Die 3 (4) Funktionen von Strafe (repost)

in #deutsch7 years ago

(Repost aus Anlass dieses Artikels von @thatgermandude)

Weltweit sitzt eine große Anzahl von Menschen im Gefängnis. Doch die Zahl derer, die eine Haftstraße verbüßen, ist von Land zu Land stark verschieden, wobei die Insassenzahl nicht in einem Zusammenhang mit der Kriminalität zu stehen scheint.

Den traurigen Rekord hält die USA mit 7,41 Insassen pro 100‘000 Einwohner. Auf dem zweiten Platz folgt Russland mit 5,32. Platz 50 belegt, zwischen Jamaika und Rumänien, Grönland mit 1,77 Häftlingen. Die Niederlande liegen mit 1,23 etwas über China mit 1,20. Und Deutschland schafft es immerhin unter die Zahl eins: mit 0,97 Gefängnisinsassen auf 100‘000 Bewohner.

Wenn aber die Kriminalitätsrate fast gar nichts mit der Zahl der Gefängnisinsassen zu tun hat, was bestimmt dann diese Quote?
Einfach gesagt natürlich das Strafsystem des jeweiligen Landes. Die unterscheiden sich zum Teil drastisch. Doch alle Strafsysteme haben eines gemeinsam, und das sind die Funktionen der Strafe. Politische Inhaftierungen klammere ich aus. Das ist ein ganz eigenes Thema - für die ein oder andere Doktorarbeit ;)

Grundsätzlich soll die Strafe 4 Funktionen erfüllen: Verhinderung weiterer Taten, Schutz der Gesellschaft, Wiedereingliederung der Straftäter in die Gesellschaft und, auch wenn das gerne vergessen bzw. totgeschwiegen wird: Rache.

1. Verhinderung weiterer Taten

Es ist nicht schwer zu verstehen, dass jemand, der eingesperrt ist, zumindest in dieser Zeit keine weiteren Taten begeht. Doch das ist nur ein Teil dieser Funktion und sogar der kleinere. Die größte Verhinderungswirkung ist der Abschreckungseffekt.

Zum einen wird ein Mensch, der einmal im Knast war, es sich vermutlich zweimal überlegen etwas zu tun, das ihn wieder dort hinein bringt.
Auf der anderen Seite ist die Abschreckungswirkung natürlich auch auf die da, die noch keine Tat begangen haben. Schon so manches Gewissen bekam Schützenhilfe bei dem Gedanken, dass ein gestohlenes Auto nicht viel Spaß macht, wenn man die Straße statt vom Lenkrad aus allenfalls durch Gitterstäbe hindurch sieht.

Diese Funktion wird in den USA gerne als Begründung für die hohe Inhaftiertenquote angegeben. Die Wirkung scheint allerdings sehr fraglich. Gerade wer nach einer „three strikes“ Regel für Kleinigkeiten einsitzt wird vielleicht erst durch das Gefängnis zu einem echten Verbrecher. Dazu tragen der Kontakt zu kriminellen Schwergewichten bei, insbesondere aber das Stigma, das einem Ex-Häftling oft von weiten Teilen der Gesellschaft ausschließt, nicht zuletzt einem Arbeitseinkommen.
In einem Versuch in mehreren US-Distrikten sank nach einer großen Entlassungswelle (und höheren Einlieferungshürden) die Kriminalitätsrate.

2. Schutz der Gesellschaft


Die primäre Funktion des Einkerkerns: verhindern, dass jemand Opfer eines Verbrechens wird. So sehr auch Abschreckung helfen mag, am Ende gibt es immer wieder jemanden, der trotzdem weitere Taten begehen wird. Um die Zahl der Opfer nicht noch weiter ansteigen zu lassen, werden diese Täter sehr lange, manchmal bis zu ihrem Tod, eingesperrt. Damit die letzte Tat auch die letzte Tat dieser Person bleibt.

Das klingt im ersten Moment genau wie „Verhinderung weiterer Taten“, aber die Motivation, die Begründung ist eine völlig andere. Sie muss auch separat betrachtet werden, wenn man eine Strafe und ihre Angemessenheit begründen möchte.

