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RE: ADHS Vorurteile und Unwissen : Teil 1

in #adhs7 years ago

Ich denke auch, dass es nicht immer zu einer Störung kommen muss - je nachdem in welchem Umfeld man aufwächst und wie man gefördert wird. Finde deinen Blog ganz toll und dass du hier auf Steemit auch hilfreiche Infos vermittelst. :)

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Das Thema Evolution und ADHS fassen folgende Sätze des deutschlandweit führenden Genetikers (und auch einer der weltweit führenden Genetiker) zu ADHS Prof. Klaus-Peter Lesch von der Psychiatrie der Uniklinik Würzburg zusammen:”…Früher vermuteten die Forscher, einige wenige Gene würden ADHS auslösen; doch das trifft, wenn überhaupt, nur auf ganz wenige Familien zu. Für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung gilt: Vermutlich sind es 500 bis 1000 Gene, die einen – jeweils minimalen – Einfluss auf das Temperament und die Konzentrationsfähigkeit des Menschen haben. Diese sind mithin auch keine Krankheitsgene, vielmehr gehören sie zur natürlichen Ausstattung des Menschen. “ADHS ist ein Extrem einer Persönlichkeitsvariante, das zunächst einmal gar keinen Krankheitswert besitzt”, bestätigt auch Klaus-Peter Lesch. Diese milden Ausprägungsformen von ADHS seien in einem Fünftel der Bevölkerung vorhanden und hätten sich im Laufe der Evolution des Homo sapiens immer wieder als vorteilhaft durchgesetzt. Lesch: “Der hohe Energiepegel, der Enthusiasmus, sich mit einer Sache auseinanderzusetzen, die große Kreativität, die Fähigkeit zum Querdenken und der Gerechtigkeitssinn – all das sind Ressourcen, die für unsere Gesellschaft wichtig sind.” zu finden in dem Artikel des ADHS-Gegners Jörg Blech im Spiegel: MEDIZIN: Psychopille & Pausenbrot - DER SPIEGEL 26/2013
Der evolutive Vorteil von ADHS-Genen ist im Ausmaß abhängig von den Umweltbedingungen. So gibt es Länder, Ethnien und Kulturen, die ADHS-Gene und ADHS evolutiv begünstigen (während andere es entsprechend benachteiligen). So erklären sich auch die in Wahrheit weltweit deutlich unterschiedlichen Prävalenzen von ADHS, die macherorts wahrscheinlich ein Mehrfaches der bis zu 10% in Deutschland erreichen. Zusätzlich zum Faktor evolutive Selektion kommt dann bei den ADHS-Prävalenzen noch der Faktor geographische Isolation hinzu, so auch betrffend wahrscheinlich die Inseln bzw. Inselgruppen Island, Kreta und Japan .
Dass die Umweltbedingungen des 21. Jahrhunderts ADHS verstärkt von der Latenz in den sichtbaren Bereich rücken, versteht sich ebenfalls.
So viel zur Evolutionären Anthropologie der ADHS.
Was die Akzeptanz von ADHS erschwert, ist der sperrige Begriff aus 4 Großbuchstaben. Der Begriff “Autismus” (hier noch erwähnenswert: bis zu ca. 50% der Patienten mit Asperger sollen ebenfalls ADHS haben) z.B. ist viel weniger sperrig und flüssiger.
Es wird mitunter von ADHS-Gegnern diverser Couleur argumentiert, dass sich hinter ADHS diverse andere Psychische Störungen verbergen können und es ADHS somit quasi gar nicht gäbe. Die Wahrheit ist viel eher: Hinter FAST allen anderen Diagnosen in der Psychiatrie KANN sich ADHS als kausale oder komorbide Störung verbergen. So auch z.B. die Prognose von Russel Barkley , dem weltweit renommiertesten Wissenschaftler zu ADHS , dass sich das ADHS-Spektrum irgendwann einmal als das zentrale Thema in der Psychiatrie insgesamt herausstellen wird.

Man muss dazu noch sagen, dass bei einem Geschlechterverhältnis von in Wahrheit 1:1 und einer Persistenz von zumindest einer Restsymptomatik in in Wahrheit 100% der Fälle die Prävalenz von ADHS in Deutschland bis zu 10% der Bevölkerung beträgt.
Natürlich ist ADHS nicht Alles-oder-Nichts, sondern eine dimensionale wie auch eine kategoriale Angelegenheit, d.h. es gibt ganz leichte und ganz schwere Fälle und es gibt auch bei ca. gleichem Schweregrad Unterschiede auch in der Neurobiologie. Zudem KÖNNEN (nicht müssen) FAST alle anderen Störungen der Psychiatrie bei ADHS als Komorbidität vorkommen. Z.B. wird geschätzt, dass mehr als 1/3 der Patienten mit Schizoaffektiver Störung / Schizophrenie ebenfalls ADHS hat, bei Depression, “Burnout”, Borderline, Alkoholismus etc. ist es ähnlich.
Der angeborene Part bei den multifaktoriellen Erklärungsmodellen zur Pathogenese Psychischer Erkrankungen geht auch mehr und mehr zu den Hirnentwicklungsstörungen und ADHS ist die mit Abstand häufigste Hirnentwicklungsstörung aufgrund der evolutiven Vorteile, die ADHS-Gene bzw. mitunter auch phänotypisch manifestes ADHS haben können.

