Ideologie 105 - Eine auf Misstrauen basierende Gesellschaft ist ineffizient

in #deutsch6 years ago (edited)

17. Dezember 2018

Es kommt immer wieder vor, dass die Errungenschaften der Zivilisation gefeiert werden oder dass man in politischen Aussagen auf diese verweist. Doch worin bestehen diese zunächst. Sie bestehen zunächst darin, dass man nicht wie in der Wildnis lebt und sich die Dinge nimmt, die man gerade braucht und auch erreichen kann.

Die Menschen haben in ihrer Frühzeit in relativ kleinen Gruppen gelebt, später entwickelten sich mit dem Beginn der Sesshaftigkeit Dörfer, Städte und ganze Länder, die nach den Regeln lebten, die sie sich gaben. Je grösser die Siedlungen waren, desto weniger Kontakt hatten die Menschen noch mit dem, was man Wildnis nennen kann. Und auch die Landschaften änderten sich. Für den Unterhalt grösserer Siedlungen ist es unerlässlich, dass in der Umgebung Ackerbau, Viehzucht und wenn möglich Fischerei betrieben werden.

Das Wort Zivilisation [1] geht auf das lateinische Wort civis zurück, mit welchem im alten Rom ein römischer Volksangehöriger bezeichnet wurde. Später, ab dem Hochmittelalter wurde civis auch mit Bürger übersetzt. Heute ist allerdings längst nicht mehr ganz klar, ob alle Menschen mit der Ansicht einverstanden sind, dass mit einer Zivilisation eine bürgerliche Gesellschaft gemeint ist.

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Ein Zeugnis einer der für die westliche Welt wichtigsten Hochkulturen der Antike. Die Akropolis in Athen [15-16].

Darum soll es hier eher nicht gehen, sondern um eine aus meiner Sicht wirklich zentrale Errungenschaft, die die Zivilisation mit sich gebracht hat. Eine der sehr häufig angewendeten Regeln ist nämlich die, dass man fremde Menschen, allgemein solche, die man nicht schon persönlich kennt, normalerweise ansprechen kann, mit ihnen ein kurzes oder langes Gespräch führen, sie etwas fragen kann (nach dem Weg, nach einer kurzen Hilfestellung usw.) und eine ehrliche Antwort erhält. Man muss sich im Normalfall nicht fürchten vor den Mitmenschen und sich vor ihnen in Acht nehmen, wenn man sie nur schon sieht. Müsste man dies, wären Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bahn und Bus kaum möglich, vor allem nicht mit der Belegungsdichte, die während der Hauptverkehrszeiten beobachtet werden kann.

Ein solches Vertrauensverhältnis zu den Mitmenschen sollte aus meiner Sicht unbedingt weiter gepflegt und hochgehalten werden. Dies richte ich insbesondere auch an die Adresse derer, die glauben, es habe keine Konsequenzen, wenn man da und dort den gesellschaftlichen Erosionshammer ansetzt und sich ein wenig oder etwas mehr herausnimmt, was den kurzfristigen, eigenen Bedürfnissen dient.

Das Vertrauensverhältnis unter den Menschen beschränkt sich aber nicht nur auf die genannten Situationen im täglichen Leben, sondern es prägt jeden einzelnen Menschen weitgehend. Ein Kind muss sowohl seinen Eltern, als auch seinen weiteren Bezugspersonen vertrauen können. Ein Jugendlicher muss seinen Ausbildnern vertrauen können und ein junger Erwachsener darauf, dass seine Ausbildung tauglich war, er damit etwas schaffen und sein Leben aufbauen kann.

Bezüglich der gesellschaftlichen Ausgestaltung ist es mit dem Vertrauensverhältnis nicht nur bei mir bei weitem nicht mehr weit her. Zu weit auseinander gehen die Vorstellungen, die in Medien, Politik und den verschiedenen Ebenen der Privatwirtschaft diskutiert werden und zu nicht unwesentlichen Teilen auch die Heranwachsenden prägen, die noch nicht den entwickelten Verstand haben, die Dinge wirklich zu prüfen, die sie gelehrt werden.

