Ist das Internet ein Heilbringer oder eine Gefahr für Demokratie?

in #deutsch6 years ago (edited)

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drawn by me, 29.03.2018


Demokratisches Potenzial des Internets


Es lässt sich nicht abstreiten, dass das Internet die Politik verändert.
Mit dem Zuwachs der Internetnutzung steigt auch die Anzahl politischer Informationen im Netz und Möglichkeiten zur Beteiligung an unserer Politik. Nutzer können aktiv entscheiden welche Inhalte sie wahrnehmen und können das Informationsangebot mitgestalten. Sie müssen nicht wie beim Fernsehen oder Zeitunglesen in einer Rezipientenrolle verharren. Online-Diskussionsforen finden immer mehr Anklang und auch das Kommentieren von Blogs (oder Onlinezeitungen) ist mittlerweile sehr beliebt.
Eine Studie der TU Ilmenau in Deutschland zeigte, dass sich bei einer Befragung die Internetnutzer bei nahezu allen Fragen politisch aktiver zeigen, als jene (Befragten) ohne Internet-Anschluss (2001, Telefonumfrage, 1200 Befragte in Kassel und Erfurt)[2].

Das Internet fördert die politische Partizipation. Und nicht selten wird eine solche erhöhte Patrizipation mit mehr Demokratie gleichgesetzt. 'Es ist das zentrale Versprechen der Demokratie, alle Mitglieder einer politischen Gemeinschaft in gleicher Weise an Entscheidungen über öffentliche Angelegenheiten zu beteiligen.'[3]
Genau dieses Versprechen wird scheinbar vom Internet, mit all den Datenmengen die es uns Menschen zu Verfügung stellt, eingelöst. Alle Menschen auf der Erde, die eine Wahlberechtigung und eine Entscheidungsmacht haben, haben denselben Zugriff auf riesige Datenbanken vollgestopft mit wertvollen Informationen über nationale und internationale Politik. Das Internet ist der Heilbringer für Demokratie. Im Idealfall.

In der Realität besteht jedoch die Gefahr, dass diese neue Öffentlichkeit nur einer kleinen Elite zusteht und der Rest der gesamten Bevölkerung nur auf bestimmte, gefilterte Inhalte zugreifen kann.



Internet = Gefahr für Demokratie?

Konrad Paul Liessmann meinte in seinem Buch "Die Zukunft der sozialen Demokratie. Ein Plädoyer für die Rückkehr der Politik in die Politik.":

Und über allem [Internetpostings und neue Medien] schwebt das Damoklesschwert der totalen digitalen Überwachung und Kontrolle durch Privatkonzerne, Staaten und Geheimdienste. Auch Zensur im Netz, aus welch edlen Motiven auch immer eingeführt, bleibt Zensur. Die von hellsichtigen Beobachtern geäußerte Befürchtung, dass die Digitalisierung der Gesellschaft nicht nur für Transparenz sorgt, sondern auch einen Angriff auf die Freiheit der Menschen in einer bisher ungeahnten Art und Weise darstellt, sollte ernst genommen werden.

Abgesehen davon, dass eine Kontrolle und Zensur im Internet fragwürdig in ihrer Effektivität ist, da man solche Probleme stets mittels Spiegelserver (mirror sites) umgehen kann (WikiLeaks hat mehrere Hundert 'Mirrorseiten' als Beispiel ), wäre es doch tatsächlich eine Beraubung unserer (Meinungs-)Freiheit (=weniger Demokratie?) uns nicht nur das Veröffentlichen sondern auch den Zugang bestimmter Inhalte zu verbieten, oder?
Und hierbei geht es nicht nur um 'Pornofilter', die erst vor kurzem in Österreich wieder zur Diskussion standen, sondern um Maßnahmen, die im Konflikt mit der Netzneutralität stehen. Großbritannien sperrt bereits Seiten die Drogen, Pornografie und Gewalt zum Inhalt haben und erhält für die Vorangehensweise Kritik, da diese Filter ja auch auf Seiten ausgedehnt werden könnten, auf denen unangenehme politische oder soziale Meinungen vertreten werden. Wo wäre dann der Unterschied zu der politischen und sozialen (und religiösen, kulturellen, sexualitätsbezogenen) Zensur von Internetseiten, die in Afrika und in Asien (und Russland) stattfindet? Ab und bis wann darf gefiltert werden und wer entscheidet das überhaupt?

