Das läuft es doch garantiert auf eine erzwungene Entschuldigung hinaussteemCreated with Sketch.

in #deutsch6 years ago

Ebse hatte es, wie eigentlich immer, wirklich verdient …



Dieser Beitrag von @leroy.linientreu gab letztendlich den Anstoß dazu, mich wieder an die Zeit zurückzuerinnern, als auf dem Nachhauseweg von der Schule kleine Unstimmigkeiten zwischen den Kameraden mit einem Vollspann-Tritt in den Hintern aus dem Weg geräumt wurden.
Da ich nun mal im Saarland aufgewachsen bin und in diesem Bundesland das Saarländisch dem Hochdeutsch keine Chance zur Entfaltung gewährt, könnte es vorkommen, dass ich für den einen oder anderen Wortwechsel auf meine Muttersprache zugreife. Falls ich es für notwendig erachten sollte, füge ich eine Übersetzung ins Hochdeutsch bei.

Das läuft es doch garantiert auf eine erzwungene Entschuldigung hinaus


Es fing ja eigentlich bereits im Kindergarten an. Dort, an dem Ort, an dem Klaus, Harald, Kurt und ich bereits Fakten geschafften hatten, wie und an wen das Spielzeug gerecht verteilt wird, da stand er dann plötzlich. Wo die Kindergärtnerinnen ihn überhaupt hergezaubert hatten, darüber machten wir uns weniger Gedanken. Uns beschäftigte mehr die Frage, was man mit so einem überhaupt anfangen kann?
Den Scheitel bekam er ganz offensichtlich von der Mama am Morgen mit dem Hackbeil gezogen. Dann kam der auch noch in den Kindergarten mit einem weißen Hemd, das bis zum Hals zugeknöpft war, darüber (weil es wohl im Saarland zu jeder Jahres- und Tageszeit zu fürchterlichen Kälteeinbrüchen kommen kann) dann noch eine Strickweste. Weiter unten steckten seine Beine in einer Stoffhose mit Bügelfalte. Und damit der Sohnemann nicht ständig umkippt, schnürte die Mama dem Lackaffen halbhohe Lederschuhe um die Füße.
Wir vier Rabauken, von den ersten Machtkämpfen bereits in Schweiß gebadet, betrachteten den Außerirdischen mit skeptischen Blicken und hielten Distanz, bis nicht Tante Elke (eine der weltlichen Kindergärtnerinnen) die Initiative ergriff und in ihren typisch, freundlichen Befehlston verfiel: “So, jetzt kommt ihr mal her und gibt Eberhard die Hand. Und bei der Gelegenheit verratet ihr ihm euren Vornamen.” Da sich mit Tante Elke anzulegen, meist keine langfristigen Vorteile einbrachte, war wohl oder übel Gehorsam angesagt.


Ebse & w74.png

Dann stand ich ihm erstmals ganz nahe gegenüber und musste sofort an die Werkstatt meines Opas denken, in der immer jede Menge Schmirgelpapier rumlag. Denn ganz genau so sah das Gesicht von Eberhard Brill aus. So war es wenig verwunderlich, dass der Funke zwischen uns nicht so wirklich überspringen wollte. Zur exakt gleichen Erkenntnis gelangten nämlich auch Klaus, Harald und Kurt. Für uns war der Fall Ebse damit erledigt. Der Neuankömmling schien aber auch nicht sonderlich an unserer Gesellschaft interessiert. Er umgab sich lieber mit den ständig gackernden Mädchen.

Nach der Zeit im Kindergarten ging es geschlossen in die Grundschule. Und, wenig überraschend, Ebse Brill war noch immer da. Gleicher, genau gezogener Scheitel und in Klamotten, die einen glauben ließen, es wäre Sonntag und man müsse schon wieder zu diesem idiotischen Kindergottesdienst. Ebse und Kindergottesdienst, da schien sich für mich eine unheilvolle Symbiose anzubahnen.
Mit dem Schleifpapier im Gesicht, das hatte sich jedoch leicht verbessert. Dafür durfte er aber jetzt auch keine Milchprodukte, keine Erdbeeren und was weiß ich nicht alles essen. Dinge eben, die es damals in der großen Pause noch beim Hausmeister umsonst gab. Bevor aber der Allergiker auf die Idee hätte kommen können, das für ihn unbekömmliche Futter an die Mädels zu verschenken, machten wir ihm ein Angebot, dass er nicht ablehnen konnte.