Aktuell scheint in der Welt der Erwachsenen sehr wenig Konsens in der Betrachtung der Realität zu geben, dazu gibt es kaum taugliche Visionen für die Zukunft. Eher konzentriert man sich auf ein halbherziges Konservieren des Status Quo, welcher schon heute erste Erosionserscheinungen zeigt. Eine Situation, die für geborene Dogmatiker und Sektierer wie ein Paradies von Chancen erscheinen dürfte. Wer wie ich Inhalte veröffentlicht, die bürgerlich, wirtschaftsliberal und konservativ geprägt sind, erntet von sich progressiv gebenden Menschen gerne Verdächtigungen, mithilfe des Grosskapitals die Tyrannei der Bourgeoisie aufrecht erhalten zu wollen und den aufrichtigen und stets wohlwollenden Linken ein Todfeind zu sein.

Mir ist letztens passiert, dass ich in einer Diskussion um den Milliardär George Soros [2] so angegangen wurde. Ich sehe diesen Herrn skeptisch, aber nicht so sehr als einen Inbegriff des bösen Verschwörers, wie ihn viele (neu-)rechte Aktivisten sehen. Letztens hat sich die deutsche Justizministerin Katarina Barley [3] mit ihm getroffen und ein Bild bei Twitter geteilt [4]. Es gab eine lebhafte Diskussion darüber. Ein Linker hat dort behauptet, dass es antisemitisch sei, den Juden George Soros zu kritisieren, ich habe eine Sendung des amerikanischen, konservativen Juden Dennis Prager [5] dagegengehalten, in dem dieser George Soros als einen non-Jewish Jew, einen nicht-jüdischen Juden bezeichnet und harsch kritisiert. Es kam direkt die Antwort, Herr Prager verfolge eine rechtsextreme Agenda. Er würde von älteren, reichen Menschen im Überfluss unterstützt und nur deswegen seine rechtsextremen Inhalte verbreiten. Dazu habe er sein privates Institut absichtlich irreführend Prager University [6] genannt, um vorhandene Bildungsinhalte zu suggerieren, schlussendlich aber Propaganda anzubieten.

Genau das ist eine bei Verschwörungstheoretikern beliebte Annahme, die mir viel zu weit geht. Wer von jemandem bezahlt wird, soll deswegen dessen willenlose Marionette sein und kann beliebig verbogen und bearbeitet werden. Das ist aber objektiv nicht wirklich richtig. Denn, zumeist haben die Menschen, die privat Bildungsinhalte erstellt haben, Radio- oder Videosendungen anbieten, zuerst ihr Produkt erschaffen und danach Unterstützung bekommen, weil sie als unterstützenswert wahrgenommen wurden. Allein der erfolgreiche Aufbau eines solchen Produktes verleiht den Machern in der Regel ein erhöhtes Selbstbewusstsein, das die Beeinflussbarkeit eher einschränkt als begünstigt. Es kann schon sein, dass es in der Folge zur Einflussnahme der Sponsoren kommt und sich das Programm verändert. Das geschieht in der Regel aber nicht ganz rasch und Menschen verändern sich auch im Verlauf ihres Lebens.

An den offiziellen Bildungseinrichtungen, Universitäten in den USA und Europa sieht man ähnliches. Hochgebildete Menschen, die sich weder der angeblich hilfreichen politischen Korrektheit [7] unterwerfen wollen, noch den durchaus wandelbaren Vorstellungen linksgerichteter Vordenker, sehen sich nicht selten organisierten, lautstarken Protesten ausgesetzt, wenn sie als Gäste an einer anderen Universität auftreten wollen. Es ist auch schon bei öffentlichen Veranstaltungen zu Kundgebungen gekommen.

