Persönlichkeitsentwicklung 016 - Die Architektur des Glaubens - Stefan Molyneux und Jordan B. Peterson 1/7

in #deutsch6 years ago (edited)

08. Dezember 2017

Einleitung


Vor einigen Monaten bin ich auf zwei längere Gespräche zwischen dem bekannten Libertären Stefan Molyneux (geboren 1966) [1] und dem vor allem bei militanten Linksaktivisten und Social Justice Warriors unbeliebten, aber tatsächlich genialen Professor Jordan B. Peterson (geboren 1962) [2] aufmerksam geworden. Ob dessen Genialität auch fachlich besteht, weiss ich nicht, allerdings sehe ich es sehr positiv, dass er viele meiner Ansicht nach logisch begründbare Erkenntnisse in die Öffentlichkeit trägt, die sonst in gängigen Medienerzeugnissen wenig präsent sind. Dazu versteht er es sehr gut, Laien auf dem Gebiet zu fesseln und zu begeistern. Es kann deswegen sein, dass er fachlich nicht der allerbeste ist und vor allem das Feld der Vermarktung gut versteht. Ein Fach, Handwerk oder eine akademische Disziplin weiterzuentwickeln und neue Leute dafür zu begeistern wird meist nicht nur von einem Menschen getan, sondern es braucht in den jeweiligen Bereichen talentierte.

Prof. Peterson habe ich vor kurzem einen zweiteiligen Zitate-Artikel gewidmet, in dem es um seine Erkenntnisse im Bereich des politischen und gesellschaftlichen Totalitarismus geht [3, 4]. Jordan Peterson hat sich dort ziemlich in Rage geredet, wohl weil er zunehmend müde wird, immer wieder dieselben Erkenntnisse zu verkünden und zu erklären, die er im Zuge seiner Beschäftigung mit totalitären Systemen gewonnen hat. In seiner Lehrtätigkeit hat er meist mit jungen Menschen zu tun, auch solchen, die von totalitären Phantasien geprägt sind und diese teilweise militant verteidigen und auf diese Weise verbreiten wollen.

Hier trifft man auf ein klassisches Dilemma: Auf der einen Seite der arrivierte Professor mit weltweiter Bekanntheit, auf der anderen junge Menschen, die mitten in der Ausbildung stecken, noch keinen wirklichen Platz in der Gesellschaft haben und dementsprechend wenig zu verlieren. In einer solchen Position ist man anfällig gegenüber dem Einfluss von Scharlatanen und Fanatikern. Ausbildungsstätten wollen besucht werden und man will sich für eine gute Zukunft in Stellung bringen und man nimmt das, was einem eine gute Karriere verspricht. Ob etwas positives hinter den Versprechungen steckt oder nicht, wird man erst einige Zeit später verstehen können.

Nur die Jugend lässt das Leben leicht, wurde schon oft gesagt. Ein Satz, dem ich absolut zustimme. Gerade deswegen halte ich es für extrem gefährlich, wenn man es in einer Gesellschaft der Jugend schwer macht, ihren Platz zu finden und einzunehmen. Wenn man sie mit nutzloser Bildung nervt, die Bildungsprogramme zu lange dauern und Dinge vermittelt werden, die im Beruf nicht gefragt sind, verursacht man unnötigen Frust. Frust ist eindeutig etwas Negatives, das für herausragende Leistungen stets überwunden werden muss. Für herausragende Leistungen macht es auch Sinn, Strapazen auf sich zu nehmen, für die sinnfreie Reproduktion alten Wissens eher nicht. Leiden um des Leidens Willen, bringt keinen Fortschritt. Dass keine Meister vom Himmel gefallen ist und man sich auch heute Fachkompetenz mühsam erarbeiten muss, ist eine Tatsache, allerdings ist es vollkommen unnötig, diesen Prozess mit diversen Schikanen in die Länge zu ziehen.

