Dieser Gott in Äthiopien, von dem alle reden
Als ich die ersten Tage durch die Straßen Addis Abebas gelaufen bin, fragte ich mich oft, wo er ist. Dieser „Gott“, von dem hier alle reden. Den die Äthiopier verehren wie niemand Zweites. Vielleicht noch ihre Mutter, dann kommt lange nichts. Ich fragte mich, wie gnädig er sein soll, angesichts des Bildes, das sich mir bot. In Europa würde man vermutlich sagen: ein elendiges. Auf dem Großteil der Welt: kein ungewöhnliches. Nach meinem dritten Tag in „Addis“ hat sich mein Bild jedoch verändert. Denn diesen Gott, den gibt es. Und ohne ihn geht es für viele Menschen nicht.
Äthiopiens Hauptstadt ist mit mit knapp drei Millionen Einwohnern etwas so groß wie Berlin. Gegen Megacities wie New York, Deli, Tokio ein Dorf. Und doch fühlt es sich an, als dass jeder einzelne Bewohner die Stadt an ihre Grenzen bringt. Ein Straßenverkehrsnetz gibt es hier nicht. Dafür Tausende Autos, die dichten Qualm beim Anfahren ausstoßen. Der Ruß vermischt sich in der Luft mit dem Geruch nach Verbranntem. Reifen könnten es sein, Plastik, vielleicht Holz. Zwischen Minibussen, Mülltüten, Schlamm und Dreck wuseln unzählige Menschen hin und her. Ein zarter Junge balanciert fünf Matratzen auf seinen Schultern durch die Autokarawane. Ein Mann ohne Beine robbt durch die Pfütze. Dahinter eine Frau, die sich ihr Baby mit einem Tuch auf den Rücken wickelt. Irgendwo ruft ein Muezzin Muslime zum frommen Gebet auf, während die Reklamelichter unentwegt blinken und die Menschen zum Konsum verführen. Addis, die boomende City, die große Hoffnung in Ostafrika, die ihrem eigenen Tempo nicht Schritt hält.
Ich schnappe mir ein Taxi Richtung Guesthouse. 200 äthiopische Birr – umgerechnet etwa sechs Euro. Für die Strecke fair, für Äthiopier viel Geld. Unterwegs platzt der Reifen. Kein Problem, der Freund des Taxifahrers steht an der Ecke bereit. An einer Seitenstraße steige ich aus, den Weg zurück kenne ich inzwischen. Ich will dem Taxifahrer die Schlaglöcher nicht zumuten, und befürchte, sein uralter Lada hätte den Erdhügel auf dem Weg ohnehin nicht geschafft. Ich setze mich mit dem Gesicht in die Sonne, mein Kamera und mein Handy auf dem Schoss. Selbst die Äthiopier weisen mich ständig darauf hin, besser auf meine Wertsachen aufzupassen. Passiert ist nichts bislang. Und das obwohl ich bereits als quasi einzige weiße Person – allein und Frau – stundenlange Fußmärsche durch Menschenmengen zurückgelegt habe. Meine Begegnungen mit den Einheimischen waren so freundlich, warm, hilfsbereit. Einige haben mir ihre Telefonnummer gegeben und mich zu sich nach Hause eingeladen. Andere ihre E-Mail Adresse, denn nicht jeder hat ein fähiges Smartphone, geschweige denn Internet on the Go. Weil mein deutsches Handy hier nicht funktioniert, ergeben sich oft die lustigsten Ereignisse. Gestern war ich mit einem Taxifahrer spontan Abendessen, weil er mir angeboten hatte, mich nach dem Essen nach Hause zu fahren. Der Restaurant-Tipp kam von seiner wohlgemerkt in Bayern lebenden Schwester, die er während der Fahrt anrief – und die fließend Deutsch sprach. Wie behalten sich diese Menschen ihre Herzlichkeit inmitten dieses Chaos?
„Ohne Gott gibt es kein Leben“, sagt ein junger Mann, den ich vor dem National Museum treffe und mit dem ich spontan den Tag verbringe. Das erste, was er mir zeigen will, ist die Kirche der Dreifaltigkeit. Danach die Kirche der Heiligen Maria. Danach kauft er mir einen Palmenwedel, den er mir um den Kopf bindet. Zumindest was meinen Kopfschmuck betrifft, falle ich nicht mehr aus der Menge. Jeder trägt ihn. Männer, Frauen, Kinder. Es ist eine Woche vor Ostern. Etwa 60 Prozent Äthiopier sind Christen, die meisten christlich-orthodox. Bis zu ihrem Osterfest fasten sie streng, und zwar vegan. Kein Fleisch, kein Käse. Daran hält sich jeder, der nicht an einen anderen Gott glaubt. Denn jeder Dritte glaubt an den Islam, ein anderen Teil an das Judentum. Stören tut das keinen. Im Gegenteil: „Ich bin Christ, mein Nachbar ist Moslem. Wenn wir Ostern feiern, lade ich ihn ein. Warum auch nicht, wir sind doch Freunde.“ Was ich aus meinen Gesprächen erfahre, zeigt mir, welchen Stellenwert Religion hier hat. Viele Menschen kommen in die geschützten Kirchenvorhöfe, um abzuschalten vom Trubel der Stadt und sich zu besinnen. Gott ist der letzte Anker, die Hoffnung im Elend.
Gott ist hier überall. An der Windschutzscheibe baumelt er am goldenen Faden in Form einer Jesusfigur. In Restaurants hängt er über dem Türeingang. Auf der Spitze der Moschee blitzt die Mondsichel in der Sonne. Und in den Köpfen der Menschen ist er allgegenwärtig.
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