Ein Märchen vom Gelde

in #deutsch6 years ago (edited)

Liebe Steemit Community,
liebe Freiheitsfreunde,
liebe Freiheitsfeinde,

vor nicht all zu langer Zeit, in einem nicht zu weit entfernten Land, existierte ein kleines Dorf.

Bildquelle: pixabay

Der Name dieses Dorfes ist nicht von Bedeutung.
In diesem Dorf lebten 50 Menschen friedlich zusammen.
Jeder ging einer Tätigkeit nach, das Privateigentum wurde geachtet und jegliche Form von Regierung oder Herrschaft war den Dorfbewohnern unbekannt.
Zu früheren Zeiten basierte der Handel zwischen den Dorfbewohnern auf reinem Naturalientausch.
Man tauschte Kartoffel gegen Weizen, Äpfel gegen Birnen, Fisch gegen Milch.

Aber die Dorfbewohner waren mit der Situation nicht zufrieden.
Als einmal der Bäcker eine ganze Kuh von einem Hirten kaufen wollte, um ein Festessen zur Feier der Geburt seines ersten Sohnes zu geben, standen sie vor einem Problem.
Er konnte dem Hirten nicht den entsprechenden Gegenwert der Kuh in Brot liefern.
Die geforderten 2.5 Tonnen Brot überstiegen seine Kapazitäten, außerdem hatte der Hirte auch keine Verwendung für 2.5 Tonnen Brot, denn das Brot war maximal eine Woche haltbar. Gefriertruhen gab es damals noch nicht.
Aber der Hirte hatte eine geniale Idee.
Er kreditierte dem Bäcker die Brotlieferung.
Von nun an bekam er für die nächsten 2'500 Tage, jeden Tag ein Kilogramm Brot.
Da der Bäcker die Kuh sofort bekam, es für ihn aber 2'500 Tage dauern würde, bis der vollständige Tausch erfolgt war, verlangte er als Zins noch täglich ein Stück Kuchen.

Beide wurden sich einig und der Bäcker stellte ihm einen Gutschein über 2.5 Tonnen Brot und 2'500 Stück Kuchen aus und versah den Gutschein mit seiner Unterschrift.

Die anderen Dorfbewohner fanden die Idee so gut, dass sie zukünftig alle ihre unvollendeten Tauschgeschäfte mit Gutscheinen erledigten. Die Gutscheine verblieben nicht immer bei der gleichen Person, sondern wanderten von Hand zur Hand, sie wurden zum Wechsel und wurden zukünftig als Zahlungsmittel eingesetzt.
Jeder der einen Wechsel weiterreichte, um mit ihm zu bezahlen, dokumentierte das auf dem Wechsel ausgewiesene Tilgungsversprechen mit seiner Unterschrift und war somit nicht nur Gläubiger sondern auch Schuldner.
Jeder der den Wechsel als Zahlungsmittel annahm, hatte von nun an einen Leistungsanspruch gegen alle Wechselschuldner, die auf dem Wechsel unterschrieben hatten.

Dieses System war ein großer Schritt vorwärts, aber die vielen verschiedenen Wechsel, die alle auf unterschiedliche Waren lauteten, waren doch auch etwas umständlich.
Auch war es für die Personen, die einen Wechsel mit der Unterschrift einer Person erhielten, die sie nicht so gut kannten, schwierig, die Tilgungsfähigkeit des Wechselausstellers zu beurteilen.

Einen Einheitswechsel müsste es geben.
Die Dorfbewohner begaben sich zum Dorfältesten, der ein sehr weiser und erfahrener Mann war und fragten ihn um Rat.
Der Dorfälteste erklärte sich bereit, die Tilgungsversprechen bzw. die Tilgungsfähigkeit eines jeden potentiellen Schuldners in der Zukunft zu prüfen und zu kreditieren.
Als Wertmaßstab für diese Einheitswechsel wählte man den Begriff Creditero aus.

Zukünftig kamen alle, die einen Wechsel ausstellen wollten, zu ihm. Der Dorfälteste überprüfte die zu liefernde Ware und die Tilgungsfähigkeit des potentiellen Schuldners und stellte ihm dann einen Einheitswechsel aus, auf dem er seine subjektive Bewertung als Zahl eintrug und mit dem Wertmaßstab Creditero versah. Für diese Dienstleistung verlangte er nach seiner subjektiven Einschätzung einen bestimmten Zinssatz.
Die Dorfbewohner vertrauten der Bewertung des Dorfältesten und tauschen von nun an ihre Waren gegen Creditero. So war es den Schuldnern möglich, ihre Waren gegen Creditero zu verkaufen und damit ihre Schulden beim Dorfältesten wieder zu tilgen.

Dieses System funktionierte hervorragend über viele Jahrzehnte.

Eines Tages kam ein fremder Mann ins Dorf.
Er stellte sich mit folgenden Worten vor:

"Guten Tag, ich bin ein Professor aus Wien und würde gerne in ihrem Dorf ein paar Tage Urlaub machen.
Kann mir jemand ein Zimmer vermieten. Als Bezahlung biete ich jeden Tag eine Vorlesung über Ökonomie an."