3. Wiedereingliederung in die Gesellschaft

Dieser Punkt ist vergleichsweise neu. In der ganzen Geschichtsschreibung wurden Menschen eingekerkert, um weitere Taten zu verhindern (wenn man sie nicht gleich umbrachte oder an die Galeere kettete). Doch die Haft zu nutzen um sie wieder zu „normalen“ Menschen zu machen ist eine Transformation des Gedankens, dass auch ein Häftling ein Mensch ist und menschlich behandelt werden muss – was einschließt, ihm eine zweite Chance zu geben.
Nicht zuletzt ist es auch schlicht eine Kostenfrage: Jemanden hinter Gittern zu halten ist extrem teuer. Da ist es weitaus billiger, ihm zu helfen wieder außerhalb Fuß zu fassen.

Natürlich spielt auch hier das letztendliche Ziel, die Zahl der Straftaten zu verringern, eine große Rolle.

4. Rache

In der modernen (deutschen) Rechtsprechung offiziell nicht vorhanden, spielt Rache immer noch eine nicht zu unterschätzende Rolle beim Motiv des Einsperrens. Erkennbar ist das zum Beispiel beim Strafrahmen. Wenn ein Mörder jemanden umgebracht hat, macht es denn wirklich ein Jahrzehnt Haft aus, ob dies schnell und schmerzfrei oder langsam und quälend geschah? Tot ist tot. Und für „Folter“ allein sitzt niemand für ein Jahrzehnt. Da muss es schon ganz ganz übel hergehen, wie in diesem Fall: http://www.mittelbayerische.de/bayern/oberpfalz-nachrichten/weiden-trio-muss-fuer-folter-in-haft-21684-art1460427.html

Rache ist die Begründung, wenn man der Meinung ist, nur dadurch kann das Opfer sein psychischen Leiden mindern. Das wird dann mit „einer besonders harten Strafe“ umschrieben. Gerne wird dies auch pauschal für Straftaten wie z.B. Kindesmissbrauch gefordert, obwohl dies im Allgemeinen weder dem Schutz der Gesellschaft noch der Verhinderung der Wiederholung dient. Hier ist allein schon das psychische Leiden bei der Vorstellung „es könnte auch meinem Kind passieren“ Grund für die Forderung.

So ähnlich – zumindest ist das meine Vorstellung – war das auch bei Strafen in früheren Zeiten. Die Genugtuung des Opfers stand oft im Vordergrund, so wie bei Duellen nach Beleidigungen.
Aus dem gleichen Grund werden in manchen Ländern „Ehrenmorde“ auch heute noch geringer oder gar nicht bestraft.

Letztendlich ist die Rechtsgeschichte eine Evolution, basierend sowohl auf Moral als auch rationalen Gründen. Wir sollten uns alle bemühen, rationale Gedanken an erste Stelle zu setzen. Es gibt gute Gründe, warum Duelle, Blutrache etc. aus der Mode gekommen sind.

Wenn also mal wieder von Strafen die Rede ist, überlegt, welche dieser Funktionen diese Strafe primär erfüllen soll. So manche emotionale Debatte wird euch dann ganz anders erscheinen!

Und als Dank fürs Lesen dieses langen Textes noch ein passendes Katzenbild ;)

Bilder alle von pixabay.com:
1: USA-Reiseblogger
2: Peggy_Marco
3: stux
4+6. Alexas_Fotos

  1. englishlikeanative
Sort:  

Alle deine Punkte sind wichtige Aspekte wenn es um eine Alternativen zu Gefängnissen geht. Ich stimme dir zwar zu , aber ich glaube nicht das ein Gefängnis die einzige Lösung für sie ist. Hast du Ideen wie man ohne Gefängnisse die von dir erwähnten Punkte (Abschreckung, Ingewahrsamnahme, Resozialisierung und Rache) bekämpfen könnte?

Nichts, was ich für durchgehend besser halten würde.

echt nicht? keine knallharte Überwachung in der echten Welt ala jeder Telefonverkehr wird überwacht, Ortung. tägliche Besuche? Ich weiß , das wird auch oft schon gemacht in der Realität, aber ich muss zugeben dass ich dort keine Zahlen zu den Erfolgsquoten, etc. kenne.

Naja, dann muss ich mir wohl echt gute Argumente einfallen lassen, um dich zu überzeugen ;)

Sorry, bin von der anderen Seite des politischen Spektrums.
Du weißt schon, Fan des Grundgesetzes, Freiheit statt Angst, diese Richtung.

??? ich dachte immer du wärst hart links?? Ich bin schockiert. Mein Leftie-Meter hat versagt :(

Ich bin "links". Aber wie schon öfters hier an verschiedenen Stellen geschrieben heißt links nicht Überwachung, eher im Gegenteil.

