Müllmann Stories #1 – Über schlechte Tage und gute Touren

Als Student habe ich für mehrere Monate als Lader bei der Müllabfuhr gearbeitet. Dabei kam es zu einigen skurrilen, ekelhaften, lustigen aber auch nachdenklich stimmenden Situationen, über die ich hier schreiben werde. Um die Anonymität der beteiligten Personen (und auch meine eigene) zu wahren, werde ich Namen und bestimmte Details, die Rückschlüsse auf diese Personen zulassen, abändern.

WARNUNG: Diese Erzählungen können böse Wörter, tote Hühner und menschliche Ausscheidungen enthalten.

Mein erster Tag bei der Müllabfuhr begann mit Flüchen und Verwünschungen. Ich stand neben dem Lastwagen, dem man mich als zweiten Lader zugewiesen hatte, und wartete auf den Fahrer und den ersten Lader. Es war kurz nach fünf Uhr in der Früh und das erste Tageslicht begann das noch leblose Gewerbegebiet zu erhellen. Ein Mann erschien und stellte sich mir als Walter vor. Er war der erste Lader und würde mich in die Arbeit eines Müllmanns einweisen. Doch noch bevor ich mich ihm vorstellen konnte, kam schon der Fahrer. Bereits an seinem Gang konnte man erkennen, dass er schlechte Laune hatte. Er stapfte zur Fahrerseite des Lastwagens, öffnete die Fahrertür, schwang sich auf den Sitz hinter dem Lenkrad und ließ die Tür mit Schwung zukrachen. „So ein blödes Arschloch!“ entfuhr es ihm, als er mit einer Drehung des Zündschlüssels den Motor startete. Walter und ich stiegen auf der Beifahrerseite in die Fahrerkabine.

„Hat Rudi die Tour bekommen?“ fragte Walter. Der Fahrer setzte den Lastwagen mit einem Druck auf das Gaspedal in Bewegung und schnaubte: „Was die fette Sau dem Horst erzählt hat, weiß ich nicht. Auf jeden Fall wird er ab März Freiwald fahren. Hat ihm wahrscheinlich irgendeinen Scheiß erzählt, dass er eine andere Tour braucht, weil er sonst daheim mit der Wirtschaft nicht zurechtkommt. Aber eines sag‘ ich dir: Nächstes Mal stehe ich oben beim Horst und werde ihm eine Geschichte erzählen. Und zwar darüber, was für ein absolutes Arschloch der Rudi ist!“

Wie ich im Laufe meiner Zeit als Müllmann lernen sollte, gibt es sogenannte gute und schlechte Touren. Verschiedenen Faktoren entscheiden darüber, in welche Kategorie eine Strecke fällt:

• Wie lange ist die Tour? (Da Müllmänner nach Zeit bezahlt werden, möchten sie eine lange Tour. Jedoch nicht zu lange, weil es sonst in zu viel Arbeit ausartet.)
• Wie viele Mistkübel muss man leeren? (Je weniger, desto besser.)
• Wo verläuft die Strecke? (In der Stadt sind viele Kübel zu entleeren und es gibt nur wenig Leerlauf. Auf dem Land muss viel gefahren werden und relativ wenige Kübel müssen entleert werden)
• Gibt es im Sommer viel Schatten?
• Gibt es genügend Gasthäuser, Cafés, Supermärkte um Halt zu machen und sich zu stärken?

Es stellte sich heraus, dass „Freiwald“ zu den guten Touren zählte. Denn sie bestand aus einigen, weit auseinander liegenden Dörfern mit wenigen Kübeln, so dass man viel Zeit mit Fahren (= Bezahlt werden fürs Nichtstun) und wenig Zeit mit Kübel entleeren (= Arbeiten) verbrachte. Dass sie diese Strecke verlieren würden, verärgerte die beiden. Dieser Ärger war auch verständlich. Dass der Fahrer seine Wut einem Fremden wie mir jedoch so offen und scheinbar ohne weiter darüber nachzudenken zur Schau stellte, verwunderte und schockierte mich etwas.

Walter drehte sich zu mir und deutete zum Fahrer: „Das ist Marold“, worauf mir Marold stumm zunickte. Kein „Hallo“, kein Garnichts. „So eine schlechte Laune hat er oft, aber ansonsten ist er ganz ok. Willkommen im Club!“ sagte Walter und lächelte mich schief an. „Das kann ja was werden“, dachte ich mir und lächelte ebenso schief zurück. Es sollte ein langer Tag werden.

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Bilder: Timo_Beil, pixabay