Findet Evolution beim Menschen noch statt?

in #science7 years ago

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Kurz zur Erinnerung, wie Evolution eigentlich funktioniert: Eigenschaften, die durch Mutationen bestimmter Gene entstanden sind, können sich dann erfolgreich vermehren im Genpool, wenn sie einen Selektionsvorteil aufweisen. Als vereinfachtes Beispiel: eine starke Sehkraft ist von Vorteil beim Erkennen von Beute aus großer Entfernung, daher konnten sich Adler, die besonders gut sahen, auch besser ernähren und daher mehr Nachkommen produzieren als kurzsichtige, was dafür sorgte, daß sich das “Adlerauge”-Gen unter den Adlern ausgebreitet hat. So die Theorie. (Handfeste Beweise gibt es dafür erstaunlich wenige, aber das wäre eine andere Geschichte.) Richard Dawkins geht so gar so weit, dass er von “egoistischen” Genen spricht. In letzter Konsequenz sind die Einweg-Hüllen rund um die Gene (Zellkern, Zelle, Mehrzeller bis hin zum Menschen) nur Vehikel, um die Gene weiterzutragen in die nächste Generation (1).

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Die Gene, die die Körper des Menschen codieren waren offensichtlich sehr erfolgreich und haben uns bis an die Spitze(?) der Nahrungspyramide gebracht, hauptsächlich durch die rasante Entwicklung unseres Gehirn. Was passiert aber jetzt? Gibt es noch einen Selektionsdruck, der zu einer Verschiebung von Genverteilungen führen könnte?

Hier ein paar Beispiele, die belegen, dass bis vor kurzem und sogar jetzt gerade Evolution immer noch passiert:

  1. Zunahme der Laktosetoleranz bei Erwachsenen: Ursprünglich wurden die Gene, die laktoseabbauende Enzyme codieren, nach der Brustenwöhnung abgeschaltet, doch seit der Mensch mit der Viehzucht begann, stellte es sich als Vorteil heraus, durch das Trinken der Milch zusätzliche Resourcen der gezüchteten Tiere nutzen zu können, sodaß mittlerweile 95% der Nordeuropäer Laktose verwerten können. Tendenz unklar.
  2. Verkleinerung der Kiefer und Verlust der Weisheitszähne: Diese 3. Backenzähne sind zunehmend verkümmert ausgebildet oder haben keinen Platz im Kiefer, da dieser offenbar kleiner wird im Vergleich zu früher, wo Fleisch und andere zähe Nahrung ohne Werkzeuge abgebissen und gekaut werden mußten. Vermutlich werden die Weisheitszähne ganz verschwinden.
  3. Unsere Gehirne schrumpfen: Seit den letzten 30.000 Jahren ist unser Gehirn im Schnitt von 1500cm3 auf 1350cm3 geschrumpft (um die Größe eines Tennisballs). Hier gibt es keine schlüssige Erklärung: Manche behaupten, das läge daran, dass wir nicht mehr in einer extrem lebensfeindlichen Unwelt leben und dass uns das Sicherheitsnetz unserer Zivilisation langsam verdummen lässt. Andere vermuten, dass sich das Gehirn gerade anders verdrahtet und sich dabei selbst optimiert. Ein zu grosses Gehirn stellte ja auch eine ziemliche Gefahr bei der Geburt für Kind und Mutter dar.
  4. Blaue Augen: Ursprünglich hatten wir alle braune Augen. Vor ca. 10.000 Jahren entstand eine Mutation, die zu blauen Augen führte. Obwohl es niemand genau weiss, könnte so gewesen sein, dass blaue Augen als “Vaterschaftstest” fungiert haben. Es gibt einen starken Selektionsdruck, der Männer dazu veranlasst, keine Resourcen in fremde Kinder zu investieren. Wenn daher von diesem Mann ein blauäugiges Kind zur Welt kam, konnte er sicher sein, dass es von ihm war, was blauäugigen Kindern einen gewissen Vorteil gebracht hatte, so lange, bis sich die entsprechenden Gene permanent im Genpool verbreitet hatten. Übrigens halten laut einer Studie in Norwegen blauäugige Männer blauäugige Frauen für attraktiver (braunäugige Männer und Frauen haben keine solche Präferenz) (2).
  5. Entwicklung von Krankheitsresistenzen: Britische Forscher haben festgestellt, dass eine sehr lange Besiedelungsgeschichte zu Genvarianten mit einer höheren Tuberkulose- und Lepraresistenz führt (3). In dem engen Zusammenleben einer Stadt hat eine Resistenz gegen eine Krankheit, die sich in so einer Umgebung rasch ausbreiten würde, natürlich einen Vorteil.
  6. Auswertungen der Framingham Heart Study (4), einer Multigenerationsstudie, die seit 1948 (!) läuft, deuten darauf hin, dass sich die Reproduktionsphase verlängert (Menopause verschiebt sich nach hinten und die ersten Geburten passieren früher) und sich Cholesterin- und Blutdruckwerte verringern. Auch die Körpergröße scheint abzunehmen (bereinigt auf den Ernährungszustand, der Menschen mit guter Ernährungslage größer werden läßt). Männer tendieren dazu, weniger Kinder in hohem Alter zu zeugen (was die Mutationsrate verringert).
  7. In Genomen von 210.000 US-Amerikanern und Briten fanden sich genetische Varianten, die mit der Alzheimer-Krankheit in Verbindungen stehen, seltener bei Menschen, die im Schnitt länger leben. Ebenso verhielt es sich bei Gen-Eigenschaften, die bei starken Rauchern vorkommen (5). Das ist deshalb so kompliziert formuliert, weil man (noch) nicht sagen kann, dass diese langlebigen Menschen ihre Eigenschaften auch an die Nachkommen vermehrt weitergeben, da der Vorteil erst nach der Reproduktion zum Tragen kommt und somit kein Selektionsvorteil im engeren Sinn ist.

