Politik 104 - Landtagswahl in Hessen - AfD in allen Landtagen

in #deutsch6 years ago (edited)

29. Oktober 2018

Am Sonntag 28. Oktober 2018 fand auch im Deutschen Bundesland Hessen [1] die Landtagswahl [2] statt. Dazu gab es auch eine Volksabstimmung [3], in der die Wähler über eine Reihe an Verfassungsänderungen entscheiden durften, wobei die Ergebnisse erst später bekannt werden, nach dem Wahlergebnis. Dazu wird es in diesem Artikel am Ende noch eine kurze Anmerkung geben, sobald die Ergebnisse bekannt sind. Diese Wahl konnte ich etwas näher verfolgen als die in Bayern von vor zwei Wochen [4], wobei ich allerdings anzumerken habe, dass mir Hessen weniger gut bekannt ist. Die mittlerweile doch zum Standard auf meinem Blog gewordene Analyse soll es auf jeden Fall geben.

Mit einer Fläche von 21'115 km2 und einer Einwohnerzahl von etwa 6,25 Millionen Einwohnern gehört Hessen zur Mitte in Deutschland. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist mit einem BIP von gegen € 45'000 pro Kopf und Jahr hoch und gehört zur Spitze in Deutschland.

2018-10 - Hessen Stadtschloss Wiesbaden sm.jpg
Der Sitz des Hessischen Landtages [5], das 1837-41 erbaute Stadtschloss in Wiesbaden [6]. Lizenzangaben zum Bild [7].

Tabelle: Stand: Vorläufiges amtliches Ergebnis. Die Wahlbeteiligung lag bei 67,3 Prozent und lag damit deutlich unter dem Wert von 73,2 Prozent von 2013 [8]. Sie nahm um 5,9 Prozentpunkte oder 8,1 Prozent ab. Der Hauptgrund für den tieferen Wert dürfte sein, dass die Wahl 2013 parallel zur Bundestagswahl stattfand. 2018 war das aufgrund der unterschiedlich lange dauernden Legislaturperioden nicht möglich, weswegen man sich beteiligungsmässig wieder an frühere Landtagswahlen anglich. Mit dem Wahlsystem habe ich mich nicht näher beschäftigt, aber da das neue Landesparlament um 27 Sitze (24,5 %) grösser sein wird als das alte, hat man es auch in Hessen mit einem Parlament von variabler Grösse zu tun, in dem es zu Überhangmandaten kommen kann. Die in der Tabelle angegebenen Umfragewerte beziehen sich auf die Mittelwerte der bei Wahlrecht.de veröffentlichten Umfragen ab September 2018 [9], total deren acht. Die angegebene Standardabweichung bezieht sich nur auf die Streuung der Umfragewerte, nicht auf deren Unsicherheit. Eine ganz wichtige Anmerkung ist auch noch zu tätigen.

ParteiLetzte Umfragen [%]2018 [%]2013 [%]Diff [%]Sitze 2018Sitze 2013Differenz
CSU28,0 ± 2,127,047,7-29,64047-7
Grüne18,4 ± 2,919,811,1+77,52914+15
SPD22,1 ± 1,919,830,7-35,62937-8
AfD12,6 ± 1,113,14,1+224190+19
FDP7,3 ± 1,07,55,0+48,9116+5
Linke8,0 ± 0,06,35,2+22,196+3
Sonstige3,6 ± 0,56,55,6-16,6000
--------------------------------------------------------------------------------
Total100,0100100-137110+27

Abkürzungen: Diff zeigt den prozentualen Unterschied des Wahlergebnis 2018 gegenüber dem von 2013, nicht die Differenz in Prozentpunkten.

