Politik 054 - Deutsche Bundespolitik und Wählermobilisierung

in #deutsch6 years ago (edited)

23. Januar 2018

Auch in der jüngsten Vergangenheit habe ich immer wieder Artikel zum politischen Geschehen in Europa und insbesondere Deutschland veröffentlicht. Seit der Bundestagswahl 2017 am letzten Wochenende im September [1], haben sich einige Dinge ereignet. Noch immer gibt es in Deutschland nur eine geschäftsführende Regierung, das heisst erst einmal, dass die herbeigewählten Veränderungen immerhin für einige Monate Ruhe vor neuen Gesetzen erreicht haben. Ganz so, wie ich es am 20. November geschrieben habe [2], nämlich dass wegen der Wähler sowohl die Jamaika-, als auch die Grosse Koalition inexistent seien, scheint es nun doch nicht herauszukommen.

Denn, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPD [3] scheint nun doch einmal mehr Lust auf das Regieren bekommen zu haben, mindestens wurde am vergangenen Wochenende an einem Sonderparteitag entschieden, dass es zu Koalitionsverhandlungen kommen soll [4]. Es kann also zu einem Weiter-wie-bisher kommen, auch wenn es gar nicht unwahrscheinlich ist, dass diese Zusammensetzung das letzte Mal in dieser Form möglich sein wird. Denn, die neue Regierung wird nicht mehr wie zuvor über 79,9 % der Sitze verfügen (504/631), sondern nur noch über 56,3 % (399/709). In Sachen Wähleranteil waren es gerade einmal noch 53,4 % gegenüber 67,2 % vier Jahre zuvor. Gelingt es in den nächsten vier Jahren nicht, das Vertrauen vieler Wähler zurückzugewinnen, droht auch diese letzte Möglichkeit einer Koalition aus zwei bundesweit aktiven Parteien als Mehrheitsregierung unmöglich zu werden. Mit gleich weiter wie bisher wird es auf jeden Fall keine Rückkehr zu besseren Tagen geben.

Dem Parteivorsitzenden der SPD, Martin Schulz (geboren 1955) [5], brachte das Einlenken zur Regierung, nur wenige Monate nach der entschlossen vorgetragenen Deklaration, die nächsten Jahre die grösste Oppositionsfraktion sein zu wollen, mindestens in einem Meinungsbeitrag bei Tichy's Einblick den Titel Gröuaz ein - Grösster Umfaller aller Zeiten [6]. Da ich gerade die SPD momentan nicht in einer guten Verfassung sehe und dementsprechend wenig rosige Zukunftsaussichten, habe ich gedacht, man sollte einmal auch die Wählermobilisierung der letzten Wahl etwas genauer ansehen. An der Parteibasis der SPD, so hat man es auch in einigen Reden auf dem Parteitag sehen können, trifft eine neuerliche Regierungsbeteiligung nicht nur auf Wohlwollen, sondern ist umstritten. Stellvertretend möchte ich hier gerne die Rede der Berlinerin Gerlinde Schermer [7] anfügen, auf den ich durch einen Artikel von @compact [8] aufmerksam gemacht wurde. Schön zu sehen ist auch, dass es auch bei der SPD wie im Falle dieser gelernten Betriebswirtin doch Menschen gibt, denen das Wort Marktwirtschaft nicht ganz fremd zu sein scheint wie es der Führung seit langer Zeit offentlichtlich ist.

Über die Geschlechterverteilungen habe ich schon geschrieben und einiges nachgerechnet [9], auch wie gut man als Parteimitglied im aktuellen Bundestag repräsentiert ist. Da ist man aktuell als AfD-Mitglied am besten dran, da bei 92 Abgeordneten bei geschätzt immer noch 28'000 Mitgliedern fast jedes 300. Mitglied im Bundestag sitzt. Ein solches Ergebnis kann nur auf eine erfolgreiche Mobilisierung von Wählern zurückzuführen sein. Für 2017 und die letzte Wahl 2013 habe ich diese Mobilisierung etwas näher angeschaut und einen ganz einfachen Wert berechnet, nämlich den, wieviele Wähler das durchschnittliche Parteimitglied zur Wahl gebracht hat. Ganz einfach die erreichten Parteistimmen, auch Zweitstimmen genannt und durch die Anzahl Mitglieder geteilt. Für 2017 habe ich die gleichen Mitgliederzahlen wie unter [9] verwendet, für 2013 habe ich sie von der Bundeszentrale für politische Bildung [10]. Die Anzahl Zweitstimmen habe ich von Wikipedia [11].