Nun aber zum ersten Gespräch [5], welches ich in voller Länge transkribiere und übersetze, weil darin extrem viel enthalten ist. Da es 90 Minuten dauert, wird es wohl in einigen Teilen aufgeteilt erscheinen müssen. Dies dient auch dazu, den Umfang und die Anzahl Quellenangaben pro Teil einigermassen überschaubar zu halten. Weil darin sehr persönlichkeitsbezogene Themen besprochen werden, erscheint die Transkription nicht in der Rubrik Zitate, sondern unter Persönlichkeitsentwicklung. Wie gewohnt findet man zuerst das Original in englischer Sprache und danach meine Übersetzung. So lässt sich unmittelbar erkennen, ob mein Hörverständnis richtig war und meine Fähigkeiten als Amateur-Übersetzer lassen sich einfach einschätzen. Das zweite Gespräch [6] wird eventuell in naher Zukunft auch noch übersetzt werden.


Teil 1 - Die Schwächen des Westens. Die Rollen von Religion und Wissenschaft in der Kultur

(0:01-0:36) - Stefan Molyneux:

«Hi everybody. Stefan Molyneux from Freedomain Radio. I am here with Dr. Jordan Peterson. A marriage of two minds often requested by the listenership. And thus delivered in deference to your wishes and in great pleasure of myself. He is a professor of psychology at the University of Toronto, actually my alma mater. A clinical psychologist and the author of 'Maps of Meaning: The Architecture of Belief' [7] and other works of course. You can follow his work on jordanbpeterson.com or on YouTube. Username JordanPetersonVideos [8]. We will put all the links below. Dr. Peterson, thank you so much for taking the time today.»

«Hallo zusammen. Hier spricht Stefan Molyneux von Freedomain Radio. Ich führe heute ein Gespräch mit Dr. Jordan Peterson. Es kommt zu einer Verbindung von zwei Geistern, die aus der Zuhörerschaft oft erbeten wurde. Heute wird diese in Hochachtung der Wünsche des Publikums geliefert, auch zu meiner grossen Freude. Jordan Peterson ist Professor für Psychologie an der Universität von Toronto, die auch meine Alma Mater ist. Er ist klinischer Psychologe und der Verfasser des Buches Maps of Meaning: The Architecture of Belief [7] (Pläne der Sinngebung: Die Architektur des Glaubens, nicht in deutscher Sprache erschienen, Anm.) und anderer Werke. Man kann seiner Tätigkeit auf seiner Webpräsenz jordanbpeterson.com oder auf YouTube folgen. Dort trägt er den Benutzernamen JordanPetersonVideos [8]. Wir werden die Links alle unten auflisten. Dr. Peterson, vielen herzlichen Dank, dass Sie sich heute die Zeit nehmen.»

(0:37) - Jordan Peterson:

«My pleasure»

«Es ist mir eine Freude.»

(0:38-1:34) - Stefan Molyneux:

«One of the things, and it is of course many things, it is sort of a Hydra that you and I have both involved our intellectual pursuits in, is trying to capture and remediate some of the significant spiritual and moral challenges, that western civilization seems to have been facing, you know, arguably since the 1960s, perhaps even before. And I have been rapidly devouring your material on trying to diagnose and provide solutions to what seems to be a loss of confidence, a drift from objective values and sort of an empty hedonistic materialism the west seems to be consuming itself in. I wonder, and I know it is a big task, because it is a very big and deep book and you talk about the stuff in great detail, if you could give my listeners your introduction as to what the ailment is and what can be done about.»

