Science Fiction ist heute - Der Babyboom im Operationssaal

in #deutsch7 years ago (edited)

Freie Hebammen sind vor dem beruflichen Aussterben bedroht!


# Free Midwifes are going to vanish!

In the next days you will find an English translation down below why German free midwifes fear loosing their work. As this is a really long and profound text, it will take me a while.

Das Thema „Geburt“ bewegt mich schon sehr lange und ich habe beschlossen, es hier zu posten. Ich werde zwischen drin noch ein wenig editieren.


Es geht mir darum, Geburten in Deutschland einmal genauer zu untersuchen und ins Detail zu gehen. Viele der von mir recherchierten Informationen waren mir nicht bekannt und zu der Zeit als ich noch gar nicht ans Kinderkriegen dachte, in etwa so wichtig wie wenn man in seiner beruflichen Mittagspause an einem Spielplatz vorbei kommt und da irgendwelche „Freizeitmütter“ mit ihrem Nachwuchs neben der Sandkiste sitzen sieht. Vollkommen bedeutungslos.

Nun, ich will dem Ganzen eine Bedeutung geben, denn das Thema hat es verdient.

Jeder einzelne wird einmal geboren und wenn ich auch keine Erinnerung an diesen Tag habe, so hat er meiner Mutter etwas bedeutet und nahm Einfluss darauf, wie ich als Säugling in die Gemeinschaft der Menschen aufgenommen worden bin. Auch ohne meine bewusste Erinnerung habe ich alles was gut und alles was schlecht war, in meiner Körpererinnerung gespeichert.

Warum im 21. Jahrhundert ein Baby bekommen etwas mit Risikoabwägung, Haftung und Shareholding zu tun hat:

Darauf komme ich im zweiten Teil dieses Artikels zu sprechen. Zunächst aber werde ich - nachdem ich lange darüber nachdachte, so etwas zu machen - persönlich. Denn ohne meine intimen Details wäre mein Text bloß halbherzig und irgendwie glaube ich auch nicht, dass er groß jemanden berühren würde. Das aber ist meine Absicht!

Ich las vor etwa einem halben Jahr das umfängliche Gerichtsurteil wegen Todschlags aus Nordrheinwestfalen zu dem Prozess einer Hebamme, die zu fast sieben Jahren Freiheitsstrafe, fünfzigtausend Euro Schmerzensgeld und einem lebenslangen Berufsverbot verurteilt wurde. Sie erhielt dieses Urteil, weil ein Baby gestorben war.

Die unglaubliche Länge des Textes hat mich schier erschlagen und es war schwer, das alles zu lesen. Ich kann den Tathergang und die medizinischen Hintergründe nun wirklich nicht beurteilen.

Der Tod des Babys, das Leid der Eltern und den Lebensruin der Hebamme: alle haben verloren. Auf diese Tragik will ich hier aber nur indirekt eingehen.

Status Quo in Deutschland – weitestgehend alternativlos

Werdende Mütter und Väter können wenig Alternativen zur gängigen Praxis (Geburt in der Klinik) erkennen oder glauben dies zumindest. Sie akzeptieren mehrheitlich, was von der Schul-Medizin anerkannt wird. Auf Menschen, die etwas anderes wollen oder brauchen, wirkt dies sehr provozierend.

Dass die Hebamme, wie es der Hergang schilderte, die Gebärende in ein Krankenhaus hätte überweisen müssen und dies unterließ, ist für mich ein Ausdruck für von ihr empfundener Zurückweisung und darum nicht so sehr von Arroganz, wie dies im Urteil an manchen Stellen zu lesen war. Wohl ist es meiner Ansicht nach eine Form der Selbstüberschätzung, die wahrscheinlich – das ist Spekulation von mir – durch zahlreiche geglückte Geburten entstanden sein wird. Selbstüberschätzung gepaart mit Hass aufs System: das geht oft schief.

Mir scheint der Fall dieser Hebamme dafür zu stehen, dass es ein Missverhältnis gibt zwischen etablierter Herangehensweise in Krankenhäusern und den dazu bereit stehenden Alternativen bzw. man gemeinhin annimmt, es gäbe diese Alternativen zu wenig und dass die Akzeptanz dieser Alternativen allgemein nicht vorhanden sei.

Woran mag das liegen? Weshalb hat die Hebamme ein so krasses Gegengewicht bilden wollen zu den Entbindungskliniken? Ganz sicher spielten ihre persönlichen Erfahrungen und Bewertungen eine Rolle. Darüber zu urteilen, soll hier aber kein Thema sein. Aber es spielen Gründe hinein, die aus dem, was ich recherchiert und wie ich selbst meine Schwangerschaft und die Geburt meines Sohnes erlebt habe, auf den Aspekt der Alternativlosigkeit eingehen.

Klinik oder Zuhause?

Wenn Frauen, die zum ersten Mal in ihrem Leben schwanger werden, überlegen, wo sie ihr Kind zur Welt bringen wollen, dann lautet die Frage in der Regel: In welcher Klinik? Nicht unbedingt: In einer Klinik oder zuhause respektive einem Geburtshaus?

Die professionellen Stationen, die ich in meiner Schwangerschaft durchlaufen habe, haben diese Frage erst gar nicht aufgeworfen und in meinem Freundes- und Familienkreis hat ebenfalls niemand thematisiert, dass diese Möglichkeit bestünde. Ich hatte zwar davon gehört, bin aber nicht auf die Idee gekommen, mich damit tiefer zu befassen, denn andere Fragen drängten sich in den Vordergrund, eine davon, ob ich mit oder ohne eine PDA gebären wolle; aus dem Grund, da ich den Geburtsvorbereitungskurs in der Klinik machte. Mit dieser Frage war ich außerordentlich intensiv beschäftigt; es war ein großes Angst-Thema für mich. Mein Bild und meine Kenntnisse von Geburt und Schwangerschaft bis zum Zeitpunkt meiner eigenen: Gleich Null.

Bitte diesen Punkt nicht einfach überlesen. Ist es „normal“, als erwachsene Frau nichts von Geburten zu wissen?

Ich denke, dass ich die Frage nach dem Geburtsort länger überdacht haben würde, wenn irgendwer ihn erwähnt und als bedeutsam hingestellt hätte. Doch wenn die Umgebung, die Familie, die Freunde und der Mann hierzu keinen Impuls geben plus die Macht der Gewohnheit und dem, was als etabliert gilt, vorherrschen, ist eine möglicherweise vorhandene eigene Stimme dann doch nicht diejenige, auf die eine schwangere Frau hört. Sie möchte davon ausgehen, dass diejenigen, die sich damit auskennen, ihr alle wichtigen Informationen geben und will sich in der Sicherheit eines Umfeldes bewegen, das werdende Mütter angemessen behandelt.

Im Nachhinein habe ich mich darum häufig gefragt – und nicht erst jetzt, wo ich über diesen Fall gelesen habe – wieso es eigentlich im Allgemeinen so völlig unterrepräsentiert ist, dass man Babys auch in den eigenen vier Wänden oder in einem Geburtshaus bekommen kann. Wieso es so fraglos akzeptiert zu sein scheint, dass eine Geburt eher unter dem Aspekt eines „Risikos“ betrachtet wird denn unter dem eines natürlichen Vorgangs.

Ist es, weil es früher mal eine hohe Sterblichkeitsrate bei Müttern und Kindern gegeben hat?

Allerdings muss man dann gleichzeitig auch sagen, dass die hohe Sterberate durch unzureichende Hygiene, einen schlechten Gesundheitszustand und Mangelernährung der Mütter resultierte, wenn diese in ärmlichen Verhältnissen und mit Ernährungsdefiziten zu leben hatten. Sicher hatten Mütter psychischen Stress, wenn sie ein ungewolltes Kind bekamen, die Scham und die gesellschaftliche Ächtung ihr Selbstvertrauen schwächten. Sie hatten außerdem darunter zu leiden, zu viele Kinder zu bekommen, da es entweder keine Verhütung gab oder der religiöse Glaube es verbot. Mütter waren und sind Arbeitstiere, weil sie immer schon vielfältige Aufgaben bewältigten und die Fürsorge um die Kinder übernahmen.