“Ebse, wenn du uns dei Zeisch gäbbscht, haschde aach dei Ruh voor uns.” (Übers.: Eberhard, komm wir tauschen.)

Ebse willigte ein. Alles andere wäre auch ziemlich unüberlegt von ihm gewesen. Aber, und dies ist ein ganz dickes Aber, blieb uns nicht verborgen, dass Ebse Dinge an unsere Lehrerin weiterzuleiten schien, die diese Frau eigentlich nichts angingen. So verpfiff er Kurt, nur weil der den Regenschirm von Ruth in einen schlichten Spazierstock verwandelt hatte. Mich schwärzte er an, als ich Volker, aus einer gewissen Langeweile heraus (wie ich ehrlich zugeben muss), während des Turnunterrichts bei dessen Anlauf zum Sprung über den Kasten das Bein gestellt hatte. Dass Volker sich dabei nicht gleich auf die Fresse legte und stattdessen den Schwung noch bis zum Kasten rüber rettet und erst dort versuchte dieses mit Leder überzogene Monstrum zu küssen, konnte ja keiner ahnen. Als Volker sich noch rüber seine plötzlich vollen Lippen und die damit einhergehenden akuten Sprachstörungen wunderte, wusste unsere Lehrerin bereits Bescheid.
Wer so etwas tut, der musste einfach bestraft werden.

Zwei Tage später trug Ebse einen weißen Turban. Den hatte ihm der herbeigerufene Notarzt angepasst, nachdem der junge Herr Brill, auf Grund seiner Ungeschicklichkeit, auf der Treppe, die zum Schulhof führte, ins Stolpern geriet und sich gleich anschließend auf dem Gitter wiederfand, auf dem die Schüler ihre Schuhe abstreifen sollten, bevor es in die Klassenräume ging. Über acht lange Tage konnte Ebse Brill kein Scheitel mehr gezogen werden.
Wie kann jemand aber auch so ungeschickt sein

Die Grundschule wurde abgehakt und die Herausforderung Gymnasium konnte angegangen werden. Der Schulwechsel war gleichbedeutend mit langem Fußmarsch bis zum Bahnhof, Zugfahrt bis in die Kreisstadt und erneut zwei Kilometer bis zum Knabenrealgymnasium. Das verschaffte mir und meinen drei Kumpels jede Menge Zeit Pläne zu schmieden für den Nachmittag, Erfahrungen über Lehrer und anderen Schülern auszutauschen, zu testen wie platt eine Lokomotive ein Pfennigstück walzen kann und ob Eberhard Brill trotz seiner vielen Allergien, Mohrenköpfe verträgt. Er musste sie ja nicht unbedingt essen. Wir besorgten die leckeren Dinger von unserem Taschengeld und überließen ihm in unregelmäßigen Abständen ein Exemplar. Meist auf dem Auge. Manchmal aber auch direkt neben dem Scheitel.
Dies mag vielleicht so rüberkommen, als hätten wir Ebse mit Absicht malträtiert. Dem muss ich vehement widersprechen. Eberhard Brill wurde im Laufe der Jahre einfach nicht lockerer. Der hatte mit Wallenstein bereits ein Wochenende verbracht, während wir noch immer am Rätseln waren, wieso die Katze von Haralds Oma bisher jeden provozierten Fenstersturz überlebt hatte.

Du kannst dich doch nicht mit Bügelfalte in Hose und Haaren durch das Leben schlängeln und jeglichen Anschein von sich anbahnendem Chaos beim Ordnungsamt melden.
Aber, ganz so schlimm traf es ihn sowieso nicht, da Ebse seiner Begabung folgend, sich für den altsprachlichen Zweig auf dem Gymnasium entschieden hatte. Das schuf Distanz und damit weniger Berührungspunkte.
Zu unserer aller Freude kamen dann irgendwann die Kultusminister jedoch zu der Überzeugung, dass eine Reform der Oberstufe längst überflüssig sei. Die letzte erwähnenswerte ihrer Art gab es wohl unter Kaiser Wilhelm. Ich weiß nicht mehr, wie unser damaliger Kultusminister hieß, aber er bleibt der Held meiner Schulzeit. Denn ich startete erstmals in in Schuljahr ohne Chemie und Physik.
Aber dafür neben Ebse Brill.
Erst dachte ich, mein Augenlicht hätte den Sinn für Humor entdeckt. Doch dem war nicht so. Die erste Deutschstunde begann. Und neben mir saß sage und schreibe Ebse Brill. Alle Zweifel ausgeschlossen.
Es war an mir zu reagieren.

