Müllmann Stories #2 – Der Tag des toten Huhns

in #deutsch7 years ago (edited)

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Es war mein erster Tag bei der Müllabfuhr und nach einem etwas gewöhnungsbedürftigen Start hatten wir mit dem Müllwagen unser erstes Ziel erreicht. Wir befanden uns in einer Ortschaft, die sich entlang eines kleinen Flusses durch ein enges Tal zog. Marold schaltete die Warnbeleuchtung des Lastwagens ein während Walter und ich aus der Kabine stiegen und zum Heck des LKW gingen.

Heute war Biomüll-Tag. Walter rollte eine braune Mülltonne aus einer Hauseinfahrt und stellte sie an das Heck des LKW. „Das Ganze ist keine Hexerei. Du nimmst die Tonne, stellst sie zur Hebevorrichtung und hakst sie ein“, erklärte er mir während er einen kleinen Hebel an der Seite bediente, um die Tonne anzuheben. Er ermahnte mich: „Pass auf, dass sie richtig dranhängt! Sonst fällt sie wieder herunter, der ganze Dreck verteilt sich auf der Straße und du kannst alles mit der Hand einsammeln.“ Oben angekommen kippte die Tonne vorne über und der Inhalt fiel in das Innere des Lasters, wo der Abfall von einer Vorrichtung weiter in das Innere zur Müllpresse geschaufelt wurde. Walter setzte seine Erläuterungen fort: „Manchmal verkeilen sich Dinge in der Tonne. So bekommst du alles raus.“ Durch hin- und her bewegen des Hebels rüttelte Walter die Tonne in der Hebevorrichtung durch. „Das ist wie mit einer Frau. Das musst du mit Gefühl machen“, sagte er mit anzüglichem Grinsen. „Äääh, ok.“ antwortete ich etwas verdutzt. Es war ein erster Vorgeschmack auf die latent herrschende Geringschätzung und Objektifizierung von Frauen im Müllgewerbe. Walter setzte die Tonne ab und brachte sie zurück in die Einfahrt. Wir stiegen auf die Trittbretter am Heck des Müllwagens und Marold fuhr einige Meter weiter bis zur nächsten Tonne. „Jetzt du!“ sagte Walter.

Meine erste Tonne war schwerer als ich angenommen hatte. Biomüll zählt zu den schwereren Müllsorten und es dauerte einen Moment, bis ich die Tonne über die Gehsteigkannte hin zu Laster manövriert hatte. Ich stellte die Tonne vor der Hebevorrichtung ab und betätigte den Hebel. Der Motor heulte auf und die Greifvorrichtung hakte bei der Tonne ein. „Die hängt noch nicht richtig“, ermahne mich mein Kollege. Ich setzte die Tonne wieder ab und wollte sie neu einhängen. Aber ich hatte die Vorrichtung nicht weit genug heruntergefahren und konnte die Tonne somit nicht abstellen. Also betätigte ich erneut den Hebel, doch dieses Mal zu viel und die Tonne sprang aus der Halterung und rollte ein paar Zentimeter weg. Ich schob sie wieder heran. Jedoch zu nah an die Halterung, so dass sie die Tonne beim erneuten Anheben wegdrückte.

Der LKW stand an einer Engstelle genau zwischen zwei Häusern, so dass der Verkehr in beiden Richtungen anhalten musste. Die widerspenstige Tonne zwang alle Autos zum Warten. Direkt hinter uns stand ein schwarzer X5. Meine Unbeholfenheit schien dem Typen hinterm Lenkrad ziemlich auf die Nerven zu gehen. Mit Hilfe der Hupe verschaffte er seinem Missfallen deutlichen Ausdruck, wozu er wild gestikulierte. Daraufhin drehte sich Walter um und blickte ihn stumm für mehrere Sekunden lang an. Er sagte nichts, bewegte sich nicht, sondern sah ihn nur schweigend an. Dann machte er ganz langsam eine beruhigende Bewegung mit seinen Händen in Richtung des X5 und drehte sich wieder zu mir: „10 nach 6 und der Typ hat’s schon ganz eilig. Dass man zu so einer Zeit keine anderen Probleme hat… Ist wohl schlecht drauf, weil ihn seine Alte letzte Nacht nicht rangelassen hat...“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause für die kommende Pointe: „Genau wie bei Marold“, worauf er laut auflachte und die Tonne für mich leerte.