Wer ein Kind geboren hat, weiß, dass das Vertrauen in sich selbst eine große Rolle spielt. Das werden alle Mütter bestätigen, genau wie die, die den Müttern beistehen, ob im Krankenhaus oder daheim.

Was ist eigentlich, wenn man gar nicht interveniert?

Daher würde es mich schon interessieren, wie gering eigentlich die Komplikationsrate bei Gebärenden im Krankenhaus ist, die ihr Kind spontan bekommen, also auf natürliche Art gebären und zwar ganz ohne Intervention! (Periduralanästhesie/PDA, "Kristellern", Medikamente, Kaiserschnitt etc.).

Noch mehr würde mich interessieren, ob es zu den Haus- und Geburtshausgeburten relevante Daten gibt.

Ich habe nachgesehen und ja, es gibt Erhebungen dazu und zwar hier: "Unsere Gesellschaft dokumentiert seit 1999 die Qualität der betreuten Geburten in diesem ambulanten Versorgungsbereich" (außerklinische Geburten).

Davon abgesehen, hatte ich zu der Zeit als ich schwanger war gehört, wie wichtig es ist, dass ich eine gute Hebamme für meine Betreuung vor und nach der Geburt bräuchte, aber so richtig erklärt hat niemand, was damit eigentlich gemeint sei. Wenn ich gewusst haben würde, wonach ich konkret fragen soll, hätte ich das getan.

Anscheinend habe ich die falschen Bücher gelesen – sehr viele Bücher – und mir war erst klar, warum eine gute Hebamme wichtig ist, als mein Sohn und ich nach Hause kamen. Sei es, dass ich die für mich richtige Literatur nicht gefunden hatte, sei es, dass Haus-Geburten in meiner Nachbarschaft nicht vorkamen, da ich von keiner einzigen in meiner gesamten Kindheit und meinem späterem Erwachsenenleben hörte und sei es, dass ich als letztes Kind keine jüngeren Geschwister erlebt habe an der Brust meiner Mutter.

Ich war in Sachen Mutterschaft so jungfräulich wie eine Frau, die noch nie Sex hatte.

Dazu ist zu sagen: Das alles ist ein Nachteil.

Diese völlige Unkenntnis und fehlende Erfahrung im Erleben von anderen Schwangeren und dem völligen Fehlen des Miterlebens von Geburten wirkten sich negativ auf mich aus.

Man könnte es sich jetzt leicht machen und sagen: Wer hat dich davon abgehalten, dich zu informieren? Das wäre in etwa so, als würde man in Californien, wo alle mit Automatikgetriebe fahren, dem Fahrer sagen, dass die Gangschaltung hinten im Kofferraum unter einer Abdeckung ganz oben rechts zu finden ist.

Zwischen Information und Erfahrung besteht ein bedeutsamer Unterschied.

Ich kann mich informieren so viel ich will: Eine richtig gute Vorbereitung auf den Akt der Geburt ist die Theorie eben nicht und wird es auch nie sein.

Wenn alle Welt sagt, dass Kinderkriegen das Natürlichste der Welt sei, besonders Mütter, die erfolgreich eine Geburt hinter sich gebracht haben, andererseits die im Krankenhaus von Risiko sprechen und man den Zettel mit den Komplikationen zu lesen bekommt und das Krankenhaus sich auch gegen eventuelle Fehler absichern will und man im Fernsehen eigentlich immer nur kreischende und stöhnende bis panische Frauen (und Männer) zu sehen bekommt, in den Nachrichten eigentlich niemals irgendwas Wichtiges zu dem Thema gezeigt wird, der Mainstream voll des Lobes technologisch fortschrittlicher Errungenschaften ist, keiner Worte über Gebärende verliert, außer eine Frau bekommt Vierlinge, …dann, ja dann, formen sich Fiktion und Möglichkeit und Wirklichkeit zu einem großen Ganzen, dass dann so aussieht:

Dass ein Kind bekommen sehr bedrohlich und unglaublich schmerzhaft und anstrengend ist, man selbst darin gar nicht kompetent sei und es dann doch auch gleichzeitig nichts Besonderes wäre, denn immerhin bekommen Frauen seit abertausenden von Jahren Babys.

Ich jedenfalls habe meine Autonomie an der Tür zum Kreißsaal abgegeben.

Bin ich also selbst Schuld ob meiner völligen Ahnungslosigkeit?

Das muss ich entschieden verneinen!

Das Thema der Geburt sollte nicht auf das Zeitfenster von neun Monaten reduziert bleiben.

Das Thema ist viel umfassender und wichtiger (!) als so naive Erstlingsmütter wie ich es geglaubt haben und weiterhin glauben, da sie sich von Kommentaren über Hausgeburten einschüchtern lassen, wie: „Die soll ihre Abenteuerlust doch woanders befriedigen.“ Kein Scherz, diesen Kommentar habe ich gelesen zu einem Artikel über Geburten (den sich natürlich auch Schwangere mit besonderem Interesse durchlesen). Hausgeburten haftet mittlerweile ein Makel an und Eltern wird unterstellt, dass sie ein unnötiges Risiko eingehen oder eine verklärte Vorstellung haben. Selbst wenn es nicht tabuisiert wird, herrscht über Hausgeburten keine allgemeine Akzeptanz und noch viel weniger Wissen.

pregnant_leandro-cesar-santana-188372.jpg

Geburten erhalten in einer Kultur der Extreme einerseits eine völlige Überhöhung – durch das Hinwenden zu einer Sprache, die man als „esoterisch“ verunglimpft oder sie werden andererseits mit einer Heldentat gleichgesetzt, weil die Frau immerhin stundenlange kaum zu ertragende, ja schon fast unirdische Schmerzen aushalte, bei der „Männer in Ohnmacht“ fallen.

Gleichzeitig erfahren die Frauen eine Herabwürdigung durch Zuschreibungen wie etwa „das Werfen“ zahlreicher Kinder, als würde es sich um Tiere handeln, also Frauen, die Kinder am laufenden Band bekommen, weil sie zu dumm zum Verhüten wären oder Kinder aus Gründen der Arbeitsscheue bekämen.

Warum ich persönlich die Haus- oder Geburtshausgeburt einem Krankenhaus vorziehen würde:

Es ist eine sehr persönliche und intime Sache. Beim Sex möchte ich schließlich auch nicht, dass fremde Menschen einfach reinplatzen. Ich habe mich bei der Geburt meines Kindes nicht gut aufgehoben gefühlt. Ich kannte keine der Hebammen, habe die Ärztin nie zuvor gesehen. Der Anästhesist, der mir die PDA setzte, war ein Mann, den ich aufgrund seiner nuscheligen Aussprache kaum verstehen konnte und der auf mich einen sehr unsicheren Eindruck machte. Ich hatte das Gefühl, dass sich meine Angst vor dieser beeindruckenden Spritze auf ihn übertragen hat, was die ganze Angelegenheit für mich sehr stressreich machte. Das Gepiepse des Wehenschreibers und das Messen der Herztöne gingen mir zutiefst auf die Nerven und ich fühlte mich durch die Hebammen mehr gestört als unterstützt.

Aggressive Gebärende

Da ich regelmäßige Wehen hatte und versuchte, einen Rhythmus und Ruhe für mich zu finden, empfand ich es als völlig unangemessen, als – ich weiß nicht wer – meinen Mann fragte, ob er gerne ein Mittagessen haben wolle. Er stimmte zu, während ich ganz entgeistert davon war. Als das Tablett dann kam und der Essensgeruch mit in die Nase stieg, wurde mir davon übel und ich hätte meinen Mann und seine Mahlzeit gerne aus dem Zimmer befördert, gelinde gesagt. So ging es eigentlich die ganze Zeit: irgendwer kam herein und ging wieder hinaus.