«Eines der Dinge, von denen es viele gibt, denen Sie und ich unser intellektuelles Streben gewidmet haben, ist eine Art Hydra. Es besteht darin, zu versuchen, einige der signifikanten spirituellen und moralischen Herausforderungen einzufangen und positiv zu korrigieren. Seit den 1960er Jahren und vielleicht sogar davor, bestehen diese Herausforderungen. Ich habe Ihre Inhalte rasch verschlungen und versuche, zu diagnostizieren und Lösungen anzubieten. Lösungen für Probleme wie ein Verlust der Zuversicht, ein Abdriften von objektiv (positiven) Werten hin zu einer Art leerem hedonistischen Materialismus, in dem sich der Westen selbst zu verzehren scheint. Ich bin gespannt, ob Sie meinen Zuhörern eine Einleitung darin geben können, worin die Krankheit besteht und was dagegen unternommen werden kann. Das ist eine grosse Aufgabe, aber sie haben ein dickes und tiefgehendes Buch darüber geschrieben, in dem sie die Dinge ausführlich darlegen.»

(1:35-5:47) - Jordan Peterson:

«The ailment I think is, first of all multi-dimensional. But I will start with the cultural problem. I think that it is reasonable to accept the idea that the contradiction between the claims of science and the claims of religion has damaged the psyche of the west. I think this is the right way of thinking about it. Most cultures in the history of the world have not been scientific cultures. They might have been engineering cultures like Rome or Greece when you are thinking about technologically sophisticated cultures. But they were not objective, materialist cultures. Our culture is both of those things and there is good reason for it. Developing the objective, materialist technology and philosophy has made us incredibly technologically powerful. It is much better to live like we live than to live on a dollar a day in today's money, which is how everyone in the west basically lived in 1895. It is also the case that the consequence of expanding wealth because of the development of the scientific methodology has been an inestimable benefit in the rest of the world.
Now there are estimates that 300'000 more people a day are being connected to the electrical grid and about 250'000 a day are being lifted out of object poverty which has more than halved since the year 2000. It halved between 2000 and 2013. We are going through an unparalleled time of wealth expansion across the world, even though there is rising inequality in the west.»

«Das Leiden ist zunächst einmal mehrdimensional. Ich werde mit dem kulturellen Problem beginnen. Ich denke, dass es vernünftig ist, die Vorstellung anzunehmen, dass der Widerspruch zwischen den Annahmen der Wissenschaft und der Religion der Psyche des Westens beschädigt hat. Das ist meines Erachtens der richtige Weg, darüber zu denken. Die meisten Kulturen in der Vergangenheit waren technische, ingenieur-ähnliche Kulturen wie Rom oder Griechenland, wenn man von technologisch weit fortgeschrittenen Kulturen spricht. Aber das waren keine objektive, materialistische Kulturen. Unsere Kultur is beides und es gibt gute Gründe dafür. Diese objektive, materialistische Technologie und Philosophie zu entwickeln hat uns technologisch unglaublich leistungsfähig gemacht. Es ist viel besser, wie wir heute zu leben, als 1895, als die meisten Menschen im Westen von etwa einem Dollar heutigen Geldes pro Tag leben mussten. Es ist auch der Fall, dass die Konsequenz aus dem Aufbau von Reichtum durch die Entwicklung der wissenschaftlichen Methodologie ein unschätzbarer Gewinn für den ganzen Rest der Welt war.
Aktuelle Schätzungen sagen, dass pro Tag etwa 300'000 Menschen neu ans Elektrizitätsnetz angeschlossen werden und 250'000 pro Tag der objektiven Armut entfliehen. Die bitterste Armut konnte seit dem Jahr 2000 mehr als halbiert werden. Sie halbierte sich von 2000 bis 2013. Wir durchschreiten also eine nie dagewesene Zeit der Ausweitung von Reichtum auf der ganzen Welt, auch wenn im Westen die Ungleichheit zunimmt.»

«But the problem is, this is a technical problem in part, that the methodology of science by definition excludes the subjective from consideration. The problem is, that you cannot exclude the subjective from consideration without excluding the subject. Since we are all subjects that turns out to be a major problem.
Tolstoi (1828-1910) [9] wrote a book called 'My Confession' [10]. In that book, he talks about what happened to him when he was at the height of his intellectual power and worldwide fame, wealth and status. I mean, he was the world's most famous writer, he had everything. Russia was really the last society that went through the scientific, philosophical revolution in the late 1800s which is partly what laid it wide open to communism as an alternative.
But for Tolstoi the news coming in from Europe that God was dead was absolutely devastating and pushed him in a suicidal depression.»

