Ideologie 037 - Miesmacher sind auch Ideologen

in #deutsch7 years ago (edited)

17. Juli 2017

Mit dem Bild des griesgrämigen Miesmachers bin ich schon einige Male vertraut gemacht worden. Man versteht darunter jemanden, der an den Dingen, in deren Bereich er als Miesmacher gilt, kein gutes Haar lassen will. Oft geht es nicht wirklich darum, eine realistische Betrachtung von Dingen, die in Realität nicht so grossartig sind, wie sie vielleicht präsentiert werden und echte, begründete Skepsis auszudrücken. Sondern darum, eine Sache gezielt herabzusetzen, sie mies zu machen. Es gibt Menschen, gar nicht selten solche, die selber nicht als die tatkräftigsten gelten, die haben aus der Miesmacherei einen regelrechten Kult gemacht und lieben es, diesen auszuleben. Für mich ist die Miesmacherei eine Ideologie der Passivität.

Das rasche Erkennen von neuralgischen Punkten in einem Projekt oder bei der Beurteilungen von politischen Ereignissen ist damit nicht zu verwechseln, das hat mit einer guten Auffassungsgabe und der Fähigkeit zur Analyse zu tun. Eine gute Kritik eines Projektes durch einen Sachverständigen ist meist nicht resignativ, sondern nüchtern gehalten, aber schonungslos.

Gerade wenn es um Politik oder um Sport, bevorzugt an Grossereignissen, geht, kann man viele Stimmen von Miesmachern hören. An der Fussball-EM oder -WM, teilweise auch während der Vereinsspielzeiten, wimmelt es plötzlich von selbsternannten Strategen und Taktikern, die sich zutrauen, die beste Auf- und Einstellung ihrer Lieblingsmannschaft zustande bringen zu können. Dasselbe gilt für taktische Änderungen während des Spiels inklusive Spielerwechsel. Entsprechend gross kann das Geschrei und Gejammer ausfallen, wenn die Lieblingsmannschaft verloren hat und weder die Aufstellung noch die Taktik den eigenen Vorstellungen entsprochen haben. Was beim Fussball positiv zu sehen ist, ist, dass unfaire und nicht regelkonforme Verhaltensweisen entweder von Schiedsrichtern direkt sanktioniert oder in grosser Zahl von Kameras eingefangen werden. Als Fussballer an einem grossen Turnier kann man sich grobes Fehlverhalten kaum leisten.

Beim anderen Beispiel, der Politik, ist das eher möglich. Es gibt zwar auch für das zivile Leben eine lange Liste an Regeln, Gesetzen und Verordnungen, aber diese sind den meisten Menschen wenig bekannt. Dazu sind die meisten politischen Diskurse, etwa über neue, meist für Laien nicht einfach zu durchschauende Gesetzestexte, nicht besonders bürgerfreundlich. Die meisten Menschen leben nach einer Sammlung ethischer Grundsätze oder danach, wie sie diese erfahrungsgemäss zu ihren Gunsten ausreizen können.

Ich kenne keinen, der ein Gesetzbuch gelesen und danach gesagt hat: «Endlich weiss ich, wie man sich hier zu verhalten hat. Das werde ich rigoros umsetzen.»

2017-07 - Sam resigniert_cred.jpg
Der Verfasser in resignativer Pose.

Miesmacher beim Fussball sagen - gerne auch in deutlicher Sprache - öfters Dinge wie:

«Ich habe schon lange gewusst, dass dieser Trainer oder Spieler eine Vollpfeife ist.»
«Ein Trainer, der den besten Spieler auswechselt und dann die Mannschaft sang und klanglos verlieren lässt, ist der Allerletzte.»
«Als ich gesehen hatte, welchen Schiedsrichter wir für dieses Spiel bekamen, war klar, dass die Partie gekauft war. Gegen uns. Das Ergebnis spricht für sich.»

