Die Morgenseiten #8 - Tag der Arbeit [German]

in #deutsch6 years ago (edited)

Liebe Leute,

wer ist eigentlich auf die Idee gekommen, die Zeit der Menschen in Arbeit und Freizeit zu unterteilen? Und wie definiert sich eigentlich Arbeit im Gegensatz zu Freizeit?

Irgendwie muss ich bei dem Thema immer an die Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral von Heinrich Böll denken, die er für eine Sendung des NDR zum „Tag der Arbeit“ am 1. Mai 1963 schrieb. Zusammengefasst geht die Anekdote ungefähr so:

Ein ärmlich gekleideter Fischer döste am Hafen einer etwas abgelegenen Bucht, als ein Tourist, ein Manager, ihn mit einem klickenden Fotoapparat weckte.

„So ein hervorragendes Wetter zum Angeln“, sprach der Manager ihn an, „was machst Du hier am Strand, Du könntest heute unzählige Fische fangen. Warum bist Du so faul?“.

„Ich war in den frühen Morgenstunden schon draußen und habe so viel gefangen, dass es für die nächsten Tage reicht“, antwortete der Fischer nach einer Weile.

„Ja, aber stell’ Dir vor, Du gibst jetzt richtig Gas, fährst drei- oder viermal täglich raus und den Gewinn investierst Du in weitere Boote und in Angestellte. Du könntest sogar das Ausland beliefern. Keine zehn, fünfzehn Jahre später verkaufst Du das Unternehmen und bist reich. Dann kannst Du und am Strand liegen und dösen.“

„Am Strand liegen und dösen … das tue ich doch jetzt schon“, so der Fischer.

Die Überheblichkeit des Managers wich Neid und Scham und er zog davon.

Quelle

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Arbeiter im Dortmunder-U / Eigenes Foto / Dortmund 2010

Leben, um zu arbeiten oder arbeiten, um zu leben?

Es gab sicher Zeiten, in denen sich die Menschen einreden ließen, dass sie ihr ganzes Leben arbeiten müssten, um sich dann am Lebensabend die "wohlverdiente" Ruhe zu gönnen. Wer nicht so lange warten wollte, sondern sich schon in jungen Jahren Zeiten der Erholung gönnte, galt als fauler Schmarotzer.

Scheinbar bestand ein Konsenz darüber, dass man in erster Linie etwas für die Gesellschaft tun müsse, bevor man an sich selber denken durfte.

Videobeweis

Das folgende Video passt ganz gut zum Thema, ich habe es so ca. 1989 auf der Schnettkerbrücke in Dortmund mit meinem damaligen Kumpel Sascha aufgenommen.


"Hier erholt sich der Arbeit-eeeerrrrr von seiner verantwortungsvollen Arbe-iiiittttttt in der Fabrik!"

Definition

Während ich diesen Artikel schreibe, werde ich alle 30 Sekunden von meiner Tochter unterbrochen: "Immer musst du arbeiten! Wann spielst du endlich mit mir?" und es kommt mir fast so vor, als wäre das Spielen mit meiner Tochter "Arbeit", da ich ihre Bedürfnisse (statt meiner) befriedigen soll und als wäre meine "Arbeit" (das Schreiben dieses Artikels) mein Freizeitvergnügen (da ich es mir freiwillig ausgesucht habe).

Bedeutet also Arbeit, etwas für andere zu tun, während Freizeit bedeutet, etwas für sich selbst zu tun? Und warum wird dazwischen in der Regel unterschieden? Darf Arbeit also (per Definition) keinen Spaß machen und ist damit alles, das man mit Leidenschaft und Spaß betreibt, keine Arbeit?

Talkshow-Pranger

Ich erinnere mich noch gut daran, wie in den 90er Jahren bei Hans Meiser und Co. regelmäßig Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger an den Pranger gestellt wurden, da sie sich scheinbar den Regeln der Gesellschaft widersetzten. Und ohne damit Leute in Schutz nehmen zu wollen, die grundsätzlich auf Kosten anderer leben wollen, offenbart sich dahinter doch auch eine Strategie. Menschen, die nicht arbeiten, lassen sich nämlich nicht so gut kontrollieren. Solange man brav einem Job nachgeht, kommt man dagegen nicht auf "dumme Gedanken", man befindet sich bis zu einem gewissen Grad unter der Kontrolle von Kollegen und Vorgesetzten.