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Nach ein paar weiteren Versuchen hatte ich den Dreh raus. Mülltonne holen, einhängen, hochheben, Schüttel, Schüttel, herunterlassen, zurückstellen, alles wieder von vorne. Tonne folgte auf Tonne und wir arbeiteten uns für zwei Stunden durch die gesamte Straße. Obwohl es noch früh war, stand mir der Schweiß auf der Stirn. Doch mit einem Mal hatten wir die Ortschaft durch und fuhren zwischen Wiesen und Wäldern. Walter erklärte mir, dass nun ein ruhiger Abschnitt mit einigen Bauernhöfen folgte und ich fand Zeit, etwas zu verschnaufen. Ich genoss den Fahrtwind und die neue Aussicht. Plötzlich stieg Marold in die Eisen. Und zwar auf eine Art, dass es Walter und mich um ein Haar in die Müllpresse geworfen hätte. „Alter, scheiße! Was macht er denn?“, rief Walter verärgert.

Neben dem linken Vorderreifen lag ein totes Huhn in einem Meer aus braunen Federn. Hals und Kopf standen in einem ungewöhnlichen Winkel vom restlichen Körper weg und der Asphalt unter dem Tier begann sich rot zu färben. Ob Marold das Huhn oder das Huhn den Müllwagen zu spät gesehen hatte, konnte nicht geklärt werden. Marold machte das Huhn für seinen Tod verantwortlich. Walter fragte trocken: „Was erwartest du dir von einem Huhn? Dass es dir Vorfahrt gibt?“ worauf Marold nur abfällig schnaubte.

Walter überlegt kurz und fragte schließlich: „Und was machen wir jetzt? Mitten auf der Straße liegen lassen können wir es nicht.“ Marold schob die Unterlippe vor und zuckte mit den Schultern: „Wirf es hinten rein.“

„In den Laster?“ fragte ich ungläubig. „Passt doch. Schließlich ist heute Biomüll-Tag“, antwortete Marold ungerührt, packte das tote Huhn an den Füßen und warf es in die Müllpresse, wo es zu Brei zermalmt wurde. Walter brummte: „Gehört eigentlich in die Tierverwertung.“ Aber Marold war schon wieder nach vorne gegangen und so stiegen auch wir wieder auf die Trittbretter.

Als der LKW losfuhr, drehte ich mich noch einmal nach hinten, um die Unfallstelle zu betrachten. Der Fahrtwind hatte einen Großteil der Federn von der Straße gefegt. Nur ein kleiner, dunkelroter Flecken Blut erinnerte noch an das traurige Schicksal des Huhns. „Bestattung nach Müllmann-Art“, dachte ich und machte mich bereit zum Absprung zur nächsten Tonne.

Fortsetzung folgt…

PS: Fragen zum Thema Müllentsorgung, Arbeiten als Müllmann, etc. werden von mir gerne beantwortet : -)

Bilder: pixabay, Wikipedia

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Armes Huhn :(
Aber gut geschrieben. Daraus könntest Du auch ein Buch oder E-Book machen.

Danke! Vielleicht mache ich später einmal ein E-Book draus. Im Moment habe ich einfach nur Spaß am Schreiben der einzelnen Geschichten.

@angrezi got you a $0.32 @minnowbooster upgoat, nice!
@angrezi got you a $0.32 @minnowbooster upgoat, nice! (Image: pixabay.com)


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@flauschi will auch Müllflauschi werden. :)

Kann aber ziemlich anstrengend sein ; -)

Toller Post, so richtig aus dem Leben.

Danke für das Kompliment. Da floss Einiges an Schreibarbeit rein : -)

Toller Schreibstil, wirklich angenehm zu lesender Müll =)