Gedichte und Fragmente #9 --- DIE WAHREN WERTE (eine Kurzgeschichte)
Die wahren Werte
Jason Hettwick, anerkannter Exekutive-Manager bei einer renommierten Firma mit einem Jahreseinkommen von rund 300.000 Dollar ist im Besitz von unzähligen Aktienanteilen. Außerdem entwickelte er eine Leidenschaft für seltene Autos, hat Frauen im Überfluss, hat Geld, ein prachtvolles Haus mit Anwesen, hat Geld, gehört zur obersten Schicht der Gesellschaft und nicht zu vergessen — er hat GELD.
Nun, so mochte man mich bis vor kurzem noch beschreiben und tut es wahrscheinlich weiterhin, aber mein Leben gelangte an einen drastischen Wendepunkt. Ein Umschwung, mit dem man nicht rechnet und von dem ich Ihnen an dieser Stelle erzählen möchte.
Geboren wurde ich unter dem Namen Jason Hardy, als Zwillingsbruder von Simon in Kings Fort, einer Kleinstadt im südlichen Teil des Staates Nevada. Zugegeben, es war keine leichte Kindheit. Mein Vater war ein einfach Arbeiter und zudem Alkoholiker, der es zu einer obligatorischen Sache machte, meine Mutter zu schlagen. Um über die Runden zu kommen, besorgte sich meine Mum einen Job in einem Supermarkt. Die Bezahlung war lausig und doch waren wir über jeden Dollar dankbar.
Jeden Tag nach der Schule gingen Simon und ich zu Tante Francine. Sie lebte in einem kleinen Haus, mehrere Blocks von unserer Wohnung entfernt mit ihrem Mann Brad, der Abteilungsleiter in einer Elektronikfirma war. Tante Francine kümmerte sich fürsorglich um uns, kochte vorzüglich und half uns bei den Schulaufgaben. Außerdem verstand sie sich auf dem Gebiet der Biologie und brachte uns somit einiges auf unseren Exkursionen durch den Wald bei.
Am Abend jeden Tages kehrten wir zurück in unser Heim und fanden häufig einen betrunkenen Vater vor, der in der einen Hand eine Flasche billigen Whiskey und in der anderen Hand einen schwarzen Ledergürtel hielt. Für gewöhnlich saß Mutter in irgendeiner Ecke der kleinen Mietwohnung und weinte bitterlich.
Kurz vor meinem 12. Geburtstag passierte dann etwas Überraschendes, das meinem Leben eine völlige Wende gab. Simon und ich hatten keine Schule und waren den ganzen Tag über bei Tante Francine gewesen. Wie üblich begleitete sie uns nach Hause, öffnete die Tür mit dem Zweitschlüssel und setzte uns ab. Dies sollte das letzte Mal sein, denn es bot sich uns ein Szenario des Grauens. Der lähmenden Starre meiner Tante folgte ängstliches Zittern und ein Blick der Erschütterung. Vater lag am Boden. Wohin man auch sah, war Blut. Meine Mutter saß in einem Fauteuil mit einer geladenen 45iger. Sie hatte ihn erschossen und war von oben bis unten mit Blut bespritzt. »Bitte verzeiht mir«, waren ihre letzten Worte, als sie sich vor unseren Augen selbst richtete. Ich sah in dieses leblose Gesicht, das mich mit einem Blick bedachte, in dem sich tiefe Trauer und gewonnene Freiheit die Waage hielten. Es kam mir vor, als ob sie ein wenig lächelte, ja, sie lächelte erleichtert, vielleicht, weil sie frei war, frei von all ihren Martyrien. Nach diesem Ende folgte nun ein neuer Anfang, der Weg ins Ungewisse.
Kurze Zeit später kam Onkel Brad mit der Mitteilung nach Hause, das er seinen Job verloren hätte. Das war auch der ausschlaggebende Grund, warum Simon und ich nicht länger bei Tante Francine leben konnten. Aufgrund des regen Interesses zweier Familien, trennte uns das Jugendamt und gab und zu verschiedenen Familien, die uns ein besseres Leben bescheren sollten.