Die Gewinner


Dem neuen Landtag gehören sechs Parteien an, wobei vier von diesen Sitze und Wähleranteile hinzugewinnen konnten. Neu dazu kommt die AfD, die auch den grössten Zugewinn für sich verbucht (+ 224 % Wähleranteil oder 9,1 Prozentpunkte, 19 Sitze) und sich erste Siegerin nennen darf. 2013 war Hessen die erste Landtagswahl, zu der die damalige Neugründung AfD antrat. Diese Landtagswahl und die erste Bundestagswahl waren die einzigen, die für die AfD keine Sitze brachten. Seither wurde in allen Bundesländern gewählt, wobei die AfD jetzt zur Liga jener gehört, die in jedem Land Volksvertreter ins Parlament entsenden darf. Zweite Siegerin ist die Partei Bündnis 90 / Die Grünen, die sich vom vormals dritten auf den zweiten Platz verbessert (+ 78 % Wähleranteil, 7,7 Prozentpunkte, + 15 Sitze), hauchdünn vor der SPD, die dieselbe Zahl an Sitzen erreicht (29). Dritte Siegerin ist die FDP, die sich nach dem nur hauchdünnen Einzug ins Landesparlament 2013 mit 7,5 % deutlicher von der 5 % Hürde absetzen konnte (+ 49 %, 2,5 Prozentpunkte, + 5 Sitze). Auch die Linke darf sich zu den Gewinnern zählen, sie erreicht 6,3 % der gültigen Wählerstimmen (+ 22 %, 0,9 Prozentpunkte, + 3 Sitze). Wobei die Linke in allen Umfragen bei 8 % lag, also signifikant höher gesehen wurde.

Ohne Veränderung


An einem änderungsreichen Wahltag gab es gemäss meinem Wissen keine Partei, die ohne grössere Veränderungen geblieben ist.

Die Verlierer


Zwei Parteien haben eindeutig Wähleranteile und Sitze verloren. Das ist zum einen die SPD, die sogar hauchdünn ihre zuvor unangefochtene Position als zweitstärkste Partei verliert und mehr als ein Drittel des früheren Wähleranteils einbüsst (- 35,6 %, - 10,9 Prozentpunkte, - 8 Sitze). Mit 29 gegenüber zuvor 37 SItzen gingen sogar einige Sitze verloren, obwohl der neue Landtag gegenüber dem alten deutlich grösser sein wird. Auch die bisherige und zukünftige erste Regierungspartei, die CDU, verlor sehr deutlich, bezüglich Prozentpunkten sogar noch deutlicher als die SPD (- 29,6 %, - 11,36 Prozentpunkte, - 7 Sitze).

Zurückgeführt wurde dieses lausige Abschneiden vor allem auf die geringe Beliebtheit der Grossen Koalition auf Stufe Bund. Dass daran etwas geändert wird, ist kaum zu erwarten. Es bedürfte jedenfalls einer erhöhten Bereitschaft, sich über die bisherige ideologische Prägung hinwegzusetzen, eine neuartige, verbesserte Realitätsnähe einzuführen, die für den Wähler spürbar als Verbesserung erkennbar ist und offensichtlich dem Engagement dieser Kräfte zu verdanken ist. Ausgeprägte Wählernähe ist aber kein Merkmal eines Parteienapparats, der zu einem grossen Teil mit seinem Eigenleben beschäftigt ist und in dem sich eine Vielzahl von Eitelkeiten etabliert haben.

Mögliche neue Regierungskonstellationen


Die CDU erhält als weiterhin stärkste Partei den Auftrag zur Regierungsbildung. Nach aktuellem Stand wären verschiedene Koalitionen im Verbund möglich. Im Verbund mit nur einer Partei ergeben sich zwei Möglichkeiten mit jeweils der geringstmöglichen Mehrheit. Koalitionen zwischen CDU und Grünen oder der SPD kommen auf 69 von 137 Sitzen (50,4 %). Die SPD wird sich aber kaum für die Aufgabe empfehlen wollen, da sie bisher kaum je von der Rolle als zweite Regierungspartei profitieren konnte und als erste Priorität eine Korrektur des Absturzes von 2018 anstreben sollte. Die Grünen waren bisher schon in der Regierung vertreten und fühlen sich durch iihren Wahlsieg sicherlich ermuntert, erneut diese Rolle einzunehmen.

