Auch Revolutionäre können ganz schön große Arschlöcher sein!steemCreated with Sketch.

in #deutsch7 years ago

Meine Bekanntschaft mit Handschellen, während man anderswo aufständige Lieder sang

https://steemit.com/deutsch/@w74/wo-trieb-ich-mich-rum-waehrend-andere-menschen-schoene-lieder-sangen

Teil 2 (1968 - 1975)



Nachdem ich das, wie sich aber im Lauf der Jahre herausstellen sollte, unnütze Papier zur Bescheinigung meiner Hochschulreife in der Hand hielt, machte eine Frage innerhalb meiner Familie die Runde, die sich überhaupt nicht abzunutzen schien. „Was hat dann der doo iwwerhaapt voor?“ - Auf Deutsch und in der Interpretation meines Vaters: Aus diesem Querkopf wird doch nie was. Zu dieser Erkenntnis gelangten meine Erzeuger, als auch ihr x-ter Versuch kläglich scheiterte, mich für ein Pädagogikstudium (genau wie die Mama) oder die Betriebswirtschaft mit anschließender Geldschein-Politik (hier erübrigt sich die Zuordnung) zu begeistern. Eine Antwort für meine Eltern oder allseits akzeptablen Plan über den nächsten Monat hinaus, hatte ich auch nicht. Statt dessen aber eine Frage von für mich sehr hoher Brisanz. „Meiner Schwester habt ihr nach dem Abi den Führerschein bezahlt und ein Auto vor die Tür gestellt. Nach dem Gesetz der Logik müsste ich jetzt an der Reihe sein!?“ „Die hat, im Gegensatz zu dir, auch ihren Weg gemacht. Du bist jedoch der Meinung, alles besser zu wissen. Wir offerieren dir alle Möglichkeiten und beste Kontakte unserer Freunde. Wenn du diese Offerten partout nicht nutzen willst, musst du alleine sehen, wie du zurechtkommst.“



Diese Antwort, die mir auf diese, eigentlich recht übersichtliche und daher gut verständliche Frage serviert wurde, löste wohl in mir den Reflex aus, den ich bis heute nicht abgelegt habe: Immer einen möglichst weiten Bogen um die Herde der Folgsamen zu machen. Viele Steine, noch mehr Beton, ganze Matten Armierungseisen, Schweiß, Schürfwunden und Flaschenbier ebneten meinen Weg von der Baustelle zu dem Kapital, das ich benötigte für den grauen Lappen (Führerschein) und mein erstes Auto. Ein knallroter 2CV. Das geilste Auto überhaupt. Gut, vielleicht lasse ich den Renault4 und den Käfer noch gelten. Aber der ganze Rest war einfach nur zum Vergessen und außerdem nicht bezahlbar. Dieses Auto begleitete mich nach Auxerre, nach Basel, nach London, vors Standesamt, nach München und Frankfurt. Die ersten Sonnenstrahlen nutzend, meist mit aufgerolltem Verdeck und im Winter mit einer Flasche hochprozentigem Schnaps in Griffnähe, falls inmitten der Fahrt die Scheiben enteist werden mussten.



Ein gewisser Willy Brandt machte in Berlin auf sich aufmerksam, die Herren Filbinger und Kiesinger trugen die Fahnen der NSDAP bis in die höchsten Instanzen der Bundesrepublik und ich war aufgewühlt. Ich musste weg. Einfach nur weg von der Saar, wo die Menschen vom Kohlenstaub bereits dermaßen benebelt schienen, dass sie in ein-und-dem-selben Jahrhundert bereits zum 2. Mal, anstatt Seite an Seite mit Luxembourg den Grundstein für ein Europa der Regionen zu legen, mit Jubelgesängen zurück ins „Reich“ geflüchtet waren. Mit 100 unbeantworteten Fragen im Gepäck kratzte ich alle Ersparnisse zusammen, setzte mich in meine rote Ente und machte mich auf in die Mitte Frankreichs, wo mein Großonkel einen Weinhandel und eine kleine Pension betrieb. Dieser Mann war bereits vor 1938 nach Paris und später in die Nähe von Lyon geflüchtet, da er den schwarzen und braunen Uniformen nicht so recht trauen wollte und außerdem eine attraktive Dame bessere Argumente als die Rotzbremse aus Braunau vorzuweisen hatte. In Auxerre blieb ich beinahe ein ganzes Jahr hängen. War zwar so nicht geplant, aber die Touren von Winzer zu Winzer, Chateau zu Genossenschaft und zu den angesagtesten Gastronomen bis hoch nach Brüssel, die von meinem Großonkel beliefert wurden, entpuppten sich als absolut konkurrenzlos. Wer strebt unter den Umständen nach einem öden Studienplatz? Ich lernte sehr viel über den Wein und sog so ziemlich alles in mich auf, was ich in den verschiedensten Küchen miterleben durfte. Denn jedes Mal, wenn wir die große Tour fuhren (Paris, Nancy, Brüssel und dann an der Atlantikküste entlang zurück), machten wir meist bei den alten Stammkunden zwei bis drei Tage Rast. Während der Großonkel neue Kontakte knüpfte, arrangierte er es meist so, dass ich in der Küche der jeweiligen Pension oder Restaurant den Handlanger spielen durfte. Sensationelle Erfahrungen, die mir später noch große Dienste leisten sollten. Doch daran dachte ich in dem Moment noch nicht.