Entscheidet die Mehrheit der Bürger eines Staates welche Informationen ausgetauscht werden dürfen oder bleibt diese Entscheidung nur einer kleinen Elite vorbehalten? Und falls es tatsächlich den Anschein erweckt, als hätten wir (=die kleinen, aber vielen Menschen) eine Entscheidungsmacht, woher wissen wir, dass die Regulierung von Informationsflüssen vielleicht doch nicht bereits eingetreten ist? Immerhin ist es ja nichts Neues, dass Medien uns nur das zeigen, was wenige Privilegierte uns zeigen wollen. Ist das noch Demokratie?

Bereits in den 90er Jahren kritisierte Politikwissenschaftler und Soziologe Colin Crouch unser demokratisches System und eröffnete, dass 'die öffentliche Willensbildung heute vielfach von Machtasymmetrien bestimmt wird, die darüber entscheiden, wem der Zugang zur Öffentlichkeit offen steht und welche Themen dort verhandelt werden.' Er prägte in diesem Zusammenhang den Begriff Postdemokratie:

ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden [...], in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben.

Jenseits der Frage, wie Demokratie heute zu denken ist, bleibt jedoch die von Colin Crouch geäußerte Besorgnis, dass jede Variante von Demokratie nur noch ein Spiel an der Oberfläche darstellt, hinter der sich Wirtschaftsakteure und Profitinteressierte als die eigentlich treibenden Kräfte ohne jede politische Kontrolle durchsetzen. Liessmann K., 2017, Die Zukunft der sozialen Demokratie. Ein Plädoyer für die Rückkehr der Politik in die Politik.

Damit wir diese postdemokratische Erstarrung öffentlicher Diskurse überwinden, müssen wir die 'dezentrale' digitalisierte Kommunikation (das 'Viele-an-Viele Medium') einsetzen und Wissen durch das Internet verbreiten. Im Idealfall wäre das Internet dann der Heilbringer unserer Demokratie. Wenn da eben nicht die Überwachung und Informationskontrolle von oben wäre:

Um den „free flow of information“ auf der Datenautobahn gewährleisten zu können, muss eine qualitative Informationsinfrastruktur geschaffen werden, die es dem Verbraucher künftig erlaubt, zwischen infotainment, infotisement (information + advertisement) und „wirklichen Informationen“ unterscheiden und damit auch wählen zu können.[2]

Wenn wir ein Mitspracherecht an gesellschaftspolitischen Entscheidungen erhalten wollen, müssen wir gezielt Informationen auswählen können, durch die Selektion und Verwertung von Datenmengen im Internet wäre dies aber nicht möglich. Könnte das Internet also in naher Zukunft eine Gefahr für unsere Demokratie darstellen?
Werden Marktkräfte weiterhin Internet und Technologie zu einem kommerziellen statt demokratischem Gebrauch drängen? Wie sehr wird der Zugang zur Öffentlichkeit, die das Internet offenbart, von Regierungen und Elite reguliert, und in welche Richtung können wir den technologischen und politischen Fortschritt lenken, damit unsere 'Demokratie' weiterhin bestehen bleibt?

Es sind sicher nicht die Technologie-Fans allein dafür zu tadeln, daß die demokratischen Potentiale der Technologie bisher noch nicht ausgeschöpft wurden. Cyber-Enthusiasten an der elektronischen Front verstehen die Technologie sehr gut, Demokratie aber überhaupt nicht; Demokraten tendieren entweder zur Ignoranz gegenüber diesem Enthusiasmus oder zur Maschinenstürmerei. Letztendlich ist aber die wahre Herausforderung politischer, nicht technologischer Natur, und wenn die Demokratie von der Technologie profitieren soll, müssen wir bei der Politik anfangen, nicht bei der Technologie. Die Stimme erheben und eine Wissenschafts- und Technologiepolitik fordern und entwickeln ist der erste Schritt für die Bürger zu einer ernsthaft demokratischen Technologie.
Die neue Technologie ist nur ein Kommunikationsinstrument. Sie kann nicht entscheiden, was wir sagen werden und zu wem.
Benjamin R. Barber, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Gut zu Wissen – Links zur Wissensgesellschaft, Verlag Westfälisches Dampfboot, 2002.