«Das Problem allerdings ist, zum Teil ein technisches, dass die Methodologie der Wissenschaft per Definitionem das Subjektive aus der Betrachtung ausschliesst. Das ist insofern problematisch, als dass man das Subjektive nicht aus der Betrachtung ausschliessen kann, ohne das Subjekt auch auszuschliessen. Weil wir Menschen alle Subjekte sind, stellt sich das als grösseres Problem heraus.
Tolstoi (1828-1900) [9] schrieb das Buch Worin besteht mein Glaube? [10]. In diesem Buch spricht er davon, was ihm geschah, als er sich auf dem Höhepunkt seiner geistigen Schaffenskraft befand und weltweiten Ruhm, Reichtum und Status genoss. Er war der berühmteste Autor der ganzen Welt und hatte alles. Die russische war die letzte Gesellschaft, die die wissenschaftliche, philosophische Revolution im späten 19. Jahrhundert erlebte. Die Art, wie sie es erlebte, sorgte zu beträchtlichen Teilen dafür, dass sie für die Alternative Kommunismus besonders offen war. Für Tolstoi war die aus Europa kommende Nachricht, dass Gott tot war, eine absolut niederschmetternde. Sie trieb ihn in eine suizidale Depression.»

«He was afraid to walk around his own estate for years, because he thought that he will hang himself from the nearest raft (?, branch would probably be better) or shoot himself. I think the reduction of the world of being to the objective world had reduced people's ability to believe in the reality of meaning in life. That is an awful catastrophy. Because, it is more accurate to say that it has reduced people's ability to believe in the positive meaning of life, the negative meaning announces itself.
No amount of rational disbelief will redeem us from (?) anxiety and pain. But you can certainly subject anything positive you do the sort of critique that you might sum up stupidly by saying something like: 'Well, in a million years, who is gonna know the difference?' Or, you know, we are just dust bats on this little dust mote of planet in an infinitely large Galaxy. Who the hell cares what we do or what I do today or tomorrow and why is it relevant, why it is meaningful.
Because we cannot get a sense of meaning or the reality of meaning it leaves us adrift and lost in a world of nihilism and pain. Not psychologically tenable, truly not.»

«Er hatte jahrelang Angst, auf seinem Anwesen zu spazieren. Denn, er dachte, dass er sich an der nächsten Pritsche (? Ast wäre vielleicht treffender, Anm.) aufhängen oder sich erschiessen würde. Ich denke, die Reduktion der Welt auf eine objektive Welt hat auch die Fähigkeit der Menschen reduziert, an die Realität eines Sinnes im Leben zu glauben. Das ist eine furchtbare Katastrophe. Denn, eigentlich ist es präziser, zu sagen, dass die Fähigkeit der Menschen dahingehend reduziert wurde, an die positive Sinngebung im Leben zu glauben, die negative kommt von alleine auf.
Kein Mass an rationalem Unglauben wird uns von Besorgnis und Leiden erlösen. Aber man kann alles positive, was man tut, einer Kritik unterwerfen, die man in blöder Weise folgendermassen zusammenfassen kann: 'In einer Million Jahren, wer wird dann den Unterschied erkennen?' Oder, wir sind Staub auf einem Staubkorn von Planet in einer unendlich grossen Galaxie. Wer zum Teufel interessiert sich dafür, was wir tun oder was ich heute oder morgen mache und warum das in irgendeiner Weise relevant oder sinnvoll sein soll. Wir können so kein Gefühl für Sinnhaftigkeit oder die Realität eines Sinnes entwickeln. Wir werden so umhertreibend und verloren in einer Welt des Nihilismus und des Leidens zurückgelassen. Psychologisch ist das wahrlich nicht zu ertragen.»

