"Wie zahlreich sind doch die Dinge, deren ich nicht bedarf!" - Ein Überblick über das Leben und die Philosophie des Sokrates

in #de-stem7 years ago (edited)

Sokrates, der "Verderber der Jugend"

German only.

Einführung

Sokrates ist so ziemlich den meisten bekannt und gilt für viele als der Prototyp eines Philosophen. Doch wie sah sein Leben aus, in welchem Kontext ist seine Philosophie entstanden und vor allem, was genau hat er getan? Dieser Text hat den Anspruch KEIN trockener wissenschaftlicher Artikel zu sein. Ich habe ihn geschrieben um den geneigten Leser auf hoffentlich halbwegs amüsante Art und Weise einen Einblick in das Leben und die Philosophie eines der Urväter eben derselben zu geben. Ziel und Priorität ist vor allem Eins: Hunger nach mehr Weisheit. Meine Herangehensweise ist nicht wissenschaftlich und versucht lediglich ein grobes Bild zu erschaffen, dass den Leser motivieren soll mal auf eigene Faust Platon im Original (oder auf deutsch/englisch) zu lesen. Falls das den Kriterien für de-stem nicht entspricht, reicht ein kurzer Kommentar und ich entferne den "tag".

IMG_0240.JPG
Foto ist von mir aufgenommen und dient der Dekoration (aufgenommen auf einer Überfahrt von Spanien nach Marokko)

Kurzer Einblick in das Leben des Sokrates

Sokrates, den die meisten kennen durch die Aussage "Ich weiß, dass ich nichts weiß.", kennen, wurde etwa 470 vor Christus in Athen geboren.
Die Perser und Griechen schlugen sich damals noch die Köpfe ein, doch die hellenischen Stadtstaaten hatten durch Glück und Geschick ein siegreiches Ende in Aussicht.
Als Sohn eines Steinmetzes erlernte auch er das Handwerk seines Vaters. Die Mutter war Hebamme und einige Zeit später verstand sich Sokrates auch als eine Art Geburtshelfer.
Er heiratete und hatte drei Söhne.
Seine Frau, Xanthippe ist als streitsüchtiges unzufriedenes, ja sogar bösartiges Weib in die Geschichte eingegangen. Damit hat man ihr vermutlich ganz schön unrecht getan, denn Sokrates war nicht gerade der ideale Ehemann und Vater. Er kümmerte sich nicht bzw. kaum um seine Familie, seine Frau hatte für den Lebensunterhalt zu sorgen.
Er achtete nicht auf seine Kleidung, lief barfuß und ja eigentlich ziemlich ungepflegt herum. Zudem galt er als äußerst hässlicher Mensch. Klein, mit dicken Bauch und kahlem Kopf versehen, sein Gesicht mit einer Knollennase und Glubschaugen dekorierte, mag es wunderlich erscheinen, dass er trotzdem ein ausgesprochen beliebter Lehrer von der aristokratischen Jugend der Athener wurde.
Er verbrachte sein ganzes Leben, wenn man von den Feldzügen, denen er als Infanterist beiwohnte, mal absieht.
Der Spruch, den ich als Überschrift gewählt habe entsprang häufig seinen Lippen, wenn er über den Marktplatz ging und all die Waren betrachtete. Damals wie heute ist: "Wie zahlreich sind doch die Dinge, deren ich nicht bedarf" - allgemeingültige Wahrheit würde ich sagen.
Sokrates ist den Meisten von euch sicher als Philosoph bekannt, doch er war mehr als das. Der Mann hatte neudeutsch gesprochen: Balls of Steel. Sehr bewunderswert. Er hatte das Talent genau das zu machen, was Menschen nicht unbedingt in dem damals gegenwärtigen Moment für das Richtige empfanden und doch das Richtige war.
So sprang er seinem Freund Alkibiades einmal in der Schlacht zuhilfe und auch einen anderen recht berühmten Historiker names Xenophon rette er in der Schlacht zu Hilfe. Das kann man sich ungefähr so vorstellen, dass es klüger gewesen wäre nicht die eigenen Linien zu verlassen um einen Freund inmitten von Feinden zu retten. So etwas kennt man nur aus Filmen und von Sokrates. Hierfür wurde er gerühmt ( Im Nachhinein). Es ist eine Sache einem Freund in der Schlacht gegen Freunde zur Hilfe zu eilen, doch wie sieht's damit aus, wenn man Menschen kaum kennt und der Konformitätsdruck auf einen mit ungestümer Gewalt wirkt?
So trug es sich zu, dass Sokrates zum Prytanen gelost wurde. (Es gab in Athen eine turnusartige "Wahl", eher ein Losverfahren, dass die Prytanen (so eine Art Regierungsrat; es gab mehrere).
In seine Amtszeit fiel eine Seeschlacht, der Athener gegen die Spartaner bei den Arginusen (406. v. Chr.). Etwa 4000 Athener ertranken und man warf den heimgekehrten Kapitänen vor, zu wenig für die Schiffbrüchigen getan zu haben. Die Anklage und dem Plebs fiel es leicht die Männer zum Tode zu verurteilen. Sokrates war damals der einzige, der es wagte, sich dem Urteil zu widersetzen, doch er wurde niedergeschrien.