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Der Arbeiter als Gummipuppe / Eigenes Foto / Weimar 2017

Druck

Gleichzeitig wird in den letzten Jahren immer mehr von den "Arbeitern" erwartet: Überstunden, Flexibiltät, ständige Erreichbarkeit (dank Handy und Email) sind nur einige Beispiele. Kaum jemand kann es sich in seinem Job "gemütlich" einrichten: Wenn man nicht bereit ist, sich ständig weiterzubilden und neuen Herausforderungen zu stellen, sitzt man mitunter schneller auf der Straße, als man gucken kann.

Dieser Druck hat zu einem Phänomen geführt, das man früher kaum kannte, dem sogenannten "Burn-Out". Wenn man das Gefühl hat, man kann den Ansprüchen, die an einen gestellt werden, niemals gerecht werden und wenn die sogenannte "Work-Life-Balance" aus dem Gleichgewicht gerät, werden die Menschen zuweilen nicht nur psychisch, sondern auch körperlich krank.

Grundeinkommen

Wir sollten versuchen, wieder mehr für uns selbst zu leben und herausfinden, welche Tätigkeit uns glücklich macht. Eine Arbeit, die selbst gewählt ist, bringt nicht nur für uns, sondern für die gesamte Gesellschaft einen größeren Nutzen, als die fremdbestimmte Arbeit, die die Menschen zwingt, einen großen Teil ihrer Lebensenergie - in der Hoffnung auf einen entspannten Lebensabend - für Wirtschaft und Kapital zu verschwenden.

Ich finde den Ansatz eines Grundeinkommens sehr interessant, bei dem jeder Mensch genügend Geld bekommt, um sein Überleben zu sichern und dadurch die Gelegenheit hat, sich ganz ohne Überlebensdruck zu überlegen, welche Tätigkeit ihm oder ihr am meisten Spaß machen würde.

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Leben und Arbeiten / Eigenes Foto / Mallorca 2016

Steemit

Dank Steemit habe ich eine "Arbeit" gefunden, die mir Spaß macht und bei der ich mich mit den Themen beschäftigen kann, die mich am meisten interessieren. Auch wenn ich von meinen Einnahmen bisher nicht leben kann, hat Steemit sehr viel für mein Selbstwertgefühl getan und ich fühle mich bestätigt, mein Leben insgesamt mehr danach auszurichten, das zu tun, was meinen Interessen und meiner Leidenschaft enspricht; insbesondere auch meine Identität als Künstler auszuleben.

Wie geht es euch? Wie definiert ihr Arbeit? Was müsste sich ändern, damit Arbeit und Freizeit wieder ins Gleichgewicht kommen? Oder habt ihr euren "Traumjob" bereits gefunden?

Ich freue mich auf eure Kommentare!



@shortcut

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No way I can address this question in a comment ; -) The video is actually quite remarkable on a few levels. First, I love the way it captured a moment in time. Second, it was funny on the surface, yet if one reflects about the lives of those who were seeking a connection to the wonder of nature with their limited means, it is poignant (rührend.)

No way I can address this question in a comment ; -)

Hehe, then you'll have to write a post about it ;-)

The video is actually quite remarkable on a few levels.

Thanks, I really agree, that the video contains some kind of deeper wisdom inside. It's quite remarkable, how some people are satisfiable by a small piece of garden below an autobahn bridge. When you look at Asia for example, they are even happy with (digital) pets instead of children, all for the pleasures of having a job.

Absolutely, so great that this video gets some well deserved exposure, thanks again for sharing this!

I have a friend who said that he became an artist to avoid having to have a real job. Work is to me two things - something you do with your time while being alive, and an important social system. Like my friend I am not much for the latter way. On the other hand, I work all the time. Due to my recent weaknesses I actually had the idea that I might need to take some time of Sunday - do whatever I wanted, but in the end all I wanted was to get on with my projects. I have had times in the past where I could be stressed from to many obligations and personal goals, but right now I just throw it all away if I can't handle it, like I had to do in January/February. It is after all just work :)

I loved the video too. Video-quality, clothing, the whole way of recording... I am not sure what does it but it has a completely different vibe from something made today.

Thanks for your feedback! For myself I can say, that I also work all day (and sometimes even stress me about getting not enough things done). But as it's mostly self-determined work, it feels natural and right. When I worked for other people, I often felt heteronomous and used very often. So I guess, I should follow my instincts and make a living by doing what I want to do (however you call it).