Ich bin aber extremer Linker wenn es z.B. um den Teil des Grundgesetzes geht, in dem steht "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Gesellschaft dienen."
Ich halte Steuern nicht für Teufelszeug, besonders nicht Erbschafts- und Vermögensteuer. Im Gegnteil sind diese dringend nötig, schon als Ausgleich für den reinen Zufall (der allein schon, mathematisch bewiesen, für das "weniger Leute immer reicher, immer mehr Leute immer ärmer" sorgt).

jup und da bist du ganz auf meiner Seite. Genosse ;)

Ich weiß, dass mein Kommentar sich sehr Orwell 1984 angehört hat. Aber jeder Liberterianer würde übereinstimmen, dass das der totale Überwachungsstaat längst Realität ist. Spätestens seit dem Internet.

Mein Ansatz wär diese Staatsinstrumente (die wie bereits gesagt schon existieren) für etwas gutes zu nutzen um radikale Gefängnisverteidiger, wie dich :P, zu überzeugen, dass Gefängnisse der Inbegriff der Freiheitsberaubung ist.

Ich hasse Langeweile, mehr als alles andere und habe daher panische Angst vorm Knast. Auch wenn ich nichts mache was mich so strafbar macht, dass ich da hinein gehöre. Die Vorstellung allein ist zermürbend.

Das ist einer der beabsichtigen Abschreckungseffekte ;)

Aber es gibt auch Menschen (nicht wenige), die durch die Selbstdisziplin, die sie im Knast gelernt haben, erst geschafft haben, sich selbst zu kontrollieren.
Wie willst du sowas ohne Freiheitsentzug schaffen?

Ich wohne z.B. 1km von einer Psychiatrie entfernt, aus der alle paar Wochen mal einer flieht. Je nach Stufe kann das auch bloß bedeuten, der ist vom Ausgang nicht zurück gekommen.
Manchmal aus den banalsten Dingen oder gar ohne Grund.

Wenn schon regelmäißg genaustens pschologisch überwachte und kontrollierte Leute Dinge tun, die nicht in ihrem Interesse sind (wie sie selbst sofort zugeben), wie soll ohne Zwang dann Selbstdisziplin gelernt werden?

Das ist so die Richtung weshalb ich bei dem Thema immer in eine Sackgasse gerate.

(ev. Antworten bitte neu anfangen, hier wirds eng)

ch denke das Problem sind marode Psychatrien, die mit Mittelaltermethoden arbeiten. Wenn die mal das ganze Geld bekämen, das in Verbrechungsbekämpgung gesteckt wird.

mal was ganz anderes, Ich schreibe gerade 'gegen' @sirknight einen Artikel pro BGE, in dem ich natürlich keine Kraftausdrücke oder so verwenden werde. Ist halt bei den amis Thema wegen Zuckerberg, aber ich ... auf Zuckerberg.

Check mal wer der "founding father" des Grundeinkommens ist :D
https://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Paine

Oh und noch kurz zum Thema: Ich würde aus logischen und moralischen Gründen die meisten Sachen (alles was anderen schadet), die einen in den Knast bringen nicht tun. Ich brauch dafür keine Abschreckung, ich bin ein vernünftiger Mensch wie die meisten anderen

Paine war nicht der einzige founding father oder president, der meinte, jeder müsse ein Einkommen haben. Nagle mich jetzt aber nicht auf irgendwas fest.

mhh steht so auf der englischen wiki.. ich finds halt nur super, dass er auch ein Gründer des Amilands ist. Hilft dabei BGE zu rechtfertigen :D

Dann hilft vielleicht auch John Locke, immerhin DER Liberalismus-"Erfinder".
Zumindest war er der Ansicht, ein jeder hätte qua Geburt das Recht auf einen Anteil der Natur, wie er zum Leben brauche (solange die Natur mitmacht).
Zugleich hasst er Verschwendung, wenn einer also sehr viel angehäuft hat, wäre es seine logische Pflicht, mit dem Anhäufen aufzuhören.

Daraus kann man jetzt einiges ableiten.

Ich habe Locke in der Schule gelesen, kein großer Fan.

Naja, die Liberteranianer sind ja auch eher Anarchos als traditionelle Liberale. Linke haben sich ja schon immer mit Anarchos gut verstanden :^), auch wenn es für Außenstehende vllt schwer zu begreifen ist.

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