Sokrates und sein Ruf als Weiser

Sokrates hatte sich einen Ruf als Weiser erarbeitet, weil er eine Art Lehrtätigkeit ausführte, indem er auf dem Markt und in den Straßen, die Leute ansprach und mit ihnen diskutierte. Er war bekannt dafür hartnäckig Fragen zu stellen und seine Diskussionspartner soweit in die Enge zu treiben, dass sie sich schließlich ihres eigenen Unwissens bewusst wurden. Denn sie merkten dann zumeist, dass sie das, was sie zu wissen glaubten, gar nicht mit Gründen untermauern konnten bzw. Sie merkten, dass sie das, was Sie zu wissen glaubten auf Grundannahmen aufgebaut hatten, die sie gar nicht beweisen konnten.
Pythia, die Priesterin des Orakels von Delphoi soll sogar gesagt haben: "An Weisheit nimmt es niemand auf mit Sokrates"(Diogenes Laertius).
Statt dies aber einfach so hinzunehmen, ging Sokrates einen anderen Weg: Er versuchte diese Aussage nicht dauernd zu bestätigen sondern er versuchte sie zu widerlegen. Es gelang ihm Zeit seines Lebens nicht, jemanden zu finden.
Er war der Meinung, dass nur diejenigen, die ihre Ausweglosigkeit, genannt Aporie einsähen, bereit dazu waren sich auf die Suche nach Weisheit zu mache und kritisch nachzudenken. Da scheiterten allerdings die Meisten bereits. (persönliche Anmerkung: Ist heute auch noch so: auch und gerade in wissenschaftlichen Kreisen)

Die Lehre und Weisheiten des Sokrates

Oft wurde ihm vorgeworfen, dass er immer nur fragte und selbst keine Stellung nahm, geschweige denn Problemlösungen zur Verfügung stellte. Das ließ er nicht gelten.

Der Grundpfeiler seiner Lehre war: "Ich weiß, dass ich nichts weiß." Dies wird alternativ und weniger häufig mit "Ich weiß, dass ich nicht weiß" übersetzt. Eine passendere Übersetzung, wie ich finde, denn dass macht einen kleinen aber feinen Unterschied. Er wusste, was er nicht wissen konnte, doch innerhalb der Denkgebäude war er durchaus mit Wissen ausgestattet, so dass er nicht Nichts wusste sondern eben wusste, dass es Dinge gab, die er nicht wissen konnte.
Er sah somit deutlicher als alle seine dokumentierten Zeitgenossen die Grenzen seiner eigenen Möglichkeiten.
So sah er sich als eine Art Geburtshelfer für Erkenntnisse, doch nicht als der Schöpfer, als Erzeuger von neuen Erkenntnissen. Er beförderte nur das Wissen, was bereits in den Menschen schlummerte, ans Tageslicht.
Er widersprach dem Ansinnen der Philosophie, das Sie uns sagen könne, was wir tun sollen. ( Wie es die von Sokrates abwertend Sophisten genannten Lehrer (Pseudo-Philosophen) taten.
"Erkenne dich selbst" war für Sokrates die Grundmaxime, wie sie auch als Inschrift über dem Eingangstor des Apolllontempels in Delphoi zu finden war. Und die Methode um zur Selbsterkenntnis zu gelangen war für Sokrates die Vernunft (Logos)

"Werde, der Du bist!"