Dieses Verhalten halte ich für überhaupt nicht sinnvoll oder konstruktiv. Sich das Recht zu geben, jemand anderes niederzubrüllen, nur weil man mit dessen Ansichten nicht einverstanden ist und die eigenen für wertvoller hält, ist nicht in Ordnung. Denn, zunächst gibt es womöglich andere Menschen, die die Ansichten gerne hören wollen und sehr wahrscheinlich Geld dafür ausgegeben haben, um dahinzukommen. Weiter gibt es das Recht, Meinungen frei zu äussern. Es ist auch so, dass man grundsätzlich alles meinen kann, egal wie schlüssig, wie sonderbar oder falsch es sein mag.

Darüber zu entscheiden, was möglicherweise eine nicht zulässige Meinung ist, liegt die Kompetenz alleine bei der Justiz. Aktivisten, Lehrer, Politiker und alle weiteren, die sich berufen fühlen, darüber urteilen zu wollen, was eine zulässige Meinung sei und was nicht, liegen somit falsch. Sie können, wie jeder andere Mensch auch, lediglich sagen, was ihnen nicht gefällt, sie für falsch oder irreführend halten, aber nicht mehr. Aber auch die Justiz unterliegt gewissen Zwängen, denn, sollte sich ein Land für aufgeklärt oder westlich halten, sollte es mit Einschränkungen der Meinungsfreiheit sehr zurückhaltend umgehen. Sehr viele kritische Inhalte sind ohnehin schon in Büchern veröffentlicht worden, deren Verbreitung nicht eingeschränkt ist. Solange keine Einschränkung verfügt wurde, muss auch das Zitieren straffrei sein. Und solange ein Buch beispielsweise in den USA frei verkäuflich ist, warum sollte es beispielsweise ein europäisches Land verbieten wollen? Die Folge davon dürfte sein, dass es ohne grössere Schwierigkeiten erworben und damit auch gelesen werden kann.

Wichtig ist deswegen, dass alles diskutiert wird, was es gibt. Dann muss auch alles, was schon funktioniert hat und als Ansicht gewachsen ist, auch als legitim gelten. Weiter ist wichtig, dass der Diskussionsumfang auch einigermassen die Ansichten des Durchschnittsmenschen widerspiegelt. Das bedeutet, dass nicht die Anzahl begangener Tabubrüche und enthaltener Provokationen proportional zum Ausmass der Diskussionen sein sollte, sondern dass vor allem die Inhalte besprochen werden sollen, die die Realität gut abbilden und mögliche Verbesserungen für die Zukunft zeigen, die mit evolutionärem Verhalten freiwillig erreicht werden können und zwar vom viel genannten Durchschnittsmenschen. Die Zeit der Revolutionäre, die sich eine positive Transformation aus den Niederungen eines gewaltigen Zusammenbruchs erhoffen, sollte man endlich für beendet erklären. Diese mögen Sehnsüchte bedienen, aber mir hat noch niemand glaubwürdig erklärt, wie aus einer mutwilligen Zerstörung ein positiver Wert entstehen soll.

Diesen Artikel habe ich auch aus einem bestimmten Grund geschrieben. Am Wochenende ist bei Spiegel online nämlich ein Artikel über Brasilien erschienen [8], in dem es auch um den zukünftigen Präsidenten Jair Bolsonaro [9] ging. Der Artikel trug den Titel Ein Präsident lässt Lehrer jagen und wurde von Jens Glüsing [10] verfasst, der schon seit 1991 Lateinamerika-Korrespondent des Spiegel ist. Darin wurde beschrieben, wie eine junge, rechte Historikerin und Katholikin namens Ana Campagnolo [11] gegen linksideologische Bildungsinhalte vorgeht. Sie und andere propagieren ein Bildungsmodell, das ideologiefrei sein soll und sich Escola sem Partido (parteilose Schule) [12] nennt. Im Rahmen der Aktivitiäten wird auch Stimmungsmache gegen alle Inhalte betrieben, die als links, marxistisch, revolutionär und dergleichen identifiziert weden, wie etwa das Genderthema. Die Gefahr besteht, dass sich in dieser Bewegung ein Übermut breitmacht und es tatsächlich zu Konflikten kommt, die zu einem späteren Zeitpunkt auch wieder in die andere Richtung betrieben werden können. Wenn ich beide Fälle betrachte, also Unterdrückungen von links und rechts, so sehe ich es grundsätzlich an der Zeit, diese Methoden nicht mehr anzuwenden. Mit der gewaltig grossen Zahl an Sektierern und Anhängern solcher Anführer und der Tatsache, dass sie sich in ihren Rollen gefallen, wird das aber kaum möglich sein.

