#3 Postkartencheck am Steinhof – Otto Wagners Kirche und die Irrenanstalt
Das Wiener Meisterwerk der Moderne hat seit seiner Eröffnung 1907 bis heute viel gesehen. Einst von Otto Wagner als modernste und größte Irrenanstalt Europas geplant, sollte nicht nur die Kuppel der Kirche glänzen. Doch das Schmuckstück des Wiener Jugendstils wird auf ewig voll mit brauner Masse beschmiert sein.
Der Plan zur Anstalt
Mit 2700 Betten sollte die Anstalt für Heilung von Vermögenden, weit über die Grenzen bekannt werden. Um die Versorgung und Verpflegung möglichst eigenständig zu organisieren, wurde das Areal, wie ein Dorf, mit einer ca. 5 km langen Mauer umringt und dementsprechend ausgestattet: Auf der zentralen Hauptachse findet man Direktion, Theatersaal und Kirche. Links und rechts dieser Achse waren 34 Pavillons und etwas abseits Wirtschaftsgebäude, Werkstätten, Schweineställe, Gärtnereien und eine Müllverbrennungsanlage geplant.
Um den Gästen im luxuriösen Kurhaus den Aufenthalt bekömmlicher zu gestalten, behandelte man diese etwas abseits der eigentlichen Heil- und Pflegeanstalt. Den auserwählten Kurgästen standen Wintergärten mit exotischen Pflanzen, Pool, Kegelbahnen, Tennisplatz und sogar eine Eislaufbahn zur Verfügung. Damals war es wahrlich noch eines der prächtigsten und modernsten Kuranstalten Europas.
Aquarellansicht aus dem Jahre 1907 von Erwin Pendl
„(…) eine hübsche Ironie des Schicksals, dass so ziemlich das erste vernünftige sezessionistische Gebäude großen Stils in Wien für die Irrsinnigen gebaut worden ist?“
Der Plan zur Kirche
Tatsächlich plante Otto Wagner die Kirche, speziell für die Bedürfnisse "geisteskranker" Mitmenschen, penibel genau bis ins kleinste Detail:
- Der Altar ist mit einem Mäuerchen von den Gläubigen getrennt.
- Die schwebende Kanzel ist nur über eine Treppe aus der Sakristei erreichbar.
- Die Orgel ist nicht für Partienten zugänglich.
- Zwei Tore erlaubten separiertes Eintreten von weiblichen und männlichen Patienten, ein drittes Tor war für das Pflegepersonal vorgesehen. Angehörige konnten der Messe durch eine abgetrennte, von außen erreichbare Empore beiwohnen.
- Die schmalen Bänke ermöglichten ein rascheres Eingreifen der Pfleger.
- Die Becken für das Weihwasser wurden konstruiert um Infektionen und das „pritscheln“ mit Wasser vorzubeugen, das Weihwasser floss durch einen Tropfhahn.
- Die Kirche war eine der Ersten, in der neben Beichtstühle auch Arztzimmer, Erste-Hilfe-Raum und sogar Toiletten eingebaut wurden.
Innenansicht der Kirche, auf den Bänken finden 4 Personen platz
Und bald kam die eklig braune Masse –
"Der Krieg gegen die Mindnerwertigen"
Eine der düstersten Zeiten der Medizin wird am Steinhof von der Ausstellung „Der Krieg gegen die Minderwertigen“ dokumentiert. Die Ausstellung ist dauerhaft und kostenfrei zu Besichtigen.
Ab 1939 wurde die Heil- und Pflegeanstalt zum Zentrum der abscheulichen NS-Tötungsmedizin und kostete ca.7500 Patienten am Spiegelgrund letztendlich das Leben. Der nationalsozialistische Rassenwahn verlangte die "Ausmerzung" von "lebensunwertem Leben". Die Anlage wurde Zeuge von tausend unmenschlichen, medizinischen Experimenten und Ermordungen. Unter den Opfern waren Juden, Slawen, Roma und Sinti, Menschen "minderwertigen Erbgutes", das hieß Behinderte, Gestörte, soziale Randgruppen oder schlichtweg Unangepasste.