(5:48-6:19) - Stefan Molyneux:

«This is one of the great paradoxes as you point out. There have been incredible steps forward in satisfying basic human needs. The needs that are described in Lear's the bare forked animal [11]. But at the same time the production of resources that satisfy our physical needs have strip mined the meaning and purpose we had prior to the scientific revolution and to some degree the Freudian [12] revolution or the idea of excavating consciousness. Not to find a soul, but to find usually a somewhat dark seeding, a tripartite pit of unwanted desires and frustrations (?).»

«Das ist eines der grossen Paradoxe, die Sie hier herausstreichen. Es gab unglaubliche Fortschritte, wenn es darum geht, die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen zu zufriedenzustellen. Die Bedürfnisse, die bei König Lear [11] folgendermassen beschrieben werden: 'der natürliche Mensch ist nichts mehr, als solch ein armes, nacktes, zweizinkiges Tier wie du.' Gleichzeitig hat die Produktion der Ressourcen in ausreichendem Masse den Sinn und Zweck restlos abgebaut, den wir vor der wissenschaftlichen Revolution und zu einem gewissen Teil auch der Freud'schen Revolution [12] oder der Idee, mehr Bewusstsein zu gewinnen hatten. Beim Gewinnen von mehr Bewusstsein ging es nicht darum, eine Seele zu finden, aber die etwas dunkle Saat, ein dreiteiliger Kern der unerwünschten Begierden und Frustrationen (?).»

(6:20-8:41) - Jordan Peterson:

«It is usually considered as Darwin (1809-1882) [13], Freud (1856-1939) [12] and Kopernikus (1473-1553) [14] are the three who knocked humanity off its pedestal and left us wiser, I would say in some ways, but sader. I think this is extraordinarily unfortunate, because it does not strike me as absolutely necessary, I guess. It is also dangerous, that is the last thing. There are people who celebrate the demise of religion and religious belief. I can understand why, because group fostered belief can be a terribly destructive force. To lay that at the feet of religion I think is foolish, because the danger of group fostered belief is actually more profound than the danger of religion, because Chimpanzees are very affiliate and group-centered like human beings and they are hyperaggressiv towards outsiders. You do not need religion for tribalism. In fact, religion is actually one of the forces that unites multiple tribes over long periods of time.
You do not get great civilizations without a unifying religious vision. You might say, that makes that great civilization prone to compete with other great civilizations in a conflictual manner and makes it internally repressive. All of those things are true to some degree. But you cannot blame religion for dividing people without noticing at the same time that it unites them. To attribute that sort of divisiveness and conflict to religion is a foolish task (?). The thing that religion does do and mythology and all the domains of knowledge that are on that half of the equation is that it places people in a world that has a purpose. I do not think that this is illusory. I think, that a part of humanity just thinks it is illusory, but I think it is not illusory at all. I actually do not think that this is how we experience it. It is just that we started to doubt the validity of our own experience. Because we tend to reduce things to dead objective facts.»

