Geographie 001 - Russland, geschlossene Gebiete I

in #deutsch7 years ago (edited)

18. März 2017

Einleitung

In der ehemaligen Sowjetunion war die Reisefreiheit sowohl für Einwohner, als auch für Touristen relativ stark eingeschränkt. Neben den für Touristen zugänglichen Orten gab es eine Reihe von geheimen Städten, geschlossenen Gebieten und ein riesiges Netz von Zwangsarbeitslagern, den Gulag [1]. Das russiche Wort Gulag (ГУЛаг) ist ein Kürzel für "Glawnoje uprawlenije isprawitelno-trudowych lagerej i kolonij" (Главное управление исправительно-трудовых лагерей). Dieses bedeutet soviel wie "Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und -kolonien". Das nach wie vor bekannteste Werk über den Gulag ist Ende 1973 erschienen, stammt von "Alexander Issajewitsch Solschenizyn" und heisst "Archipel Gulag".


Impression der verlassenen sowjetischen Militäranlagen in Paldiski, Estland [3].

Fläche gab es für dieses System von Zwangsarbeitslagern auf jeden Fall genug. Die Sowjetunion erstreckte sich über 22.402.223 km², was jede Menge Platz für klandestine Aktivitäten bedeutet. Gemäss [1] wurden zwischen 1930 bis 1953 mindestens 18 Millionen Menschen in solche Lager deportiert, maximal sollen es etwa 2,55 Millionen gleichzeitig gewesen sein, was im Jahr 1950 der Fall war. Anfang 1953 gab es 175 Lagerstandorte. Unmittelbar nach Stalins Tod wurde begonnen, die Zahl der Lager zu verkleinern, bis zum Ende des Jahres 1953 gab es nur noch deren 68. Eine Zahl, die bis 1960 weiter auf 26 gesenkt wurde. Was genau die Beweggründe für die Schliessung der Lager war, ist mir nicht bekannt, allerdings sind solche Lager auch unter der Androhung drakonischer Strafen für jedes Vergehen kaum ohne erheblichen Aufwand zu betreiben.


Karte mit den Standorten des Gulag. An maximal 175 Standorten wurden Menschen zu Zwangsarbeit benutzt [4].

In der heutigen Russischen Föderation gibt es nach wie vor "Geschlossene Städte" [5]. Diese Gebiete sind eingezäunt und können nur mit entsprechender Bewilligung betreten werden. Hauptsächliche Betreiber solcher Gebiete sind das Verteidigungsministerium und Rosatom, die Föderale Agentur für Atomenergie Russlands. Nicht alle dieser Gebiete weisen diesen Status seit langer Zeit oder mindestens seit den Zeiten der Sowjetunion auf. In der Russischen Föderation wurden im Jahre 2001 das letzte Mal Städte mit Reiseeinschränkungen belegt: Norilsk, Talnach, Kayerkan, Dudinka, und Igarka. Als Ausländer kann man diese Städte nur mit einer Einladung eines der dort tätigen Betriebe und ausdrücklicher Zustimmung des Staates besuchen. Für Staatsangehörige des engsten Verbündeten der Russischen Föderation, Weissrussland, gelten wohl etwas weniger strenge Auflagen. Auf die genannten Städte möchte ich weiter unten in diesem Bericht kurz eingehen. Die anderen Gebiete werde ich eventuell in folgenden Artikeln erwähnen.

In den USA gab es auch schon geschlossene Gebiete [5]. Während des "Manhattan-Projekts" waren Oak Ridge in Tennessee, Los Alamos in New Mexico und Gold Coast Historic District in Washington geschlossene Städte. Mindestens gemäss dem Buch "From Major Jordan's Diaries" von Richard L. Stokes Jordan, welches 1961 erschien, wurde von den Nachfolgern des Manhattan-Projekts nukleartechnische Proliferation an die Sowjetunion betrieben. Das Nuklear-Testgebiet in Mercury, Nevada ist bis heute geschlossen.

Seit 2001 geschlossene Städte in der Russischen Föderation

Wie oben erwähnt, heissen diese Städte Norilsk, Talnach, Kayerkan, Dudinka, und Igarka.

1. Norilsk

Norilsk ist eine Stadt des Bergbaus [6] in der Region Krasnojarsk, die in den Nordwestausläufern des Mittelsibirischen Gebirges nördlich des Polarkreises liegt. Hauptsächlich wird dort Nickel im grossen Stil abgebaut, wobei die Minen von "MMC Norilski Nikel" betrieben werden. Dieser Konzern beschäftigt über 80'000 Menschen, wobei es sich nicht auf den Standort Norilsk beschränkt. Als weitere Metalle werden auch Kupfer, Cobalt und Platinerze abgebaut. Mit ca. 175'000 Einwohnern gilt Norilsk als nördlichste Grossstadt. Die Anfänge des Bergbaus in Norilsk wurden im Jahr 1935 gelegt und ein Gulag-Lager gegründet. 1939 wurde entschieden, aus dem Standort eine komplette Stadt zu machen. Bergbau kann bekanntlich selten ohne grössere Emissionen und Umweltverschmutzung betrieben werden. In der Region Norilsk soll die Situation besonders gravierend sein. In der immer wieder vom Blacksmith Institute veröffentlichten Liste der 10 am stärksten verschmutzten Orte belegt die Region Norilsk regelmässig Spitzenplätze [8]. Die Erde soll in der näheren Umgebung vorwiegend schwarz gefärbt sein.

Die Stadt Norilsk [8]


Bergbau in Norilsk [8].