“Ebse, das doo kann unmeeschlisch dej Ernscht sinn?” (Eberhard, bist du noch ganz bei Trost?)

Ich erhielt keine Antwort auf meine Frage. Aber Ebses Gesellschaft blieb mir während Deutsch, Geschichte und Musik nicht erspart. Da wir uns plötzlich körperlich so nah kamen, fiel mir auch auf, dass diese elende Petze sich äußerlich verändert hatte. Der Scheitel war zwar noch immer akkurat, aber das Gesicht konnte nicht mehr zum Schleifen genutzt werden. Polieren ja, aber das Schleifen gehörte der Vergangenheit an. Außerdem hatte Ebse der Bügelfalte den Rücken gekehrt und sich der bügelfreien Variante zugewandt. Aber nicht wie wir, in Denim und blau. Eberhard Brill hatte sich für Leder und Grau entschieden.

Eine ganze Generation hatte zu der Zeit Probleme mit dem Geradeausblick, weil die Haare möglichst lang und zottelig die meiste Zeit vor den Augen hängen mussten, Der Parka wurde nur einmal im halben Jahr gewaschen und die Jeans lediglich durch das Badewasser gezogen. Noch besser, man setzte sich am Samstag gleich mit der Hose in die Wanne. In dieser Zeit trabt Ebse mit einer dreiviertel-langen Lederhose und wollenen Kniestrümpfen an. Nachdem ich die Phase des Staunens abgeschlossen hatte, zollte ich ihm dann doch meine Hochachtung: “Doo hat die Mamme sisch awwer heit moorje wäädder viel Aawed mittem Buub gemacht. Mache ma jetz ääner uff bischelfreij?” (Feine Auswahl von Mutti. Und so pflegeleicht.) Aber, und das muss ich mir auch eingestehen, ich gewöhnte mich an diese Klamotten. An Ebse leider nicht, denn sein Verhalten blieb auch weiterhin sehr befremdlich.

Am Tag einer Prüfung in Geschichte entfaltete der Vollidiot dann sein ganzes Repertoire. Wie nicht anders zu erwarten, konnte mein vorher abgespeichertes Wissen längst nicht alle Fragen abdecken, die da vor mir, auf Papier gedruckt, auf dem Tisch lagen. Dürfte aber normalerweise kein Problem sein, würde nicht der Tischnachbar Ebse Brill heißen. Trotzdem startete ich einen Versuch. Ein leichter Tritt an die Kniestrümpfe und kurz gezischt: “Mach mool die Sischt frei.” (Das versteht wohl jeder.)
Doch anstatt meinem Begehren nachzukommen, fing mein lieber Freund Eberhard Brill an einem Konstrukt zu bauen an, das auch menschliche Mauer genannt werden konnte. Der rechte Arm senkrecht angewinkelt auf dem Tisch, den Kopf auf die Hand gestützt und die Schulter im Gelenk unnatürlich weit über die Tischplatte geschoben. Dieses Arschloch hatte doch tatsächlich seinen Verstand verloren. Um aber ganz sicher zu gehen, vielleicht hatte er mich auch nicht richtig verstanden, trat ich ihm nochmals ans Schienbein. Nur dieses Mal mit etwas mehr Elan.
Als hätte ich den Knopf für den Feueralarm gedrückt, brüllt Ebse plötzlich los. Man hätte denken können, ich hätte ihm gerade Schien- und Wadenbein gebrochen. Der fragende Blick unseres Lehrers traf interessanterweise nicht den Schreihals, sondern mich. Was konnte ich dafür, wenn einer seiner Schüler mit starken Schmerzen zu kämpfen hat? Doch Ebse brachte sofort und ungefragt Licht ins Dunkel. Ich durfte mich mit meinem leeren Blatt in die letzte Bank setzen während Ebse innerlich Cha-Cha-Cha tanzte. Dass auf diesen hinterlistigen Hund aber noch ganz andere Tänze warten würden, das konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.