Anfang des Sommers parkte plötzlich ein VW T2 in Auxerre. Der Bus war von allen Seiten bunt mit den verschiedensten Motiven bemalt. Doch wirklich heraus stachen die rote Nelke am langen, grünen Stiel und die geballte, hochgereckte Faust. Beide Motive waren von einem Stacheldraht umwickelt. Während ich den VW-Bus noch aus Nähe begutachtete, verhandelte die Gruppe der Neuankömmlinge mit Monique (die, mit den besseren Argumenten als Adolf) über die Kosten für einen zweitägigen Verbleib in der Pension. Bereits am Abend kamen wir ins Gespräch. Sie hatten sich aus den verschiedensten Ländern zusammengefunden und waren auf dem Weg an den Golfe de Gascogne. Denn in der Region fand in dem Jahr das Treffen der sozialistischen Internationalen statt, um die Basken in ihrem Kampf um Autonomie zu unterstützen und, so ganz nebenbei General Franco mitzuteilen, dass nun Schluss mit lustig sei. Das hörte sich in meinen Ohren nicht nur gut, das hörte sich nach Widerstand und eingeforderter Solidarität an.



Zwei Tage später wurde ich von meinen „Pflegeeltern“ mit ess- und trinkbaren Rationen versorgt, die mich lockerst eine Woche überlebensfähig machen sollten. Adieu Auxerre, bonjour Biarritz! Es verging kaum eine Woche, da saß ich ganz brav auf dem Polizeirevier von Pau und hatte Zeit mich zu fragen, wieso meine Arme hinter meinem Rücken mit Handschellen verbunden sind? Vielleicht war die Idee, mit Transparenten, Bannern und viel Geschrei die Franzosen aufzufordern jetzt und sofort den Basken ihr Land zurückzugeben, doch noch nicht ganz bis zu Ende gedacht. Dass ich nicht mehr mit meinen Mitstreitern in der Zelle, sondern auf dem Revier saß, hatte ich dem Anruf meines Großonkels zu verdanken, der wohl seine Kontakte in der Region aktiviert hatte. Doch vor meinen ersten (aber nicht letzten) Erfahrungen mit Handschellen schlüpfte noch die Erkenntnis, dass sozialistische Revolutionäre ganz miserabel kochen, maximal von drei Liedern aus dem linken Spektrum den Text abrufbereit haben, anstatt Marx zu lesen und verstehen, viel lieber mit Drogen experimentieren und sich dabei als ganz dreckige, hinterlistige Kapitallistenschweine outen können.



Denn eines Abends, die große Mehrheit saß um das große Feuer, trank Rotwein aus dem Tetrapck, kiffte und philosophierten über den unendlichen Kampf gegen die Unterdrückung, stand ich in der Behelfsküche und bereitete mir was zum Essen, da ich Grießbrei und ähnliches Futter für Zahnlose verabscheue. (Und diesen Matsch sah man beinahe jeden zweiten Tag auf dem Teller.) Auf meinem Weg zurück zu meinem Zelt musste ich dann miterleben, wie einer der Dummschwafler, die tagsüber am lautesten nach der Befreiung des Proletariats schrien, in seiner Unterkunft getrocknete Bananenschalen, die er zu einer klebrigen Masse verarbeitet hatte, ganz sorgfältig mit über Stanniolpapier aufgewärmtem Haschisch vermischte. Die wundersame Kapitalvermehrung durch den selbsternannten Mitstreiter des Ernesto Che Guevara. Als der Freund meines Großonkels eine Kiste mit Köstlichkeiten aus dem Burgund auf der Wache den Polizisten übergab, wechselte man noch ein paar joviale Freundlichkeiten, ich wurde von den Handschellen befreit und bekam zum Abschied noch ein offizielles Schreiben überreicht.



