Aber sicher nicht Vol. 1.1

in #deutsch7 years ago (edited)

Ich blieb direkt hinter meiner Wohnungstür stehen und lauschte nach draußen.

Ich hörte Stimmen vom Stiegenhaus, da ist jemand. Ich spürte die Angst in mir hochklettern. Sie kroch über meinen Rücken direkt ins Gehirn. Wie eine gefräßige Spinne auf Beutejagd. Was ist, wenn sie mich holen? Was ist, wenn sie an meine Wohnungstür klopfen, ich die Tür öffne und sie mich raus zerren. Wer sind die? Ich stelle mich tot. Ich stelle mich tot und bin still. Ich halte die Luft an und bewege mich kein Stück. Festgefroren warte ich.

Durch den Spion kann ich sie gut beobachten.

Sie kommen näher. Drei Männer kommen in meine Richtung und bleiben vor meiner Tür stehen. Ich erstarre, bin wie gelähmt. Sie klopfen an der Tür, aber es ist nicht meine Tür. Es ist die Tür meines Nachbarn direkt gegenüber. Dann verschwinden sie hinter dieser Tür und es ist wieder still.

Ich atme auf, kurz und blicke zum Fenster. Wer ist da draußen? Was ist, wenn sie mich durch die Fenster beobachten? Wissen die, dass ich da bin. Haben sie mich bemerkt? Durch das Milchglas sehe ich nur weiße Lichtspiele durchscheinen. Ich kann niemanden erkennen da draußen. Nur bewegte Schatten. Angst, irrational und unverständlich. Warum bin ich von ihr besessen? Was stimmt nicht mit mir? Meine Hände schwitzen, ich brauche Stille.

Zwangshandlungen und Gedanken sind mein Tagesgeschäft.

Sie sind meine ständigen Begleiter. Wie Bodyguards verfolgen sie mich, nur eben nicht zu meinem Schutz. Sie sind das Damoklesschwert, das über mir schwebt, mir überall auflauert und auf mich herunterzufallen und mich aufzuspießen droht. Ich bin angespannt und atme schwer. Mein Brustkorb ist zusammengeschnürt zu einem engen Mieder und mein Magen ist kleingeredet. Mein Selbstwertgefühl gleicht einer Sondermülldeponie mit radioaktiven Abfällen. Von Selbstvertrauen fehlt jede Spur.

Selbstvertrauen?

Was ist das? Kann ich mir selbst vertrauen? Ich sehe furchtbare Dinge, überall, immer. Was ist real, was ist Einbildung. Meine Wahrnehmung täuscht mich ständig. Sie lügt und betrügt mich. Ich bin ausgeräumt wie eine delogierte Wohnung samt deportierter Bewohner. Die Angst blockiert meine Synapsen. Ich fühle mich nicht mehr imstande, logische Gedankenstrukturen aufzubauen und zuzulassen. Alles ist irrational und schwachsinnig schwammig formuliert. Ich bin dumm, die Angst macht mich dumm.

Meine einzige Rettung heißt Valium.

Es rettet mein Leben, es ist immer für mich da. Eine Handvoll Pillen zum Abendessen und die Ruhe lässt nicht lange auf sich warten. Meine Glieder werden gummiweich wie Gummibären und endlich kommt die erleichternde Entspannung. Ich schlurfe schwerfällig, wie in Watte gepackt und in eine Trance eingehüllt mit schweren Gliedern zu meinem Bett und falle auf die Matratze. Wie ein Stein liege ich dort und bewege mich nicht. Auch in mir bewegt sich nichts. Es herrscht vollkommene Stille. Regungslos daliegend höre ich meine Atmung arbeiten, monoton und beruhigend gleichmäßig langsam.

Es dauert nicht lange und der Schlaf zieht mir von hinten eins drüber.

Stand-by. Ich schlafe. Die Träume sind mit Benzodiazepin bizarr. Die Ironie und das Paradoxe daran, wenn ich Tranquilizer einwerfe, habe ich meisten sonderbare Albträume. Heftige Albträume und Schmerzalbträume. Ich träume immer wiederkehrende Erlebnisse. In den Träumen gehöre ich der Folter und der anschließenden Exekution. Ich träume von meiner eigenen Schlachtung als abgestochenes Schlachtvieh. Ich träume von Dämonen. Sie verfolgen mich und zerfetzen meinen Körper und fressen mein Fleisch.

Es sind sonderbare Träume.

In den Träumen sterbe ich nämlich nie. Ich kann mir dabei zusehen, wie sie mich fressen, schlachten, erschießen. Aber ich sterbe nie. Mich wecken nur die Schmerzen. Sie fühlen sich so verdammt real an. Die Schmerzen. Wenn ein Messer sich von hinten in deinen Rücken bohrt, tief ins Fleisch, dann spürst du das heftig. Oder dir ein Arm ausgerissen wird. Diese Schmerzen bringen dich im Schlaf zum Schwitzen. Schweißgebadet wachst du auf, wie nach einem Fiebertraum. Trotz alle dem sind mir die Valiumhorroralbträume lieber, als die ständige Angst im wachen Zustand, ohne die Pillen. Der Traum ist nicht real, das kann mir nichts. So viel ist sicher und so viel weiß ich. Und an die körperlichen Schmerzen in der Traumwelt wirst du dich gewöhnen.

