Tagebuch von Prof. Dr. Rüdiger von Lieberstein. Advent anno 2016.

in #deutsch8 years ago (edited)

Tagebuch, erstes Mal geöffnet, fünfter Dezember Zwanzigsechzehn, RvL [2]
Da schreib ich dich schon so lange, liebes Tagebuch und immer wieder ist es die reine Freude, eine nagelneue Kladde aufzuschlagen, sie anzufassen, hinein sinnen um dabei in mich selbst zu horchen. Bevor wir Beiden am Ende noch ganz sentimental werden, muss ich dir, mein neues Papier, auch schon gleich was einschreiben. RvL
Dieses Tagebuch Nr 55 widme ich Lisa meiner treuen, verstorbenen Hündin.

05.12.2016

Ach, Bruchköbel

Das Zwergenreich Dawillichleben, unter deinen Kellern, entdeckt im November 2003. Von mir. Keine Frage, dass ich meinen König und seine Dynastie seitdem nie aus den Augen verloren habe. Da bin ich der GGG sehr dankbar, dass sie diese Enklave der Anthropologie so gut mit Mitteln versorgt. Mein sehr geschätzter Freund und Kollege Prof. Dr. Dankowart Dicks hat noch heute, nach zwanzig Jahren der ergebensten Forschung, seinen ersten brasilianischen Wald–Ameisenstaat quietsch–lebendig im Labor stehen. Das ist nicht nur für jeden experimentellen Zoologen ein Meilenstein der akademischen Existenz. Die Fachwelt berichtet mit Zungenschlag über meine epochalen Entdeckungen. Dawillichleben. Herz des Waldes. Doch die Herrschaften in Dawillichleben beginnen schon nach einem lächerlichen Dutzend Jahren, zu maulen. Man sei des Zwergenstaates überdrüssig. Ich solle jetzt endlich was tun. Herrjemineh, Zwerge sollen irre Geschichten veranstalten, der Rammbolz, untergeschlupft auf einer Justizposition, der andere, Gottesmann in eigener Sache Rächstolz, und natürlich der Zwergenkönig, der König als Advokat auf einem Magistratssessel, schlimme Rabauken, keine Frage – kurz – der Bürgermeister mag die Zwerge nicht mehr leiden und ich möchte bitte meine Versuchsanordnung entfernen. RvL

Am Abend, gleicher Tag

Fein, was soll ich berichten?

Nur Wasser – kein Wein. Selbst der Laie versteht, wie sie sind, wo sie herkommen und was sie tun. Gold, Kristall, Silber und Edelstein heißt ihre Leidenschaft, der Berg ist ihr Himmel. Ihr wolltet das doch Alles haben. Sofort und gleich. Als ich sagte, dass es keine einfache Sache sei. Sie sind sehr eigen und man müsse sich auf eine rauhe Gangart einstellen, wenn man sie unkontrolliert migrieren lässt. Mehr konnte ich nicht sagen. Kommen sie nach oben, leben Zwerge, wie sie sind. Rauhe Welt, herzliche Sitten. Niemand hat gesagt, dass man den König gleich zum Bürgermeister machen soll. War nicht in der Versuchsanordnung vorgesehen. Ungebührliche Einmischung von Seiten der Bevölkerung. Lässt man sie in die Verwaltung ein, tut jeder, was möglich ist. „Ja, Herr Professor, nein keine Gewerbesteuer, bitte so kommen sie doch gleich und beehren sie unseren Ort mit Ihrem Institut!“ und in dem einen Ton weiter. Muss ich noch mehr aus dem Nähkästchen plaudern? Jetzt jaulen sie, liebes Tagebuch. RvL

07.12.2016

Nicht urteilen

Man darf sie nicht ungerecht beurteilen. Als ihr Entdecker, bin ich dem Erhalt und Auskommen des Zwergenreiches verpflichtet. Es ist schließlich auch mein Reich. Ist doch klar, dass der Zwergenstaat heruntergekommen war. Jahrhunderte unter einem Sumfgebiet gelegen, haben sie den Köhlern jedes Gramm abgekauft. So sehr die Zwerge auch das Wasser beherrschen, die Erze gewinnen sie auf die gleiche Weise, wie wir. Da kamen die Preziosen aus dem Thüriger Reich. Noch heute kann man ihre uralten Pfade laufen. Von Frankfurt, über die Rhön um den Rennsteig herum fahren nur Autos. Unter Bruchköbel ist lange nichts mehr zu schürfen, schlagen oder sammeln. Daher lebte das Königreich auch eher dürftig am Tropf der reichen Verwandtschaft.

