Vierte Erfindung | Fourth inventionsteemCreated with Sketch.

in Deutsch Unplugged2 years ago (edited)

Vierte Erfindung

Immer noch ist mein Tattoo nicht fertig, ja noch nicht einmal begonnen, da Vivienne lieber viel Zeit investiert in die Planung. Sie will offenbar wirklich hinterher keine Gemecker oder Gejammer von ihren Kunden hören, und mir soll es recht sein – ich ziehe meinen Gewinn aus dem kleinen Kurs, den sie mir erteilt.

„Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ ist natürlich eine Übersetzung, fährt sie fort, aber dass sie funktioniert, dass man es im Deutschen so sagen kann, das zeigt, wie breit die sprachliche Verwendung von „ich weiß“ sein kann. Ja, das sehe ich ja auch an ihren daneben platzierten Ellipsen mit „ich zweifele nicht“ und so weiter. Nun ist für dich die Aufgabe, ob du bei „ich weiß“ bleiben willst oder ob du nicht auf längere Sicht eine andere Formulierung wählen würdest. Immerhin ist dir ja schon aufgefallen, dass hier eine Einsicht erinnert wird.

Ja, und genau das macht mir nun auch zu schaffen. Ich weiß, dass ich zähle. Sollte ich besser schreiben lassen: „Du weißt, dass du zählst“? Weil es ja nicht meiner eigenen Erinnerung angehört, nicht meine eigene Einsicht gewesen war. Oder ausgehend von Hiob: „ich glaube“ oder „ich hoffe, dass ich zähle“? Während ich an meinem Espresso nippe, wird mir klar, dass ich das zusammen damit klären muss, was ich unter „ich zähle“ verstehen kann oder will. Ob Vivienne mir dazu auch ein paar Ellipsen zeichnen kann?

Aber in dem Augenblick betritt ein Pärchen den Laden, und Vivienne lässt mich alleine sitzen. Ich schaue auf die Uhr und frage Herrn Brumm, wie lange geöffnet sein wird. Sein geknurrtes bis Mitternacht entspannt mich etwas, ich sage: bin sofort zurück – und gehe um die Ecke, um einen Gemüse-Döner zu essen. Während ich zahle und das Wechselgeld zähle, frage ich mich, ob ich nicht möglicherweise ebenfalls gezählt werde, und wenn ja, von wem eigentlich? Ein aktuelles Plakat der hiesigen kommunalen Wasserbetriebe verkündet: „Jeder Tropfen zählt!“ Ich stutze.

War das eine Einsicht, die mich gerade getroffen hat? Ich renne nach Hause. Vom vormittäglichen Regen noch ein paar Pfützen auf dem Gehsteig, elliptisch. Ich fixiere eine und lese darin: „ich hoffe“ – platsch, mit Schwung hinein! Dass die Tropfen auseinander fliegen! Die nächste: „ich glaube“ – platsch! „ich meine“ – nicht platsch, die überspringe ich im letzten Zeitbruchteil. Aber dann, wie passend – eine lang gestreckte Pfützenellipse: „ich bin überzeugt“. Platsch, platsch! Zwei Treffer. „ich zweifle nicht“: wieder ein doppeltes Platsch. Bei meiner „ich weiß“-Pfütze halte ich an. Ich verbeuge mich vor ihr und lasse sie unberührt. Sie ist ja auch so winzig, ich hätte sie fast übersehen.

Zu Hause erstelle ich schnell eine neue Vorlage für Vivienne, die alles widerspiegeln soll, was mir ihre philotherapeutische Sitzung gebracht hat. Über Details können wir ja nochmal reden, denke ich, vielleicht ob der Text zum Beispiel als Doppel-Helix mit Sprossen angeordnet werden soll. So sieht sie jetzt aus, meine Tattoo-Vorlage, und das will ich mir hinter die Ohren schreiben, egal, wo das Tattoo in die Haut geritzt werden wird:

image.png

Das Zählenwollen, also der Wunsch danach, in irgendeiner Form zu zählen, findet für mich damit sein Ende. Als ein solcher Tropfen im Ozean, der gerade nicht zählen, sondern sein Ich auflösen will, sobald sein Träger stirbt. Denn mich traf tatsächlich eine Einsicht, glaube ich. Aus dieser folgt in etwa: „Du zählst“ bedeutet im Klartext: „Wir zählen auf dich.“ Und so lange ich nicht freiwilliger Teil bin dieses Wir, lehne ich das Gezähltwerden entschieden ab von einem Ihr, von einer mir fremden Gemeinschaft; ich mache es mir nicht zu eigen, ich impfe mich nicht selbst mit einem „ich zähle“, das sich diesem pluralen Gegenüber ein- und unterordnet. Ich habe mich frei entschieden, das nicht zu wollen. Ich zähle fortan nur für ein Du.