Ich kam nicht in einen Zustand, bei dem ich diejenige gewesen wäre, die den Prozess kontrollierte. Ich ärgerte und ärgerte mich die ganze Zeit.

Diese Wut, die Frauen im Kreißsaal empfinden, die kommt wie ich denke, weil man eigentlich ahnt, dass man das Zepter aus der Hand gegeben hat und dass Unterbrechungen seitens unvertrauter Menschen in einer unvertrauten Umgebung keinen guten Einfluss haben.

Die Vorstellung, mit dem Liebsten oder der Liebsten zu schlafen und es fummelt jemand Fremdes an intimen Stellen herum und alle möglichen Apparate piepsen neben Ihrem Bett: geht doch nicht! Hier ein Film, der das schön verdeutlicht:

Auch, dass ich gleich zu Beginn einen Einlauf (!) hinnahm, war für mich eine entwürdigende Erfahrung. Warum hätte ich nicht auf die Toilette gehen können, wenn ich selbst mich dazu entschieden haben würde? Dieser Einlauf, den ich als gewaltsam und unnötig empfunden habe und dann auf dieser arktischen und ungemütlichen Toilette im Flur der Station mit Bauchschmerzen und Wehen zugleich zu sitzen: warum ist so etwas nötig? Damit niemand vom Krankenhauspersonal in eine peinliche Situation kommt?

Ich hatte das Gefühl, die Geburt hindurch zu galoppieren, in einem Tempo, das mir viel zu schnell ging, aber heute denke ich, dass es weniger die Geschwindigkeit war sondern mein empfundenes Unglück darüber, dass ich mich als unfähig und fremdbestimmt erleben musste.

Erinnerungslücken

Die Gesichter der Hebammen und der Ärztin sind für mich nicht erinnerbar. Ich weiß überhaupt nicht mehr, wer diese Menschen waren und habe sie seither auch nicht mehr wieder gesehen. Ich kann mich an keinen bedeutsamen Augenblick erinnern oder an ein liebevolles Wort vonseiten des Personals.

Die Schlussphase der Geburt: Nach nur etwa fünf Stunden (!) – seit meiner Ankunft bis zu diesem Moment - wurde mir gesagt, dass es jetzt soweit sei und dass ich stark pressen muss, dabei hatte ich erst kurz zuvor die PDA bekommen und meines Wissens nach ist dann die Fähigkeit zu pressen bzw. seinen Unterleib zu spüren eingeschränkt. Ich bekam dann nach einer kurzen Pressphase gesagt, dass ich stärker mitmachen muss.

Kampf oder Flucht nicht möglich

Was anscheinend keine besondere Wirkung zeigte, denn beim nächsten Mal bekam ich es mit drei (? bin nicht sicher, wie viele) Erwachsenen zu tun, die sich alle gleichzeitig auf meinen Bauch stürzten und von oben brachial drückten. Ich wurde vergewaltigt und wollte nur noch, dass es vorbei ging. Schließlich wurde mir gesagt, wenn es jetzt nicht ginge, würde man die Saugglocke verwenden müssen, um das Kind zu holen. Ob es diese Drohung war oder etwas anderes, weiß ich nicht, jedenfalls kam dann endlich mein Sohn und irgendwer sagte, „Der Kleine hat seine Hand am Kopf gehabt“. Was man als Grund dafür nahm, einen Dammschnitt gemacht zu haben, über den man mich nicht informiert hatte. Sehr viel später recherchierte ich diese Methode, die sich ["Kristellern"] (https://www.researchgate.net/publication/245709773_Die_Kristeller-Technik_Eine_prospektive_Untersuchung) nennt.

Von einem differenzierten Körpergefühl, mein Kind selbst geboren zu haben, kann ich nicht berichten, denn damals wie heute scheint es mir so, als wäre mein Sohn „irgendwie“, aber nicht durch meine eigene Kraft aus mir heraus gekommen. Von Presswehen habe ich nichts gespürt. Was bleibt, ist die Drohung, die Gewalt, die immense Unruhe während des gesamten Aktes und das anschließende Genähtwerden von der Ärztin, mit der ich die ersten ruhigen dissoziierten Worte wechselte, während sie den Faden auf und nieder zog.

Als man mich völlig verschwitzt und glühend in ein Wochenbettzimmer mit zwei anderen Müttern brachte, fühlte ich mich wie nicht von dieser Welt. Ich bat darum, dass man ein Fenster öffnen soll, weil ich vor Hitze fast verging. Da es Winter war, beschwerten sich die anderen Frauen (sie sprachen nur Englisch) darüber und monierten sich über mich. Ich habe leider jedes Wort verstanden. Als mein Mann kurze Zeit später zu mir kam, fragte ich ihn, ob er dafür sorgen könne, mich in ein Einzelzimmer zu verlegen, was glücklicherweise kein Problem war. Ich fühlte mich von allem zutiefst verletzt.

Alle diese Erfahrungen bedauere ich bis heute und die Traurigkeit darüber, die Geburt meines Sohnes nicht als einen Akt der Kraft und des Selbstvertrauens empfunden zu haben, bleibt. Ich wurde schwer krank, will dazu hier aber nichts mehr sagen.

Starke Frauen

Dass es Mütter gibt, die trotz einer solchen Atmosphäre ihr Vertrauen in sich behalten und die Dirigenten des Geburtsvorgangs bleiben, kommt mir persönlich wie ein Wunder vor; was es natürlich nicht ist. Aber das Besondere an einer Geburt, dieses auf sich bezogen bleiben und immun gegen die Banalität des beruflichen Alltags der anderen: dazu gehört jede Menge Stärke. Diese zu haben in einer derart exponierten Situation über Stunden hinweg und die Zeitpunkte der einzelnen Stufen selbst einzuläuten, weil man sie wahrnimmt und Bestätigung oder auch Ermutigung findet, ist in meinen Augen ein Kunststück.

In der Klinik ist es nicht die Gebärende, die die anderen beeindruckt und als kompetent gilt, sondern das Personal ist in seiner Rolle als Profi mit der Selbstverständlichkeit der Institution des Krankenhauses präsent. Helfen soll die Frau, wenn es nicht schnell genug geht, etwas am Ablauf ungenügend ist. Schafft sie das nicht, müssen "Maßnahmen eingeleitet" werden. Doch nicht die Frau ist es, die dieses in einer Klinik bestimmt. Auf die Idee zu kommen, die Gebärende selbst hat ein Gefühl und eine Beziehung zu ihrem Körper und dem Baby darin: Davon kann im Apparate-Umfeld immer weniger die Rede sein. Kein „vernünftiger“ Mensch sollte diesen Rollentausch akzeptieren, wenn es gerade auf ihn ankommt!

pregnant2_janko-ferlic-223240.jpg

Ich hatte eine kurze und innige Zeitspanne mit mir allein. Nämlich am frühen Morgen, als ich wach wurde und mit großer Gewissheit erkannte: heute bekomme ich mein Kind.

Es fand sich darin keine Frage, keine Unsicherheit, sondern eine Klarheit, an der ich festhalte, da es die einzige an diesem Tag geblieben ist. Es war vielleicht halb acht in der Frühe und ich spürte das erste Ziehen im Leib und identifizierte es als Wehe. Sehr viel stärker als der bekannte Regelschmerz stellten sich die Wehen nach und nach ein. Ich blieb vollkommen ruhig und wusste, dass ich erst aktiv werden brauchte, wenn die Wehen alle fünf Minuten kamen. Ich blieb bis um neun Uhr allein und weckte meinen Mann erst, als die Intervalle die fünf Minuten erreicht hatten und sagte ihm, dass wir uns auf den Weg machen könnten.

Bis dahin fühlte ich mich eigenartig gelassen.

Ich fing an, zu bedauern, dass wir nun ins Auto steigen mussten und hatte das Gefühl, die Sicherheit und Geborgenheit meiner Umgebung nicht hinter mir lassen zu wollen. Dieses Geschenk der Geklärtheit nicht mitnehmen zu können.

