Politik 108 - Neues aus der deutschen Parteienlandschaft

in #deutsch6 years ago (edited)

13. November 2018

Auch wenn ich einige Tage stumm war und bei diesem Blog nichts Neues zu lesen war, sind dennoch sehr viele Dinge am Laufen. In Deutschland. Zunächst soll es bei der Landtagswahl in Hessen [1] zu Unregelmässigkeiten gekommen sein [2-3], die wirklich nicht zu dulden sind. Interessant ist der Begriff, den die etablierten Medien wählten, sie nannten die Unregelmässigkeiten eine Wahlpanne. Ansonsten war in Hessen wichtig, dass die AfD ihre Serie auch in Hessen fortsetzen konnte und seit dem ersten Einzug in einen Landtag auch den Einzug in jedes andere Parlament auf Landes- und Bundesebene erreichte [4].

Darüber hinaus hielt die Partei Bündnis 90 / Die Grünen [5] ihren Bundesparteitag ab. Stellvertretend sei die Rede [6] der Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock [7] verlinkt. Wie bekannt sein dürfte, gehöre ich nicht zu denen, die den Inhalt bewerben wollen. Aber für ein besseres Verständnis wie diese Partei funktioniert, die ich vor kurzem harsch, aber niveauvoll kritisiert habe [8], dürfte es durchaus ratsam sein, sich eine Reden einer oder eines Parteivorsitzenden anzusehen.

Auf mich wirkt einiges, was die Grünen in ihrer Kommunikation nach aussen von sich geben, erst einmal vordergründig hübsch verpackt, nach innen sehe ich aber zumeist ziemlich enge Weltbilder, selbstgefällige Wertvorstellungen, wenig Hinwendung und Liebe zur Freiheit, dogmatische Sprache, predigtähnliche Reden und Stellungnahmen, eine im weiblichen Stil geprägte, höchst intolerante Ablehnung gegenüber allem, was ihnen widerspricht und darüber hinaus einen ziemlich gut gediehenen Pragmatismus, die sonst als nahezu heilig verkündeten eigenen Prinzipien zu verraten, wenn es dem eigenen Machtgewinn dient. Wenn man Grünen zuhört, weiss man meist wer für das Gute verantwortlich und wer Schuld sein soll. Meist sehe ich es ziemlich anders und zweifle deswegen ganz unmittelbar an der Art der Darstellungen, wie sie Grüne propagieren. Frau Baerbock zeigte gerade beim Thema Verteidigung und Sicherheit ein Beispiel dieses Pragmatismus, denn man scheint eindeutig in die Richtung einzuschwenken, die der französische Präsident Emmanuel Macron [9] vorgegeben hat. Dieser fordert eine Zentralisierung der Streitkräfte der Europäischen Union zu einer europäischen Armee [10], die logischerweise nur unter französischem Hauptkommando aufgebaut werden könnte.

Wie dem auch sei, ihre Parteimitglieder mag Frau Baerbock überzeugt haben, mich hingegen eher kaum. Mir ist viel zu viel selektives Wunschdenken enthalten und nur wenig erscheint mir stringent und durchdacht. Als Beispiel sei der oft idealistische Blick auf das grosse Europa gemeint, wobei dieses stark nach den eigenen Vorstellungen gestaltet werden soll, man aber gleichzeitig dennoch darauf besteht, das eigene Land mit eigenen Gesetzgebungen zu erhalten, wenn es die eigenen Kernthemen betrifft. Auf der Ebene der Europäischen Union gibt es in vielen Bereichen eine viel grössere Breite an Ansichten, Meinungen und Konzepten als in Deutschland, die man auch nicht unter Kontrolle bringen wird. Mit einer echten Wertschätzung der Deutschen Grünen gegenüber dieser Vielfalt ist es längst nicht immer besonders weit her. Und ganz allgemein ist der Inhalt dieser Rede nicht das, was ich mit weltoffenem, grossstädtisch geprägtem und aufgeklärtem Geist verbinde, das will ich als jemand der in einer ländlichen Gegend aufgewachsen ist gesagt haben.