Koalitionen mit drei Parteien wären auch möglich. Sinnvoll erscheinen dabei die Ampel genannte Koaliton aus SPD (rot), FDP (gelb) und Grünen, die wie die wahrscheinlich bald weiter regierende Koalition auf 69 Sitze kommen würde. Eine weitere Möglichkeit wäre die rechts-bürgerliche Koalition aus CDU, FDP und AfD, die 70 Mandate (51,1 %) erreicht. Diese scheitert aber an der Wahrnehmung der AfD als rechtsaussen verortete Sonderlinge, wenigstens aus Sicht der CDU. Die linksgerichtete Koalition aus SPD, Linken und Grünen hat mit 67 Sitzen (48,9 %) keine Mehrheit.

Fazit


Es gab am Wahltag einige Überraschungen. Das starke Abschneiden der Grünen hat mich überrascht, es übertraf auch die in Umfragen erwarteten Werte, 19,8 % gegenüber 18,4 %, was aber eindeutig innerhalb der Standardabweichung der Umfragewerte lag. Die SPD überraschte in die Gegenrichtung, sie wurde signifikant höher erwartet als sie schlussendlich abschneiden konnte. Mit 19,8 % gegenüber 22,1 % lag sie sogar ausserhalb der Standardabweichung. Die Linken lagen mit 6,3 % auch eindeutig unterhalb des überall einig erwarteten Wertes von 8 %. Die weiteren Parteien ohne Sitze im Parlament schnitten mit 6,5 % auch weit besser ab als es mit 3,6 % erwartet wurde, wobei ich zugebe, dass eine gute Quantifizierung im einstelligen Prozentbereich auch sehr schwierig hinzubekommen ist.

In den klassischen Lagern links-rechts gesprochen, haben sich die Verhältnisse 2018 gegenüber 2013 auch verändert. Dass sich die bürgerlichen Parteien FDP und CDU nicht gerne auf der rechten Seite verorten, sondern in der Mitte, ist mir bekannt, aber einerlei. Wie sehr man sich den Ärger deutscher Politiker erarbeiten kann, wenn man sie falsch zuteilt oder einen ihrer Ansicht nach falschen Vergleich anstellt, konnte man vergangene Woche anhand eines drastischeren Beispiels im Parlament der Europäischen Union beobachten [10].

LagerSitze 2018Sitze 2018 [%]Sitze 2013Sitze 2013 [%]Differenz Sitze
rechts7051,15348,2+ 17
links6748,95751,8+ 10

Anhand dieser Tabelle wird ersichtlich, dass das bürgerliche Lager grössere Zuwächse erzielen konnte und neu über eine leichte Mehrheit verfügt, die zuvor auf der linken Seite lag. 2013 wäre in Hessen eine linke Koalition aus drei Parteien möglich gewesen oder das linksgerichtete Lager hätte die Möglichkeit gehabt, vereint gegen Vorschläge der CDU zu opponieren. Grundsätzlich sieht man, dass es in Hessen weiter ziemlich eng zugeht, auch wenn die beiden früher viel grösseren Parteien im grossen Ausmass Federn liessen. Das wurde gestern Abend zutreffend auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erwähnt, dessen Programm ich mir zwecks erster Stellungnahmen von Spitzenpolitikern angeschaut habe.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Hessen
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Landtagswahl_in_Hessen_2018
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Volksabstimmungen_in_Hessen_2018
[4] Politik 101 - Landtagswahl in Bayern - AfD im Landtag. @saamychristen, 15. Oktober 2018 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/politik-101-landtagswahl-in-bayern-afd-im-landtag
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Hessischer_Landtag
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Stadtschloss_Wiesbaden
[7] Urheber des Bildes: Martin Kraft (photo.martinkraft.com), Lizenz: CC BY-SA 3.0, gefunden unter [5] via Wikimedia Commons.
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Landtagswahl_in_Hessen_2013
[9] http://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/hessen.htm
[10] Politik 103 - Kontroverse im Parlament der Europäischen Union mit Syed Kamall (UK, CP). @saamychristen, 25. Oktober 2018 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/politik-103-kontroverse-im-parlament-der-europaeischen-union-mit-syed-kamall-uk-cp