08.12.2016
Ich bin ein wenig beunruhigt, liebes Tagebuch. Heute habe ich Assessor Brodem von Frickelstein im Institut getroffen, Er zog sich durch den Gang, als würden bei ihm auf dem Buckel zehn Zwerge wohnen. Kurz vor dem Hörsaal hat erhatte ich ihn auf gleicher Höhe, da hat er mich beunruhigende Sachen gefragt. Ob unser Institut dem Land Hessen gehören würde oder ob es wirklich vollkommen privat sei. Ob er die Verträge nit dem Land einmal begutachten dürfe, denn er sorge sich um seine Zukunft. Sollte ich jemals noch dröge Assessoren in ihrer Laufbahnplanung beraten wollen, Himmel hilf. Das ständige Schniefen seiner vom trockenen Büroschnupfen geröteten Nase, das Rascheln mit seinem pfurztrockenen Taschentuch, kaum zu ertragen. Liebes Tagebuch, Dir kann ich es getrost anvertrauen: Oh GGG, befreie mich von solchem Übel.

09.12.2016

Ja, wo war ich? Dawillichleben! Bruchköbel! Das Pack. Die Raffer. Die immer Unsatten Nörgler und Nöler. Darum ging es in meinem vorletzten Eintrag. Es ging um all diese fette inkonsequente Bürgersoße. Die knöpfe ich mir noch vor. Wissenschaft ist das einzige, was Vorrang hat. All jene, die ständig am Nörgeln sind, weil irgend ein jämmerlicher kleiner Plan, eine Unwichtigkeit, eine sabbernde Obsession oder eine triefende Liebschaft in die Hosen gegangen ist. Meine Güte, wie kann man nur so oberflächlich leben? Diese Bürger sollte man komplett gegen Zwerge austauschen, dann hätte ich meine Ruhe in meinem Ameisenstaat Bruchköbel – Hessen – Deutschland. Oh mein Gott, wie klingt das grob! Sie haben es aber nicht anders verdient. Diese, Frau. Diese Politikerin. Einer Stute gleich wiehrte sie durch das Konferenzzimmer ich möge endlich für Ruhe sorgen, ihre Wähler seien beunruhigt. Die gleiche Frau, die sich noch vor ein paar Monaten beschwerte, nicht zum Institutsball eingeladen geworden zu sein. „Ich möge doch bitte verstehen und die Zwerge sind ja liebe Wesen,aber…“. Der Bürgermeister! der beinahe meine Schuje ableckte, als wir für das Institut eine Außenstelle dort im Lohfeld errichtet haben. „Bitte, wann ist Spatenstich?“, war das Einzige, was diese Schnapsdrossel von mir wissen wollte. Ein halbes Jahr lang ging das so. „Bitte, wann ist Spatenstich?“ Das ging schon so weit, dass ich nicht mehr essen konnte, als die Kellnerin meinte: „So und dann kommt der Bratenfisch.“

Mir ist es bei meinen Zwergen natürlich aufgefallen, studiere ich die Rasselbande doch schon in der zweiten Dekade: Sie setzen sich durch. Dabei ist es ihnen vollkommen egal, ob man sie beschimpft oder bejubelt. Der Zwerg an sich, betrachtet es bereits als vollkommene soziale Befriedigung, wenn er von den Menschen überhaupt wahrgenommen wird. Wahrgenommen werden, das ist als hätte jemand „ich liebe dich“ zum Zwerg gesagt. Sie werden es nie kapieren, diese Holzköpfe in Bruchköbel, dass man einen Zwergen am Besten fern bleibt. Ignorieren! Sie kapieren es nie, diese raffgiergen, Kurzhälse. Der Zwerg würde, mit Verlaub, selbst Einen fahren lassen – Hauptsache der Mensch reagiert. Insofern täte der Bruchköbeler Bürger gut daran, alle Vorkommnisse während seiner Zwergen-Antizipation, einige Potenzen höher und freundlicher einzuordnen. Die Form der Kommunikation ist dem Zwergen naturgemäß einerlei. Mal sprechen sie durch den Kristall, mal durch Stein. Wie sollen sie dabei auf auf ein Terrain syntaktischer Höhenflüge geraten? Unvorstellbar. Es geht sdem Zwergen einzig um die Intensität der Wahrnehmung. Da wird nicht differenziert bei Inhalten. Seine Syntax ist grobschlächtig aber zielführend. So kommt man nicht umhin festzustellen, dass der Zwerg mit seinem Staat sehr erfolgreich die politische Szene von Bruchköbel gerockt hat und das alleweil ratlose Gesicht ist sogar Synonym für Dawillichlebens Parlament der abgelaufenen Legislaturperiode geworden. Gab es eine Partei, die noch öfter in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, als die Partei des Zwergenkönigs? Nicht wirklich. Ich lege mich schlafen, liebes Tagebuch und hätte Dir doch noch so viel mitzuteilen.


1 Germanische Gnomiker Gesellschaft
[2] Rüdiger von Lieberstein, der adelige Hund (Janosch)


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