Damit bin ich nicht alleine und habe mir in den letzten Tagen einige Kommentare und Stellungnahmen von der AfD nahe stehenden Menschen angesehen, die auf die Grünen zumeist gar nicht gut zu sprechen sind. Da wurde etwa von der grünen Sekte gesprochen, die sich nur wegen der angeblich ausgeprägten Dummheit der Deutschen überhaupt einer solchen Beliebtheit erfreuen können, wie sie es gerade tun [11]. Selbstverständlich würde man diese Werte lieber bei der eigenen Partei oder der, der man näher steht, sehen.

Aus meiner Sicht hat das nicht nur mit Dummheit zu tun, sondern damit, dass sich viele Menschen, nicht nur in Deutschland, nicht die Mühe machen und den Aufwand betreiben, ihre eigenen politischen Positionen durchzudenken, auf Stringenz zu prüfen, kritische Fragen zu stellen und einen knallharten, zukunftsorientierten Realismus aufzubauen und zur Anwendung zu bringen. Allzu viele lassen sich von Medien, Schulen, Lehrbeauftragten, Politikern und sogenannten Experten sagen, wie sie denken sollten, was meines Erachtens absolut falsch ist. Es gibt stets einen Soll-Zustand, den man gerne erreichen möchte und einen Ist-Zustand, der vorgibt, ob und wie und mit welchen Mitteln es möglich ist, zum Soll-Zustand zu gelangen [12].

Ich habe ausführlich zu einem Beitrag bei Hugo Funke [13] kommentiert und das in sechs Punkten plus Fazit dargelegt:
Ich weiss nicht, was ich mit diesem Beitrag anfangen soll. Ich werde mal einige Punkte dazu sagen.

1. Die Mühlen einer Demokratie, auch einer gelenkten oder einer inszenierten, mahlen langsam. Wenn man nicht z.B. ein Präsidialsystem hat und dieser viel Gestaltungsmöglichkeit, laufen alle Prozesse langsam, vor allem auch die der Heilung nach falschen Entscheidungen. Negative Konsequenzen schlechter Entscheidungen können selbstverständlich auch sehr rasch aufkommen und sich heftig auswirken.

2. Was war das Ziel der Bewegung AfD? Machtübernahme, dann in grosser Weisheit und völliger Selbstlosigkeit alle Dinge ändern, die der Änderung bedürfen, sich dann selbst abzuschaffen und das war's? Das tönt nicht nur so als ob, sondern es ist grossartig unrealistisch, nahezu eine Art Erlösungsglaube. Es war klar, dass die Bewegung wegen des deutschen Systems zur Partei werden würde, eine Identität braucht, sich institutionalisiert und innerhalb ihres Aktionsbereichs eine Wählerschaft aufbaut. Zielgruppe Mittelstand von unten bis oben, Unternehmer, Fachangestellte, Ingenieure usw. Ein sehr zäher Prozess, den diese Partei erstaunlich gut hinbekommen hat, trotz einiger fragwürdiger Figuren mit ebensolcher Wahrnehmung und Zielvorstellungen. In nahezu jedem Bundesland gibt es ein zweistelliges Potential in Prozenten gesprochen, wer hat das sonst noch? Jedenfalls nicht alle.

3. Das deutsche Parteiensystem, auch Parteienstaat genannt, ist gerade in Bewegung. Die SPD wird von drei Seiten und drei mehr oder weniger etablierten Parteien zerrieben, CDU, Grüne und Linke, die AfD macht auch mit. Es ist erstaunlich, dass die SPD ihr Heil offenbar darin gesucht hat, einen auf freundlich und freundschaftlich mit ihrem stärksten Gegner, CDU/CSU zu machen und gegen die AfD zu agitieren, obwohl sie von der Union wohl um die meisten Wähler gebracht wurde.

4. Die SPD wird heute vielmehr als noch 2017 als ein totes Objekt wahrgenommen, nicht vergessen, die Grünen endeten 2017 bei der BTW einstellig.

5. Leider verfügt die FDP nicht über einen ähnlich soliden Wählerstamm, wie ihn die Grünen mittlerweile wohl haben. Das würde auf der klassisch rechten Seite des politischen Spektrums zu mehr Sicherheit beitragen.