Sokrates wollte nicht belehren, sondern erziehen. Jeder Mensch muss für ihn selbständig zur Erkenntnis kommen. Ein jeder muss für sich alleine die Last und Lust der Wahrheitsfindung übernehmen. Man kann es nicht von jemand anderem übernehmen, geschweige denn erledigen lassen. Ebenso ist es unmöglich die Frage "Was soll ich tun?" für jemand anderen als sich selbst zu beantworten. Das einzige, was eben möglich ist, ist eine Art "Geburtshelfer" für andere Wahrheitssuchende zu sein.
Keine Religion, kein Staat, keine Gemeinschaft kann das Denken oder moralische Entscheidungen für das Individuum treffen.

"Jeder muss seinen eigenen Weg finden durch Selbsterkenntnis und das Ausloten seiner Fähigkeiten und Grenzen. Die Fähigkeit, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, liegt in unserer Vernunft. Das Ziel ist ein Leben in Übereinstimmung mit sich selbst, nach Wahrheit strebend, gesetzestreu und zuverlässig. "Werde, der DU bist."

Horst Poller ( Die Philosophen und ihre Kerngedanken )

Der Mensch als Mittelpunkt der Betrachtung

Sokrates war nicht allzu sehr an den Fragen interessiert, die die Naturphilosophen (zum Beispiel Thales) beantworten wollten. Aus was das Universum entstand, wie es aufgebaut war und alles andere war für ihn nur randläufig interessant.
Sokrates war es eher daran gelegen allgemeine Begriffe klar zu definieren. ( Gerechtigkeit, das Gute, Weisheit)
Er glaubte daran, dass die Menschen diese Begriffe aus sich mit selbständigen Denken herausentwickeln konnten.

Das Gute

Für Sokrates gab es keine bösen Menschen oder Menschen die freiwillig Böses taten. Vielmehr war für ihn das Übel Unwissenheit bzw. Unwissenheit der eigenen Unwissenheit, die Menschen dazu trieb "Böses" zu tun. Er ging von der Grundannahme aus, das die sittliche Natur, in einem jeden Menschen verankert ist und auch in gleicher weise lebendig ist. (bei manchem unbewusst.

Tugend

"Unrecht zu leiden ist besser als Unrecht zu tun"

Tugendhaft bedeutete für Sokrates nach den Begriffen zu handeln die man klar erkannt und für sich definiert hat. Also sich selbst treu zu bleiben, wenn man für sich weiß, was Begriffe wie Gerechtigkeit Besonnenheit Güte und Tapferkeit für einen selbst bedeuten.
Per Definiton steht jedwedes (richtige) Denken für Sokrates im Einklang mit der göttlichen Weltvernunft. Daraus folgt, dass jede Handlung, die dem Denken entspringt sittlich und gut ist.

Glück

Glück ist ein Zustand, den der tugendhafte (also sich selbst treue Mensch) jederzeit innerlich wie äußerlich innehat. Dies ist nach Sokrates nur dann möglich, wenn man ein gute Leben führt.
Das Ziel alles irdischen Lebens, die Glückseligkeit, kann nur durch Wissen und Tugend erreicht werden.
Ein Mensch ist dann unglücklich, wenn er gegen seine eigenen Überzeugungen handelt.