Tatsächlich stieg da die Angst in mir hoch, weil mir plötzlich bewusst wurde, dass ich keine Ahnung hatte, was mich in der Klinik erwartete. Als wir aus dem Auto gestiegen waren, wäre ich am liebsten stehenden Fußes zurück gefahren. Der Eingang zur Klinik, das Hinaufgehen zur Station erlebte ich schon nicht mehr als in mir ruhend, sondern eher so, dass ich meinem Mann überließ, uns anzumelden. Doch hatte dieses ins Krankenhaus fahren die Ruhe unterbrochen, mich bei meiner Kontemplation gestört, bei dem gemächlichen und meinem Tempo angemessenen Anlauf in Richtung Gebärakt.

Ich weiß, dass ich am liebsten allein geblieben wäre und nur dann die Unterstützung anderer gefordert haben würde, wenn ich selbst gemeint hätte, sie zu brauchen. In einer Umgebung mit vertrauten Gerüchen, meinem Badezimmer und dem Persönlichen meiner Wohnung. Dort wäre die Hebamme bei mir zu Gast gewesen, hätte sich an meine Regeln gehalten. So wurde alles auf den Kopf gestellt. Ich war diejenige mit der Anpassungsleistung.

Dass ich diese Anpassung nicht geschafft hatte, machte ich mir dann auch noch zum Vorwurf.

Wer das so liest, der spürt, dass dieses Umkehren dessen, wessen Regeln eigentlich zu gelten haben, die Würde antastet.

Man möchte sich alle flapsigen Kommentare dazu verbitten.

Für mich wäre meine Ahnung und aufsteigender Unwille, mich auf den Weg in die Klinik zu machen ein Hinweis darauf gewesen, mich spontan umzuentscheiden.

Aber wer tut so etwas? Der Klinikplatz war gebucht, es würde meinen damaligen Mann total verunsichert und ihn in Stress versetzt haben, da er es ja gewesen wäre, der meinen Entscheidungswechsel zu bewältigen gehabt haben würde. Selbst wenn ich den Einwand erhoben haben würde, so denke ich nicht, dass ich auf Zustimmung gestoßen wäre.

Man hört davon, dass Frauen, die zuhause oder im Geburtshaus entbinden, sich umentscheiden. Diese Entscheidung ist legitimiert. Andersherum wäre eine umgekehrte Entscheidung nicht legitim sondern befremdlich.

Dass dies so ist, zeigt mir, wie alternativlos wir dieses Thema betrachten und behandeln. Ich werde nie erfahren, ob die Geburt meines Sohnes auch ohne Wehenschreiber, PDA, Dammschnitt und das brutale Einschreiten der Beteiligten geglückt wäre. Ich gehe aber davon aus, denn tatsächlich hatte weder ich noch jemand vom Personal jemals das Gefühl, mein oder das Leben meines Kindes sei in akuter Gefahr.

Beim Personal darf man aber nicht von „Gefühl“ sprechen, denn was eine Hebamme in der Klinik fühlen mag, darf nicht ihr Handeln bestimmen. Auch ihre „Intuition“ ist bedeutungslos und so redet man in diesem Umfeld davon tunlichst nicht und erwähnt es schon gar keinem Arzt gegenüber, wenn man in seinem Beruf angesehen bleiben möchte. Die, die dieses unbefangen äußern können, sind die werdenden Mütter und vielleicht mag sich ein Arzt davon erreichen lassen. Aber vermutlich würde er die Geschichte, dass eine Gebärende mit ihrem Gefühl richtig lag, nur seiner Ehefrau abends im Bett berichten und sie darum bitten, es nicht weiter zu erzählen. .... Ironie aus.

Was ich bis heute nicht wusste, ist, dass

das deutsche Gesetz vorschreibt, dass eine Hebamme bei der Geburt zwingend anwesend sein muss.

Nicht etwa umgekehrt, wie ich es bislang verstanden hatte. Ein Arzt allein darf ein Kind nämlich nicht auf die Welt holen, eine Hebamme schon. Diese Selbstverständlichkeit der Umkehrung, woher kommt sie? Ganz sicher basiert sie nicht auf informierten Eltern oder der Allgemeinheit. Sie ist ein Ausdruck von Desinformation und Gläubigkeit in die Kompetenz von Ärzten oder Maschinen. Die Geburt als einzige Ausnahme im Klinikumfeld, bei der es sich nicht um Kranke handelt, muss allein schon deshalb explizit betrachtet werden. Wird sie aber nicht. Explizit sagt dies auch kaum jemand.

Ich habe daran keine Erinnerung, dass während des Gespräches mit dem Arzt, als es um meine Aufnahme und die Formalitäten ging, diese Vorschrift so deutlich erwähnt wurde. Weil man davon ausgeht, dass es Allgemeinwissen ist? Weshalb ist beim Informationsgespräch mit dem Arzt nicht von vornherein auch eine Hebamme mit dabei?

Alles, was einem so „normal“ vorkommt, wie etwa, dass das Zimmer eine Liege hat, eben genau wie ein Krankenzimmer. Warum aber überhaupt eine Liege sein muss, hat damit zu tun:

Das Personal braucht eine bequeme Erreichbarkeit der Gebärenden, um ihr zwischen die Beine gucken zu können

stuhl_daniel-frank-201417.jpg

Natürlich funktioniert auch das Anschließen der Apparate besser, wenn die Frau liegt. Wie normal ist aber, dass die Gebärende in liegender Haltung gebiert? Wenigstens diese Tatsache scheint sich langsam breit zu machen, dass die Schwerkraft tatsächlich dem Baby dabei hilft, weiter in den Geburtskanal nach unten zu rutschen.

Normal wäre in meinen Augen, so lange kein Bett und auch keinen Apparat wie Wehenschreiber oder EKG oder CTG zu verwenden wie die werdende Mutter und die Hebamme dazu kein Signal geben. Normal wäre, dass die Hebamme, die die Schwangere schon zuvor betreut hat, am Tag der Geburt im Krankenhaus dabei wäre und sie in eins-zu-eins begleitet. Also nicht etwa noch für andere Gebärende bereit stehen muss. Selbst dann, wenn die Frau sie nicht benötigt oder den Wunsch äußert, eine Zeit allein zu bleiben. Normal wäre, wenn die Hebamme dafür in einen ruhigen, mit dem Geburtsraum verbundenen Nebenraum ginge und mit der Frau in stiller Resonanz verbleiben könnte. Normal wäre eine Toilette auf dem Zimmer und nicht im Stationsflur. Normal wäre eine warme und persönlich gestaltbare Umgebung, wenn schon nicht zuhause geboren werden soll, wie etwa im Geburtshaus. Normal wäre eine Intervention erst wenn ein eindeutiger Grund dazu bestünde.

Nicht normal sind Apparate und Ablauf-Routine im Zusammenhang mit Geburten.

Dieses automatische ungefragte angeschlossen werden, dieser subtile Druck, dass man einem Einlauf zustimmen soll, diese sehr deutlich spürbare „wir machen das einfach schon mal vorher“ und „um ganz sicher zu gehen“ und sich ansonsten keinen Kopf machen, obwohl es doch gar nicht nötig ist. Das alles ist nicht normal.

Nicht normal ist, dass man sieht, dass das Angeschlossensein an die Apparate eben dazu dient, dass die Hebamme ein Protokoll lesen kann, weil sie sich nicht die ganze Zeit im Resonanzbereich der Gebärenden aufhält und auf den neuesten Stand kommen will, wenn sie von einer anderen Frau kommt. Tatsächlich verliert sie damit die intime Verbindung zur Gebärenden, wenn sie über den Flur geht, Menschen trifft, Geräuschen ausgesetzt ist und sich auf verschiedene Frauen einzustellen hat, in anderweitigen Stress gerät.

Mit allen diesen Ansprüchen, die ich hier formuliert habe und der Kritik, könnte man sagen: Dann ist es wirklich besser, zuhause zu entbinden, denn ein Krankenhaus kann dies alles gar nicht leisten und ist dafür auch nicht der richtige Ort. Meinetwegen!