2017ZweitstimmenAnteil [%]ParteimitgliederMobilisierung (Wähler / Mitglied)
CDU/CSU15'317'34432,93573'00026,73
SPD9'539'38120,51438'82321,74
AfD5'878'11512,6428'000209,9
FDP4'999'44910,7463'00079,36
Linke4'297'2709,2461'59669,77
Grüne4'158'4008,9458,91070,59
Total46'515'49295,01'223'32938,02

2013ZweitstimmenAnteil [%]ParteimitgliederMobilisierung (Wähler / Mitglied)
CDU/CSU18'165'44641,64615'45629,52
SPD11'252'21525,79473'66223,76
AfD2'056'9854,7217'687116,3
FDP2'083'5334,7857'26336,39
Linke3'755'6998,6163'75658,91
Grüne3'694'0578,4761,35960,20
Total43'625'04294,01'289'18333,84

Diese Zahlen sollten vor allem den beiden an Mitgliedern immer noch mit Abstand grössten Parteien zu denken geben. Es ist für mich einleuchtend und nachvollziehbar, dass grosse und alte Parteien, sowohl bezüglich des Alters der Partei als auch des durchschnittlichen Alters der Mitglieder, eher Schwierigkeiten mit der Mobilisierung bekunden und kaum auf ähnliche Werte kommen können, als kleinere Parteien. Ich habe ähnliches schon bei anderen Vereinen, etwa Freikirchen beobachten können. Da gibt es auch des öfteren ein Drei-oder Mehr-Generationenproblem. Die erste Generation von Menschen, die dabei ist, ist euphorisch und voller Tatendrang, die Sache voranzubringen. Die zweite Generation macht mit, sie kennt vielleicht auch nicht viel anderes. Bei der dritten Generation sieht man erste ernsthafte Schwierigkeiten, weil der Faktor Begeisterung nicht mehr wirklich zieht und mit wirklichen Inhalten gefüllt werden muss. Die Menschen müssen individuell spüren und erkennen, dass sie mit ihrem Verein besser fahren als ohne. Tun sie das nicht, dürfte es nicht nur an ihnen liegen und es ist kein grosses Wunder, wenn sie sich umorientieren.

Im Falle der AfD erwarte ich auch nicht, dass es mit der Mobilisierung noch lange im gleichen Schema weitergehen wird. Diese Partei muss sich noch immer stabilisieren, in Sachen Mitgliederzahl dürfte die AfD eine Zunahme anstreben. Allerdings hat man in der Vergangenheit gesehen, ist die Parteimitgliedschaft auch mit Risiken verbunden, da man in der Öffentlichkeit des medialen Mainstreams als Ursache für Probleme angesehen wird, deren Konsequenz man eigentlich ist. Bis in den Bereich der anderen, kleineren Bundestagsparteien sollte sich die AfD wohl vergrössern können. Aber auch mit doppelt sovielen Mitgliedern würde noch immer die beste Mobilisierung aller Parteien gebraucht, um das Resultat von 2017 wiederholen zu können. Leistet man gute Arbeit, dürfte dem nicht allzuviel im Wege stehen, selbstverständlich ist aber nichts.