When I bought the video camera, it somehow became obvious, that this could be the way to go regarding my jobwise direction. And so I became a Cameraman and Editor some years later. I guess, it didn't has to do with my camera work (and the great zooming), rather with the ability to catch a certain moment in time.

I am inspired by your anecdot @shortcut, why work so hard to enjoy life later, when we can enjoy our life today, we save as much as possible, not necessarily we have time to enjoy it, why we do not enjoy it right now,
you ask "we live to work or work for life"?
I personally work for life, so I enjoy my work, I am a farmer and teacher, I enjoy both, it is beautiful

Congrats :-) In our country teachers have to work more every year. My wife is a teacher, so I do not what I'm talking about. It has become more like a 14h manager job (and they even work a lot at weekends). There is no time for farming or gardening left :-(

where I teach teachers only 40 hours a week, so much time for farming, cycling, your place is really amazing

Uhm, it‘s always the responsibility of ourselves to change the things, we don‘t like. Hopefully with the help of Steemit we will have more time for the fun things ;-)

Schöner Artikel, vor allem das Video ist großartig.
Die 80er da kommen Kindheitserinnerungen zurück :-)

Bitte kein Grundeinkommen. Andere Menschen zu zwingen einen Teil ihrer Lebenszeit zu opfern, damit man sie an die Gemeinschaft verteilen kann, finde ich eine furchtbare Vorstellung.
Gott sei Dank würde sich dieses Konzept schnell selbst beenden.
Die Frage ist nur, wie würde der Staat dann reagieren?
Mit Arbeitszwang? Keine schöne Vorstellung.

Danke für dein Feedback!
Die Idee des Grundeinkommens ist eher, die Menschen von Zwang zu befreien, als sie zum "opfern ihrer Lebenszeit zu zwingen".

Genau das passiert ja im Augenblick: Wer nicht arbeitet (weil er zB. mit anderen wichtigen Dingen beschäftigt ist) bekommt einen enormen gesellschaftlichen Druck zu spüren und wird teilweise sogar gezwungen, eine Arbeit anzunehmen, die weder seinen Fähigkeiten entspricht, noch zu einem befriedigenderen Leben führt.

Tatsächlich unterstützen die Berufstätigen durch Steuern und Sozialabgaben die Schwächeren schon heute, die Frage ist halt, ob das jetzige System genügend Möglichkeiten für die Schwachen schafft, sich aus ihrer Situation zu befreien. Statt dessen werden immer mehr Jobs durch befristete Anstellungsverträge, Niedriglöhne oder unbezahlte Praktika "geschaffen", die die Schere zwischen Arm und Reich immer größer werden lassen.

Lieber @shortcut.
Selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen ist gleichzeitig die wichtigste und edelste Tätigkeit die ein Mensch tun kann. Selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen macht Dich erst zum freien Menschen. Leider haben die Nazis diese wahre Tatsache als Spruch über den KZ's missbraucht.

Statt dessen werden immer mehr Jobs durch befristete Anstellungsverträge, Niedriglöhne oder unbezahlte Praktika "geschaffen", die die Schere zwischen Arm und Reich immer größer werden lassen.

Genau das findet eben nicht statt. Im Handwerk (ich unterrichte Maler, Fahrzeuglackierer und Maurer) wird momentan jeder genommen, der auch nur einigermaßen geradeaus laufen kann und es werden dort auch hohe Löhne bezahlt. Nicht einmal mehr schriftliche Bewerbungen sind notwendig.

Wer nicht arbeitet (weil er zB. mit anderen wichtigen Dingen beschäftigt ist) bekommt einen enormen gesellschaftlichen Druck zu spüren und wird teilweise sogar gezwungen, eine Arbeit anzunehmen, die weder seinen Fähigkeiten entspricht, noch zu einem befriedigenderen Leben führt.

Was ist die Alternative? Andere Menschen zu zwingen für sie mitzuarbeiten, nur weil sie gerade wichtigeres zu tun haben?

Das BGE wird langfristig nur dazu führen, dass der Kuchen den es zu verteilen gibt, kleiner wird.

Ich habe mich zum BGE vor 3 Monaten schon geäußert:
https://steemit.com/deustch/@stehaller/gedanken-zum-bedingungslosen-grundeinkommen
https://steemit.com/deutsch/@stehaller/weitere-anmerkungen-zum-bedingungslosen-grundeinkommen

Ich wünsche Dir noch einen schönen restlichen Feiertag.
Meine Tochter muss jetzt ins Bett.