Wieder einmal spielte Kollege Zufall eine bedeutende Rolle und ließ mich auf dem Nachhauseweg in Richtung Bahnhof über einen gerissenen Keilriemen stolpern. Aber nicht ich, es war Klaus, der sich bückte und das Fundstück mit kräftigen Schwüngen zum Pfeifen brachte. Bei den Geräuschen, die das Teil abgab, konnte ich mir lebhaft vorstellen, wie angenehm es sein würde, den Riemen mit Schwung jemandem über das Kreuz zu ziehen. Und wer der Jemand sein sollte, das wusste ich auch.
Unser Zug fuhr auf Gleis 1 ein, die Türen wurden geöffnet, Fahrgäste stiegen aus und die Schülerscharen warteten ungeduldig, endlich die Abteile entern zu können. Beim Einsteigen in den Zug ist es nun mal so, dass mit der Erklimmen von zwei oder drei Stufen der Höhenunterschied zwischen Bahnsteig und Zug-Inneren überbrückt werden muss. Dabei, ob gewollt oder nicht, spannen sich die Röcke und Hosen eindrucksvoll um den mehr oder minder breiten Hintern. Das gilt auch für dreiviertel lange Lederhosen im bayrischen Stil. Genau diesen Moment nutzte ich aus und zog Ebse den Keilriemen einige Male über das Leder. Sein anschließendes Gejammer konnte mit dem aus dem Klassenzimmer nicht ansatzweise in Konkurrenz treten. Ich hatte somit nicht übertrieben. Außerdem sollte er ja auch nur wissen, dass ich zwar geschichtliche Daten, aber nicht Verfehlungen unter Mitschülern vergesse. Für mich war die Angelegenheit damit eins zu eins abgeschlossen.

Meine Familie hatte sich gerade zum Abendessen zusammengefunden, als es an der Haustür klingelte. Ein Blick durch das große Fenster hinaus auf unsere Einfahrt zur Garage brachte Aufklärung. Da stand er, der weiße Ford 17 M von Ebses Vater. Es gab da keine Zweifel, weil bei uns im Ort niemand sonst mit so einem Ding die Straßen unsicher machte.
Normalerweise besagten die innerfamiliären Regeln bei uns, wer am nächsten zur Tür sitzt, der öffnet sie auch. Da ich aber bereits wusste, wer da unten steht, ignorierte ich meine Pflicht und biss stattdessen in mein Käsebrot. Meine Mutter blickte mich nur fragend an. Mein Vater erinnerte sich jedoch der Möglichkeit des sprachlichen Austausches.

“Muss ma dir e Innlaadung schicke odder wärds ball?” (Stehe endlich auf und öffne die Tür.)

Meine Schwester, wie immer auf Konfliktvermeidung bedacht, deutete die Situation richtig und setzte ihren Hintern in Bewegung. Zwei Minuten später wurde es etwas eng in unserem Esszimmer. Denn im Schlepptau meiner Schwester folgten Herr Brill, Frau Brill, Ebse und dessen Schwester Hildegard. Jetzt plötzlich klappte das auch mit dem Erheben vom angewärmten Sitzplatz - zumindest bei meinen Eltern. Hände schütteln, Stühle beischleppen - das ging ruck-zuck. Und schon saß dieses Pack ganz nah an unserem Esstisch und Ebse konnte auf mein Käsebrot glotzen.

Meine Mutter erkundigte sich, ob sie was anbieten darf, was aber abgelehnt wurde. Dies zu erklären übernahm Frau Brill: “Loss mol sinn, Rita. Mir wolle uns gaar net lang uffhalle. Ihr solle eisch nur mol aangugge, was Eirer mit unserm Eberhard aanestellt hat.” (Euer Sohn hat was ganz Schlimmes mit unserem Liebling angestellt.)
Während mein Vater ganz ruhig und gelassen auf das wartete, was bereits angekündigt wurde, näherte sich meine Mutter der Schnappatmung. Dies war die normale Reaktion, wenn sich ankündigte, dass der Sohnemann mal wieder den guten Ruf der Familie in Gefahr gebracht hatte. Sie wusste noch nicht, um was es überhaupt geht, aber Schnappatmung und ein sich ankündigender Durchfall waren als Einleitung zur Katastrophe immer gerne willkommen.
Ebses Mutter führte weiter die Regie. “Eberhard, zieh amool dei Hoos aus und zej was der mit dir gemach hat.” (Ebse, mach dich mal untenrum frei.)