Die Hettwicks waren eine unglaublich nette Familie und nahmen mich sofort wie ihr eigenes Kind auf. Dadurch, dass Mrs. Hettwick nicht in der Lage war, Kinder zu gebären, war ich sozusagen Einzelkind und sie ließen mich dies auch deutlich und aufs Angenehmste spüren. Ich trauerte in diesen Zeiten viel um meine toten Eltern und um meinen weit entfernt wohnenden Bruder. Es war mir einfach unbegreiflich, warum man Simon und mich trennte. Doch ich fand Halt, Geborgenheit und Zuneigung in einer Familie, die sehr wohlhabend war und mir alle Türen offen hielt.
Man schickte mich auf eine Privatschule, die zwar sehr viel von mir abverlangte, mich aber auch sehr prägte und mir vieles auf meinem Lebensweg mitgab. In dieser Zeit wurde mir auch klar, was ich werden wollte — ein fähiges Mitglied der Gesellschaft, das in der Werbebranche tätig sein sollte. Es war mir, als ob ich den Sinn meines Lebens auf den ersten Blick erkannt hatte. Das College folgte und ich besuchte die Kurse Werbemanagement, Medienpsychologie und Telekommunikation. Jahre vergingen, in denen ich eifrig studierte, Freunde kennen lernte und auf wilden College Partys die Nacht zum Tage werden ließ. Trotzdem erkannte ich stets den Ernst des Lebens und kehrte nach einer Party mit gutem Gewissen zurück an meine Arbeit. So kam es, dass ich meinen Abschluss mit Auszeichnung bestand und sofort bei einer PR-Agentur als Mitglied des Werbekomitees unterkam.
Meine neue Familie war stolz auf mich und schenkte mir ein brandneues Lotus-Cabrio. Dieses Auto war heiß, es war richtig HEISS. Ich war wie im Rausch und entdeckte eine neue Passion — Autos.
Mit meiner Ellbogentechnik und meinem ungeschlagenen Eifer kletterte ich die Karriereleiter der Firma empor. Man bot mir neue Aufträge an, gab mir ein neues Büro und stellte mir ein Firmenhandy zur Verfügung. Ein Laptop durfte nicht fehlen und mein Gehalt schoss beträchtlich in die Höhe. Man legte mir all das zu Füßen, doch ich erkannte gar nicht, welchen Preis ich dafür zu zahlen hatte. Fünfzehn Stunden Arbeit pro Tag, sechs Tage die Woche, Geschäftsreisen nach Paris, London, Moskau oder Wien prägten mein Leben. Ich entwickelte mich zum Workaholic, der zu allem noch tablettenabhängig wurde, weil er den ganzen Stress ansonsten nicht aushalten konnte. Aber ich hatte Geld, jede Menge Geld mit dem ich mir Autos kaufen konnte. Ich ersteigerte Aktien und mein Geld mehrte sich. Dadurch stieg auch das Interesse der Frauen an mir immens, was mich nicht verwunderte.
Sie fragen sich bestimmt, was aus meinem Bruder Simon wurde?! Richtig, mit meiner egozentrischen Art hätte ich ihn beinahe vergessen und das, obwohl er beträchtlich zu meinem Lebenswandel beitrug. Nun, Simon kam zu einer einfachen Familie in einem verschlafenen Dorf in Wyoming. Er wuchs dort gut behütet auf und befasste sich mit Biologie und Agrarwirtschaft, lernte eine wunderschöne Frau kennen, die ihm bereits 2 Kinder geschenkt hat und wohnt in einem kleinen, gemütlichen Haus auf dem Land. Ich weiß das, weil er mir alles erzählte, als er mich nach ganzen 11 Jahren langer Suche endlich fand. Seine Nachforschungen wurden durch meine Namensänderung und den Umstand, dass viele Akten vernichtet wurden, ansehnlichst erschwert.