Ich sehe schon, dass wir da wahrscheinlich nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen werden, da du von einer sehr pessimistischen Sicht des Menschen ausgehst, während ich vielleicht ein bisschen zu optimistisch auf den inneren Antrieb des Menschen blicke, sich weiterentwickeln und etwas Produktives schaffen zu wollen.

Nach deiner Sicht bedarf es immer eines Druckes von außen, um den Menschen zur Arbeit zu bewegen und fällt dieser weg, legt er sich automatisch in die (soziale) Hängematte.

Dabei übersiehst du ggf. dass das Grundeinkommen ja lediglich der Sicherung der Grundbedürfnisse dient, also so eine Art Sozialhilfe ohne Bürokratie. Jeder, der etwas mehr vom Leben erwartet, als nur zu überleben, hat weiterhin genug Anreize, sich über das BGE hinaus zu betätigen und sich dadurch Wohlstand oder sogar Luxus zu leisten (und diesen auch weiterhin für die Gesellschaft zu schaffen).

Die Beispiele der Gewinner eines befristeten Grundeinkommens zeigen oftmals, dass die Menschen ein BGE nutzen, um sich weiterzubilden, um ihre beruflichen Perspektiven zu verbessern oder sich sozial zu engagieren (dazu gehört auch mehr Zeit mit der eigenen Familie zu verbringen).

Dass wir gerade einen Handwerkermangel in Deutschland haben, liegt übrigens meiner Meinung nach an einem durch andauernde Niedrigzinsen ausgelösten Bauboom, bei gleichzeitig immer weiter steigenden Mieten. Dadurch haben die Leute ja nicht wirklich mehr Geld in der Tasche oder langfristig bessere Perspektiven, eher werden dadurch beide Elternteile von Familien gezwungen, die nächsten 25 Jahre durchzuarbeiten, weil sonst die Zwangsversteigerung droht und alles für den Ar*** war.

Auch wenn wir auf keinen gemeinsamen Nenner kommen, ist unsere Diskussion doch eine angenehme Art sich die Zeit zu vertreiben.
Ich lehne jegliche Form von Umverteilung grundsätzlich ab. Nicht weil ich es den Bedürftigen nicht gönne, sondern weil sie gerade den ärmsten am stärksten schadet. Der Sozialstaat ist eine Droge, die die Menschen auf gedeih und Verderb in Abhängigkeit führt. Man braucht sich nur den wirtschaftlichen Zustand der schwarzen Bevölkerung vor und nach der Great Society anschauen. Die ganzen Sozialprogramme und affirmative action haben dieser Bevölkerungsgruppe extrem geschadet und sie in einen Zustand versetzt, aus dem es kaum mehr ein Entrinnen gibt.

Ich finde die Idee des Grundeinkommens zwar auch attraktiv und in der Schweiz wurde ja auch bereits darüber abgestimmt. Es stellt sich jedoch die Frage, wie dies zu finanzieren ist. Woher soll das Geld kommen, um allen den Grundbedarf zu sichern?

Ich bin kein Experte, habe aber gelesen, dass es sehr viele unterschiedliche Ansätze zur Finanzierung des Grundeinkommens gibt.

Meine Vorstellung ist ein bisschen so wie bei Steemit: Die neu erzeugten Steem haben ja ansich nur dadurch einen Wert, dass Leute dafür auf einem Marktplatz bereit sind, etwas zu bezahlen. (Natürlich besteht auch ein tatsächlicher Gegenwert durch die Summe von unzensierten Artikeln.)

Im Grunde genommen kann man sich Geld auch als eine Art Token vorstellen, der nur dadurch einen Wert erhält, dass ihm gegenüber eine produktive Gesellschaft steht, die Waren herstellt und Dienstleistungen anbietet.

Geht man davon aus, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen letztlich zu einer produktiveren und leistungsfähigeren Gesellschaft führt, in der weniger Leute krank sind und eine Menge Bürokratie wegfällt, kann man sich vielleicht vorstellen, dass im Grunde sogar mehr Geld (als Gegenwert) gedruckt werden kann, ohne dass es zu einer Inflation kommt.

Es muss eine Gleichheit zwischen den Arbeitnehmern in verschiedenen Bereichen geben, so dass jeder, der auch die Armen genießen kann, das Recht hat, etwas zu leben

It doesn’t make much sense. Can you say it in English?

I do not know much

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