Meine kleine „ich weiß“-Pfütze habe ich ins Herz geschlossen durch die Therapie. Sie enthält natürlich Verunreinigungen, also falsche Informationen; etwas zu wissen, bedeutet noch längst nicht, die Wahrheit zu erkennen. Aber jetzt bin ich der mit dem Tattoo, nicht mehr nur der mit dem T-Shirt. Denn jedes Ich ist eine Rolle. Vielleicht auch eine Rolle mit Unter- oder Teil-Rollen. Und meine Rolle ist, nicht zu zählen für jene, die das gerne in ihrem Sinne, nach ihren Regeln so hätten. Keine Spuren zu hinterlassen, wenn und soweit irgendwie möglich.

Mit all diesem innerlichen Gepäck zurück im Laden sah es zunächst so aus, als würde Vivienne sich schon gar nicht mehr an mich erinnern. Scherzte sie? Ich bin mir wirklich bis heute nicht sicher. Auf jeden Fall erzählte sie mir dann aber grinsend, dass sie das Pärchen rausgeschmissen habe, weil sie keine (wie sie sagte) HemiPfdus – das sind Herzchen mit Pfeilen durch (wie sie freundlicherweise erklärte) – stechen mag. So wenig wie ein Argewei (vulgo: Arschgeweih).

Meine neue Vorlage ließ sie sich ausführlich von mir erklären, gab dann zu bedenken, wie lange und teuer das werden würde und dass sie doch eher empfehle, wenige stellvertretende Symbole auszuwählen, pars pro toto, ein ehrwürdiges altes Prinzip. Wir einigten uns auf die beiden roten Zeichen, die beide je 3-mal in meinem neuen Text erscheinen und Anfang und Ende repräsentieren. Der große Vorteil ist, dass ich diese Symbole in Zukunft auch etwas anderes bedeuten lassen kann und nicht gramgebeugt zu Vivienne zurück kehren muss, um etwas ändern zu lassen. Ich zeige sie dir in einem Café, bei Gelegenheit.

PS
Danke an Max Frisch und an DHL für die Inspirationen!

PPS
Das Ich als Rolle ist nur ein Teil der Wahrheit. (Entschuldige, Max.)


Fourth invention

Still my tattoo is not finished, not even started, as Vivienne prefers to invest a lot of time in planning. She really doesn't want to hear any bitching or moaning from her clients afterwards, apparently, and I'm fine with that - I'm taking my profit from the little course she's giving me.

"I know that my Redeemer liveth" is of course a translation, she continues, but that it works, that it can be said that way in German or in English, shows how wide the linguistic use of "I know" can be. Yes, I can see that from her ellipses placed next to it with "I do not doubt" and so on. Now the task for you is whether you want to stick with "I know" or whether you would not choose a different formulation in the long run. After all, you have already noticed that an insight is being reminded here.

Yes, and that's what's bothering me now. I know that I count. Should I better have it written: "You know that you count"? Because it doesn't belong to my own memory, it wasn't my own insight. Or starting from Job: "I believe" or "I hope that I count"? As I sip my espresso, I realise that I have to clarify this together with what I can or want to understand by "I count". I wonder if Vivienne can draw me some ellipses for that.

But at that moment a couple enters the shop and Vivienne leaves me sitting alone. I look at the clock and ask Mr Hum how long it will be open. His growled until midnight relaxes me a bit, I say: be right back - and go around the corner to eat a vegetable kebab. As I pay and count the change, I wonder if I might be counted too, and if so, by whom? A current poster of the local municipal water company proclaims: "Every drop counts!" I am puzzled.

Was that an insight that just hit me? I run home. There are still a few puddles on the pavement from the morning's rain, elliptical. I fix my eyes on one and read in it: "I hope" - splash, with momentum into it! That the drops fly apart! The next one: "I think" - splash! "I mean" - not splash, I skip that one in the last fraction of time. But then, how fitting - a long stretched puddle ellipsis: "I am convinced". Splash, splash! Two hits. "I don't doubt": another double splash. I stop at my "I know" puddle. I bow to it and leave it untouched. It's so tiny, I almost missed it.

At home I quickly create a new template for Vivienne to reflect everything her philotherapy session has brought me. We can talk about details again, I think, maybe whether the text should be arranged as a double helix with rungs, for example. That's what it looks like now, my tattoo template, and I want to put that behind my ears, no matter where the tattoo will be carved into the skin:

image.png

The will to count, that is, the desire to count in any form, comes to an end for me. As such a drop in the ocean that just doesn't want to count, but dissolves its ego as soon as its bearer dies. For I was actually struck by an insight, I think. From this follows roughly: "You count" means in plain language: "We count on you." And as long as I am not a voluntary part of this "we", I resolutely reject being counted by a "you", by a community that is foreign to me; I do not make it my own, I do not inoculate myself with an "I count" that subordinates itself to this plural counterpart. I have freely decided not to want that. Henceforth I only count for a single you – „thou“, as the anchestors said.