Die Revolution im Baskenland musste verschoben werden, da die Franzosen der Meinung waren, ich müsste innerhalb von zwei Tagen das Land verlassen und danach auch drei Jahre nicht mehr versuchen Marianne unter den Rock zu schlüpfen. Das fand ich nicht sehr nett von meinen Nachbarn. Aber dieser Platzverweis bot mir die Möglichkeit Verschobenes nachzuholen.
Sort:  

Congratulations @w74! You have completed some achievement on Steemit and have been rewarded with new badge(s) :

Award for the number of comments received

Click on any badge to view your own Board of Honor on SteemitBoard.
For more information about SteemitBoard, click here

If you no longer want to receive notifications, reply to this comment with the word STOP

By upvoting this notification, you can help all Steemit users. Learn how here!

danke für diese Reise
"Kapitalisten Schwein"...naja am Ende machen sie es alle für Geld ob in Form von Scheinen oder Geschlechtspartnern oder Abendteuern mit denen sie ihren Lebenslauf aufwerten können. Das "Kapitalisten Schwein" hatte vermutlich gefallen an anderen Abenteuern und brauchte deswegen etwas, das man besser weiter tauschen kann. Mit Drogen-Trip-Erfahrungen kommt man nicht weit :)

Wer in der gen Himmel gestreckten Faust lediglich das gestreckte Dope hält, sollte besser zuhause im Keller bleiben.

Belasse deine geballte Faust besser in der Tasche, wenn du deinem Nachbarn mit ihr nur Wut und Macht demonstrieren willst. Dope zu verunreinigen ist schlimmste Körperverletzung.
Danke für den Kommentar, Wolfram

Hahaha ... da gibt es Parallelen :-). Ich muss aber zugeben, dass ich insgesamt artiger war als Du. Mein erstes Auto war auch ne Ente, allerdings orange. Von der träume ich heute noch. Hatte die Rückbank rausgeschraubt und ne Matratze reingedonnert. Da konnte man tolle Sachen drauf machen. Und wenn man die Heckklappe öffnete, konnte man auch wunderbar drin schlafen. Neulich war ich kurz davor, mir nochmal eine zuzulegen. Leider war mir der Spaß etwas zu teuer. Bei der Linksfront war ich früher auch mal. Nachdem ich Kontakt mit Trotzkisten und das Privileg hatte, einige Zeit in Russland die Konsequenzen von 70 Jahren Menschheitsbeglückung zu sehen, war ich dann geheilt :-)

Hallo Leroy,
ich hätte wohl früher geantwortet, wenn es mir gegönnt gewesen wäre. Seit einigen Tagen vermiest mir meine Bandbreite jeglichen spontanen Kommentar oder Reply. Keine Ahnung, wie ich dem vorbeugen kann.
Doch nun zum Wesentlichen. Den Schritt ins Rote Reich der alten, sich ständig küssenden Männer habe ich mir erspart. Erinnerungen von Wolfgang Leonhard und Herbert Wehner nahmen mir wohl die Lust auf eine Bärenfellmütze. Die roten Helden waren doch sowieso dünn gesät. Ho Chi Minh oder Fidel gingen ja fast unter in dem Kult um einen Vollidioten wie Mao. Aber das ist schon fast eine Geschichte für sich.
Genau wie die Erinnerungen an den 2CV. Ich Blödmann hatte sogar 2 von der Sorte und habe beide verkauft. Den Letzten sogar gegen einen Peugeot 5 Lakotz eingetauscht. Dass ich nicht alle Tassen im Schrank habe, das hätte mir eigentlich schon damals auffallen sollen. Aber das mit der Matratze steht außer Zweifel - besser schaukelte es sich nirgendwo. Meine kleine Geschichte um das geilste Auto der Welt wird folgen - und schon wieder werden die Flutes-Köpfe eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Aber das dürfen sie auch. Schließlich haben sie das Kunstwerk auch erfunden.
Gruß, Wolfram

Ich muss sagen, dass ich es mit ähnlichen Ansätzen ausgestattet, nicht so gut geschafft habe, den faschistoiden Tendenzen meiner Eltern zu entkommen, irgendwie war ich wohl auch zu sehr ins elterliche System eingebunden um erfolgreich auf eigenen Beinen mein Glück zu finden, wobei... Das Glück eines Kampfes Seit an Seit mit Sozialisten... naja bin da mittlerweile skeptisch... Mir kam da beim Lesen deiner interessanten Anekdote, der Satz in den Sinn

