Psychologie der Massen: generell und in der Politik

in #deutsch8 years ago

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Kürzlich habe ich eine Auftragsübersetzung vom Englischen ins Deutsche übernommen, Teil eines demnächst veröffentlichten Fotobuches. Es war eine Menge Arbeit, aber ich mag solche Herausforderungen, auch wenn ich kein professioneller Übersetzer bin. Ich habe mir die Einleitung für den Schluss aufgehoben, weil es einfach der viel kleinere Part war und zudem von einem anderen Autor. Die Hauptgeschichte war interessant, aber nicht ungewöhnlich. Die Einleitung hingegen war wahnsinnig gut.  

Ich habe ein wenig Recherche betrieben und dabei herausgefunden, dass der Autor, von dem ich vorher noch nie gehört hatte bereits dreimal für den Friedensnobelpreis nominiert war (2005, 2006 und 2007). Sein Name ist Vamik Volkan und er ist Experte auf dem Gebiet der ethnischen Psychoanalyse. Auf seiner Website findet man die Titel, die er im Laufe der Zeit gesammelt hat: 

Vamık Djemal Volkan, MD, DLFAPA, FACPsa., is an Emeritus Professor of Psychiatry at the University of Virginia, Charlottesville, Virginia; an Emeritus Training and Supervising Analyst at the Washington Psychoanalytic Institute, Washington, DC. and the Senior Erik Erikson Scholar at the Institute of Education and Research of the Austen Riggs Center, Stockbridge, Massachusetts. He holds Honorary Doctoral Degrees from Kuopio University, Finland (2005) and from Ankara University, Turkey (2006).    

Man kann also annehmen, dass dieser Mann, weiß wovon er spricht, insbesondere, wenn er von der Psychologie der Massen spricht. Ich habe daraufhin etwas tiefer gegraben und herausgefunden, dass dieser Mann jahrzehntelang damit beschäftigt war die Führer verfeindeter Gruppen zu inoffiziellen Gesprächen zu bewegen und diese Gespräche zu begleiten und zu analysieren. Sein Hauptaugenmerk lag dabei bei dem Konflikt zwischen Israelis und Arabern. In meinen nun folgenden Gedanken werde ich mich stark auf Vamic Volkans Thesen beziehen, möchte aber dazu raten selbst seine Bücher zu lesen, falls euch das Thema stärker interessiert.  

Ich las also einige seiner Bücher, sah einige seiner Interviews und habe einige Beobachtungen gemacht, die ich hier mit euch teilen möchte. Mein Ziel mit diesem Text ist, den ein oder anderen dazu anzuregen, für sich selber zu denken.    

Warum also ist das Verständnis für Massenpsychologie so wichtig?

 In der Psychoanalyse scheint es relativ wenig Geschriebenes darüber zu geben, wie man mit dem Verständnis und Einfühlungsvermögen im Bereich der Massenpsychologie umgehen kann. Im Gegensatz dazu gibt es tausende Bücher, die erklären, wie man diese Effekte ausnutzen kann. Vamik Volkan hat zeitlebens und bis heute versucht dieses Wissen zu nutzen um die Welt zu einem besseren und friedvolleren Ort zu machen, indem er Menschen dazu brachte zumindest zu versuchen die Motive und Bedürfnisse der gegnerischen Seite zu verstehen. Leider hat alles Gute auch eine Gegenseite. So wird das Wissen um Massenpsychologie hauptsächlich aus politischen Kreisen und von „Meinungsmachern“ (spindoctors // Lobbyisten) genutzt, um die Massen zum eigenen Vorteil oder dem einer Partei zu manipulieren. Die „Politiker“ mit den nachweislich größten Bibliotheken über dieses Thema waren Hitler, Stalin, Mao Tse-Tung und einige andere. Selbst im alten China, findet sich im Buch Sun Tzu („Die Kunst des Krieges“) ein ganzes Kapitel über das Ausnutzen von massenpsychologischen Effekten.


Heute wird diese Art der Manipulation verniedlichend „nudging“ (Stubsen) genannt. Ich denke jeder, der noch halbwegs bei Verstand ist, wird verstehen, dass es nicht wirklich erstrebenswert ist, manipuliert zu werden. Je mehr wir versuchen die Basics der Massenmanipulation und deren Effekte zu verstehen, desto schwerer manipulierbar werden wir. 

