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RE: Wissenschaft ist (nur) ein Werkzeug!

in #deutsch6 years ago

Vielleicht kann ich auch noch etwas zu dieser z.T. sehr hitzigen Diskussion beitragen.
Ersteinmal noch vorneweg: ich habe nicht jeden Kommentar gelesen und beziehe mich deswegen auch nicht auf einzelne Personen und Aussagen. Vielmehr will ich versuchen einen konstruktiven Beitrag zu leisten, welcher auf meinem allgemeinen Eindruck basiert. Ich bin nicht auf dem aktuellsten Wissensstand der Forschung zu den hier diskutierten Themen, noch habe ich einen blaßen Schimmer über die Beweggründe, Gedanken oder Gefühle der Beteiliten und den daraus resultierenden Textpassagen. Ich will nur meine eigene Sicht auf die Dinge teilen, vielleicht fühlt sich ja jemand dadurch in irgendeinerweise inspiriert.

Da in den Kommentaren die kleinsten Fragmente des Posts herausgepickt, analysiert und diskutiert wurden, will ich versuchen ein holistischeres Bild zu skizzieren und die grundlegende Aussage nochmal aus meiner Sicht zu beschreiben. Mich erinnert der Text sehr an grundlegende Überlegungen des Strukturalismus (vgl. Jakobsen, Foucault, Levi-Strauss, uvm.), demzufolge das Schaffenspotenzial eines Individuums durch eine Vielzahl an Parameter limitiert ist. Ein Mensch der zu Zeitpunkt X der Menschheitsgeschichte in Kultur Y geboren wird ist wohl nicht in der Lage die Gedanken eines Menschen 1000 Jahre später zu haben, da die Struktur seiner Lebenswelt dies (noch) nicht ermöglicht. Demzufolge kann ein heute lebender Mensch nicht beurteilen ob ein 1000 Jahre später lebender Mensch ein heute noch wissenschaftlich anerkanntes Modell immernoch anerkennen würde. Eine rein objektive Wissenschaft gäbe es demzufolge nicht.

Diese epistemiologische Behauptung deckt sich darüber hinaus mit der Erkenntniskritik von Kant, derzufolge sich die Wissenschaft nur auf die durch unsere Sinne erfahrbaren Information gründen kann und eben nicht die "Dinge, wie sie wirklich sind", zum Gegenstand hat:

„Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müßte, so sehe ich nicht ein, wie man a priori von ihr etwas wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als Objekt der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese Möglichkeit ganz wohl vorstellen.“

  • Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft (1781).

Ich habe den Eindruck, dass dem Autor die Betonung dieser Beschränktheit der Wissenschaft wichtig ist und er deswegen Wissenschaft als Werkzeug betrachten will, welches zwar bei einigen Bauarbeiten hilfreich sein kann, aber eben noch nicht ein Multifunktionsgerät ist, welches in der Lage ist jedes erdenkliche Bauvorhaben allein zu bewältigen. (Ich hoffe ihr versteht was ich meine :D).

Ich denke, dass diese Betonung der Unvollstädnigkeit und Veränderlichkeit aber eben auch die Basis einer guten Wissenschaft bildet. Nur stellt sich dann eine praktische Frage: "Wie soll man vorgehen, wenn man von vornherein eh schon weiß, dass das was man zu begreifen versucht nie endgültig begreifbar ist?". Man lässt es entweder komplett sein oder man geht den Schritt und folgt dem Prinzip, dass eine Erkenntnis auch "true enough" sein kann. Genau diesen Schritt geht die Wissenschaft. Eine Theorie beschreibt einen Zusammenhang verschiedener Variablen nie vollständig. Es gibt immer einen Fehler den man hinnehmen muss (Existenzaxiom). Jedoch ergibt sich der Wert einer Theorie vielmehr daraus welche Fülle an Vorhersagen sie zulässt, wie sehr sie uns hilft die Mechanismen des Lebens besser zu verstehen. Kein Wissenschaftler glaubt, dass ein Atom zu 100% dem bohrschen Modell gleicht, jedoch lässt dieses Modell unglaublich viele akurate Vorhersagen über unsere Welt, wie wir sie verstehen, zu und bildet somit die Basis für einen riesen Berg an Wissen.

Wissenschaft ist nur eine Methode, welche meines Erachtens sehr sinnvollen Gütekriterien folgt (z.B. zwingende Falsiziebarkeit, Operationalisierbarkeit und Kritisierbarkeit von Theorien). Hierzu hat @egotheist auch ein paar sehr gute, einschlägige Zeilen geschrieben. Dass diese Methode jedoch auch missbraucht werden kann, bzw. ersteinmal verstanden werden muss, liegt wohl eher am Menschen selbst als an der Wissenschaft. Wie ein Kind ersteinmal sprechen lernen muss um sich adäquat zu verständigen, so sollte sich auch ein Erwachsener erst mit der wissenschaftlichen Methode vertraut machen, bevor er sie benutzen will. Ich hoffe, dass meine Sichtweise dem ein oder anderen etwas gebracht hat.

Lasst uns lieber einander auf unseren Wegen helfen, als die Augen zu verschließen und aneinander vorbei zu reden.

greets,
geronimo

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Yay! Er hat's geschafft!
Sehr genialer erster Beitrag zur Blockchain! ;)

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