In der Politik tönt es ähnlich:

«Alles wird von anonymen Eliten gesteuert, die Politiker führen nur noch aus, was sich die Eliten zur Quälung der Bürger ausdenken.»
«Politiker sind die willfährigen Erfüllungsgehilfen der Globalisten.»
«Politiker sind Marionetten des Finanzkapitals.»
«Die Interessen und Sorgen der Bürger haben die Politik noch nie interessiert!»
«Ich habe immer gedacht, dass der/die keine Alternative darstellt. Endlich zeigt er/sie sein/ihr wahres Gesicht.»

Die Gemeinsamkeit in den genannten Aussagen liegt darin, dass sie alle nicht öffnend-positiv, sondern resignativ und verschliessend sind. Wer in einer Sache resigniert hat, betrachtet sie als ein abgeschlossenes Kapitel und müsste ehrlicherweise direkt zu anderem übergehen und dem abgeschlossenem keine Aufmerksamkeit mehr schenken. Denn, auf der Ebene der Wirkungen und Tatsachen lässt sich nichts ändern, das geht nur bei den Ursachen. Dass dies trotzdem nicht stattfindet, kann man anhand einer unendlich lang scheinenden Liste an derartigen Kommentaren, Beschwerden und Aufrufen erkennen. Werden diese in resignativer Sprache gestaltet, erscheinen sie leblos und kraftlos.

Dies zu tun ist einerseits richtig, denn ganz ausgeschlossen sind Veränderungen, auch zum Positiven nie. Aber man sollte sich genau überlegen, wie man sich äussert, am besten auf eine möglichst lebendige und kraftvolle Weise. Gerade bei Politikern sollte man als Bürger nie ganz aufgeben, weil Politiker von Bürgern gewählt werden, um deren Interessen in Parlamenten und Regierungen zu vertreten. Für nichts anderes! Auch wenn Politiker Mitglieder von Parteien sind, sind sie ihrem Gewissen und ihren Wählern verpflichtet, ganz egal wie viel oder wenig in Realität davon zu spüren ist oder wie es von aussen wahrgenommen wird.

Wer sich durch Resignation selber aus dem Spiel nimmt, kann eigentlich nur weiter verlieren. Weil die eigene Haltung und Ausdrucksweise in grösserem Ausmass an Kraft verloren hat. In der Politik hat die Resignation meist die Konsequenz, dass daraus die Nichtpartizipation resultiert. Man nimmt also nicht an Wahlen, Bürgerverammlungen oder Abstimmungen teil. Teilweise gibt es sogar Menschen, die ihre Nichtteilnahme feiern und sagen, dass alle, unabhängig vom Inhalt ihrer Stimmabgabe, «Kollaborateure des Systems» seien. Das Hauptproblem bei dieser Einstellung sehe ich bei der Tatsache, dass man sich durch Nichtteilnahme nicht aus dem politischen Geschehen verabschieden kann. Es gibt keinen Schutz vor Konsequenzen, die in der Politik beschlossen werden, wenn man an Wahlen nicht teilnimmt. Im Gegenteil wird meist noch mehr über den eigenen Kopf hinweg entschieden. Man kann auch nicht unterscheiden, ob ein Nichtwähler aus Faulheit, Desinteresse oder entschiedener Opposition der Wahl fernbleibt. Da bei jeder Wahl in der Schweiz oder auch Deutschland eine Vielzahl von politischen Vereinigungen gewählt werden können, kann man auch eine der kleineren Bewegungen wählen. Wenn die favorisierten es nicht in die Behörde oder das Parlament schaffen, kann man immer noch sagen, dass die eigene Stimme in der legislativen Politik nicht repräsentiert ist.