I have taken my little "I know" puddle into my heart through the therapy. Of course, it contains impurities, i.e. false information; knowing something does not mean knowing the truth. But now I am the one with the tattoo, not just the one with the T-shirt. Because every I is a role. Perhaps also a role with sub-roles or partial roles. And my role is not to count for those who would like it to be so in their sense, according to their rules. To leave no trace, if and as far as somehow possible.

With all this internal baggage back in the shop, it looked at first as if Vivienne already didn't remember me at all. Was she joking? I'm really not sure to this day. But in any case, she then told me with a grin that she had kicked the couple out because she doesn't like (as she said) leehaweearths - which are little hearts with arrows through them (as she kindly explained). As little as a trasta (vulgo: tramp stamp).

She asked me to explain my new template in detail, then pointed out how long and expensive it would be and that she would rather recommend choosing a few representative symbols, pars pro toto, a venerable old principle. We agreed on the red ones, which both appear 3 times each in my new text and represent beginning and end. The great advantage is that I can make these symbols mean something else in the future and not have to return to Vivienne, grief-stricken, to have something changed. I'll show you in a café when I get a chance.

PS
Thanks to Max Frisch and to DHL for the inspiration!

PPS
The I as a role is only part of the truth. (Sorry, Max.)

Translated with www.DeepL.com/Translator (free version)

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 2 years ago 

Genau ,

Meine kleine „ich weiß“-Pfütze habe ich i....
die Schlüsselabsatzende , ja , höhö , das T-Shirt mit Text das #Es tragen würde muss erst noch erfunden werden , und ein Tattoo , phh , eh´ never , hihi .

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 2 years ago 

Sehr interessant oder vielleicht besser: rätselhaft, dass du diese Umstände in den Vordergrund holst und obiges Zitat abschneidest. Das Überhüpfen der "ich meine"-Pfütze war nicht der Schlüssel?

 2 years ago 

#Es meint natürlich den ganzen folgenden Absatz mit dem ZitAtieRen .

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 2 years ago (edited)

natürlich

Natürlich!
Meine Dummheit - so macht das voll Sinn.
Da steht ja auch deutlich zu lesen:

Schlüsselabsatzende

PS
Der Absatz davor gehört aber auch irgendwie dazu.
;-)

 2 years ago 

Ja , ist auch schon grossejungsmässig gefärbt die schöne wahr..dings , im vorherigen Absatz , aber die seltsamen eigentlich "falschen" Schlussfolgerungen der #GROSSENJUNGS stehen im benannten Absatz und bilden deshalb einen Schlüssel für Dich ins ähhh dings .

Vielleicht !DER ?

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 2 years ago 

Schlüssel für Dich ins ähhh dings

Nirwana? Nirgends wann anders?

 2 years ago 

#NARVINI , in´s Narvini geht´s mit dem Schlüssel .

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 2 years ago 

GLR?
Germanische Luft- und Raumfahrt?

 2 years ago 

#GANICHNETT

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 2 years ago 

Hihi.
Grinsegrins.

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 2 years ago 

Wie dem auch sei, endlich mal wieder die Nullmikressive Grossejungenskoile. Kross gegrillt. Knusper!

 2 years ago 

Is ´ne Keule ??
#KEINSPASS ??
Ahaaha ?

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 2 years ago 

Keulen können spaßig und lecker sein.

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 2 years ago 

Wir behalten die "Erfindung" im Auge, ja?
(Ich mag es nicht mal, wenn auf dem T-Shirt eine Marke steht, und Tattoos sehe ich gern, kann mich aber auf nichts dauerhaft festlegen. Vielleicht ja aber jetzt, nachdem ich mir alles nochmal überlegt habe? Und auf die Daumennägel, da wächst es wieder raus.)

 2 years ago 

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 2 years ago 

Warum habe ich nur geahnt, daß es wieder auf die Sache mit dem Spuren hinterlassen hinausläuft...? Oder besser: eben ohne...

Du zählst für mich. Das weiß ich. Lebe damit ;-))

 2 years ago 

Oh, ich wollte niemand vorschreiben, was oder wer zu zählen habe und was nicht. Und ich sagte auch nicht, dass nichts von mir geschätzt würde.
Ich wende mich eher gegen - Achtung: Galgenrätselvorschlagswort! - Ratgeberliteraturpropaganda.

 2 years ago 

Ich verbeuge mich vor keiner Pfütze, sondern vor dir.
Oder wäre ein Knicks(x) angesichts der aktuellen (?) Geschlechteridentität angemessener? Bekommst du auch, denn ...

... Alta, mit diesem Tatoo Text (ich hoffe, das Folgende fasst du nicht als Beleidigung auf) wächst du über dich hinaus!
Habe schon lange nicht mehr so guten Stoff gelesen und einer Fortsetzung (die ich eigentlich gar nicht mag) entgegengefiebert!

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