«Normalerweise wird gesagt, dass Darwin (1809-1882) [13], Freud (1856-1939) [12] und Kopernikus (1473-1553) [14] die drei Hauptfiguren waren, die die Menschheit vom Sockel gestossen haben und uns weiser, aber in gewisser Weise auch trauriger zurückgelassen haben. Das ist ausserordentlich schade, denn wie ich es sehe, erscheint mir das nicht absolut notwendig. Es ist zuletzt auch gefährlich. Es gibt Menschen, die feiern den Niedergang von Religion und religiösem Glauben. Ich kann nachvollziehen warum. Denn, in Gruppen gepflegter Glaube kann eine schreckliche, zerstörerische Kraft sein. Ich denke, dass es aber töricht ist, das den Religionen anzulasten. Denn, die Gefahren, die von in Gruppen gepflegtem Glauben ausgehen, sind grösser als die von Religionen. Schimpansen etwa sind sich sehr verbunden und gruppenorientiert, wie menschliche Wesen. Sie verhalten sich aber hyperaggressiv gegenüber Aussenstehenden. Man braucht keine Religion für ein Stammesdenken. Tatsächlich ist es so, dass die Religion sogar eine der Kräfte ist, die verschiedene Stämme langfristig vereinen kann.
Ohne eine einigende, religiöse Vision oder Perspektive gibt es keine grossen Zivilisationen. Man mag sagen, dass das grosse Zivilisationen anfällig macht, sich auf eine Konflikte verursachende Weise gegen andere grossen Zivilisationen zu messen. Das wiederum macht solche Zivilisationen nach innen repressiv. All diese Dinge sind in gewisser Weise wahr. Aber man kann nicht einseitig die Religionen beschuldigen, die Menschen zu trennen, ohne gleichzeitig anzuerkennen, dass Religionen die Menschen auch einen. Ihnen also diese spaltende Wirkung und Konflikte zuzuschreiben, ist albern. Das, was Religionen tun, die Mythologie und alle Wissensgebiete auf dieser Seite der Gleichung, ist, die Menschen in eine Welt zu setzten, die einen Zweck hat. Ich denke nicht, dass das illusorische Sache ist. Sondern ich denke, dass ein Teil der Menschheit denkt, es sei illusorisch. Ich denke auch nicht, dass das die Art und Weise ist, wie wir es erleben. Es ist nur so, dass wir begonnen haben, den Wahrheitsgehalt unserer eigenen Erfahrungen in Frage zu stellen. Denn, wir neigen dazu, die Dinge auf tote, objektive Tatsachen zu reduzieren.»

(8:41-9:32) - Stefan Molyneux:

«And the great worry of the 19th century thinkers, as you mentioned Tolstoy, one may add Dostoyevsky (1821-1881) [15], Nietzsche (1844-1900) [16] and so on, was that in the absence of religion what did human beings cleave to? There was of course the promise of the rationalists, that if we forgo superstitious irrationality and we apply ourselves deciduously (?) to a blank materialistic analysis of the universe, paradise will erupt and emerge. Materially, it is hard to argue. With the free market, that has been the case. However, this is a big however, the focus of people and their need for collective identity and a meaning has created a vacuum left by religion, that in many ways, more predatory and destructive ideologies like communism, socialism and fascism and so on have rushed in to fill the vacuum. This has left a huge heap of corpses.»

«Die grosse Besorgnis der Denker des 19. Jahrhunderts war, woran würden sich die Menschen in Abwesenheit von Religion halten? Sie haben Tolstoi erwähnt, man kann Dostojewski (1821-1881) [15], Nietzsche (1844-1900) [16] und weitere ergänzen. Es gab natürlich das Versprechen der Rationalisten, dass das Paradies ausbrechen und entstehen würde, wenn man nur die abergläubische Unvernunft aufgeben würde und sich der rein materialistischen Analyse des Universums verschreiben würde. Jedoch, das ist ein grosses Jedoch, hat das Fehlen der Religion bezüglich der Ausrichtung der Menschen und deren Bedürfnis nach kollektiver Identität und Sinnstiftung ein grosses Vakuum hinterlassen. Dieses aufzufüllen, schickten sich in das zerstörerische und räuberische Ideologien an. Kommunismus, Sozialismus und Faschismus kamen angestürmt, um dieses Vakuum zu füllen. Das hat grosse Leichenberge verursacht.»

(9:32-12:38) - Jordan Peterson:

«That is exactly what it looks like to me. This is definitely what Nietzsche and Dostoyevsky prophesied. I think they were dead accurate. I think of those ideologies as parasites on a fundamental religious substructure. An ideology is, basically, a religious system, that only tells part of the story. Usually it tells half of the story.»

«Genauso sehe ich es. Das ist definitiv das, was Nietzsche und Dostojewski vorhergesehen haben. Ich denke, dass sie da total präzise waren. Ich halte diese Ideologien für Parasiten auf Basis eines fundamental religiösen Unterbaus. Eine Ideologie ist grundsätzlich ein religiöses System, welches nur einen Teil der Geschichte erzählen kann. Üblicherweise erzählt es etwa die halbe Geschichte.»