Ich kann sagen, dass die Aufklärung über die Alternativen zum Krankenhaus nicht oder zu wenig stattfindet. Es sind diejenigen, die damit zu tun haben und mit Schwangeren in Kontakt kommen, die diese Aufklärung zu leisten haben.

Warum Frauen, die anders gebären wollen, in der Minderheit sind, hat mit Desinformation zu tun.

Es war vielleicht in meiner eigenen Situation so, dass keine Aufklärung stattfand. Ich gehe aber mal davon aus, dass so lange die Frau im Gespräch mit der Ärzteschaft (Gynäkologe, Anmeldegespräch im Krankenhaus) nicht ganz gezielt nachfragt, das Prozedere Routine ist und das Thema mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eigens aufgebracht wird. Wer das aus eigener Initiative vonseiten der Frauenärzte und Entbindungskliniken tut oder kennt, möge sich bitte melden.

Und nun zum Geld

steel_oleg-savenok-114428.jpg

Die Finanzierung spielt in allen Lebensbereichen eine große Rolle. Nehmen wir mal an, dass die 70 Millionen Euro, die es die Bundesrepublik Deutschland kosten würde, Babys in die Welt zu helfen (bei Durchschnittskosten für eine Geburt in Höhe von eintausendzweihundert Euro und einer Zahl von 700.000 Geburten pro Jahr) vom Steuerzahler bezahlt werden müssten und nicht von den Krankenkassen. Was wäre dann?

Das Thema Geburten vom Gesundheitssystem abzukoppeln, ist im Grunde ein logischer Gedanke, denn tatsächlich sind die Frauen ja nicht krank!

Auch scheint es mir logisch, wenn Mütter der Meinung sind, dass dieses Thema eines für die Allgemeinheit ist.

Man könnte aber auch sagen, dass sei Jacke wie Hose, da auch die gesetzlichen Krankenversicherungen dem Solidaritätsprinzip folgen und damit die Allgemeinheit der Beitragszahler dafür Sorge trägt, dass die Finanzierung der Geburten durch sie erfolgt. Diejenigen, die sich nicht gesetzlich versichern müssen, sondern aufgrund eines hohen Einkommens oder einer selbstständigen Tätigkeit private Krankenversicherungen abschließen, nicht eingerechnet. Dort werden Frauen aber grundsätzlich mit höheren Beiträgen eingestuft als die Männer. Eben aufgrund der Tatsache, dass ihnen nachgesagt wird, dass sie durch Vorsorge, Schwangerschaft und Geburt einen größeren Kostenfaktor darstellen. Im einen wie im anderen Fall ist also die Kostenfrage geklärt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob ein geplanter Kaiserschnitt, der nicht auf einer medizinischen Indikation beruht, ebenfalls von der Allgemeinheit bezahlt wird. Nein, ich habe nachgesehen.

Allerdings ist das so eine Sache mit der medizinischen Indikation.Man könnte jetzt sagen, dass dem entgegen die Haftungsfrage steht.

Aber da die Krankenkassen keine Haftung für Geburtsschäden übernehmen,

sondern ihrerseits einen Regress anmelden für eventuelle Schadenersatzansprüche und lediglich die normalen Kosten für eine Geburt bezahlen, ist die Haftung ein eigenes Thema. Und zwar ein gewaltiges Thema.

Nicht nur, dass die Kliniken im Fall des Falles eine lückenlose Dokumentation der einzelnen Geburten veranlassen müssten, wenn sie auf der ganz sicheren Seite sein wollen, sie tendieren dazu, aufgrund des Haftungsrisikos und des anfallenden Honorars durch das Operationsteam zu Schnittgeburten (Kaiserschnitten).

Explodierende Kaiserschnitt-Rate

Obwohl sich dagegen verwehrt wird, dass dies die Gründe für die Aufwärtsentwicklung von Schnittgeburten seien, ist doch der schon fast bilderbuchmäßig geradlinige Anstieg der bundesweit durchgeführten Sectios aussagekräftig. Dies allein mit medizinischer Indikation zu begründen, ist nicht nur zynisch, sondern grenzt an Betrug – wer Arzt ist, sollte aufpassen mit solchen Aussagen.

Vielmehr passt eine Sectio im Vergleich zu einer spontanen Geburt, von der man nicht weiß, wie lang sie sich hinziehen wird, viel besser in die Schicht- und Operationspläne eines Krankenhauses. Die Sectio ist zudem teurer – und damit profitabler - als eine vaginale Geburt.

Entbindungen in deutschen Krankenhäusern (Wikipedia):

1991 = 15,3 %

1992 = 16,2 %

1993 = 16,9 %

1994 = 17,3 %

1995 = 17,6 %

1996 = 18,0 %

1997 = 18,5 %

1998 = 19,5 %

1999 = 20,3 %

2000 = 21,5 %

2001 = 22,6 %

2002 = 24,4 %

2003 = 25,5 %

2004 = 26,8 %

2005 = 27,6 %

2006 = 28,6 %

2007 = 29,3 %

2008 = 30,2 %

2009 = 31,3 %

2010 = 31,9 %

2011 = 32,1 %

2012 = 31,7 %

Noch Fragen?

In Hamburg liegen wir bei stolzen 36 %.

Siehe auch Seite 15 - Beschreibung der Qualitätsindikatoren
für das Erfassungsjahr 2015:

In das Gesamtbild passt die Entwicklung hinein: Der Rückgang der Hausgeburten hin zu klinischen Geburten. Der Rückgang von vaginalen Geburten hin zu Schnittgeburten.

In dem Text heißt es:

„Die Anzahl der Kaiserschnitte (Sectio caesarea) hat sich allein in Deutschland in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt und liegt aktuell bei über 30 % aller Krankenhausgeburten (…). Obwohl oftmals die „Gesamtsectiorate“ angegeben wird, ist es wichtig, zwischen primären und sekundären Sectiones zu unterscheiden (..). Unter der primären Sectio versteht man einen zuvor geplanten Eingriff, während eine sekundäre Sectio spontan aufgrund von Geburtskomplikationen durchgeführt wird (…). Allerdings ist es nach vorbereitenden Analysen fraglich, ob in der Kodierpraxis die oben genannte Differenzierung zwischen primärer und sekundärer Sectio caesarea immer eingehalten wird.“

Und weiter:

„Darüber hinaus gibt es – neben den Risiken für die Mutter in Folge des operativen Eingriffs an sich – Indizien für mittel- und langfristige Folgen für Kind und Mutter, die in weiteren Studien detailliert untersucht werden sollten.“

Zu der Gabe von Antibiotika an die Mutter im Rahmen einer Sectio ist zu lesen:

„Folgen für die Gesundheit des Neugeborenen oder für die Resistenzentwicklung von Keimen gegen antimikrobielle Wirkstoffe sind nicht ausreichend untersucht.“

Bitte LEST das und trefft eure Entscheidung.

Kaiserschnitt? War das nicht nur im „absoluten Notfall“?

Es macht mich fassungslos, dass die Risiken, die mit einer Sectio in Verbindung stehen, noch so wenig untersucht sind bzw. keine Studien darüber vorzuliegen scheinen, aber dennoch die Praxis einen so rasanten Anstieg erfahren hat, obwohl es keine gesicherten Erkenntnisse über mögliche Folgen gibt. Daher heißt es an anderer Stelle auch nur:

„In vielen Studien gibt es Hinweise darauf, dass bei Sectiones im Vergleich zur vaginalen Geburt die Wahrscheinlichkeit erhöht ist, dass bei den Kindern im weiteren Verlauf bestimmte Krankheitsbilder auftreten (bspw. erhöhtes Risiko für Atemnotsyndrom und Asthma bronchiale im Kindesalter).“

Geht man nun davon aus, dass nach den Angaben zehn Prozent aller Frauen eine Wunsch-Sectio erhalten, dann muss man sich die Frage stellen, was diese Frauen eigentlich wissen und was sie zu wissen glauben.

