Persönlichkeitsentwicklung 043 - Über Genies und ihre Ticks

in #deutsch6 years ago (edited)

25. Februar 2019

Da ich zeitweise durchaus zur Bildungselite in meiner Umgebung zählte, kann ich durchaus sagen, schon dem einen oder anderen Genie [1] begegnet zu sein. Als Gymnasiast gab es Kollegen in derselben Klasse oder im Jahrgang, die über herausragende Begabungen verfügten. Als Student an der technischen Hochschule war es genauso. Sowohl unter den Kollegen, als auch unter den Dozenten und Assistenten gab es Menschen mit genialen Zügen, gegen die man mit einer zwar überdurchschnittlichen, aber nicht herausragenden Begabung kaum Chancen hat.

Dennoch gibt es auch für die Nicht-Genies, zu denen ich mich auch zähle, genügend Möglichkeiten zur Betätigung. Den Nicht-Genies fallen eher die Arbeiten zu, die die Genies bei der Organisation und Planung ihrer Aktivitäten unterstützen sollen. Dazu kommen die meist weniger spektakulären Reproduktionsexperimente und Fleissarbeiten, um Innovationen zur Marktreife zu verhelfen.

Es gibt sehr wohl verschiedenen Typen von Genies. Einige sind eher einseitig herausragend begabt und zeigen in anderen Gebieten Defizite, andere sind erstaunlicherweise in mehreren Disziplinen sehr talentiert. Einige sind beim Arbeiten ziemlich chaotisch, andere wiederum sehr ordentlich, erstaunlich diszipliniert und wirken so erst recht übermenschlich.

Für Genies immer wieder typisch erscheint auch eine gewisse Sonderbarkeit im Lebenswandel. Wer in einem Bereich ganz vorne mitmischt, auf einem Niveau auf dem die Luft dünn ist, bei dem ist Konformität keine zentral wichtige Sache. Denn dieser Mensch wird vor allem wegen seiner Genialität beschäftigt, eher weniger wegen seiner integrativen Fähigkeiten.

In den Medien sind mir dieser Tage zwei augenscheinliche Genies begegnet. Einerseits der weltbekannte Modeschöpfer Karl Lagerfeld (1933-2019) [2], der vergangene Woche verstarb. Wobei ich leider von seinen hauptsächlichen Tätigkeitsgebieten nur wenig verstehe und darum auch direkt weitergehen möchte. Andererseits schaffte es auch der nicht weniger weltbekannte Dirigent und Pianist Daniel Barenboim (geboren 1942) [3] in die Medien. Dieser sieht sich in seiner Funktion als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper und Chefdirigent der Staatskapelle gerade mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert und Aussagen, er führe die Orchester wie ein Diktator [4, 5].

Aktuell ist beim Kanal BR-KLASSIK bei YouTube eine Konzertaufnahme von Daniel Barenboim zu sehen [6], in der Barenboim das Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur von Ludwig van Beethoven vorträgt. Als Dirigent fungierte ein weiterer genialer Meister, Mariss Jansons (geboren 1943) [7].

Auch sehr empfehlenswert fand ich das Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker 2018, bei dem Barenboim im ersten Teil als Solist und Dirigent gleichzeitig tätig war [8]. Er spielte dabei das Klavierkonzert KV 537 in D-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart. Aus meiner beschränkt repräsentativen Wahrnehmung gesehen war Barenboim bei beiden Auftritten absolut souverän. Für solche Darbietungen muss man augenscheinlich ein Genie sein.

Ich persönlich halte es meist für einen Genuss, solchen Genies bei der Entfaltung ihrer Talente und erarbeiteten Fähigkeiten zuzuschauen. Beim Üben und sonst im Leben sind sie durchaus eigenartig, aber das war wohl immer so. Ich pflege dazu zu sagen, dass Sozialkompetenz eben auch Rechenkapazitäten im Gehirn verbraucht, die bei Genies möglicherweise bereits für anderes verplant ist und sie sich aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten und Stellung in der Gesellschaft durchaus mehr erlauben können. Sie sind die grossen Meister und leben ein Stück weit in ihren eigenen Sphären.