Man kann anhand des Konfliktes auch ein Problem erkennen. Nämlich dieses, dass nicht zuletzt auch Lehrer und Akademiker untereinander keinen friedlichen Umgang pflegen, innerhalb der Blasen ihrer Denkstrukturen verkehren und wegen ihrer nicht selten verbohrten politischen Ansichten nicht darüber hinaus konsensfähig sind. Teilweise scheint es so, als würden nicht einmal mehr Gespräche geführt, was mich auf allgemeines Misstrauen schliessen lässt. Dies schafft Probleme bei der Bildung und Konflikte in der Gesellschaft, weil durch ein grosses Misstrauen keine Offenheit entsteht, sondern Mauern, deren Überwindung schwierig ist. Es sind Probleme, die von Intellektuellen erschaffen wurden und es deswegen auch in deren Verantwortung liegt, sie zu lösen.

Ganz allgemein gilt aus meiner Sicht, dass wer sich in seinen Aussagen wichtig nimmt, auch fähig sein muss, Probleme zu adressieren und zu lösen, nicht nur Konflikte zu befördern. Speziell auch dann, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung das Problem nicht durch zusätzliche staatliche Behörden und höhere Steuern gelöst oder verwaltet sehen will. Dass die Bevölkerung im genannten Land Brasilien aktuell tatsächlich mehrheitlich eher konservativ denkt, zeigte das jüngste Wahlresultat [13]. Vor bald drei Monaten habe ich in diesem Blog auch den brasilianischen, konservativen Intellektuellen Olavo de Carvalho [14] vorgestellt, der Bolsonaro auch unterstützt hat.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Zivilisation
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/George_Soros
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Katarina_Barley
[4] Tweet von Katarina Barley vom 21. November 2018: https://twitter.com/katarinabarley/status/1065290364205056000
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Dennis_Prager
https://en.wikipedia.org/wiki/Dennis_Prager
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Prager_University
https://en.wikipedia.org/wiki/Prager_University
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Politische_Korrektheit
[8] Brasilien - Ein Präsident lässt Lehrer jagen. Der Spiegel, 15. Dezember 2018, von Jens Glüsing http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/brasilien-wie-praesident-jair-bolsonaro-kritische-lehrer-jagt-a-1242594.html
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Jair_Bolsonaro
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Jens_Glüsing
[11] https://www.instagram.com/anacampagnolo/
[12] https://pt.wikipedia.org/wiki/Escola_sem_Partido
https://en.wikipedia.org/wiki/Escola_sem_Partido
[13] Politik 105 - Jair Bolsonaro ist neuer Präsident Brasiliens. @saamychristen, 30. Oktober 2018 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/politik-105-jair-bolsonaro-ist-neuer-praesident-brasiliens
[14] Persönlichkeiten 015 - Olavo de Carvalho - Ein Brasilianischer Konservativer. @saamychristen, 20. September 2018 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/persoenlichkeiten-015-olavo-de-carvalho-ein-brasilianischer-konservativer
[15] Diese Bilddatei ist unter den Creative-Commons-Lizenzen „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“, „2.5 generisch“, „2.0 generisch“ und „1.0 generisch“ lizenziert. Urheber ist User A. Savin. Gefunden wurde das Bild unter [16].
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Akropolis_(Athen)


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