LINKS

Quellen:

Liessmann, K. P. (2017). Die Zukunft der sozialen Demokratie. Ein Plädoyer für die Rückkehr der Politik in die Politik. In: Liessmann, K. P. (2017). Bildung als Provokation. Wien: Paul Zsolnay Verlag. S. 166-183

[1] Internet und Politik
[2] Internet und Demokratie
[3] Das Internet als Heilsbringer der Demokratie?
[4] Internetzensur: Neue Regierung überlegt, "Pornofilter" einzuführen

Musik die ich mir beim Schreiben gegönnt hab.


S/O an meinen Uniprofessor für diese Hausaufgabe!

tfw your short paper for uni is also a steemit article

Sort:  

Good post!

Spannende Hausaufgabe welche du interessant beantwortet hast. Ein Thema über das man auch toll philosophieren kann, deswegen kurz my two cents:

Ich empfinde das Ergebnis der Studie von der TU Ilmenau prinzipiell höchst positiv, befürchte jedoch das sich dieses politische Interesse oft auf eine enge Blase bezieht. Bestimmt könnte man diesbezüglich auch Studien mit Ergebnissen finden, jedoch werfe ich jetzt einfach mal so meinen Gedanken raus: Heutzutage ist es viel leichter, oder gar erst überhaupt möglich, seine politische Meinung ausschließlich in einen eigenen definierten Freundeskreis zu teilen.

Man hat auf Facebook oder ähnlichen Seiten einen entsprechenden Bekanntenkreis mit ähnlicher Gesinnung und wird dementsprechend auch guten Zuspruch bekommen, wenn man politisches Material teilt welchen man positiv gegenübersteht. Man wird, ob bewusst oder unterbewusst, durch den Zuspruch belohnt, welchen einen natürlich anregt die politische Meinung öfters in diesen Umkreis zu verkünden. Da für viele Menschen die sozialen Netzwerke ein, oder gar der zentrale Informationsmittelpunkt ist, bezieht man somit einen großen Teil aus dieser theoretischen Blase. Fremder Input kann dank „Ignore-Funktionen“ leicht ignoriert werden. Und jetzt kommen wir dadurch auch genau wieder zu deinem Thema:

Wir zensieren und schränken unsern eigenen Informationsfluss über das Internet bewusst, aber teilweise auch komplett unbewusst ein. Noch bevor uns irgendeine staatliche Institution etwas vorschreibt, nehmen wir ihnen schon Arbeit ab. Je nachdem welche Inhalte wir blockieren, disliken oder anderen Inhalte mit Herzen markieren, bestimmen Algorithmen im Hintergrund was wir zu sehen bekommen. Nicht nur was, sondern auch in welcher Darstellungsform. Viele schaffen sich dadurch ihre angenehme eigene Welt und schließen sich eigentlich dadurch von demokratischen Diskursen viel mehr aus. Demokratie ist halt leider auch unangenehm und zwingt dich dazu, dich mit Ideen/Überlegungen/Umsetzungen zu beschäftigen die unangenehm sind. Dafür darf man mitbestimmen, am besten dann, wenn man ein unverfälschtes Bild hat.

Und genau das sollten wir auch gefälligst tun. Als Gesellschaft. Die Technologien werden nicht auf uns warten. Der Begriff Postdemokratie soll nicht in Stein gemeißelt werden/bleiben. Die theoretische Kraft des Internets wäre jedenfalls, meiner Meinung nach, weiterhin vorhanden um diese Steine raus zu sprengen.

[...] Das Internet fördert also die politische Partizipation.