So viel zu der Frage, ab wann ADHS eine Krankheit und keine Persönlichkeitsvariante mehr ist...

Danke für das Kompliment ! Tut auf jeden Fall gut und motiviert weiter :-)

Das Outcome bei ADHS bzw. der Krankheitswert von ADHS ist dann neben dem Schweregrad auch abhängig von der Sozialisation. Und dabei kann man eben Glück haben oder aber Pech haben. Wenn jemand mit ADHS z.B. von sich aus es nicht schafft, die Fahrausbildung für den PKW-Führerschein zu absolvieren, so ist das in meinen Augen auch bei maximalem Schweregrad von ADHS zurückzuführen nicht auf ADHS, sondern auf eine sozialisationsbedingte Selbstwirksamkeitsstörung oder komorbide Angststörung oder Depression. Man muss Verständnis für ADHS-Betroffene mit "schwierigen" Biographien haben, die sich mit ADHS als behindert betrachten und die damit ihre inneren Konflikte beseitigen und sich "entlasten" im Sinne eines primären Krankheitsgewinns. Ein reines ADHS ohne Komorbiditäten ist definitiv keine Behinderung und ich bin kein Fan von Selbstverzwergung.

Da würde ich durchaus zustimmen. Oder eben noch genauer : Ich glaube, dass ADHS mit Krankheitswert fast immer mit einer dissoziativen Störung einher geht. Die lebenslangen Anpassungsversuche an die "Normalwelt" und die dadurch ausgelösten Hilflosigkeitserfahrungen machen die Krankheit aus. Nicht die ADHS-Konstitution selber.

zur ADHS-Konstitution: "...Cultural anthropologist Jay Fikes, Ph.D. , points out that members of traditional Native American hunting tribes normally behave differently from those who have traditionally been farmers. The farmers such as the Hopi and other Pueblo tribes are relatively sedate and risk-averse, he says, whereas the hunters, such as the Navajo, are "constantly scanning their environment and are more immediately sensitive to nuances. They´re also the ultimate risk takers. They and the Apaches were great raiders and warriors."...." auf das bin ich heute gestoßen, als ich nach "apaches adhd" gegoogelt habe, ist aus "ADHD and the Edison Gene" von Tom Hartmann von 2015. https://books.google.de/books?id=wmAoDwAAQBAJ&pg=PT35&lpg=PT35&dq=apaches+adhd&source=bl&ots=IaN44q3PjI&sig=zpHVZCAyXQ20IcxkObibPzLlbKE&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwji3svrw5DYAhXSFOwKHds2ADwQ6AEIeTAN#v=onepage&q=apaches%20adhd&f=false "Apache" bedeutet meines Wissens "Fremder", hatte möglicherweise, sofern meine Informationen korrekt, auch mit der Völkerwanderung dieser Ethnie aus Alaska zu tun. Wie sagt schon Prof. Andreas Reif von der Uni-Psychiatrie Frankfurt zu ADHS und Evolution: "...die dann aber auch ein Gebirge überquert haben..." Ein "Unruhe" und "Rastlosigkeit" muss nicht nur rein kulturell bedingt sein bzw. was war zuerst, die Biologie/ Gene oder die Kultur - Henne-Ei-Problem... Speziell zu den Apachen und ADHS habe ich ja nun so manches schon gehört und ich nehme Gift darauf, dass der bis heute nachhallende legendäre Ruf der Apachen im 19. Jahrhundert nicht durch Zufall entstanden ist. Diplomatie war aber leider tendenziell nicht so das Ding bei dieser unangepassten, freiheitsliebenden Ethnie im 19. Jahrhundert und "die" Apachen (es gibt wie immer solche und solche) standen am Ende des 19. Jahrhunderts kurz vor dem Genozid durch US-Amerika und Mexiko...

...Sie sollten das Thema ADHS und Evolution einmal ernsthafter thematisieren, Herr Winkler, möglicherweise kann man sich dabei jedoch ganz schnell die Finger verbrennen bei dem Thema...

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