System Dynamics – das Werkzeug der Systemdenker

in #systmdynamics6 years ago (edited)

System Dynamics (SD) ist angewandtes Systemdenken ("System Thinking") und als solches ein mächtiges Werkzeug im systemischen Management. SD ist mehr als eine Methode oder bloss ein Werkzeug. SD schärft das Systemdenken und trägt somit zu besseren und nachhaltigeren Entscheidungen bei.
System Dynamics wurde in den späten 1950er-Jahren von Jay W. Forrester am Massachusetts Institut of Technology entwickelt. Professor Forrester erkannte das Bedürfnis, eine neue Idee für soziale Systeme so zu testen, wie Ingenieure ihre technischen Ideen an Modellen testen. Mit SD lassen sich Fragestellungen innerhalb eines sozialen Systems modellieren und austesten, bevor sie umgesetzt werden.

Meinungskampf

Im Folgenden möchte ich versuchen, eine kleine Einführung in System Dynamics zusammenzustellen. Dabei setze ich voll auf Text, weil Sie vielleicht den Modellbau auf Ihrem Computer nachvollziehen wollen, ohne ständig ein Video anhalten und das Fenster wechseln wollen. Als Beispiel für ein Demonstrationsmodell greife ich auf meinen Blogpost über Meinungsvielfalt zurück. In einer demokratischen Gesellschaft existieren mehrere Meinungen zu einer Frage von gesellschaftlicher Relevanz. Aktuell sind Migrantenintegration, bedingungsloses Grundeinkommen oder - immer wieder gerne - Revisionen der Kranken- oder Altenversicherungen. Pros und Kontras werden ausgeibig diskutiert, leider oft auch mit viel Hass vermischt, aber in ein paar Jahren oder Jahrzehnten hat sich eine Meinung durchgesetzt und wird zum Standard. Ich denke da rückblickend an die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz. Es brauchte einige Abstimmungen, bis das Frauenstimmrecht endlich angenommen und eingeführt wurde. Heute diskutiert niemand mehr dagegen. Vielleicht gibt es immer noch ein paar Machos, die gegen das Frauenstimmrecht sind, aber für die Mehrheit der (männlichen) Bevölkerung und im Gesetz ist es zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Meinung, das Frauenstimmrecht gehöre zu einer Demokratie, hat sich durchgesetzt.

Diesen Prozess des Sichdurchsetzens einer Meinung gegen andere Meinungen, können wir unanbhängig vom Thema immer wieder beobachten. Wir wollen versuchen, ihn zu beschreiben.

Zunächst genügt es, wenn wir uns auf drei Meinungen beschränken. Bei zwei Meinungen bestünde die Gefahr, dass wir uns auf die eine konzentrieren und sagen, dass der Rest der Bevölkerung die andere Meinung unterstützt. Diese Aufteilung eines Kuchens in zwei komplementäre Teile verhindert oft eine tiefere Einsicht. Daher wählen wir mindestens drei Parteien. Mehr als drei Parteien sind aber auch nicht nötig, denn wenn wir drei Parteien modellieren können, können wir auch vier oder fünf oder mehr Parteien modellieren.

Es genügt auch, wenn wir uns auf die Meinungsanteile beschränken, unabhängig von einer bestimmten Thematik. Es ist ja egal, über welchen Inhalt die Menschen disktuieren. Es gibt drei Meinungen, die sich den Kuchen teilen. Wenn die eine überhandnimmt, bleibt für die anderen umso weniger übrig.

Relative und absolute Meinungsanteile

Es geht also um Anteile. Das ist die Menge der Menschen, die die Meinung A vertreten, geteilt durch die Gesemtzahl der Menschen, die überhaupt mitdiskutieren. Das ergibt den Anteil der Meinung A. Jetzt müssen wir uns überlegen, wie sich diese Anteile verändern. Was ist dafür verantwortlich, dass eine Person, die zunächst die Meinung B vertrat, sich nun plötzlich der Partei anschliesst, die die Meinung A vertritt? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich etwas in Psychologie auskennen. Möglicherweise hängt die Antwort nun doch noch vom spezifischen Inhalt ab. Die Parteienbildung folgt in der Migrationsfrage villeicht anderen Gesetzmässigkeiten wie in der Krankenversicherungsfrage.

Eine wichtige Motivation, sich einer Meinung anzuschliessen, ist sicher stets die Grösse der Partei, die eine bestimmte Meinung vertritt. Das befriedigt das Sicherheitsbedürfnis einer Person. Wenn ich eine nonkonformistische Meinung vertrete und gegen den Strom schwimme, bin ich ständiger Kritik ausgesetzt. Wenn ich mich jedoch in einen grossen Schwarm setze, und dessen Meinung vertrete, dann kann ich mich in dieser Filterblase behaglich sicher fühlen, und wenn uns einer angreift, verstecke ich mich hinder den anderen.

