir zu denken geben sollen. “Wir Übersetzer sind im Grunde genommen beides in einer Person.”
Das war der Moment, den ich habe verstreichen lassen, ihm seinen Langstock zu verkleinern. Ich blieb freundlich, zuvorkommend und bezahlte die Rechnung.
Am Abend suchte ich mir eine Lyrik raus, die ich ihm als Vorspeise servieren wollte. Meine Maxime (denn alles darunter ist Zeitverschwendung): Bring mir das ins “Balkanesische” und wir sind ein Team.

Ich entschied mich für die ersten Zeilen eines Gedichtes, das ich mit “Happy” überschrieb.

Heute bin ich happy
Heute bin ich froh
Heute geh ich mal aufs Damenklo

Gedränge vor dem Spiegel
Geschnattere laut und überall
Und meine Präsenz
So glaube ich zumindest
Bleibt weitgehend unbemerkt

Lediglich, wer hier pinkelt
Der pinkelt nicht im Stehen
Und wer dies nicht so akzeptierst,
Der kann ganz schnell
Auch wieder gehen.

Nichts gegen das Pinkeln im Sitzen
Doch spüre ich durch alle Ritzen
Wie tausend Augen mich verblitzen
Denn alle wollen nur livehaftig sehn
Ob ich auch wahrhaftig nicht wage
beim Pinkeln aufrecht und stramm zu stehn.

Ganz abgesehen davon, das bei dieser Lyrik bereits vom Ansatz weder Versmaß noch Stil so richtig geordnet scheinen, fand ich es ideal, um den Mann aus der Reserve zu locken, der mir einige Stunden zuvor erklärt hatte, er sei zum Katholizismus konvertiert, da er sich dort Gott näher fühle.
Samir fühlt sich wohl auch heute noch in den Händen des Allergrößten gut aufgehoben, doch an seiner Stelle hätte ich mir etwas mehr Mühe bei der Übersetzung gegeben, da auch drei Euro für eine Normseite einem Gottesfürchtigen nicht ganz egal sein können.

Sort:  

Wirklich fasziniert von Deiner Geschichte, fehlen mir die Worte.
Die fehlten meinem Dolmetscher einst auch, blöderweise vor einem portugiesischen Gericht welches darüber entscheiden sollte, ob der Junge bei seinem Vater bleiben darf.
Er durfte, nachdem ich das Wort erhob und damit für grosses Aufsehen im Gerichtssaal sorgte. 😎

Andere Länder aber gleiches Leid!

Gib es zu: Das Einzige, was Du nicht verkraften konntest und was Dich wirklich gestört hat, war seine neuerlangte und zur Schau gestellte Katholizität. Ich kenn doch meine Pappenheimer.

Leroy, wie oft habe ich dich bereits gebeten, Interna nicht in den Hauptnachrichtenkanal zu zerren?
Du magst vielleicht recht haben, aber das hättest du mir auch ins Ohr flüstern können.
Der wahre Grund jedoch verrate ich dir (und nur dir, also nimm dir ein Beispiel) jetzt.
Ich fragte ihn, zu welchem Buch er immer wieder greifen würde, ohne das Gefühl der Langeweile im Rücken zu verspüren. Daraufhin legte er mir ganz spontan Goethes "Wahlverwandtschaften" zu Füßen. Ich, betreffend dieser Auswahl fast euphorisch gestimmt, reichte die Frage nach, ob er mir vielleicht erklären könne, weshalb Herr von Goethe zum Schluss dem örtlichen Bestatter so viel Arbeit zuschrieb.
Daraufhin seine Antwort: Im Augenblick kann ich nicht abrufen, was da passiert ist.
Ich blieb gelassen - und das musst du mir hoch anrechnen! Das heißt, dass ich ihn nicht erschlagen habe.
Der darauf folgende Satz fand mit diesem Inhalt Zugang zu meinem Ohr: Außerdem moderiere ich täglich für Radio Maria.
Dann war endgültig Schluss mit Herrn Lustig oder wie immer er sich nennen mag.
Erneut offenbare ich zu viel von mir, das du ungeniert in den nächsten Hauptnachrichten breittreten wirst.
Wolfram

Radio Maria ... verdammt.
Ich bin geschlagen und ziehe meine konkludente Aufforderung zum Duell demütig zurück.

Konkludent hätte ich sowieso nicht akzeptiert, da der Notar meines Vertrauens auch leben will und auf solche Abschlüsse meist ein übles Saufgelage folgt. Und das hätte ich mit dir nur ungern entgehen lassen.

Hallo Wolfram,
es freut mich sehr, dass du die Unterstützung von Tom damals zugelassen hast, wäre ja sonst vielleicht schade um dich gewesen.
Und sonst? Bin ich mal wieder rundum begeistert. Dass ich deine Geschichten in der Regel mag, weißt du ja, aber bei der Lyrik eröffnen sich ja ganz neue Horizonte! Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass du dir nun ein paar Normseiten verkneifen musst, um für einen Flug nach Stockholm zu sparen!
Liebe Grüße,
Christiane

Wenn du erst das "Gedicht" in Gänze liest, dann würdest du für einen Privatjet nach Stockholm plädieren - oder mich prügeln (was ich nicht ausschließen möchte).
Wolfram

Wenn du erst das "Gedicht" in Gänze liest

schluck - muss ich?!

Vor der Preisverleihung geradezu eine Pflichtaufgabe!

Mit Genuß gelesen, schade, daß es zum Voten schon zu spät ist.
Das mit dem falschen SBA nehme ich Dir allerdings ein bißchen übel.

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