Nur mit größter Mühe konnte ich noch den Schluck Tee davor hindern, sich nicht, gleich einem Regenguss, über dem Aufschnitt zu verteilen. Hier bahnte sich ganz großes Theater an. Ebse, seines Zeichens Volldepp und kurz vor seinem 17.Geburtstag, wurde doch wahrhaftig von seiner Mutter gebeten im Esszimmer einer anderen Familie die Hüllen fallen zu lassen. Der Blick meiner Schwester verriet ohne Worte, dass sie sich im falschen Film wähnte. Mein Vater grinste sich einen ab, während seine Frau ihren Stuhl etwas vom Tisch nach hinten rückte, um einen besseren Blick auf das werfen zu können, was ihr ja bereits angekündigt wurde.

Noch heute ärgere ich mich, dass bei uns nie eine Filmkamera griffbereit war. Denn das Unfassbare geschah wirklich. Live und in Farbe zog Ebse blank. Und wenn ich blank sage, dann meine ich auch blank, da durch den Feinripp der Unterhose die Striemen nicht zu erkennen waren, die der Keilriemen verursacht hatte. Begutachtet wurde das dargebotene Objekt von den vier anwesenden Frauen. Obwohl Ebses Schwester und Mutter garantiert schon den ganzen Nachmittag dem Malträtierten den Schmerz vom Arsch abzuküssen versuchten, mussten sie jetzt trotzdem noch einmal ganz nahe ran. Hätte ich geahnt, was da kommt, der Ratschlag wäre an meine Schwester gegangen, dem Ochsen bei der Gelegenheit mal kurz die Eier zu quetschen.

Die Gesichtsfarbe meiner Mutter hatte sich der der Striemen angepasst. Die volle Verzweiflung im Gesicht stehend und so kurz vor dem Kollaps kam die Aufforderung an meinen Vater: “Dann saa doch du aach amool was.” “Was soll isch dann do saan? Isch hann doch schonn äfftersch e Hinnere gesiehn.” (Der typische Dialog zwischen Vater und Mutter, wenn es um die Erziehung der Kinder geht. “Jetzt sprich du das Machtwort.” “Keine Lust.”)
Mein Vater hielt es noch nicht einmal für notwendig, mich mit Blicken zu strafen. Er nutzte das Schweigen der weiblichen Truppe und stellte Herrn Brill eine Frage : “Erwin, männscht du net, die Zwää kännde alt genuuch sinn, um das unner sisch se reeschele?” (Erwin, und was sagst du dazu?)
Es folgt ein leichtes Räuspern und dann die Antwort: “ Peter, misch hat noch kääner gefroot.” (Ich habe so gut wie nie was zu sagen. Ich bin nur der Fahrer.)
Der nun folgende Satz katapultiert meine Mutter in die Verzweiflung.
“Wenn das so is Erwin, dann mache ma jetz emool e Flasch Ur-Pils uff un losse die doo mache, was se wolle.” (Jetzt gönnen wir uns ein Flasche Bier. Der ganze Rest soll uns egal sein.)
Genau auf dieses Stichwort hatte ich gewartet. Jetzt war auch ich bereit meine Energie zu investieren, um den in Schieflage geratenen Familienfrieden wieder die Senkrechte zu hieven.
Ich richtete meinen Blick auf meinen Vater und sagte: “Mach isch.” Was nichts anderes bedeutete, als dass ich den Gerstensaft in Flaschen aus dem Keller beischleppe.
Genau dies tat ich auch, stellte das Bier mit dem Flaschenöffner auf den Tisch und machte mich augenblicklich aus dem Staub. Denn es brauchte nicht viel Phantasie sich auszumalen, was meine Mutter in Ihrer Not nun von mir verlangen würde.

“Wolfram, jetz komm mool dohäär, gäbb im Eberhard die Hand un dann entschuldischt du disch bei deim Freind.” (Trab an und entschuldige dich.)