«Like the environmentalist mythology, I am not saying this in a pejorative sense, because it is half true. The environmentalist mythology is, that human beings are destructive and adversarial creatures. They are expanding their predatory raping culture into the virginal territory of warm and comforting mother nature. To me, you can imagine that with your hand:
1st finger: negative individual
2nd finger: negative culture
3rd finger: positive nature
These are three of the main archetypes. And then, here is a counter-proposition. It is exactly the opposite. It is the Frontier-Myth [18] upon which the colonization of North America by the Europeans was promoted. This was the heroic individual pushing forward the peace, sanctity and security of culture into the wild and treacherous unknown.
4th finger: the heroic individual
5th finger: the internal peace, sanctity and security of culture/civilization
Those stories both are incredibly powerful, because they are both true. The problem is that you need both of them to be completely true. The individual is a hero and an adversary at the same time. We are dark and light, mixed together. Our culture is tyrannical, but provides us with security. Nature is our worst enemy, because she is trying all the time to kill us. But at the same time she is the thing that gave birth to everything.»

«Das gilt auch für die Mythologie der Umweltschützer. Ich meine das nicht im abwertenden Sinne, denn es ist zur Hälfte wahr. Die Mythologie der Umweltschützer besteht darin, dass die Menschen zerstörerische und der Natur feindlich gegenüberstehende Wesen sind. Sie breiten ihre rücksichtslos räuberische Kultur in die jungfräulichen Gebiete der warmherzigen und behaglichen Mutter Natur aus. Man kann das bildlich mit der Hand etwas verdeutlichen:
Erster Finger: das negative (schädliche) Individuum
Zweiter Finger: die negative (schädliche) Kultur
Dritter Finger: die positive Natur
Das sind drei der Haupt-Archetypen. Jetzt kommt die Antithese. Die entspricht dem genauen Gegenteil. Sie ist der Mythos des Grenzgängers [18], auf dem die Kolonisierung von Nordamerika durch die Europäer vorangetrieben wurde. Das war der heldenhafte Einzelne, der aktiv den Frieden, die Unantastbarkeit und die Sicherheit dieser Kultur in die wilden und heimtückischen, unbekannten Gefilde vorstossen liess.
Vierter Finger: das heldenhafte Individuum
Fünfter Finger: der Frieden, die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens und die Sicherheit der Kultur/Zivilisation
Beide Geschichten sind unglaublich kraftvoll, weil sie beide wahr sind. Das Problem liegt darin, dass man beide braucht, damit man das wirklich wahre Ergebnis bekommt. Der einzelne Mensch ist gleichzeitig ein Held und ein Widersacher. Wir sind dunkel und hell, gemischt. Unsere Kultur ist (nach aussen) tyrannisch, aber sie gibt uns (nach innen) Sicherheit. Die Natur ist unser schlimmster Feind, denn sie versucht die ganze Zeit uns zu töten. Gleichzeitig aber ist sie das, was alles hervorbringt.»

«What I have observed is that religious systems, you can say that also for the Freudian system by the way, represent all of those characters simultaneously. And they provide you with a balanced view of the world. And then, they tell you how to operate in it, which is the other critical issue.
The problematic aspect of science is that it cannot provide a guide to action. It is partly because in what it strips out, which is the subjective, before it even gets off the ground and before it starts to produce its facts. But there is the point where the injunction to action in reality occurs. The reason why science cannot tell you how to behave is because it strips out all the information about how it behaves from the things it is actually observing. And it leaves you with the cold, hard facts. They are dead facts you can use, but there is nothing implicit within them that gives you a behavioral injunction. Then you might say that there is nothing like a behavioral injunction. But I actually believe that this is technically wrong as well. »