Zu erklären, dass man echter Nichtwähler sei und in diesem Verhalten ein grösseres Potential sehe, kann ich kaum nachvollziehen. Denn, das Parlament würde auch dann noch besetzt, wenn nur noch die Kandidaten selber ihre Stimmen abgäben. Potential durch Nichtpartizipation gäbe es dann, wenn es etwa eine Mindestwahlbeteiligung gäbe und es bei Nichterfüllung dieser entweder kein Parlament mehr gäbe oder nur noch gemäss Beteiligung die Sitze besetzt würden und damit viele leer blieben. Das absolute Mehr bei Beschlüssen müsste aber immer noch bei mehr als der Hälfte aller Sitze liegen. Alternativ zum Parlamentsbeschluss, der dann massiv weniger wahrscheinlich würde, käme die Volksabstimmung in Frage. Allerdings bin ich auch bei Volksabstimmungen gespalten, ob es wirklich gut ist, in vielen Fragen auf einfache Mehrheiten zu setzen. Ein Ergebnis 50,1 / 49,9 (1,004 / 1) sagt vor allem aus, dass die Frage bei den Bürgern höchst umstritten ist. Bei einer Gesetzesrevision mag dies vielleicht akzeptabel sein, für ein ganz neues Gesetz halte ich eine derart grosse Unschlüssigkeit in der Bevölkerung für einen Grund, auf die Einführung zu verzichten. In vielen Fragen würde ich deswegen die Notwendigkeit grösserer Mehrheiten vorschlagen, etwa 60 / 40 (1,5 / 1) oder 66 / 33 (2 / 1) oder 75 / 25 (3 / 1).

Was ich auch als typisches Verhalten von Miesmachern entlarvt zu haben glaube, ist der mangelnde Wille, selber in Eigenverantwortung Dinge aufbauen und darüber entscheiden zu wollen. Viel lieber sitzt man im Sessel, schaut sich die Welt an und kommentiert, was einem nicht gefällt. Vielleicht ist es sogar ganz richtig, dass einem das eine oder andere nicht gefällt. Aber was nützt das, ohne dass man sich wenigstens in Teilen überlegt, wie die Sache sinnvoller gestaltet werden könnte? Immer unter grösstmöglicher Bezugnahme auf ethische Grundsätze und unter der Wahrung grösstmöglicher Freiheit für den Einzelnen. Dies deswegen, weil sich gerade Kritiker meist nicht bereitwillig einschränken lassen. Wer selber nicht eingeschränkt werden möchte, soll diese Freiheit gefälligst allen anderen auch zugestehen.

Bevor man sich also dem Miesmachertum hingibt, sollte man immer bedenken, was man warum besser machen könnte und sollte, warum das tatsächlich machbar wäre. Wenn einem wirklich kein Teilargument und keine eigene Vision in den Sinn kommt, weiss ich auch nicht, mit welchem Recht man sich beklagt.

Dass man auch als Einzelner mit einem erfolgsorientierten Wahlkampf den grossen Coup landen kann, hat nicht zuletzt Donald Trump im vergangenen Jahr geliefert. Natürlich hat er dafür einiges an finanziellen Mitteln einsetzen müssen, über die ein Angehöriger des Mittelstandes nicht verfügt. Aber er musste einiges an Widerstand überwinden und er führte einen eher hemdsärmligen Wahlkampf, der aber klar auf das Ziel ausgerichtet war. Für die Übertragung seiner Wahlkampfveranstaltungen, die längst nicht alle in glamourösen Hallen stattfanden, verpflichtete er die bis dahin unbedeutende Kleinfirma Right Side Broadcasting Network, welche 2014 gegründet wurde und gemäss den Angaben auf Wikipedia nur 14 Angestellte zählt [1]. Die Sprache, die er sprach, war meist einfach, aber sie bezog die Menschen ein, die er sich als seine Wähler auserkoren hatte. Das kommt in den USA bei vielen gut an. Etwas nicht perfekt getan ist besser als nichts getan, in Europa verhält sich das vielerorts anders. Neben der Basis musste Mr. Trump die Parteiführung der Republikaner von sich überzeugen und tut dies wohl bis heute nicht mit durchschlagendem Erfolg. Dazu haben sicher auch einige Zugeständnisse gehört, in seinem Kabinett sitzen einige Leute, die sich seine Wähler wohl nicht unbedingt dorthin gewünscht hätten. In den Medien und beim politischen Establishment kommt Donald Trump bis heute ausgesprochen schlecht an. Wieviel davon wirklich begründet und schwerwiegend ist, kann ich nicht beurteilen. Für mich steht aktuell nur fest, dass Mr. Trump sich kaum ganz einfach und noch weniger freiwillig aus dem Amt entfernen lassen wird.