Stellvertretend für einige Reden von Abgeordneten der AfD im deutschen Bundestag, die tatsächlich einen zuvor nur selten gehörten Stil in dieses Parlament bringen, möchte ich die erste Rede von Roman Johannes Reusch [12] hier anfügen [13]. Reusch war vor seiner Tätigkeit als Abgeordneter im Deutschen Bundestag 30 Jahre lang Staatsanwalt, zuletzt in leitender Funktion in Berlin. Ihm wurde jüngst die Wahl in das parlamentarische Kontrollgremium [14] verweigert [15]. Diesem obliegt auch die Kontrolle der Geheimdienste durch den Gesetzgeber. Einerseits ist es verständlich, wenn neuen Parteien der Einlass in die sensibelsten Gremien zunächst nicht gewährt wird, andererseits wird mir beim Überfliegen der Biographien der anderen Mitglieder dieses Gremiums nicht direkt klar, warum genau diese besser qualifiziert sein sollen.


[1] Politik 042 - Bundestagswahl 2017, Analyse. @saamychristen, 25. September 2017 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/politik-042-bundestagswahl-2017-analyse
[2] Ideologie 050 - Zur Wahl gehen bringt wirklich nichts? GroKo und Jamaika inexistent! @saamychristen, 20. November 2018 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/ideologie-050-zur-wahl-gehen-bringt-wirklich-nichts-groko-und-jamaika-inexistent
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdemokratische_Partei_Deutschlands
[4] SPD stimmt für Koalitionsverhandlungen mit Union. Junge Freiheit, 21. Januar 2018, von krk https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2018/spd-stimmt-fuer-verhandlungen-mit-union/
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Schulz
[6] Benehmen Sie sich! - Ohne Anstand: Und wo bleibe ich dabei? Tichy's Einblick, 19. Januar 2018, von Albrecht Prinz von Croÿ https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/benehmen-sie-sich/ohne-anstand-und-wo-bleibe-ich-dabei/
[7] Gerlinde Schermer (SPD Berlin) Brandrede auf dem SPD Parteitag - No GroKo. Parteienallianz YouTube Kanal, 22. Januar 2018
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerlinde_Schermer
[8] Diese Frau drückte den Finger ganz tief in die Wunde der SPD-Spitze (Video). @compact, 22. Januar 2018 https://steemit.com/deutsch/@compact/diese-frau-drueckte-den-finger-ganz-tief-in-die-wunde-der-spd-spitze-video
[9] Politik 051 - Warum sind Frauen und Männer nicht 1/1 in Parlamenten vertreten? @saamychristen, 24. Oktober 2017 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/politik-051-warum-sind-frauen-und-maenner-nicht-1-1-in-parlamenten-vertreten
[10] https://www.bpb.de/politik/grundfragen/parteien-in-deutschland/zahlen-und-fakten/138672/mitgliederentwicklung
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Bundestagswahl_2017
https://de.wikipedia.org/wiki/Bundestagswahl_2013
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Roman_Reusch
[13] ► AfD - Roman Johannes Reusch im Bundestag: "Man hat mit einer Quote von 30-80% Lügnern zu rechnen". HSM2k2 YouTube Kanal, 19. Januar 2018
[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentarisches_Kontrollgremium
[15] Parlamentarisches Kontrollgremium - AfD-Kandidat für Geheimdienstausschuss fällt durch. Tagesspiegel, 18. Januar 2018 http://www.tagesspiegel.de/politik/parlamentarisches-kontrollgremium-afd-kandidat-fuer-geheimdienstausschuss-faellt-durch/20864400.html


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Toll, da hat sich einer viel Arbeit gemacht. Klasse !

Danke für den Kommentar!
Ja, Mühe versuche ich mir immer zu geben und ich habe gesehen, dass sich bisher niemand diesem Thema angenommen hat. Man hat zwar viel über Wählerwanderung und Mobilisierung von Nichtwählern lesen können, aber keine Zahlen, wie es mit der Mobilisierung genau aussieht.

Für einen solchen Artikel brauche ich zum Glück nicht mehr wirklich viel Zeit. Denn ich lese einiges, mache viele Notizen und habe mich über meine doch bald 1,5 Jahre bei Steemit schreibtechnisch vor allem in Sachen Geschwindigkeit ordentlich verbessert. Steemit bringt schon was!

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