Die permanente Körperspannung im Wachzustand,

den ganzen Tag lang, das zermürbt dich und lässt dich ausbrennen wie eine Wunderkerze. Du verglühst innerlich. Du bist ein Sportwagen, der ständig im roten Bereich gequält wird. Irgendwann holst du dir einen verfickten Motorschaden. Einen Dachschaden. Einen Gehirnschaden. Okay, den Gehirnschaden habe ich bereits. Sonst wäre ich kein Psycho. Egal. Wie wäre mein Leben ohne diesen Scheiß? Entspannung und Frieden finden. Einfach so. Sich in die Sonne legen, Arme und Beine ausstrecken und chillen. Keine Paranoia, keine Angst? Freude und Frieden fühlen. Sich mit Freunden treffen, eine Frau küssen, die Liebe spüren, Schönheit, erfahren. Einfach nur glücklich sein. Zufriedenheit. Mr. Benzodiazepam, ich liebe dich! Du bist die einzige Konstante in meinem Leben, das Licht in der Dunkelheit. Danke, dass es dich gibt. Obwohl mir die Tablettenabhängigkeit immer mehr Sorgen bereitet. Wie sollte ich jemals, wieder ohne diese scheiß Wunderpillen auskommen? Sie sedieren meine Seelenwelt beinahe wie Opium und überlagern meine Leiden korrigierend.

Klar werde ich vom vielen Pillenschlucken

nicht gerade intellektueller im Ausdruck und in meiner Auffassungsgabe. Doch den Schnaps habe ich versucht. Zu brutal. Zu derb, zu rabiat. Eins zu null für die Downers. Benzos fahren ein sauberes Programm, nicht wie der dreckige Fusel und unterdrücken außerdem die Angst besser. Auf das Gehirn wirkt sich beides beschissen aus. Der Schnaps friss dir die Zellen aus dem Kopf und die Benzos lösen deinen Verstand auf, nur eben anders. Das Endergebnis ist die gleiche Gleichung, die schlussendlich vermutlich aufs selbe rausläuft. Die Zersetzung des Selbst.

Eigentlich kann mir das scheißegal sein.

Mein Selbst ist schon zersetzt. Da kann ich nur drüber lachen. Zersplittert in tausend Scherben wie ein von der Wand gefallener Spiegel. Zerbrochen! Ich sterbe langsam und schleichend einen geistigen Tod. Einen psychischen Tod. Der Tanz mit dem Teufelskreis. Die Angst zersetzt mein Sein und die chemischen Rettungsfallschirme der Pharmaindustrie kaufen mir ein bisschen Frieden. Eine Handvoll Ruhe und Geborgenheit. In Wahrheit aber schnüren sie mich ab, sie begraben meine Gedanken und machen mich taub.

ENDE


Aber sicher nicht - Erster Teil https://steemit.com/deutsch/@artpoet/aber-sicher-nicht



Bild1
Bild2
Bild3

Sort:  

😮 Huch..., das war jetzt mal wieder richtig anstrengend, trotzdem suuuper. Ich brauche jetzt erst mal eine kleine Pause, um meine Gedanken wieder zu sortieren.

🚫 In Rücksicht auf mögliche Leser mit instabiler Psyche könntest Du ja zu Beginn einen allseits bekannten Warnhinweis dem Text voraus schicken.

Wahnsinnige Grüsse an Dich.

Grins* gute Idee! Ein Warnhinweis...,


Irre Grüße zurück!

Wie sieht es aus mit Rotwein? Davon kann man mehr trinken als von Schnaps, außerdem ist er lecker. Im Carnuntum bei Dir um die Ecke gibt es Hammerzeug. Das geht auch nicht so auf's Hirn. Wobei da bei Dir, was die Rationierung angeht, noch massig Platz nach oben sein muss, denn noch scheinst Du normal zu sein und der Kopf ganz gut zu funktionieren.

Mit Rotwein schaut's super aus. Trinke ich gern und vertrage ich auch gut. Wobei der Schnaps eine Leidenschaft von mir ist. Muss ich ganz klar sagen. Ein Guter selbst gebrannter gehört zum österreichischen Kulturgut, wie das steirische Kernöl und geht auch runter wie Öl. Weil du sagst, Carnuntum.., das ist ne feine Gegend, die haben super Weine dort und historisch gesehen, steht da noch immer einiges von den Römer rum. Also Kultur und Trinken. War einmal mit dem Fahrrad dort. Zu meinem Gehirn. Noch funktioniert es ausgezeichnet. Weißt eh, wie das ist, Dienst ist Dienst und Schnaps, Schnaps und Geschichten sind Geschichten.

Sollte ich es organisieren können, das Kind in den Osterferien zu verkaufen, werde ich mit meinem Schatzi meine Vaterstadt Wien besuchen. Ich glaube, ich komme bei der Gelegenheit mal bei dir klingeln :-D

grins* das Kind in den Osterferien verkaufen..., schön gesagt! Wenn ich zu Ostern in Wien bin, dann klingel einfach bei mir an der Tür :D

So machen wir das :)

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