[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Right_Side_Broadcasting_Network
https://www.youtube.com/user/rightsideradio/videos
http://rsbn.tv/


Bisherige Posts in der Rubrik «Ideologien».
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Die bei Facebbok gespert wurden kommen jetzt zu Steemit. Das wird noch lustig werden.

Danke für den Kommentar!
Ich war nie ein besonders exzessiver Kommentator auf Facebook, aus gutem Grund. Gesperrt wurde ich dort auch nie. Bei steemit bin ich zum Glück seit knapp 11 Monaten. Bisher eine ziemlich harmonische Plattform, was sich in Zukunft sicher noch ein Stück ändern wird.

Danke lieber @saamychristen. Positive Kritik ist das Einzige, was zählt. Gemecker verbreitet nur Verdruss. Ich bin letztens selbst in diese Falle getappt, weil ich seit einer Weile schlecht drauf bin. Beim Rewe gab es 500g Erdbeeren für 3 Euro. Da sagte ich: „Die spinnen doch total.“ Woraufhin Elke mich sofort zusammen gefaltet hat, ich solle auf der Stelle mir der Miesepeterei aufhören, sonst gehe sie alleine einkaufen. Da war ich beleidigt und der ganze Tag am Arsch. Wie blöd kann man sein? Hätte ich gesagt, hach ich freue mich auf den Markt, wo wir eine ganze Steige Erdbeeren für 10 Euro bekommen, wäre alles in Ordnung gewesen und wir hätten jetzt Erdbeermarmelade. Dieses Ätzende, Negative, Destruktive muss aus dem Kopf. Es ist vielleicht sogar normal. Aber normal sollte auch sein zu prüfen, ob es angemessen ist, das heraus zu lassen. In der Regel ist es die Luft nicht wert. Aber negative Gefühle in positive Gedanken zu wandeln, das ist es immer wert. Weil man dann das Hirn anstrengen muss, um konstruktiv zu denken, anstatt mit dumpfer Backe Gefühle abzublasen.

Also ich denke mal, Saamy, Das eine sind Gefühle und das andere Ideologien. Deshalb sind Miesmacher arme, kranke Würstchen und Ideologen sind eiskalt berechnende Drecksäcke.

Herzlichen Dank für den Kommentar!
Die geschilderte Situation ist sehr lebensnah dargestellt. Immer wieder ist es kaum zu fassen, wie rasch man so etwas Unfrieden stiften kann.

Bis die Miesmacherei wirklich zur Ideologie wird, muss sie sicher krankhaft sein. Mir ist wie meist relativ spontan die Idee gekommen, dass ich daraus einen ganzen Artikel basteln könnte. Mir gehen nämlich zwei Arten von Miesmachern ziemlich auf die Nerven.

  1. Leute, die wenig wissen, aber an allem meinen herumkritteln zu müssen.
  2. Leute, die zwar einiges wissen, aber dieses Wissen am liebsten nicht mit den nicht ganz so sehr Wissenden teilen möchten. Stattdessen lassen sie kaum eine Gelegenheit aus, die nicht ganz so sehr Wissenden (die vielleicht ganz und gar nicht dumm sind) herunterzumachen, um sich zu erheben.

Solche Leute können echt anstrengend sein . Aber hoffe hier bleibt es harmonisch :)

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