Vielleicht denken die Frauen, dass eine Schnittgeburt keine „richtige“ Operation ist?

Insgesamt ist in der Medizin der Tenor der „minimalinvasiven Methoden“ zu vernehmen, was einen Laien schon mal dazu verleiten könnte, zu denken, dass die Chirurgie heutzutage weniger brachial und den Körper verletzend sei.

Aber dort, wo geschnitten wird, wird der Körper verletzt. Damit Muskeln und Sehnen und Nerven. Der Schnitt, den es braucht, damit ein Baby aus der Wunde herausgeholt werden kann, den kann sich jeder vorstellen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass zumindest im Netz Gerichtsurteile zu finden sind, die sich auf Fehler beziehen, die bei Geburtskomplikationen aufgetreten sind und eine Sectio hätten einleiten sollen. Die durch nicht (!) eingeleitete Notkaiserschnitte Geburten und die dadurch nachgewiesenen Schäden am Neugeborenen und späteren Erwachsenen wurden Jahrzehnte später per Gerichtsverfahren festgestellt und über Schadenersatzansprüche geregelt.

Nun stellt sich die Frage, ob jemals über ein Gerichtsverfahren nachgewiesen werden kann, welche Folgen durch (!) die Verabreichung von Antibiotika oder den Infektionsgefahren bei einer Sectio entstehen und ob dies möglicherweise durch vermehrtes Klagen bei den Gerichten landen wird. Man scheint davon nicht auszugehen, da ansonsten Eile bei den noch nicht stattgefundenen Analysen bzw. Untersuchungen dieser Faktoren geboten wäre.

Ich persönlich halte nicht viel davon, vor Gericht zu gehen.

Es dürfte schwierig sein, ursächliche Zusammenhänge herzustellen, je länger die Geburt zurückliegt und zunächst mal alle anderen Ursachen für eine festgestellte Erkrankung ausgeschlossen werden müssten.

Meine Vermutung, dass die Haftungsfrage bei der Sectio von großer Bedeutung ist und meine Annahme, dass das so wohl niemand direkt sagen würde, ist falsch.
Zumindest in dem Text auf Wikipedia und dem Heranziehen einer Bertelsmannstudie von durch die Barmer Ersatzkasse versicherten Frauen wird gesagt:

„... eine Befragung von rund 4.200 bei der BARMER GEK versicherten Mütter durch die Bertelsmann-Stiftung im Februar 2012 ergab, dass "die Sectiorate ohne medizinische Indikation bei weniger als zwei Prozent" liegt. Vielmehr sei laut Studie eine "Tendenz zur (vermeintlichen) Risikovermeidung" auszumachen, da die Risikoorientierung von Gynäkologen, sowohl während der Schwangerschaftsbegleitung als auch unter der Geburt, aus haftungsrechtlichen Gründen zu einer "defensiven Geburtsmedizin" resultiere.“ Im Klartext: Befürworten von Schnittgeburten.

Von der Kaiserschnitt-Lobby hört man hingegen, dass „defensive Geburtsmedizin“ nichts sei, wofür man sich entschuldigen müsse. Hier hat man also einen Begriff kreiert, der eine „sanfte Geburt“ suggeriert.

Die Lobby ist aber knallhart.

"Mein Wunsch Kaiserschnitt"

Es gibt eine eigene Website und die steigt gleich mit einem Gerichtsurteil ein, das „in die Geschichte eingehen wird“. Man will jetzt die "medizinische Indikation" (Begründung für Schnittgeburt) am liebsten ganz aufheben. So spielt da die Musik:

„Einer der Richter hat ganz klar erkannt, dass dies keine rein medizinisch begründbare Ansicht ist, sondern die Beweggründe für die "Nichtaufklärung" ganz woanders herrühren: "Es sieht in gewisser Weise danach aus, als sei die vaginale Geburt dem Kaiserschnitt moralisch vorzuziehen". Bei der Ärztin stand als Ideologie fest, dass die natürliche Geburt das Bessere sein müsse. Das könne aber nicht Grundlage für Aufklärung sein. So war die Ärztin blind gegenüber ihrer Pflicht, über die Gefahren der natürlichen Geburt aufklären zu müssen.“ (Quelle: https://www.mein-wunsch-kaiserschnitt.de/2015/08/13/aufkl%C3%A4rung-%C3%BCber-die-risiken-der-nat%C3%BCrlichen-geburt-ist-ein-muss-5-25-millionen-pfund-entsch%C3%A4digung-f%C3%BCr-eine-mutter/)

Sich für natürliche Geburten (vaginal) auszusprechen, ist also zu einer Ideologie geworden. Aha.

Das sieht man hier anders:

Die „gute Geburt“ – Ergebnis richtiger
Entscheidungen?

Kurzer Schwenk in die Intensivmedizinische „Betreuung“:

Dass die im Krankenhaus Arbeitenden sich tatsächlich defensiv verhalten und sich dieses Verhalten mühsam oder aggressiv angewöhnen und den Angehörigen oder Patienten gegenüber verteidigen, habe ich erlebt, als ich meine sterbende Mutter in einer Klinik besuchte und wir einerseits grob angezischt wurden, wenn wir vergessen hatten, die sterile Kleidung beim Verlassen des Zimmers in den Müllbehälter im Zimmer selbst zu tun. Genau wie die Abendschwestern sich andererseits weigerten, das Bettgitter für unsere Mutter am Fußende hochzunehmen und uns sagten, dies sei ihnen gesetzlich nicht gestattet. In dieser Situation verlangten sie von uns, es selbst zu tun, obschon die Technik, mit der das zu passieren hat, für mich nicht ganz einfach nachzuvollziehen war. Ich empfand die Situation als absurd, die Reaktion der Schwestern als aggressiv und unangemessen, wobei nicht zu erkennen war, gegen wen oder was sich dieses deutlich spürbare Unbehagen richtete. Im Kontext dessen, dass wir unsere sterbende Mutter begleiteten, hatten alle diese Absicherungsbemühungen einen sehr unmenschlichen und absolut nervtötenden Beigeschmack.

Besonders eine der Schwestern machte ganz deutlich, dass jedwede Bitte an sie wie eine Verdächtigung gegen sie aufgenommen worden ist, als würde ihre Kompetenz von uns Angehörigen in den Zweifel gezogen, dabei wünschten meine Schwester und ich uns bloß, dass meine Mutter gemäß ihrer Bedürfnisse behandelt und sensibel mit ihr umgegangen werden sollte und wir ein Stück Menschlichkeit und persönlicher Anteilnahme erkennen wollten.

Ich weiß jetzt, dass das Bettgitter den Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt und dass es nur auf ausdrückliche Anweisung des Patienten selbst verstellt werden darf. Da wir zu dem Zeitpunkt noch keine richterliche Autorität über Entscheidungen für unsere Mutter erhalten hatten, galten unsere Bitten entsprechend nichts. Meine Mutter war nicht mehr in der Lage für sich zu sprechen. Die Tage, die so etwas dann beansprucht, sind manchmal unendlich kostbar, denn in der Woche ist meine Mutter im Krankenhaus gestorben und es war mir mehr als verhasst, mich den Regeln einer solchen Krankenhauspolitik unterwerfen zu müssen. Übernachten konnten und durften wir dort schließlich nicht, um uns um alles zu kümmern.

Die Schwestern am unteren Ende der Hierarchiekette - so scheint es mindestens – leben in einer permanenten Angst, gegen die Auflagen zu verstoßen und von ihren Vorgesetzten oder der Rechtsabteilung mit Haftungsfragen konfrontiert zu werden.

Damit wird sehr deutlich, was die Regeln im Klinikalltag bestimmt: Die Angst vor Fehlern.

fear_muhd-asyraaf-373912.jpg

Die Angst vor Klageverfahren. Die Angst vor hohen Schadenersatzansprüchen. Demzufolge muss qua Logik der Ablauf dergestalt sein, dass lückenlose Dokumentationen, absolut fehlerfreies Verhalten von Personalseite bestehen und Regelvorschriften strikt eingehalten werden. Damit das auch im Zuge erlassener Gesetze und medizinischer Neuerungen geschehen kann, muss das Personal entsprechend laufend geschult und eingeschworen werden.