2. Talnach

Talnach [9] ist eine Stadt nahe Norilsk mit etwa 47'000 Einwohnern, die 2004 in die Stadt Norilsk eingemeindet wurde. Wie Norilsk ist es eine Minenstadt, die sogar ihr eigenes Mineral bekommen hat: den schwarzen Talnakhit [10], der sich chemisch folgendermassen zusammensetzt: Cu9(Fe,Ni)8S16. Er besteht also grösstenteils aus Schwefel (16), Kupfer (9), Eisen und Nickel (je 8).

3. Kajerkan

Wie Talnach ist auch Kajerkan [11] eine Stadt des Bergbaus in der Nähe von Norilsk und wurde wie Talnach dort 2004 eingemeindet. In ihr leben etwa 22'000 Einwohner.

Die Stadt Kajerkan [12]

4. Dudinka

Wie die zuvor genannten Städte ist Dudinka [13] in der Region Krasnojarsk in der Nähe von Norilsk gelegen. In ihr leben etwa 22'000 Einwohner. Wichtig ist die Stadt wegen ihres künstlich eisfrei gehaltenen Hafen am Jenissei-Fluss etwa 370 km von dessen Mündung entfernt. Der Hafen wird von MMC Norilski Nikel betrieben. Mit Norilsk ist Dudinka via Eisenbahn und Strasse verbunden.

Der Hafen der Stadt Dudinka am Jennissei [14].

5. Igarka

Die Kleinstadt Igarka liegt wie Dudinka am Jenissei, allerdings um einiges weiter stromaufwärts. In der Sowjetunion wurde die Stadt als Umschlagplatz für Exportholz gegründet. Heute ist ihre Bedeutung aber weit geringer als früher. Die Einwohnerzahl sank von fast 24'000 im Jahr 1939 auf etwa 6'200 im Jahr 2010. Für Touristen, die Stromfahrten auf dem Jenissei [16] erleben, ist in Igarka Endstation. Fahrten bis zur Mündung sind nicht möglich.




Die Stadt Igarka [17].

Die geographische Lage rund um Norilsk

2017-03 - Russland Norilsk small.png
Die nähere Umgebung von Norilsk bis zum Jenissei, Google Maps.
2017-03 - Russland Norilsk large 2.png
Der Unterlauf des Jenissei ins Nordpolarmeer, Google Maps.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Gulag
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Archipel_Gulag
[3] Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland“ lizenziert. Urheber ist Christian Koehn, Username "Fragwürdig". Gefunden wurde sie unter:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paldiski
[4] Diese Datei wird unter der Creative-Commons-Lizenz „CC0 1.0 Verzicht auf das Copyright“ zur Verfügung gestellt. Urheber ist "NordNordWest". Gefunden wurde die Graphik unter folgender Webseite:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gulag
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/Closed_city
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschlossene_Stadt
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Norilsk
https://de.wikipedia.org/wiki/Norilsk_Nickel
http://www.nornik.ru/en/main
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Pure_Earth
[8] Bilder gefunden auf http://wikimapia.org/#lang=en&lat=69.318563&lon=88.190002&z=11&m=b&show=/64028/Norilsk&search=norilsk
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Talnach
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschlossene_Stadt
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Talnakhit
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Kajerkan
[12] Bild gefunden auf: http://wikimapia.org/64031/Kayerkan
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Dudinka
[14] Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 2.0 Deutschland“ lizenziert. Urheber ist Dr. Andreas Hugentobler. Gefunden wurde die Datei bei: https://de.wikipedia.org/wiki/Dudinka
[15] https://de.wikipedia.org/wiki/Igarka
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Jenissei
[17] Bilder gefunden auf: http://wikimapia.org/221314/de/Igarka

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Ein interessanter Beitrag! Du verfügst hier über ausgeprägtes Spezialwissen.
Gab es eine spezielle Motivation für diesen Artikel?

Danke für den Kommentar!

Die Motivation liegt in mehreren Dingen. Zum einen habe ich Chemie studiert. Daher rührt das Interesse an der Herkunft von Rohstoffen. Nickel habe ich einige Male gebraucht und daher finde ich es gut, wenn man weiss, unter welchen Umständen die Menschen arbeiten, die die Rohstoffe fördern.
Bergwerke sind wahrscheinlich an vielen Orten nicht gerade Erholungszonen, aber jenseits des Polarkreises dürften die Lebensbedingungen schon ziemlich hart sein.

Zum andern interessieren mich Länder generell, Russland insbesondere.

Bei Norilsk fällt mir auf den ersten Blick folgendes auf: Ich sehe nur Wohnhäuser, nichts was nach Supermärkten aussieht. Allerdings weiß ich auch gar nicht wie russische Supermärkte aussehen würden. ;)

"Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch" ist übrigens eines meiner Lieblingsbücher, noch mehr als Solschenizyns andere Bücher über den Gulag.

Diese Städte sehen in der Tat ziemlich trostlos aus. Der sehr geringe Charmefaktor von Wohnblocks im Sowjetstil. Gerade auf Tundraböden und Permafrostböden müssen diese teilweise recht unschön auf Stelzen aufgebaut werden. Touristische und kulturelle Angebote braucht es auch nicht, wenn sowieso kein Tourist auftaucht. Schön sieht definitiv anders aus.

Ich habe mir sagen lassen, dass viele Arbeiter bei Norilsk Nickel nicht für lange Zeit dort arbeiten, sondern dies über eine bestimmte Zeit tun, um für russische Verhältnisse einigermassen viel Geld zu verdienen, um dann in angenehmeren Gefilden ein Haus bauen oder erwerben zu können. Den Polarwinter und das Arbeiten unter solchen Bedingungen werden wohl nur die härtesten über längere Zeit ertragen.

http://www.skyscrapercity.com/showthread.php?t=1433085

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