Lasst uns also versuchen zu verstehen was Massenpsychologie ist.  

Vamik Volkan verwendet ein gut nachvollziehbares Bild von einem Zelt, in dem eine Menschenmenge versammelt ist. Das Zelt ist auf einen Pol ausgerichtet, oder einen „Führer“. Stellen wir uns nun vor, dass jeder einzelne in dem Zelt ein Individuum ist mit eigenen Problemen, Wünschen, Erfahrungen und Zielen. Gleichzeitig trägt aber jeder im Zelt einen Flicken von der Zelt-Wand quasi als zweites Kleidungsstück. Dieser Flicken repräsentiert die Gruppenidentität. In diesem Beispiel ist es völlig irrelevant, ob die Gruppenidentität bedeutet Christ, Schwarzer, Frau, weißer Mann oder Muslim zu sein. Überschneidungen müssen wir in dem Bild erstmal ignorieren.
Volkan vervollständigt das Bild mit der Überlegung, was eine Krise auslösen könnte und stellt fest, dass ein Krise dann stattfindet, wenn entweder der Pol oder Führer schwach wird, oder wenn jemand von außen damit beginnt Dreck gegen die Zelt-Wand zu werfen. In diesem Moment wird jeder im Zelt seine Individualität aufgeben und damit beginnen das Zelt zu verteidigen oder zu reparieren. 

Wenn man sich heute auf der Welt umsieht, ist es beinahe egal wohin man schaut. Überall findet man genau dieses Verhaltensmuster: Amerikaner, Russen, Europäer, BlackLivesMatter, Muslime, Frauen, Trump-Unterstützer, Sanders-Unterstützer, Hillary-Unterstützer, Männer… aktuell in Deutschland Pegida, AfD und die Mitte-Links Parteien, Hooligans, Fans und sogar die Mitglieder von Vertriebsstrukturen.  

Je mehr jemand versucht „Dreck auf das Zelt zu werfen“, umso aktiver, umso vehementer und auch umso aggressiver wird eine Gruppe „ihr Zelt“ verteidigen.  

Diese Effekte der Massenpsychologie sind der Schlüssel dazu um zu begreifen, was Menschen tun, und auch um zu verstehen, wann das was Sie tun nichts mehr mit der Individualität zu tun hat. 

Ein kurzer Ausflug in die Politik zu diesem Thema
(keine Angst, es bleibt oberflächlich)

„Rechte“ Politik wird immer mit dem Finger auf die Masseneffekte zeigen, aber weitgehend die individuelle Seite ignorieren. „Linke“ Politik wird so tun als würde Sie auf Individualität ausgerichtet sein (aber bedient weiter nur Gruppen) aber gleichzeitig die Effekte von Massenpsychologie verleugnen. Dabei ignorieren Sie aber trotzdem echte Individualität und bekämpfen diese sogar. Interessanterweise stärken beide Seiten mit ihrer Politik genau das Gegenteil dessen, was Sie propagieren. Warum das so ist, kann man nur an einem Beispiel aufzeigen. 

Ein sehr aktuelles Beispiel ist der amerikanische Wahlkampf
(Ich werde wirklich versuchen objektiv zu bleiben)
 

Betrachten wir Trump, sind seine Themen immer gruppenbezogen: BLM, Frauen, Hispanoamerikaner, Chinesen, Muslime. Sein Fokus ist auf Gruppenverhalten ausgerichtet, welches wohl stark unterschiedlich vom jeweiligen individuellen Verhalten ist. Er hat natürlich Recht, auf Gruppenverhalten hinzuweisen, aber er ignoriert gleichzeitig, dass jedes Mitglied einer Gruppe auch ein Individuum ist. Diese Individuen sind natürlich gekränkt, in eine Gruppe gesteckt zu werden, wo sie nicht hingehören oder nicht hingehören wollen. 

Clinton hingegen weist darauf hin, wie falsch Trump liegt, wenn er Gruppenverhalten aufzeigt und versucht das Individuelle hervorzuheben. Aus Ihrer Sicht sollte jeder als Individuum behandelt werden, wobei sie ignoriert und sogar bestreitet, dass es so etwas wie Gruppenverhalten überhaupt gibt. Gleichzeitig spricht sie damit wiederum nur Gruppen an und bekommt ihre Stimmen von Gruppen… Frauen stimmen für Sie weil Sie eine Frau ist… etc.  