«Ich habe beobachtet, dass religiöse Systeme, man kann das auch über das Freud'sche System sagen, all diese Charaktere gleichzeitig darstellen. Und sie versorgen einen mit einer ausgeglichenen Weltsicht. Auf dieser Basis sagen sie einem, wie man in dieser Welt zu agieren hat, das ist die andere, kritische Angelegenheit.
Der problematische Aspekt der Wissenschaft ist der, dass sie keinen Handlungsleitfaden bieten kann. Teilweise liegt das daran, dass die Wissenschaft das subjektive, auf einen selbst bezogene, ausschliesst, noch bevor sie überhaupt in Bewegung kommt und damit beginnt, Fakten zu produzieren. Aber bereits da erscheint in der Realität die Aufforderung zum Handeln. Der Grund, warum einem die Wissenschaft nicht sagen kann, wie man sich verhalten soll, ist der, dass die Informationen darüber, wie sie sich selbst abhängig von den beobachteten Dingen verhält, ausgeschlossen werden. Und dann lässt sie einen mit kalten, harten Fakten alleine (die auch nicht immer wirklich objektiv sein müssen, sondern stets in Teilen von den Gegebenheiten abhängig sind, Anm.). Es sind tote Fakten, die man verwenden kann, aber es gibt keine Implikationen darin, die einem eine konkrete Aufforderung zum Handeln geben. Man kann dann auch noch sagen, dass es etwas wie eine Aufforderung zum Handeln nicht gibt. Aber ich glaube, dass das technisch falsch ist.»


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Stefan_Molyneux
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Jordan_Peterson
[3] Zitate 051 - Prof. Jordan B. Peterson 1/2. @saamychristen, 02. November 2017 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/zitate-051-prof-jordan-b-peterson-1-2
[4] Zitate 052 - Prof. Jordan B. Peterson 2/2. @saamychristen, 03. November 2017 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/zitate-052-prof-jordan-b-peterson-2-2
[5] The Architecture of Belief | Jordan Peterson and Stefan Molyneux. Stefan Molyneux YouTube Kanal, 12. Februar 2017
[6] Sorting Yourself Out | Jordan Peterson and Stefan Molyneux. Stefan Molyneux YouTube Kanal, 30. Juli 2017


[7] Maps of Meaning: The Architecture of Belief. Jordan B. Peterson, Routledge, 1999 https://www.amazon.com/dp/0415922224/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_kBKkAbS8K5R33
[8] https://jordanbpeterson.com/
https://www.youtube.com/user/JordanPetersonVideos/videos
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Lew_Nikolajewitsch_Tolstoi
[10] My Confession and the Spirit of Christ's Teachings. Leo Tolstoy, 1884 https://archive.org/details/in.ernet.dli.2015.158415
Worin besteht mein Glaube? Leo Tolstoi, 1885 http://gutenberg.spiegel.de/buch/worin-besteht-mein-glaube-9472/1
Digitalisierte Werke Tolstoi's in russischer Sprache: http://tolstoy.ru/
[11] King Lear, William Shakespeare, 1608, Act 3, Scene 4 http://nfs.sparknotes.com/lear/page_166.html
https://de.wikipedia.org/wiki/König_Lear
König Lear, William Shakespeare, 1608, Dritter Aufzug, Vierte Szene http://www.zeno.org/Literatur/M/Shakespeare,+William/Trag%C3%B6dien/K%C3%B6nig+Lear/Dritter+Aufzug/Vierte+Szene
[12] https://en.wikipedia.org/wiki/Sigmund_Freud
https://de.wikipedia.org/wiki/Sigmund_Freud
[13] https://en.wikipedia.org/wiki/Charles_Darwin
https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Darwin
[14] https://en.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_Kopernikus
https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_Kopernikus
[15] https://en.wikipedia.org/wiki/Fyodor_Dostoyevsky
https://de.wikipedia.org/wiki/Fjodor_Michailowitsch_Dostojewski
[16] https://en.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Nietzsche
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Nietzsche
[17] https://en.wikipedia.org/wiki/Rationalism
https://de.wikipedia.org/wiki/Rationalismus
[18] https://en.wikipedia.org/wiki/Frontier_myth


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