Sokrates und sein Dämonion

Sokrates konnte es zwar nie beweisen (was ihm klar war), dennoch war er sich sicher, dass man kein Unrecht tun darf. Er ist sogar so davon überzeugt, dass dafür gar kein Beweis nötig sei.
Er beruft sich auf seinen Dämonion in ihm, was wörtlich etwa "das Göttliche" bedeutet.
Der Dämonion war für ihn eine Art innere Stimme, die ihn davor warnte, unrechte Dinge zu tun.
Nachdem er sie für sich entdeckte, hörte er stets auf diese Stimme.
Ein tragisches Beispiel: Seine Freunde wollten ihm zur Flucht verhelfen, nachdem er zum Tode durch den Schierlingsbecher verurteilt wurde. Grund der Anklage, war es, dass man ihm vorwarf die Sitten zu verderben und Recht und Unrecht zu verdrehen. Er wurde als Götterleugner und Verführer(Verderber) der Jugend angeprangert.
In seiner Apologie, die gar keine Entschuldigung für sich, sondern für die Ankläger war verteidigte er nicht sich selbst, sondern die Ankläger wegen ihres Irrtums. Er bat nicht um Gnade sondern schlug vor, dass das Urteil insofern abgeändert werden solle, dass er freie Verpflegung auf Lebenszeit bekommen solle sowie eine eigene Statur auf dem Marktplatz. Selbst im Angesicht des Todes ermahnte er alle nach der Wahrheit zu forschen und sich einer gehörigen Selbstprüfung zu unterziehen. Da er aber im Laufe seines Lebens einer Menge Leute mit seiner lästigen Fragerei auf den Schlips getreten war (meist, weil er sie in ihrer Unwissenheit bloßstellte) war das Urteil eigentlich bereits vorher gefällt worden. Seine provozierende voller Selbstbewusstsein und Ironie vorgetragene Rede tat dann ihr übriges. Wie dem auch sei, er lehnte die Möglichkeit zu fliehen ab, weil dies gegen seine innere Stimme verstieß. Er blieb eben immer gesetzestreu. Denn, so sagte er: "gesetzeswidrig zu handeln, sei nichtswürdig und schändlich"
Sokrates starb und er starb für seine Überzeugungen. Für den guten Menschen, gibt es kein Übel, weder im Leben noch im Tod, denn so war er sich sicher, wir wissen doch gar nicht, was uns nach dem Tod erwartet.

Wirkung

Der Charakter des Sokrates war ein Beispiel, dem eigenen Gewissen zu folgen und im Reinen mit sich selbst zu sein. Sein Tod, so meint Karl Jaspers, hat die Idee des freien Menschen zu einer lebendigen Wirklichkeit gemacht.
Viele kennen den Namen des Sokrates und das Zitat "Ich weiß, dass ich nichts weiß". Die gesamte westliche Philosophie steht auf seinen Schultern, denen seines Schülers Platon und dessen Schüler Aristoteles. Von daher ist es ein Armutszeugnis, wenn man erfährt, dass sich kaum jemand mit dem Herrn ordentlich auseinandersetzt.

IMG_0097.JPG

Euer @bozo

Inspirationen und Orientierungshilfen für den Text:
Die Philosophen und ihre Kerngedanken - Ein geschichtlicher Überblick von Horst Poller
Kleine Weltgeschichte der Philosophie von Hans Joachim Störig
Gespräche mit meinem Vater

Sort:  

Interessanter Beitrag über das Leben und Wirken eines wichtigen Vordenkers der Antike.
Voten können wir es zwar nicht, es passt aber als ergänzende Lektüre durchaus in unseren Tag. Danke!

Soll ich den Tag rausnehmen? Edit: sorry hab nicht richtig gelesen. Ich lass den tag dann stehen.

Super Beitrag!

Aber das mit Platon im Original; also nein danke :) Ich hab schon mit Englisch meine liebe Not, da lern ich sicher nicht auch noch Koine. Und ein neues Alphabet obendrein, OMG :)

Dir hätte ich es zugetraut :)

Sokrates war ein sehr interessanter Mann; das hast du in deinem Post großartig dargestellt. Ich finde auch den lockeren Schreibstil sehr angenehm zu lesen. Philosophie muss nicht verworren formuliert sein (wie man es von Kant kennt), denn eigentlich kann jeder etwas damit anfangen.
Ich lese zur Zeit "Sophies Welt" von Jostein Gaarder. Das ist eigentlich ein Jugendbuch über die Philosophie, aber die Schreibweise ist so angenehm und locker, dass es großen Spaß macht, das Buch zu lesen und vor allem Spaß an der Philosophie weckt!

Danke für dein Feedback. Sophie's Welt steht auch bei mir im Regal. Gelesen habe ich es nie. Vielleicht gucke ich mal rein.

.reich ist der Genügsame.

Stimmt

Coin Marketplace

STEEM 0.18
TRX 0.16
JST 0.029
BTC 62261.48
ETH 2423.39
USDT 1.00
SBD 2.66