Genaugenommen machen beide Seiten genau das Gleiche. Sie schaffen Gruppen, die den Gesetzen der Massenpsychologie unterliegen. Dabei ist es völlig aussichtslos ein Individuum zu verstehen, ohne Verständnis für die möglichen Reaktionen seiner Gruppenzugehörigkeit. Ebenso aussichtslos ist es aber auch, sich nur auf mögliches Gruppenverhalten zu fixieren, ohne die Individualität einer Person zu beachten. Tatsächlich ist es so, dass Politik immer das Individuum vernachlässigt, selbst wenn sie etwas anderes behauptet. An dieser Stelle stellte ich mir selbst die Frage, was mit dieser Art Wissen getan werden könnte. „Wir als Leute“ (oder „Volk“ (sic!!!)), können versuchen, nicht dadurch manipuliert zu werden, indem wir in eine Gruppe gesteckt werden. Wobei dieses „wir“ in Wirklichkeit etwas sehr persönliches ist. 

Für mich ziehe ich vier Schlussfolgerungen aus diesem Wissen:   

1) Ich werde versuchen beides zu berücksichtigen, sowohl die Individualität als auch die Gruppenzugehörigkeit und deren Reaktionen. Wenn ich mit jemandem spreche, dann ist er offensichtlich ein Individuum, gleichzeitig gehört er aber auch einer oder mehreren Gruppen an. Ich werde versuchen diese für mich voneinander zu trennen. Ich bin sicher, dass es einen enormen Einfluss auf mein eigenes Denken und meine Reaktionen haben wird, mir diese beiden Seiten bewusst zu machen. 
2) Ich werde beide Seiten in mir selbst beobachten. Individuelles Denken und angewöhntes Gruppendenken zu trennen wird mir hoffentlich helfen, mich selbst um einiges besser zu verstehen. Mir ist klar, dass Gruppendenken und -zugehörigkeit wohl normal und wahrscheinlich sogar wichtig für das Menschsein sind. Es wird aber sicher in großer Schritt für das Selbst-Bewusstsein sein, herauszufinden, wann welches Verhalten greift. 
3) Wenn ich angesprochen werde (privat oder auch durch das Fernsehen), werde ich beobachten welcher Teil von mir von der erhaltenen Information angesprochen wird, meine Gruppenzugehörigkeit oder meine Individualität. 
4) Wenn ich herausfinde, dass mein Gruppenverhalten nicht mit meinem individuellen Verhalten übereinstimmt, dann werde ich wohl manipuliert, entweder von der Gruppe, oder von jemandem, der die Gruppe manipuliert. In diesem Fall sollte ich wohl mehr auf mein Inneres hören als auf die Gruppe.

Vielen Dank fürs Lesen!

Pollux.one

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Danke für die schönen schönen Anregungen!

Gerne geschehen. Es ist mir wirklich wichtig, dass Menschen lernen, sich nicht mehr manipulieren zu lassen!

Vielen Dank für diesen Artikel, aus dem ich einige Implikationen für mein eigenes Denken und Handeln ableiten konnte. Da ich ein ausgeprägter Individualist bin, habe ich stets eine große Abneigung gegen zu viel Kollektivismus. Für die Politik wünsche ich mir mehr direkte Demokratie, damit Sachfragen jeweils einzeln für sich entschieden werden können und nicht innerhalb von Parteien oder Parteikoalitionen "geclustert" werden.

Danke, das freut mich sehr. Als Extrem-Individualist wollte ich mit diesem Artikel die Kollektivismus-Befürworter jeglicher Couleur ein wenig zum Nachdenken anzuregen. Das Schwierige dabei ist meiner Meinung nach, möglichst nachvollziehbare Bilder zu finden. Das Bild von Vamik Volkan mit dem Zelt ist hervorragend dazu geeignet.

Hervorragender Artikel, vielen Dank! Und danke ganz besonders für den Hinweis auf Vamik Volkan. Hatte ich glaube ich noch nie gehört. Sehr interessanter Mann!

Ja, Fabio, ich fand den Mann auch wirklich beeindruckend. Ich denke, wenn ich Zeit finde, werde ich noch ein wenig mehr von und ueber Ihn lesen!

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