Die Bürger gaben ihm Unterkunft und zu Essen.
Interessiert lauschten sie seiner ersten Vorlesung:

"Ihr habt das falsche Geldsystem. Mit eurem ungedeckten Papiergeld, das euer Dorfältester einfach so aus dem Nichts erschafft, riskiert ihr große Verwerfungen in eurer Dorfwirtschaft, Inflation, Deflation bis hin zu einer großen Depression mit 50% Arbeitslosigkeit und unglaublicher Not.
Ihr könnt den Crash eurer Dorfwirtschaft nur verhindern, indem ihr euren Creditero mit einer bestimmten Menge Gold deckt. Zukünftig wird es dann eine feste Menge von Creditero geben, die man dann jederzeit in eine feste Menge Gold tauschen kann."

In der Dorfgemeinschaft besaß zwar keiner Gold, aber der Professor erklärte ihnen, dass man Gold unter der Erde finden oder aus Flüssen waschen kann.
Aus Angst vor dem großen Crash machten sich sofort 25 Personen der Dorfgemeinschaft auf und schürften nach Gold. Es konnten jetzt zwar nur noch 50% der Waren produziert werden, aber aus Angst vor dem Crash erklärten sich die Dorfbewohner bereit für einige Zeit den Gürtel enger zu schnallen.

Die Goldsucher gruben und gruben, aber sie fanden kein Gold. Die Lebensmittelvorräte wurden immer weniger. Eine Hungersnot überzog das Dorf. Aber die Angst vor zukünftigen Finanzcrashs trieb sie immer weiter an.
Das Geld muss gedeckt werden, hämmert ihnen der Professor aus Wien immer wieder ein.
Die ersten Menschen starben vor Hunger, aber man grub weiter.
Als nur noch einer im Dorf am Leben war, stieß er plötzlich auf einen Klumpen Gold, hungrig stürzte er sich in das Loch und biss genüßlich hinein.
Endlich haben wir eine goldgedeckte Währung und müssen keine Angst mehr vor der Finanzkatastrophe haben, seufzte er noch bevor er tot zusammenbrach.

Heute erinnert nur noch ein Gedenkstein, der von einem unbekannten Steinmetz angefertigt wurde, an die Tragödie von damals.

Im Jahr 2008 kam der Fahrer eines roten Alfas an dem Gedenkstein vorbei.
Er war von Beruf Mechanikermeister, interessierte sich aber auch sehr für Computer.
Als er die Inschrift auf dem Gedenkstein las, war er wegen der Tragödie erschüttert.
Er hatte aber eine zündende Idee.
Um solche Tragödien in Zukunft zu verhindern, muss ein perfektes Geldsystem her.
Aber davon handelt das nächste Märchen....

Bis bald,
Stephan Haller

P.S. Ich habe dieses Märchen für meine Tochter geschrieben, um ihr in den nächsten Jahren kindgerecht das Wesen des Geldes näher zu bringen.

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Ich würde mir nochmal überlegen, ob Du das Deiner Tochter als Alternative zum offiziellen Währungs-Narrativ anbietest. Nur so ...

Deshalb verzweifeln so viele am Wesen des Geldes, weil es ganz so einfach nun doch nicht ist. Der Wechsel kann zu Geld werden, aber nur in einem kleineren Kreis. Der Wechsel ist nur ein kleiner Teil von vielen Tauschvorgängen. Dem Wechsel geht der Gutschein voraus. Erst wenn der Gutschein durch mehrere Hände geht, wird er zum Wechsel. Das für Kinder rüber zu bringen ist sehr schwer, da braucht man freilich noch ein paar mehr Geschichten. Aber es ist ein Versuch wert.

Denke ich auch.
Die Geschichte/ das Märchen ist super für uns.
Wir können jedoch auch die Stilmittel sowie Hintergründe verstehen.
Ich denke nicht, dass du @stehaller deiner Tochter beibringen willst jeden intellektuellen aus Wien als böse zu sehen..^^

Ein schönes Märchen.

Danke!

Tolle Geschichte!

Beim Durchlesen kam mir folgender Film in den Sinn, welchen ich vor Jahren das letzte Mal gesehen habe :

auch wenn ich schon lange kein Kind mehr bin, fand ich die Geschichte inspirierend.

das war schön!!

Bravooooooooo !! Ersteinmal, schreiben zu können und dafür, den Irrsinn des Geldes so bravorös darzustellen !!

Meinen Daumen haste sicher + Resteem !!

Grüße

Michael

P.S. Ich habe dieses Märchen für meine Tochter geschrieben, um ihr in den nächsten Jahren kindgerecht das Wesen des Geldes näher zu bringen.

Für die noch ältere Tochter (und natürlich nach vorheriger inhaltlicher Prüfung durch den Vater!) empfehle ich das bereits geschriebene Büchlein

"Vom Gelde"
"Briefe eines Bankdirektors an seinen Sohn"
von Argentarius
ISBN 978-3-86445-291-8

Argentarius ist das Pseudonym von Alfred Landsburgh, 1872-1937, der in Briefen seinem Sohn die Natur des Geldes erklärt.

Verdammt!

Ich vergaß, mich mit einem aus der Lehrergilde angelegt zu haben...

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