6. Trotz alledem gibt es in vielen Regionen Deutschlands eigentlich eine bürgerliche Mehrheit, die aber nicht zur Geltung kommt, weil sich die CDU wohl lieber links orientiert und gerade die FDP nicht nur positive Erfahrungen in Koalitionen gesammelt hat.

Fazit: Eine Bewegung hat man, eine Partei auch, eine Eroberung im Sturm gibt es im in Sinn und Unsinn auf Stabilität ausgelegten deutschen System nicht, deswegen gibt es viel, viel Arbeit.

Schliesslich wurde noch ein anderes Scheinargument gebracht, nämlich jenes, dass es nur eine grosse Krise braucht, um endlich wirklich überzeugende Erfolge feiern zu können. Dieses gefällt mir persönlich überhaupt nicht. Denn zunächst halte ich es für seltsam, wenn man dem eigenen Land eine Krise wünscht, nur weil man sich eine solche für ein mögliches leistungsfähiges Sprungbrett für den eigenen Machtgewinn hält. Es ist immer so, dass eine Krise die revolutionären Potentiale stärkt, aber der Begriff Revolution ist keiner, den ich mit vernünftigen, gewachsenen und vorausschauend getroffenen Entscheidungen verbinde. Noch dazu pflegen wahrscheinlich die Grünen viel eher einen entspannten Umgang mit dem Begriff Revolution als es wohl die meisten AfD-Mitglieder und -Wähler tun.

Wenn der Druck auf die Menschen sehr gross wird, sind fast alle unter Zugzwang und muss Entscheidungen treffen, man kann sich davor nicht mehr drücken, das stimmt, aber meist gibt es zu einem solchen Zeitpunkt kaum mehr wirklich gute Entscheidungsmöglichkeiten und die Qualität der Entscheidungen ist dann auch nicht wirklich gut. Deswegen lautete meine Antwort an jemanden, der gemeint hat, dass unter dem drückenden Joch einer Krise mehr verstanden wird, folgendermassen:

Nein, ich glaube überhaupt nicht, dass unter höherem Druck mehr begriffen wird. Sogar im Gegenteil. Aber die Abwehrreflexe werden stärker und die Bereitschaft unüberlegt zu handeln, weil keine echte Handlungsfreiheit mehr besteht. Man merkt schon, von wem man sich nicht mehr vertreten fühlt und von wem man sich nicht mehr vertreten lassen will. Aber um sich genau zu überlegen, wer sinnvollerweise für eine gute Neuordnung steht oder für signifikante Verbesserungen in die wichtigen Positionen kommen soll, fehlt dann höchstwahrscheinlich die Zeit. Das bedeutet, diejenigen, die gerade das verkünden, was das Volk dann hören will, werden gewählt, unabhängig davon, ob sie etwas vernünftiges anzubieten haben.

Die Vorstellung, dass die Menschen in Bedrängnis erst in ihre Kraft kommen und dann von einem Heldenmut getrieben unmögliche Dinge realisieren, halte ich für eine unrealistische. Sie mag zwar in Heldengeschichten oft erscheinen, aber wenn alles dabei ist, kaputt zu gehen, alles im Niedergang begriffen ist oder eine niederschlagende Unterdrückung herrscht, halte ich ein Erstarren aller Aktivität mit einem Abschied durch die Hintertür für viel wahrscheinlicher. Wie wenn man einer brennenden Kerze den Sauerstoff entzieht, indem man ein Glasgefäss über sie stülpt. Nach kurzer Zeit brennt sie nicht mehr.


