Erinnerungen an den Sommer - Ein Tag in Kifisia

in #deutsch6 years ago (edited)

Zuhause schlafe ich mangels freier Zimmer in der Bibliothek. Früher habe ich mich davor gefürchtet. Auf einem Regal stand eine Büste und ich hatte immer Angst, dass sie mich in der Nacht beobachten würde. Deshalb wurde sie weggestellt. Jetzt mag ich das Zimmer. Ein Kerzenleuchter und ein Steuerrad aus dunklem Holz. In dem gleichen dunklen Holz ist das ganze Mobiliar. Viele alte Bücher und ein altes Radio, das aber an Lautsprecher mit hervorragender Qualität gebunden ist. Die Bar mit den Kristallgläsern und dem alten Alkohol aus dem letzten Jahrhundert ist auch aus dunklem Holz. Im Regal sind auch viele alte Fotos versteckt, die immer spannend anzusehen waren. Alles in diesem Zimmer wirkt so warm.

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Kifisia auf Maps

Heute fahren wir nach Kifisia. Das ist ein Vorort von Athen und eine halbe Stunde mit dem Auto von uns entfernt. Kifisia ist die haute volée. Wenn Athen Berlin ist, so cool und heruntergekommen, dann ist Kifisia München: teuer und todschick. Offenbar gibt es eine günstigere Wasserversorgung im Ort, denn er ist für südosteuropäische Verhältnisse sehr grün. Überall wachsen Obstbäume und Platanen, die im Sommer erfrischenden Schatten spenden. Es gibt hippe Szenelokale, Parks, viele Luxusboutiquen und die viele feinen Damen und Herren auf der Straße schauen aus, als ob sie gerade bei der Chanel show waren.

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Eine Villa im Ortszentrum

Heute haben wir einen schattigen Tag erwischt, was aber auch ganz angenehm ist. Wir können viel schlendern, ohne verstrahlt zu werden. Nicht nur am Beispiel von Kifisia sieht man es: Griechenland ist arm, die Griechen sind reich. Die griechische Infrastruktur ist die Definition von zweite Welt, weil sie existiert, aber vieles ist veraltet oder nicht funktionsfähig aber jedem ist es egal. Warum ist Griechenland das arme Land mit den reichen Leuten? Der Staat hat jahrelang zu viel ausbezahlt. Normale Angestellte bekamen bis 2009 teilweise ihr volles Gehalt als Pension ausbezahlt. Das ist einer von vielen Punkten. Die Leute wissen, wie man den Staat austrickst. Sie tun das, was der brave Deutsche nicht tun würde. Sie machen überall falsche Angaben, melden den Tod von Verwandten nicht, um weiter Pension zu kassieren und so weiter. Ob der Staat den jahrelangen Betrug kannte? Ich weiß es nicht, Fakt ist nämlich, dass die Staatsgewalt in Griechenland auch schläft. Die Behörden, die eigentlich Steuern einfordern sollten streiken. Ja sogar die Straßenpolizisten nutzen ihre Coolness aus und stehen mit Sonnenbrillen und schussicheren Westen ans Motorrad am Straßenrand gelehnt. Ab und zu machen sie vom Sonnen Pause, um einer Frau mit langen Beinen nachzupfeiffen. Die Griechen sind nicht faul. Sie sind fälschlicherweise davon überzeugt, dass es bis auf ewig gut geht, zu mogeln.

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Sieht gut aus, oder? Wer aber in dieser neuen Konditorei seinen Nachmittag verbringt outet sich als ein neureicher Bourgeois oder Tourist, der keine Ahnung hat, denn wenn man in Kifisia ist, besucht man den VARSOS und sonst kein Lokal. Wer das willentlich nicht tut, dem ist nicht zu helfen.

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Seit meiner Kindheit war ich schon oft in dieser Konditorei, sie existiert seit 1892 und ist eine Legende. Es gibt keinen Ort auf der Erde wo man bessere traditionelle griechische Desserts bekommt. Das traurigste Frühstück meines Lebens habe ich 2009 im VARSOS erlebt. Das Frühstück war sehr gut, nur waren wir wenige Stunden davor vor einem verheerenden Waldbrand im Athener Umland geflüchtet, der ausgerechnet auch unsere Stadt erwischt hat.

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Das vielleicht schönste am VARSOS ist sein Gastgarten. Der ist nämlich ruhig, außer dass aus einer nahegelgenden Musikschule manchmal leise wunderschöne Musik kommt und kleine Schwalben am gegenüberliegenden Haus nisten. Fröhliches leises Zwitschern, leise Musik, frische Luft, zarte Mehlspeisen und ein Buch - das ist ein angemessener Nachmittag in Kifisia.

Einen eigenen Artikel gibt es zur Konditorei schon auf Steemit hier.

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Obwohl der Ort nicht so groß ist, mangelt es an nichts Schönem. Das hier ist eine französische Bücherei.

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Sogar der Supermarkt orientiert sich an anspruchsvollem Klientel und verkauft nur schönes, fruchtiges Obst.

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Es gibt viele Delikatessengeschäfte. Besonders beliebt sind in Griechenland getrocknete Früchte und verschiedene Nussarten. Hier kann man zum Kilopreis kaufen. Viele Touristen die Athen besuchen, verpassen leider Kifisia, obwohl es direkt mit der Athener Metro erreichbar ist.

Auf dem Weg nach Hause haben wir etwas Wunderschönes gefunden; eine Buchhandlung. Sie hatte drei Stockwerke, ein Kaffeehaus und hatte lauter wunderschöne Sachen im Sortiment. Kleine Hilfsmittel für alles Mögliche, schwere Bildbände, viele kleine besondere Bücher und sogar ein kopiertes Manuskript eines Gedichtbandes. Ich hätte dort hunderte Euro ausgeben können, ich habe mir aber lediglich zwei kleine Büchlein gekauft. „Die Nächte von San Francisco“ und etwas über japanische Geschichte. Mal sehen.

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Sehr interessanter Artikel, mal etwas anderes! LG Yaraha

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