Doch ich war bereits auf dem Weg zu meinen Kumpels.
Ur-Pils.jpg

Sort:  

Ich hab das Saarländisch direkt in den Ohren und es lässt sich dank deiner hervoragenden Schilderung wunderbar in deine Kinheitsanektdote eintauchen.

Aufklärung bitte!!!!!

Hab nur ein faible für Dialekte :D und lese gerne Geschichten

Dann laafe mir uns mit Sischheit deemnääkscht noch iwwer die Fieß.
Isch fraije misch schunn.
Wolfram

Also ich kum halt mee vum süüde, vo dem her würds villicht awäng schwierig, jedefalls dappe ma eus digital zwüsche dä Füeß umenander 😅

Daniel

Ich beginne mich langsam zu kringeln ....
Lebte mal eine Zeit in der Nähe von Waldshut. Die sprachliche Eingewöhnung betrug glatte 3 Monate. Danach war ich süchtig nach dem Dialekt.
Bis die Tage, Wolfram

Dann kennst bestimmt auch Laufenburg 18km den Rhein runter, im Dorf oberhalb bin ich aufgewachsen... Die Welt ist klein

Na klar, do siehschde mol nommo, wie klään die Welt is.
Das war damals eine richtig klasse Zeit. Wenn ich mir nicht irgendwann selbst in den Hintern getreten hätte, meine Wurzeln hätten sich dort festgekrallt.
Gruß, Wolfram

Gaaanz großes Kino ist da vor meinem inneren Auge abgelaufen! :)

Wenn schon an der Glotze nichts läuft, unterhalten wir uns eben so. Und das ganz ohne Gebühren.
Gruß, Wolfram

Da bist Du mir "voraus".
Seit Jahren ohne TV lebend habe ich diese Alternative zum Glück nicht. :)

Die volle Verzweiflung im Gesicht stehend und so kurz vor dem Kollaps kam die Aufforderung an meinen Vater: “Dann saa doch du aach amool was.” “Was soll isch dann do saan?

Großes Kino. Kenne ich auch, sowohl als Kind wie auch als direkter Teilnehmer am Rechtsverkehr.

Apropos Rechtsverkehr: Es ist jammerschade, dass keine Tondokumente existieren von Fahrten im ersten Auto meines Vaters.
Er kannte zuvor nur sein Herkules Moped und sie den Porsche Traktor ihres Vaters. Mit den Dialogen hättest du Monty Python in die Knie gezwungen. Aber, wie immer, die Technik hinkt ständig hinterher.

Übrigens, war ein richtig geiles Auto. Hätte halt nur jemanden hinterm Lenkrad verdient gehabt, der mit dem Franzosen auch umgehen kann. Mein Vater dachte leider immer, dass gutes Zureden ausreicht. Meine Mutter vermisste mehr Ladefläche. Da war Opas Traktor klar im Vorteil.
Gruß, Wolfram

Köstlich, wunderbar geschrieben, erinnert mich an meine Jugend in den Siebzigern.
LG Beat

Freut einen doch, wenn man hört, schöne Erinnerungen wieder ans Licht gelockt zu haben.
Gruß aus Kroatien in die Schweiz
Wolfram

Deine Übersetzungen sind zu köstlich. Zum Glück hab ich mal in Hessen gelebt und diese nicht nötig. :))))

Reisen bildet also doch!

Umziehen. Nicht reisen. War die zweitlängste Zeit, die ich wo verbracht habe.

Wow, das liest sich aber mal super. Wortgewaltig - bereits ohne die Dialekteinschübe nebst grandioser Übersetzung - ein Genuss!!!! Deine Geschichte erinnert mich ein bisschen an die von Jürgen von der Lippe mit seinem Klassenkameraden Udo Lohmeier und Sambal Oelek...

Sofort auf die Seite gezogen. Reinhören geht erst morgen, da ich mich unbedingt mit meinem Beitrag zum JazzFriday beschäftigen muss.
Wenn ich dich unterhalten konnte, habe ich wohl genau das erreicht, was ich mir beim Schreiben vorgenommen hatte. Schau mal in die Geschichte über die beiden Straßenkehrer im Einsatz als Grasschweißer. Die trifft dann sicherlich auch deinen Geschmack.
Gruß, Wolfram

Herrlich 🤣 Ja Beiträge dieser Art wären sicher qualifiziert! 😊 Und das auch noch mit original Foto👍🏽 LG

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