Somit gilt: je grösser der Anteil einer Meinung, desto grösser der Zustrom. Das erinnert an den Zinsmechanismus eines Kapitals. Je grösser ein Kapital, desto grösser der Zins, den Ende Jahr dem Kapital gutgeschrieben wird. Natürlich bleibt der Zinssatz stets derselbe, irgend ein Prozentsatz. Aber absolut gesehen, in Geldeinheiten, nimmt der Zins mit dem Kapital zu. Wir müssen also zwischen Anzahl Individuen und relativen Meinungsanteilen unterscheiden!

Bestände und Flüsse

Beginnen wir mit einem Becken, das die Individuen aufnimmt, die die Meinung A vertreten, einem solchen für die Meinung B und einem dritten Becken für die Menschen mit der Meinung C (s. Abbildung 1). Ich bezeichne die Becken - besser "Bestände", oder auf Englisch "Stocks" genannt - mit "A's Resources" und meine damit die Anzahl Individuen, die die Meinung A vertreten. Unterstützt werde ich von der Website insightmaker.com. Gehen Sie auf diese Seite und erstellen Sie sich einen Account. Dann können Sie hier das fertige Modell anschauen.
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Abbildung 1

Um nun selber ein Modell zu erstellen, klicken Sie ganz oben rechts in das farbige Icon (s. Abbildung 2) oder, direkt nach dem Einloggen, auf den gut sichtbaren Knopf "Create New Insight". Sie erhalten dann eine Anleitung zum Erstellen eines neuen Modells. Klicken Sie das mit dem Knopf "Click me to Clear this Demo Model" weg. Nun können Sie die drei Bestände "As Resources", "Bs Resources" und "As Resources" (die Software erlaubt keine Apostrophes) selber eingeben, indem Sie oben links unter "Add Primitive" dreimal auf "Add Stock" klicken. Den Namen können Sie dann rechts in den Konfigurationsfeldern ändern.
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Abbildung 2

Jetzt konstruieren wir in jeden Meinungsbestand eine Röhre, durch die neue Anhänger der Meinung strömen. Klicken Sie neben "Add Primitive" auf "Flows/Transititions" und fahren Sie dann mit der Maus auf den Bestand "As Resources". Es erscheint in der Mitte des Kästchens ein Pfeil. Klicken Sie darauf, halten Sie die Maustaste fest und ziehen Sie den Fluss ca. 3 cm nach oben und lasssen die Maustaste wieder los. Es erscheint ein Pfeil, der am Bestand angeheftet und mit "Flow" benannt ist. Diese Bezeichnung können Sie auch wieder in den Konfigurationsfelder am rechten Bildschirmrand änderen. Ich nenne diesen Fluss "net increasing of As Resources" (Abbildung 3). Drehen Sie noch die Strömungsrichtung des Flusspfeils um, indem Sie auf das Symbol neben "Flows/Transititions" mit den zwei gegenläufigen Pfeilen klicken, solange der Flusspfeil noch ausgewählt ist. Wenn etwas schief geht, können Sie es immer unter "Edit/Undo" rückgängig machen.
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Abbildung 3

Hilfsvariable

Nun können Sie einwenden, dass damit nur der Fall modelliert wird, wo sich Individuen ohne Meinung einer der drei Meinungen anschliessen, nicht aber der Fall, wo Individuen mit einer Meinung zu einer Partei wechseln, die eine andere Meinung vertritt. Das ist sehr richtig. Das Modell müsste in dieser Richtung ergänzt werden. Hier geht es aber zunächst nur darum, ein lauffähiges Modell zu erstellen. Modellbildung findet meistens so statt, dass man mit einer einfachen Situation startet und das Modell dann immer weiter ausbaut und immer mehr der beobachteten Realität anpasst. Die Erweiterung durch Flüsse zwischen den drei Beständen, wäre Ihnen dann als "Hausaufgabe" überlassen, wenn Sie mögen.

Für die Anteile müssen wir jeweils die einzelnen Bestände durch die Summe der drei Bestände teilen, also generieren wir zunächst eine Hilfsvariable, die die drei Bestände zusammen zählt. Ich nenne sie "total". Wählen Sie "Add Variable" unter "Add Primitive" und nennen Sie sie um. Ziehen Sie sie zwischen die drei Bestände und klicken Sie neben "Flows/Transititions" auf "Links". Ziehen Sie nun einen Link vom Pfeilsymbol mitten im Bestand "As Resources" zu "total", bis die Variable "total" grün leuchtet zum Zeichen, dass der Link "eingeschnappt" ist. Diese Verbindung hat eine andere Qualität als ein Flow. Sie ist nur gestrichelt und unbenannt. Machen Sie das für alle drei Bestände (Abbildung 4).
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Abbildung 4

Klicken Sie wieder auf die Variable "total" um sie zu auszuwählen. Dann erscheinen rechts wieder die Konfigurationsfelder. Etwa auf der vierten Zeile steht "Value/Equation=" und der Wert 0 ist vorgegeben. Klicken Sie in das Feld mit der Null. Es erscheint am Ende des Feldes einen Pfeil. Klicken Sie darauf und es eröffnet sich der Formeleditor. Rechts sehen Sie die vorprogrammieren Formeln, zuoberst unter "References" stehen die drei Grössen "As Resources", "Bs Resources" und "Cs Resources", weil von denen ein gestrichelter Pfeil zu der Variablen "total" geht.