Missbrauchsvorwürfe sind etwas sehr unschönes, aber bei genialen Exzentrikern halte ich solche für keine übergrosse Überraschung. Diese Sätze mögen etwas lapidar klingen, aber sind eigentlich nicht so gemeint und ich will Übergriffigkeiten keineswegs verharmlosen oder lächerlich machen. Denn, natürlich gelten auch für einen genialen Meister die strafrechtlichen Bestimmungen und die bürgerlichen Gesetze. Insbesondere gelten diese dann, wenn es über das professionelle hinausgeht.

Für den professionellen Bereich gelten dann ein Stück weit eigene Gesetze, da es sich bei den besten Orchestern nicht nur um musikalische Firmen handelt, die einen Querschnitt aus der Gesellschaft beschäftigen, sondern um absolute Elite-Institutionen. Ein Auftritt eines solchen Orchesters ist eine musikalische Höchstleistung, die hohe Konzentration und Präsenz erfordert und von jedem Spieler die Entscheidung abverlangt, sich mit seinen Fähigkeiten so weit es möglich ist dem Willen des Dirigenten unterzuordnen. Diese Auftritte sind kein Abspulen eines Routineprogramms, sondern ein synchron stattfindendes Zusammensetzen musikalischer Werke hoher Komplexität. Dazu sind die grossen Meister dafür bekannt, dass sie aus jedem der Musiker das ganze Potential herauskitzeln wollen. Selbstverständlich erarbeiten sich auch Musiker Routine, aber die Routine beinhaltet unbedingt das Wissen, dass es während eines Auftritts keinen Raum dafür gibt, sich seinen Launen hinzugeben. Ein Orchester dazu zu bringen, ein Werk herausragend vorzutragen, ist auch eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, weil alle Beteiligten zu einem genau festgelegten Zeitpunkt ihre Leistung erbringen und die gewünschte musikalische Ausgestaltung realisieren müssen. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für aufwendige tänzerische Choreographien und dergleichen, wobei ich davon noch weniger verstehe als von Musik.

Im einen bei der Welt erschienenen Artikel [4] wird erwähnt, es solle bei der Musik zuallererst um das Menschliche gehen. Geht es um das Musizieren von Laien zu deren Vergnügen und künstlerischer Erfüllung, dann ist es ganz eindeutig so. Bei Profis geht es aber nicht um das Menschliche, sondern um das Menschenmögliche. Es geht darum, die hochstehenden Erwartungen von Meister und dem Haus, in dem gespielt wird, zu erfüllen. Um menschliche Dinge geht es erst nachrangig. Darum gibt es auch einige Menschen, dass sie gerne Auftritte von Nicht-Profis hören, weil die Begeisterung der Laien nicht selten sehr gut spürbar ist und man vielleicht auch selbst näher an diesem Niveau ist als an dem weit entrückten der Profis.

Probleme ergeben sich sicherlich aus der Tatsache, dass alle Musiker Künstler sind, die einerseits ihren Stil und ihre Art des Musizierens zeigen, aber sich eben auch in Kollektive einbringen sollen, teilweise gleichzeitig. Es ist völlig klar, dass nicht mit jedem Meister die gleiche Harmonie aufkommt und es solche gibt, mit denen man sich gar nicht versteht. Ein Problem ist sicherlich auch, dass die Zahl der guten Adressen für klassisches Orchesterspiel eher nicht gewachsen ist in letzter Zeit und die professionellen Musiker nicht selten auf solche Engagements angewiesen sind. Allgemein sagt man im Beruflichen bekanntlich, dass man sich von einer Firma oder einer Abteilung irgendwann verabschieden sollte, wenn man unter der Führung, einzelnen Vorgesetzten oder Teammitgliedern ernsthaft leidet und sie einen wenigstens gefühlt in höherem Masse niedermachen statt weiterbringen. In einem solchen Umfeld kann man die eigene Widerstandsfähigkeit trainieren, fachlich hingegen dürfte es schwierig sein, viel dazuzulernen.