Ich frage mich, wo da der Aspekt des Mitgefühls, die Zeit für persönliches Interesse am Patienten und für die Angehörigen eigentlich noch stattfinden soll. In so einem Umfeld der Angst arbeiten zu müssen, stelle ich mir absolut grauenhaft vor.

Haftpflicht für Hebammen

birth_carlo-navarro-219810.jpg

An anderer Stelle habe ich gelesen, dass die Haftpflichtversicherungsbeiträge für Hebammen nicht nur deshalb so hoch sind, weil Hebammen in Deutschland so wenige sind, sondern auch aus dem Grund, dass die Summen aus Schadenersatz-Klagen sehr hoch seien.

Würde man mich fragen, wie hoch ich den Einfluss des Haftungs-Themas auf den Alltag in einer Entbindungsklinik einschätze, so würde ich sagen, wird er im Zuge weiterer Klagen noch steigen und vielleicht in ein paar Jahren den Großteil des Prozederes bestimmen (vielleicht sollte man sich dazu im Vergleich die Entwicklung der Klagezahlen in anderen klinischen Abteilungen anschauen und prüfen wie hoch eigentlich die Patientenzufriedenheit dabei ist im Verhältnis zu der vorgeschriebenen Dokumentation). Was also gern in den Medien als Erfolg breit getreten wird, wenn Millionen Schadenersatzsummen über den Tisch gehen, hat immer eine weitaus größere Bedeutung und Tragweite, als der Leser dies vermutet.

Die Hebammen, die als erste erkennen müssen, wann eine Geburt kompliziert zu werden droht und im Falle eingetretener Schäden und einer anschließenden Klage ihr Handeln dokumentieren können müssen, dürfen also eine Gebärende, die in ihre Klinik kommt, gar nicht in die Entscheidung einbinden, ob nun ein CTG permanent mitgeschrieben wird oder nicht!

Es unterliegt der Direktive des Krankenhauses und ist damit aus dem Einflussbereich der werdenden Mutter verbannt. Dass man sich diese ganze Mühe, die Unsicherheit, ob eine Geburt nun gefährlich, komplikationsarm oder gar ohne besondere Vorkommnisse passiert, von vornherein sparen möchte und zumindest im Bereich der Sectio mögliche Klagen eher keine derzeitige Bedrohung darstellen im Vergleich zu Geburten, die auf natürliche Art begonnen haben, ist die Marschrichtung doch irgendwie klar. Wie das aufgehalten werden soll, wenn das Thema der Haftung eine derartige Dominanz bekommt, frage ich mich.

Ist es das, was wir Frauen und Mütter wollen?

Mein Wunschkatalog an Annehmlichkeiten und persönlicher Anteilnahme und den alternativen Methoden für eine Geburt entspricht dies jedenfalls in gar keiner Weise. Es wird aber so kommen, wenn die Beiträge für frei arbeitende Hebammen nicht anders verteilt werden und die Regressansprüche so erhalten bleiben. Da der Hebammenberuf dann nur noch im Dienste eines Krankenhauses über „Beleghebammen“ stattfinden kann, weil die Finanzierung anders nicht möglich ist, können wir uns auf das Aus von freien Hebammen gefasst machen.

Geburtshilfe auf dem Schwarzmarkt - Hebammen kriminell

bed_john-towner-125995.jpg

Wer dann noch zuhause gebären will, wird dies wahrscheinlich nur noch tun können, wenn eine Hebamme diesen Dienst illegal erbringt und sich damit strafbar macht. Wie absurd das in meinen eigenen Ohren auch klingt, in vielen anderen Ohren scheinen Hausgeburten ein „Wahnsinn“ zu sein und nahezu „unverantwortlich“, eine Geburt nicht in dem sicheren und Schutz bietenden Rahmen einer Klinik zu verorten.

Die Krankenhäuser, die bereits eine verlorene Schadenersatzklage zu verzeichnen haben, werden ganz sicher ihre Dienstvorschriften geändert und entsprechend wasserdicht gemacht haben. Auch das ist zwingende Logik, denn welche Klinik will schon Zeit, Geld und Ressourcen für Gerichtsverfahren erübrigen, wenn ein Fall aufgrund von klaren Regelverstößen und identifizierten Verantwortlichen viel leichter zu lösen ist.

Besser, wenn man Geburten quasi wie eine physikalische Versuchsanordnung gestaltet

und jedes noch so kleine relevante Detail in einem Überwachungsprotokoll festhält. In jedem Fall ist die Vermeidung einer Klage vorzuziehen und so muss eine Klinik auf sehr festen Füßen stehen. Vermeidung und Abwägung der Risiken schlägt zugunsten einer Sectio aus.

Die Wahrnehmung der Patienten darauf zu schärfen, dass alles seine Ordnung habe, die Abläufe zwingend medizinische Gründe haben und die Schritte A, B, Z und Y die größtmögliche Sicherheit und Garantie auf Unversehrtheit haben. Alle anderen Risiken möge man bitte haftungsfrei halten und hier, hier und hier unterzeichnen und ansonsten „alles auf eigene Gefahr“.

Dass die Wahrnehmung von Patienten sich dann auch eins zu eins so entwickelt, andere Faktoren außer Acht lässt, zeigt aber doch auch die steigende Klagelust aufgrund so genannter ärztlicher Kunstfehler.

Wenn nämlich auf der einen Seite so getan wird, dass eigentlich gar nichts mehr passieren kann und alles sehr sicher sei und Schädigungen und Nachteile in dem sterilen Umfeld von Kliniken die große Ausnahme von der Regel bilden, so muss man sich andererseits nicht wundern, wenn am anderen Ende dabei Patienten heran wachsen, die einen Anspruch auf Perfektion zeigen und meinen, dass Fehler, Versagen und menschliche Ungenauigkeit auf keinen Fall stattfinden dürfe.

Wie so eine Denkweise überhaupt als legitim empfunden werden kann, ist einem Habitus geschuldet, der sich seit Beginn des medizinischen technischen Fortschritts etabliert hat, wonach die Behandlung von Menschen an Menschen zunehmend ein Befolgen und Ablesen von Messdaten zu werden droht und in Teilen bereits vollkommen eingetreten ist, da eine Diagnose ohne Diagnosegerät nicht mehr gestellt werden kann. Ohne Zweifel ist hier ein Ungleichgewicht entstanden zwischen Heilkunst und technisch orientierter Diagnostik.

Hält man sich dann noch vor Augen, dass Großstadt-Krankenhäuser mittlerweile gewinnorientierte Unternehmen sind, erkennt man den zweiten großen Einflussfaktor: den Profit.

Nicht, dass Diagnose und Messgeräte etwa nicht gebraucht würden.

Doch wenn sich die Beteiligten im Vorfeld so verhalten, als säßen sie bereits im Gerichtssaal, wo kann sich dann überhaupt eine Mentalität niederschlagen, die der persönlichen Beziehung zwischen Hebamme, Gebärende und Arzt einen Raum gibt?

Welche Antwort gibt es darauf?

Sind wir etwa alle davon infiziert, dass Leben und Sterben unbedingt steuerbar sein müssen?

Ist es so, dass wir mittlerweile glauben, dass Schmerzen und Tod inakzeptabel sind? Ist so etwas wie „Schicksal“ ein infames Wort, welches tunlichst kein Mediziner im Mund führen soll?