Klicken Sie auf "As Resources", dann auf das "+", dann auf "Bs Resources", dann auf das "+" und schliesslich nochmals auf "Cs Resources", so dass jetzt die Formel für die Summe der drei Bestände da steht (Abbildung 5). Klicken Sie schliesslich auf "Apply".
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Abbildung 5

Nun wollen wir drei neue Hilfsvariablen generieren, die die Anteile der Meinungen A, B und C enthalten. Z.B. berechnet sich der Anteil für A aus [As Resources]/[total]. Wir benötigen also je einen gestrichelten Pfeil vom Bestand "As Resources" und von "total" zu der Variablen "As Proportion" (Abbildung 6). Geben Sie die Formeln für die Anteile bei den Anteilvariablen ein.
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Abbildung 6

Diese Variable "As Proportion" ist nun für den Zuwachs von "As Resources" verantwortlich. Dazu machen wir einen Link von "As Proportion" zu der Flussbezeichnung "net increasing of As Resources". Klicken Sie bei gehaltener Shift-Taste irgendwo auf den Link. Damit generieren Sie ein neus Handle im Link, das Sie mit der Maus wegziehen und so den Linkpfeil biegen können. Das sieht besser aus.

Rückkopplungsschleifen und Simulation

"As proportion" ist sozusagen der Zinssatz. Vielleicht müssen wir die Grösse noch ein wenig beschneiden. Der Zins ist ja "ZinssatzKapital", hier also [As proportion][As Resources]. Geben Sie diese Formel bei allen Flüssen ein. Damit schliesst sich der Kreis "Bestand-Anteil-Fluss-Bestand". Das nennt sich ein Feedbackloop, bzw. Rückkopplungsschleife.

Nun können Sie auf "Simulate" klicken. Es öffnet sich ein Fenster, das Ihnen die zeitliche Entwicklung der Grössen für die ersten 20 Perioden zeigt. Welche Grössen angezeigt werden sollen, können Sie unter "Configure" auswählen. Alles bleibt bei Null. Weshalb? Nun, die Bestände haben zu Beginn keinen Inhalt. Niemand vertritt die Meinung A oder B oder C. Also sind auch ihre Anteile Null und nichts fliesst in die Bestände. Sie müssen deshalb in der Konfigration der Bestände einen Anfangswert festlegen. Wie Sie sehen, ist er defaultmässig auf 0 eingestellt. Überschreiben Sie diesen für jeden Bestand mit einer 1. Je ein Individuum vertritt eine der drei Meinungen. Nun können Sie wieder auf "Simulate" klicken. Die Anteile sind, wie erwartet, konstant 1/3 und die Stärke der Parteien nimmt identisch exponentiell zu.

Der Zuwachs "net increasing of As Resources" ist aber nicht deterministisch, sondern statistischen Schwankungen unterworfen. Ich habe das mit einer Zufallsvariablen modelliert. Sie lautet: (-1)^Round(10Rand(0, 1))0.005*RandBeta(2,3). Ich möchte das hier nicht weiter erläutern, wer sich dafür interessiert, kann sich in den Kommentaren danach erkundigen. Es ist ein Wert, der ganz leicht um 0 herum schwankt (Abbildung 7). Ich habe sie in den Variablen "As Korrektur", etc. festgelegt.
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Abbildung 7

Wenn Sie das Modell jetzt laufen lassen, sehen Sie, wie sich die drei Meinungen in den ersten 200 - 300 Tagen konkurrenzieren:

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Danach setzt sich eine durch und verdrängt die anderen. Die Laufzeit und die Zeitperiode ("day") habe ich in den "Settings" angepasst:

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Eigentlich sind Flüsse stets Raten, d.h. Mengen pro Zeiteinheit. Da wir hier die ganze Diskussion um Einheiten ausser Acht gelassen haben, eine Todsünde für einen eingefleischten Systemdynamiker, wurden Raten nie explizit. Wo ist z.B. die Division durch eine Zeitgrösse, die es bräuchte, damit eine Rate entsteht? Das ist vielleicht ein Thema für einen späteren Blogbeitrag.

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