Achtung, meckern auf unnötig hohem Niveau ;) :
Das ist nicht die richtige Schlussfolgerung aus den Ergebnissen der Studie! Diese sagen lediglich, dass ein Zusammenhang zwischen Internet-Nutzung und pol. Part. besteht, aber nicht, was was verursacht oder fördert!
Ich wollte eigentlich schreiben "Aber hey, muss ja nicht alles wissenschaftlich sein"...dann hab ich das Ende gelesen xD

Edit: Ach ja, die Zeichnung ist der Hammer... digital nehme ich an?

Soll keine Schlussfolgerung aus der Studie sein sondern eine Tatsache, sorry :) Hab das 'also' rausgenommen, danke für deinen Input!

Liebe Grüße

Puh, na dann ist ja alles nochmal gut gegangen :P

"Correlation does not imply causation." und in diesem Fall ist der Wirkzusammenhang wohl tatsächlich anders herum als dargelegt.

Denke man sollte unterscheiden zwischen Clear- u. Darknet! Das Clearnet "Internet" ist zensierbar, somit steuerbar und wir werden indirekt manipuliert durch Werbung etc. Das Darknet ist das gegenteil, jeder kann kundgeben was er will!! Daher hat es aus meiner Sicht auch Demokratisches Potenzial.

Das ist ein ausgezeichneter Fachartikel. Ich freue mich, dass du hier auf Steemit postest.

100% Upvote.

danke freiheit, schätze ich sehr, dass du dir meinen beitrag angeschaut hast :)

Ich nehme dich jetzt in meinen Autovoter auf und bin schon gespannt auf deinen nächsten Artikel.

In der Realität besteht jedoch die Gefahr, dass diese neue Öffentlichkeit nur einer kleinen Elite zusteht und der Rest der gesamten Bevölkerung nur auf bestimmte, gefilterte Inhalte zugreifen kann.

In dem Falle wäre nicht das Internet Gefahr für die Demokratie, sondern die Eliten.

Werden Marktkräfte weiterhin Internet und Technologie zu einem kommerziellen statt demokratischem Gebrauch drängen?

Ich sehe jetzt nicht, warum sich das widersprechen sollte. Letztlich sind demokratische Wahlen nichts anderes als eine Art politischer Markt. Ein Markt funktioniert nach Angebot und Nachfrage. Was beliebt ist wird nachgefragt und angeboten. Aus welchem Grund ist für die deskriptive Analyse erstmal egal. Produkte von Apple werden ja auch gekauft und es gibt ernsthaft Leute, die gerne Call of Duty spielen oder die Grünen wählen lol. Dementsprechend basieren Marktmechanismen auf Popularitätskriterien, genauso wie demokratische Wahlen. Die Masse entscheidet.

Ich denke das Problem beim Internet ist eher in ganz anderen Bereichen zu suchen wie Kriminalität (Kinderpornos) und Urheberrechtsverletzungen (warez).

Schade finde ich, dass du bei deinem essay keinen eigenen Standpunkt vertrittst, sondern eher ein bisschen zusammenfasst und Fragen stellst.

In dem Falle wäre nicht das Internet Gefahr für die Demokratie, sondern die Eliten.

Aber das Internet begünstigt das Verhalten ja. Die 'Elite' war ja schon immer irgendwie eine 'Gefahr' für Demokratie, und durch dieses neue Medium haben sie eine weitere Möglichkeit um jene Informationen publik zu machen oder zu entfernen, die für sie von Vorteil sind.

Ich sehe jetzt nicht, warum sich das widersprechen sollte. Letztlich sind demo...

Meine Frage bezieht sich mehr darauf, dass Marktkräfte Informationen so verzerren, dass die Masse so gelenkt wird, wie sie es wollen.

Schade finde ich, dass du bei deinem essay keinen eigenen Standpunkt vertrittst, sondern eher ein bisschen zusammenfasst und Fragen stellst.

hm.. ich werde das nächste Mal auch meine persönliche Stellung einbringen :) Die Aufgabenstellung war die, Kernaussagen von zwei Artikeln zusammenzufassen.
Außerdem habe ich das Gefühl, dass sich mehr Leute an der Diskussion beteiligen wenn ich konkrete Fragen stelle :) Auf jeden Fall danke für den Input!

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