[1] Politik 104 - Landtagswahl in Hessen - AfD in allen Landtagen. @saamychristen, 29. Oktober 2018 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/politik-101-landtagswahl-in-hessen-afd-in-allen-landtagen
[2] Regierungsbildung in Hessen: Wahlpanne verzögert Koalitionsgespräche. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08. November 2018 http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wahlpanne-bei-der-hessenwahl-verzoegert-koalitionsgespraeche-15880946.html
[3] Panne bei Landtagswahl: SPD könnte in Hessen doch noch vor Grünen landen. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08. November 2018, von Matthias Trautsch und Ewald Hetrodt http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/spd-hessen-koennte-nach-wahlpanne-noch-vor-den-gruenen-landen-15879431.html
[4] Deutschland - AfD in allen Parlamenten - Das Ende einer beispiellosen Serie. Welt.de, 28. Oktober 2018, von AFP/krö https://www.welt.de/politik/deutschland/article182892676/Hessen-Wahl-2018-Das-Ende-einer-beispiellosen-AfD-Serie.html#Comments
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Bündnis_90/Die_Grünen
[6] Annalena Baerbock Politische Rede auf dem Bundesparteitag in Leipzig 2018. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN YouTube Kanal, 09. November 2018
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Annalena_Baerbock
[8] Ideologie 090 - Warum Grün gemäss meiner Einschätzung unwählbar ist. @saamychristen, 19. Oktober 2018 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/ideologie-090-warum-gruen-gemaess-meiner-einschaetzung-unwaehlbar-ist
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Emmanuel_Macron
[10] Feindbild Rußland - Macron spricht sich für Europäische Armee aus. Junge Freiheit, 06. November 2018, von (tb) https://jungefreiheit.de/politik/ausland/2018/macron-spricht-sich-fuer-europaeische-armee-aus/
[11] Die Sonntagsfrage bei Wahlrecht.de: http://www.wahlrecht.de/umfragen/index.htm
[12] Persönlichkeitsentwicklung 033 - Auf der Höhe der Aufgabe sein II - Vom Ist- zum Soll-Zustand. @saamychristen, 12. Oktober 2018 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/persoenlichkeitsentwicklung-033-auf-der-hoehe-der-aufgabe-sein-ii-vom-ist-zum-soll-zustand
[13] Beitrag von Hugo Funke: https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=1943230015978634&id=100008749620082&comment_id=1943281709306798&notif_id=1542017987847687&notif_t=feedback_reaction_generic


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Musste leider nach paar Sekunden abschalten bei dem Video - trotz aller guten Vorsätze. M.E. sind die - ohne auf Inhaltliches einzugehen, da kann man ja durchaus unterschiedlicher Meinung sein - infantil. Für die Stimme kann die Dame auch nix, aber die liegt genau auf meiner Tinnitus-Frequenz, das halt ich einfach nicht aus.

Danke für den Kommentar!

Ob die Parteitagsreden wirklich infantil sind, ich sehe sie eher nicht so, sondern mehr als Heimspiele, in denen die Leute aus der Leitung durchaus etwas offener sprechen. Und da habe ich mich klar ausgedrückt, warum mich der Inhalt der Rede nicht überzeugt.

Für ihre Stimme kann sie durchaus etwas, sie schreit die ganze Rede hindurch wenigstens leicht und wirkt zum Ende hin heiser oder erschöpft. Wenn man schon verstärkt wird darf man auch ganz entspannt reden, dann kann man stundenlang sprechen. Wobei sie an ihrem ersten Bundesparteitag als Vorsitzende durchaus etwas nervös gewesen sein dürfte. Ich kann nicht sagen, wie es mir erginge, ich habe noch nie länger auf einer so grossen Veranstaltung gesprochen, Musik gemacht schon, das geht ganz gut, auf meinem bescheidenen Niveau.

Und, was ich im Artikel nicht getan habe, über das auf mich eher seltsam wirkende Kleid könnte man auch noch sprechen, war mir dann aber zu oberflächlich...

Ich krieg's einfach nur mit der Angst zu tun, wenn ich den Kameraden zuhöre. Und die Alte ist unerträglich. Hab ich mich jetzt klarer ausgedrückt?

Die Alte ist 1980 geboren ;-) ...
An Klarheit hat es dir auch zuvor nicht gemangelt, ich habe es schon verstanden. Ich verlinke solche Inhalte nicht zu positiven Werbezwecken, sondern zu negativen, eigentlich als Warnungen, damit in Zukunft nicht möglichts viel Unerträgliches serviert bekommt.

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