Ich erinnere mich zu gut an jenen Tag, als er vor meinem haus stand und übers Anwesen blickte, als er mich kritisch musterte, mich anlächelte und umarmte. Es war einer jener Momente, die man sein ganzes Leben tief im Herzen bewahrt und nie mehr frei gibt.
Unzählige Nächte diskutierten wir über Gott und die Welt, lachten über alte Geschichten aus unserer Kindheit und redeten über unser momentanes Leben. Ich beneidete ihn. Welch große Freude seine Augen doch widerspiegelten, als er über seine Frau, das Haus auf dem Land und die Kinder sprach. Wie im Zauber, lauschte ich gebannt seinen Erzählungen. Nach etwa einer Woche fuhr er zurück nach Wyoming und ich trat frisch und erholt vom Urlaub wieder meinen Dienst an. Doch alles war mit einem Mal anders. Ich spürte diese unendliche Leere in meinem Leben und die bitterste Tatsache, die sich mir offenbarte, war, dass ich einsam war. Fürwahr, ich hatte ALLES und doch hatte ich NICHTS. In kalten Nächten wärmte mich das Geld nicht, es hörte mir auch nicht zu, wenn es mit schlecht ging und es brachte mich nicht zum Lachen, wenn mir der Sinn nach Humorvollem stand. Außerdem fragte ich mich, warum ich nicht über meinen Zwilling recherchierte, ihn einfach in Vergessenheit geraten ließ. Eine andere Ursache als die Folgen meines Eifers konnte ich nicht finden. Geblendet von unstillbarer Gier nach Geld und Macht, war ich ein Opfer es Materialismus.
Immerzu dachte ich an meinen Bruder und malte mir insgeheim aus, wie sein Haus wohl aussehen mochte. Irgendwann ging ich sogar so weit, mir vorzustellen, ich würde sein Leben leben. Diese wunderschöne Frau an meiner Seite, die mich liebkost und mir mit kleinen Gesten immer wieder aufs Neue ihre Liebe beweist. Die Kinder, die draußen vor dem Haus herumtollen und spielen. Die Natur, die mir jeden Tag lächelnd ins Gesicht blickt und mir sagen will, dass ich hier zu Hause bin.
Ich erkannte, dass ich mein Leben so nicht mehr weiterführen wollte. Ich wollte all das Geld nicht mehr, denn mein Bruder öffnete mir die Augen. Er zeigte mir seine Welt, eine Welt der wahren Werte, in der es nicht darum geht, ob man viel Geld hat oder nicht. Er hatte mir ein Leben voller Freude und Liebe gezeigt, Dinge, die man für Geld nicht kaufen kann.
Das Resultat dieses Zusammentreffens war, dass ich meinen Job aufgab und nun Haus an Haus mit Simon wohne, ebenfalls eine wunderschöne Frau fand, die mich aufrichtig liebt und mir das wundervolle Geschenk machte, Vater zu sein.
Es ist ein seltsames Gefühl, wenn ich auf mein früheres Leben zurückblicke. Auf der Highschool dachte ich, den Sinn meines Lebens gefunden zu haben, aber jetzt ist mir klar, dass eines zweiten Blicks bedurfte, um ihn wirklich zu finden.
ENDE
You want to cook something? - check out this recipe
Have you ever seen my STEEMIT-MEMBER-GALLERY? No? click here
And here is the first art commission I have ever sold :-)
Join my Trail on SteemAuto to support my content consistently (Click Here) and register to be my follower. I would appreciate it and would be happy to give something back! THANKS FOR THE SUPPORT!
CHECK OUT NEXTCOLONY.IO and join the new game on Steem!
Tiefsinniges in bester Verpackung.
Genau das Richtige für Tage, an denen sich Beine am liebsten in der Waagerechten aufhalten.
... noch entspannte Feiertage
Wolfram
Hey Wolfram^^ DANKE dir, hab auch noch schöne Feiertage! LG Martin
Eine eindrückliche Geschichte und du hast recht, ein zweiter Blick ist immer lohnenswert, denn Materialismus ist nicht das höchste Gut.