„Risikominimierung“ ist ein Begriff aus der Versicherungsbranche und ich hege den Verdacht, dass „Qualitätsmanagement“ auch aus der Ecke kommt. Dieses strikte, harsche Einhalten der Standards ob der Minimierung von Risiken erstickt Kreativität. Ohne das wissenschaftlich zu belegen und aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung zu sprechen, kann ich nur sagen, der Kopf wird überaus träge, wenn es darum geht, auf vorsichtigen Füßen laufen zu müssen. Dauerndes Rückversichern hemmt den Elan, langweilige Routineaufgaben zu erledigen und seine menschlichen Fähigkeiten nicht gewürdigt zu sehen, weil Geräte einem das Denken und Interpretieren abnehmen, schmälert die eigene Wachsamkeit und mündet schlimmstenfalls in Langeweile. Die Bedürfnisse von Menschen – wie etwa Anzeichen von Komplikationen zu erkennen in der Lage zu sein, geistige Flexibilität und Verantwortung in sich zu fühlen jeder einzelnen Person gegenüber, die sich exponiert, Vertrauen zu erwecken mittels eines fundierten Wissens über die Vorgänge im menschlichen Körper und dem Zusammenspiel mit dem Geist, sind wichtig.

In einem Milieu, wo die einen sich zu wenig und die anderen zu viel zutrauen, vermute ich, dass Talente eher schlummern oder ganz einschlafen, denn geweckt werden. Wenn ich mir erst eine Liste mit Dienstanweisungen einprägen muss, bevor ich an meine Arbeit gehe, meine Handlungen vor den von mir Betreuten oder Vorgesetzten rechtfertige, meine Sorge, keine Fehler zu machen, mich hemmt oder verunsichert, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mir das alles nicht behagt und ich nur durch Selbstbetrug eine Überzeugung erlangen kann, dies alles sei richtig und der Sicherheit wegen so geregelt. Hinzu kommt dann auch die Tatsache, dass ich als Beleghebamme nicht nur eine Gebärende während einer Schicht begleite und ich die Frauen entweder mittendrin erwische oder am Anfang oder zum Ende der Geburt ihrer Kinder. Den Prozess in der ganzen Bandbreite mitzugehen, ist dann wohl eher vom Zufall abhängig, nicht aber Teil meines eigenen Plans.

Ich denke für das Verstehen muss ich dieses Überspitzen verwenden.

Dass es dabei um Schutz des Lebens geht, das würde man sich bestimmt gerne mit Inbrunst sagen können wollen. Das erledigt die Werbung und das Polieren des Image eines blitzsauberen Klinikapparates in der Außenwelt. Wo man den Erfolgsquotensprech in die Welt entsendet. Um jeden Preis Leben zu retten, hat eben einen Preis.

Die Schuldfrage, die über allem zu schweben scheint sobald etwas schief geht. Die akribische Suche nach Fehlern, dem Rekonstruieren eines Hergangs, die Frage nach den wahren Verantwortlichen: eine quälerische Angelegenheit, bei der Gerichte, Gutachter, Sachverständige, Akademiker, Betroffene, Zeugen und so weiter angehört und hinzugezogen werden. Wie viel Energie und Potenzial in eine Sache investiert wird, bei der das letzte nicht kalkulierbare Risiko ins Visier genommen werden muss. Wo es letztlich jede Menge Verlierer gibt. Wer sind dabei eigentlich die Gewinner? Die Frauen, die Kinder kriegen? Die Hebammen, die Ärzte? Das Krankenhaus und sein Management? Die Versicherungen? Vielleicht sind es ja die Shareholder?

Im Fall der eingangs erwähnten Hebamme sind es nicht die Eltern. Ganz gewiss ist es nicht die Hebamme. Auch die Versicherung kann sich nicht freuen. Ist es der Richter, der findet, dass solche Fälle sein Leben erheitern? Ist es die Gesellschaft, die sagt: Gut so, es wurde Recht gesprochen, aber gleichzeitig für all das mit bezahlt. Hat eigentlich irgend jemand, der sich mit Derartigem befasst oder befassen muss, den Eindruck, dass hier alle ihre Sache gut gemacht haben?

Ich nicht. Als ob das alles eine gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sei, bei der unzählige Arbeits- und Abrechnungsstunden entstanden sind und der Apparat sich quasi selbst am Laufen hält und mit jedem neuen Fall von Schadenersatz-Durchsetzung die Beiträge weiter klettern, die Tagessätze angepasst werden, die Risiko-Abwägung aufs Neue beginnt.

Wie es scheint, haben alle ziemlichen Respekt davor und daher macht es oberflächlich gesehen, durchaus einen Sinn, Rechtsstreitigkeiten erst gar nicht aufkommen zu lassen. Zwangsläufig braucht es da Vermeidungsstrategien und eigentlich weiß man gar nicht, wo eigentlich der Anfangspunkt ist, da sich ein Kreis schließt. Müssten nicht die Kläger diejenigen sein, die ein Einsehen haben und sich entscheiden, mit den Folgen einer missglückten Geburt oder Operation fertig zu werden und statt Anwälte lieber Therapeuten oder Lebensberater und die Familie und Nahestehende hinzuzuziehen. Oder müssten die Kliniken ihre Haltung ändern? Und die Krankenkassen?

Tatsächlich bräuchte es einen Fond durch die Gemeinschaft, bei dem eine Familie oder Mutter nicht mit allen Folgekosten einer Schädigung ihres Kindes oder ihrer selbst allein zu bleiben hat. Ein Auffangbecken, wo nicht nach der Schuld gefragt wird, sondern wo zählt, dass ein Unglück eingetreten ist und man einem solchen Unglück mit Menschlichkeit und der Übernahme von Behandlungskosten physischer und psychischer Natur beikommen kann.


Hier in Kürze noch ein paar Links zu den Hebammen, denen ich viel Unterstützung und Kraft wünsche.


Credits for Photo-Material:
Leandro Cesar Santana on Unsplash
Janko Ferlič on Unsplash
Daniel Frank on Unsplash
Oleg Savenok on Unsplash
Joel Filipe on Unsplash
Carlo Navarro on Unsplash
Muhd Asyraaf on Unsplash
JOHN TOWNER on Unsplash

Sort:  

Wow, einfach nur wow. Ich bin sprachlos und zwar nicht nur ob der Länge des Beitrags, sondern vorallem der Qualität und der tiefen Aussagekraft. Ich kann dich nur zu deiner Fähigkeit beglückwünschen, dieses sensible Thema auf exzellente sprachliche Weise darstellen zu können und danke dir für deinen Mut, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Ich stimme dir zu 100% zu. Da ich noch keine Steempower habe, sende ich dir meine Anerkennung direkt in SBD.
DANKE!

Liebe Lylah Sophia, ich danke dir von Herzen! Mich berührt dieses Thema sehr und ich freue mich über deine Unterstützung in Worten und in SBD! Das hat mich gerade etwas umgehauen.

Congratulations! This post has been upvoted from the communal account, @minnowsupport, by erh.germany from the Minnow Support Project. It's a witness project run by aggroed, ausbitbank, teamsteem, theprophet0, someguy123, neoxian, followbtcnews/crimsonclad, and netuoso. The goal is to help Steemit grow by supporting Minnows and creating a social network. Please find us in the Peace, Abundance, and Liberty Network (PALnet) Discord Channel. It's a completely public and open space to all members of the Steemit community who voluntarily choose to be there.

This post has received a 0.31 % upvote from @drotto thanks to: @banjo.

Congratulations @erh.germany! You have completed some achievement on Steemit and have been rewarded with new badge(s) :

Award for the number of upvotes received
Award for the number of upvotes

Click on any badge to view your own Board of Honor on SteemitBoard.
For more information about SteemitBoard, click here

If you no longer want to receive notifications, reply to this comment with the word STOP

By upvoting this notification, you can help all Steemit users. Learn how here!

Ein wirklich unglaublich vielseitiger Artikel.
Ich bin da voll bei dir. Hab selber noch keine Kinder aber ich möchte frei entscheiden, wie und wo ich sie gebären will.

Vielen lieben Dank.

Ich hoffe sehr, dass uns diese Freiheit nicht flöten geht.

Coin Marketplace

STEEM 0.18
TRX 0.14
JST 0.030
BTC 59190.13
ETH 3187.58
USDT 1.00
SBD 2.45