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Das erstarken der Grünen würde ich größtenteils mit der Schwächung der SPD erklären, da beide Parteien ja ganz ähnliche Zielgruppen ansprechen und sehr viele einfach von der SPD zu den Grünen abgewandert sind.

Das natürlich auch einige CDU-Wähler abgewandert sind möchte ich jetzt nicht allein auf die Vorgänge in Berlin schieben, da gibt es auch landespolitische Gründe, die in der öffentlichen Diskussion viel zu sehr in den Hintergrund treten und meiner Meinung nach von vielen Kandidaten gar nicht gesehen werden "wollen"!

Wenn Volker Bouffier z.B. die Änderung des umstrittenen Lehrplans zur Sexualerziehung von Kindern "rechtfertigt", die dem christlichen Menschenbild ganz klar entgegenstehen, dann muss sich so ein (selbsternannter) "Christdemokrat" auch nicht wundern, wenn ihm so viele konservative Wähler regelrecht "weglaufen", da sollte er sich dann auch überlegen, ob er nicht besser zu den Grünen, Linken, Liberalen oder zur SPD passt, ganz sicher aber nicht zu einer Partei, die zumindest dem Namen nach als konservativ wahrgenommen werden "will" und daher die Aufgabe/Verpflichtung hat, sich klar "gegen" solche Änderungen zu stemmen, statt diese "grüne Politik" zu machen und damit ganz nach dem "kleineren Koalitionspartner" zu richten, was von Wählern eigentlich nur als "Verrat" wahrgenommen werden kann.

Nach meiner Stellungnahme zu diesem Thema möchte ich deine Graphik abschließend 55ff209ba3354b9185e124485052720c_A.jpegnoch mit einem kleinen Detail ergänzen, das zeigt, in welchem Teil Hessens (Hirzenhain Ehrendorf) die Wähler nach meiner persönlichen Ansicht ihre Stimme am sinnvollsten genutzt haben.

Danke für den Kommentar!

Ja, wie ich im Artikel auch geschrieben habe, hat sich lagerübergreifend - links-rechts - nicht allzu viel getan. Deswegen dürfte bei den linken Parteien die hauptsächliche Bewegung von der SPD zu den Grünen stattgefunden haben. Die SPD wirkt altbacken, die Grünen etwas frischer. Das ist zwar eine völlig oberflächliche Feststellung, die tatsächlich sogar Tiefgang hat, aber für die Wähler sicherlich zur Entscheidungsfindung beiträgt. Was nicht lebendig wirkt, wird auch nicht unterstützt.

Verfehlungen wie ein Lehrplan, der sehr idealistisch wirkt und bemerkenswert abgehoben gegenüber den tatsächlichen Bedürfnissen von Kindern und sehr invasiv gegenüber den verschiedenen spirituellen Richtungen werden einem sicherlich angelastet, auch wenn man nicht einziger Verantwortlicher ist. Ich bin der Ansicht, dass man sich gerade bei der Pädagogik ausschliesslich auf Massnahmen fokussiert, die bei den Kindern Leistungsfähigkeit, Zufriedenheit und Eigenverantwortung verbessern und die verschiedenen politischen und spirituellen Richtungen so berücksichtigt werden, dass man von einer wirklich persönlichkeitsfördernden Bildung sprechen kann.

In Hirzenhain (Ehrendorf) war ich noch nie, so wie ich Hessen leider allgemein nicht gerade gut kenne.

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