Unter den Ermordeten waren 789 Kinder, ihre Diagnosen lauteten „nicht erziehbar, bildungsunfähig oder Dauerkostenverursacher“. Bis in die 1970er Jahre wurden Körperteile dieser Opfer zu Forschungszwecken verwendet. Ein Fund von 600 identivizierten Kindern, wurden erst 2002 in einem Ehrengrab am Zentralfriedhof Wien beigelegt. Im Mai 2012 folgte eine Beisetzung weiterer Präparate von Spiegelgrundkindern.
Infos zur Kirche
Besichtigungen
Samstag 16:00 bis 17:00 Uhr
Sonntag 12:00 bis 16:00 Uhr
und bei Messen offen, sonst geschlossen!
Große Gruppen sowie eigene Führungen sind in dieser Zeitspanne nicht erlaubt.
Kirchenführung
Samstag um 15:00 Uhr
Sonntag um 16:00 Uhr
Es führen staatlich geprüfte FremdenführerInnen oder der Kustos der Kirche.
Preise
Erwachsene: € 8,-
Jugendliche, Studierende, SeniorInnen: € 6,-
Kinder unter 15 (max. 2 pro Begleitperson): gratis
Mehr Infos und aktuelle Öffnungszeiten:
http://www.stadt-wien.at/wien/kirchen/otto-wagner-kirche.html
Infos zur Gedänkstätte
Öffnungszeiten
Mittwoch bis Freitag (werktags) 10-17 Uhr
Samstag (auch an Feiertagen) 14-18
24.12. und 31.12 geschlossen
Eintritt frei
Anfahrt
V-Gebäude
Otto- Wagner- Spital
Baumgartner Höhe 1
A- 1145 Wien
Öffentliche Verkehrsmittel:
- 48 A bis Haltestelle Otto- Wagner- Spital/ Psychiatrisches Zentrum oder
- 47 A bis Haltestelle Otto- Wagner- Spital/ Psychiatrisches Zentrum
Mehr Infos und aktuelle Öffnungszeiten:
http://www.gedenkstaettesteinhof.at/
Bei meinem nächsten Besuch in Wien ist das allemal einen Ausflug wert, danke dir für den Tipp (:
Hast du vor Ort herausgehandelt, dass man deinen Namen erwähnt und du im Gegenzug eine Gratis-Postkarte erhältst? :D
Liebe Grüße
Hehe nein, noch ich investiere mein ganzes Steemgeld in Postkarten! :D :P
Dann solltest du aber schleunigst an deinem Verhandlungsgeschick arbeiten :D
Vielleicht wenn Steemit mal etwas mehr Mainstream erreicht hat und die Leute in Scharen dorthin pilgern (:
Mal sehen wo die nächste Postkarte gecheckt wird. Ich hoffe ja für dich auf eine karibische Insel :P
wunderschön
Die Kirche am Steinhof ist ein Highlight des Wiener Jugendstils. Ich finde es sehr gut, dass du auch die dunklen Seiten der Steinhofgründe aufgezeigt hast. Ein sehr informativer und nachdenklich stimmender Beitrag!
Ja, gerade weil ich auf der Baumgartner Höhe im psychosozialen Bereich tätig war, empfinde ich einen hinterfragend kritischen Zugang zu Behandlungsmethoden extrem wichtig. Egal zu welchem Zeitpunkt der Geschichte – auch noch heute!
Ja, diese Kirche ist ganz besonders und eine Perle der modernen Architektur!
Doch dieses Meisterwerk wurde missbraucht und seine Geschichte entwickelte sich zum absoluten Horror.
wunderbar aufbereitet @nicoletta
sehr gut gefällt mir auch der Otto-Wagner-Pavillon am Karlsplatz http://www.otto-wagner-pavillon.at/Skip_intro.htm
Dankeschön,
Ich bin auch ein großer Fan des Pavillon, aber auch von der Otto-Wagner-Brücke und der alten Stadtbahn-Stationen (U6 und U4), der Villa und dem Haus an der Wienzeile
Ach eigentlich von all seinen Arbeiten, selbst die späten Werke.
danke für die Info!
gefällt mir schon länger sehr gut, das,Gebäude an der Wienzeile...