Ich persönlich kenne das Spielen im Orchester nur als Trompeter in einem Laienorchester, dazu kommen gelegentliche Soloauftritte. Auch wenn ich und die anderen Musiker den Dirigenten persönlich gut kennen, muss er in den Proben sein Programm durchziehen und wenn nötig die Musiker zurechtweisen und disziplinieren. Das kann sanft, aber auch scharf geschehen und gehört zum Alltag in der Orchestermusik. Die Musiker selbst können besonders auf der Laienebene sicherlich darlegen, was sie können und was ihre Fähigkeiten übersteigt

Ich habe mich selbst oft bei mündlichen Prüfungen äusserst unwohl gefühlt und habe nicht herausgefunden, wie ich es hinbekommen kann, mit den Professoren auf Augenhöhe zu diskutieren. Grund dafür war, dass mir der Stoff viel zu wenig in Fleisch und Blut gegangen war. Dafür brauche ich die Präsentation des Stoffs, teilweise Anleitung und die praktische Anwendung, wobei für letztere nur selten die Gelegenheit besteht und gewünscht ist, dass die Studenten unter Zeitdruck stehen. Mit Zeitdruck umzugehen ist Teil der Herausforderung.


Von neidzerfressenen Menschen habe ich schon mitbekommen, dass sie teilweise denken, dass Genies durchaus mit der Absicht ihre Fähigkeiten zeigen, die ordinären Normalos schlecht aussehen zu lassen. So zu denken halte ich für keine gute Einstellung. Ich halte es für wesentlich besser, wenn man sich am grossen Können anderer erfreuen und daraus möglicherweise sogar etwas Inspiration schöpfen kann. Denn, es ist keine Selbstverständlichkeit, dass die eigenen Talente erkannt, gefördert und zur Entfaltung gebracht werden. Viele Menschen sind gescheitert und zerbrochen an irgendwelchen Dingen, bevor sie in die Lage kamen, in die Gebiete der hohen Kunst aufzusteigen oder viel aus ihrem Leben zu machen. Freuen wir uns über die, die es geschafft haben und versuchen wir denen zu helfen, die auch aufsteigen wollen, aber noch einen Weg vor sich haben.


[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Genius
https://de.wikipedia.org/wiki/Genie
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Karl_Lagerfeld
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Lagerfeld
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Daniel_Barenboim
https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Barenboim
[4] Meinung - Affäre Barenboim - Absolutistisch durchregiert? Plötzlich wollen es alle gewusst haben. Welt.de, 24. Februar 2019, von Manuel Brug https://www.welt.de/kultur/buehne-konzert/article189311449/Vorwuerfe-gegen-Daniel-Barenboim-Wie-geht-es-jetzt-weiter.html
[5] Bühne und Konzert - Kritik an Daniel Barenboim - „Ich habe unter ihm Schlimmstes durchmachen müssen“. Welt.de, 23. Februar 2019, von Manuel Brug https://www.welt.de/kultur/buehne-konzert/article189114093/Schwere-Vorwuerfe-gegen-den-Dirigenten-Daniel-Barenboim.html
[6] Ludwig van Beethoven: Piano Concerto No. 5 E-flat major op. 73 | BR-KLASSIK. BR-KLASSIK YouTube Kanal, 08. Februar 2019
[7] https://en.wikipedia.org/wiki/Mariss_Jansons
https://de.wikipedia.org/wiki/Mariss_Jansons
[8] Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker 2018. Programm ARD, 31. Dezember 2018 https://programm.ard.de/TV/arte/silvesterkonzert-der-berliner-philharmoniker-2018---mit-daniel-barenboim/eid_287241078391432


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Die eigenen Fähigkeiten und Talente zu entdecken ist für jeden
erst einmal wichtig.
Das Messen mit anderen Leuten oder ein Vergleichen mit den
Genies eines Fachbereichs ist oft deprimierend.
Wenn man aber seine eigenen Möglichkeiten umsetzen
kann, kann man an seinen Erfolgserlebnissen wachsen.
Danke für deinen sehr interessanten Artikel.
Viele Grüße.

Danke für den Kommentar!

Ganz genau so sehe ich es auch! Als etwas profanerer Mensch landet man zwar meist nicht so hoch oben, aber es gibt dennoch einiges zu tun, beispielsweise den Genies einige Fleiss- und Verwaltungsarbeiten abzunehmen.

Herzliche Grüsse

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