Wer mit 18 keine Sozialist ist hat kein Herz und wer es mit 30 noch ist, hat keinen Verstand... Aber du zeigst ja auch in der Rückschau teilweise Skepsis. Es sind halt die die anderen Dinge, die neben dem groskotzigen Kampf gegen den Kapitalismus- welcher sich eigentlich auch nur durch die Summe aller freiwilligen Entscheidungen aller Menschen auszeichnet - auch immer noch stattfinden, wie Zwang Gewalt Kollateralschaden und IMMER Armut und Elend, wenn einem dann der Reichtum und Wohlstand der Anderen ausgegangen ist. Denn leider dreht es sich nie um Altruismus und Bescheidenheit, das könnte man ja still und leise für sich praktizieren, nein es geht immer um andere, die Unterdrückt scheinen und für die man die Besten Pläne hat. Aber das hörte sich jetzt zuletzt so kritisch und negativ an, also zum Abschluss Danke für diesen kurzweiligen Einblick und ein upvoting und ein resteem

:D

Entschuldigung dafür, nicht ganz so ausführlich zu antworten. Wie ich bereits bei Leroy angedeutet habe, lässt mir meine zu geringe Bandbreite in den letzten Tagen nur geringen Spielraum für Aktivitäten. Da meine Schreiberei voraussichtlich auch weiterhin nur ein Nischenprodukt bleibt, wird sich an dem Zustand auch so schnell nichts ändern.
Was das mit den 18, 30, 45 Jahren betrifft, muss ich dich leider enttäuschen. Dem Sozialisten in mir, habe ich immer ein warmes Bettchen bereitgehalten. War aber auch nicht sonderlich schwer, wenn Menschen wie Otto Graf Lambsdorff, Margaret Thatcher oder (oh mein Gott) Gerhard Schröder dir (beruflich) über den Weg laufen. Aus dieser inneren Einstellung hatte ich nie ein Geheimnis gemacht und oft genug auch die Quittung für diese Offenheit erhalten. Demokratischer Sozialismus ist keine schlechte Sache. Man müsste sie nur endlich mal richtig angehen. Das hat bisher noch niemand getan. Gebrauchsanleitungen gibt es genügend - nur liest die kein Mensch. Genau so wenig wie die Ikea Anleitungen. Jeder behauptet zwar das Teil lockerst hinzubekommen - scheitert aber letztendlich kläglich. Zum Abschluss: Ich gehöre nicht zu den Missionaren.
Gruß, Wolfram

👍 Alles klar, easy, hab verstanden, können wir gerne so stehen lassen. Freu mich weiterhin von Dir zu lesen.

Genial! Sehr schön zu lesen- ich mag Deinen Schreibstil total gerne :-)

Hallo Romy,
dann lohnt sich die Mühe wenigstens.
Danke, Wolfram

Auf jeden Fall !

Dein anschauliches Schreiben, dazu die Auswahl der Videos, das schafft Atmosphäre. Danke dafür.

Wenn ich weiß, dass dein kritisches Auge den Text abscannen wird, wird noch eine Schaufel Mühe zugelegt.
Bis die Tage, Wolfram

🔦 👓 🔎 😉

Schön erzählt. Du scheinst was erlebt zu haben, freue mich auf mehr

Hoffentlich war das noch nicht alles!? Aber die nächste Episode folgt. Danke für die Aufmerksamkeit.
Etwas überrascht musste ich aus deinem letzten Post herauslesen, dass du dem Wort Pause in naher Zukunft eine größere Bedeutung beimessen willst. Ich kann es auch nachvollziehen. Trend-Hopper sind in meinen Augen überbewertete Clowns. Ich lese, verarbeite und warte geduldig auf die Dosis satirisches Gedankengut, die dem verarbeiteten Einheitsbrei meine Sichtweise verleiht. Bringt zwar keine Reputation, aber mir bereitet es Spaß.
Bis demnächst, Wolfram

Interessant. Upvote und Folow.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang interessant? Das würde mich dann doch interessieren. (So, jetzt haben wir den Wortstamm genügend strapaziert.)
Gruß, Wolfram

klingt wie into the wild, das Buch.

In der folgenden Episode wirst du die Unterschiede erkennen. Basel und London klingen nicht nach amerikanischer Wildnis.
Außerdem habe ich mir vorgenommen, mich intensiver mit deinen Posts zu beschäftigen. Aber jetzt muss ich mich dringend noch mit dem Thema ERFOLG befassen, da @asperger-kids morgen von mir ein paar Gedanken erwartet.
Grüße, Wolfram

Nice, thanks for sharing

Coin Marketplace

STEEM 0.16
TRX 0.15
JST 0.028
BTC 55838.64
ETH 2285.93
USDT 1.00
SBD 2.33