Zu 6) und 7) ist zu sagen, dass manche dieser Effekte sehr gering sind und massiv überlagert von kulturell bedingten Strömungen (Umweltgifte, Tendenz zu Fast Food, Durchmischung der "Rassen").

Insgesamt ist die Evolution nicht stehengeblieben, aber durch die weltweite, erfolgreiche Ausbreitung des Menschen und die Erfolge der modernen Medizin, zusammen mit negativen Entwicklungen (siehe unten, Teil 1 und 2) sehe ich nach derzeitigem Erkenntnisstand keinen nennenswerten “Verbesserungen” mehr. Wir sind bis auf Details abgeschlossen, der nächste Schritt wird wohl kein biologischer sein.
Soweit zur gegenwärtigen natürlichen Evolution, demnächst noch mehr zur möglichen zukünftigen und künstlichen Evolution.

Dies ist Teil 3 einer Serie zur modernen Evolution des Menschen:

Teil 1: Werden wir dümmer? Über die Entwicklung des IQ
Teil 2: Rassen - und es gibt sie doch

Quellen:
(1): Richard Dawkins, "Das egoistische Gen" (Springer Verlag)
(2): http://www.nytimes.com/2006/10/31/health/31gene.html
(3): https://www.sciencedaily.com/releases/2010/09/100923104140.htm
(4): http://content.time.com/time/health/article/0,8599,1931757,00.html
(5): http://journals.plos.org/plosbiology/article?id=10.1371/journal.pbio.2002458

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Selbstverständlich findet eine Entwicklung noch statt. Sie ist sogar schneller als je zuvor, denn auch die Entwicklung selbst unterliegt einem Entwicklungsdruck. Läßt der Entwicklungsdruck nach, so divergiert das System, es läuft auseinander.

Die Biologie fährt sehr auf Mutationen ab. Darwin schrieb nur von Varianten. Er kannte noch keine Mutationen.
Trotzdem ist die Erklärung mittels zufälliger Veränderungen nicht richtig. Wenn das System immer komplexer wird, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, mit einer zufälligen Änderung die Anpassung zu verbessern. Die Entwicklung würde langsamer werden. Sie wird aber schneller. Gould hatte nicht recht.

Der Gedanke der Variation ist schon der richtige. Das Leben selbst hat die Erzeugung der Varianten längst übernommen. Ein Weg ist die Zweigeschlechtlichkeit. Die Kombination von Genen liefert gutes Ausgangsmaterial für eine anschließende Selektion. Zielloses Herumprobieren ist es nicht! Es müssen Varianten in einem engen Bereich angeboten werden.
Steemit: Gleichmacherei und Entwicklung

Es wurden Mechanismen entdeckt, die die Fortpflanzung auf die benötigte Variationsbreite regeln.
Darwin – und was dann?
Die jetzigen Erklärungen der Evolution laufen den Erkenntnissen weit hinterher. Vor 150 Jahren hätte die Philosophie aufwachen können, aber nichts ist geschehen. Die Biologen haben immer noch nicht verstanden, was Entwicklung ist. Das meine ich ernst!
In den 1940ern gab es die Kybernetik. Die wäre die Basis einer Allgemeinen Entwicklungstheorie. Aber nichts ist passiert.

Wenn Du mal ernsthaft nachdenken willst:
http://thumulla.com/home/kampf_der_systeme.html
http://thumulla.com/home/das_buch_kampf_der_systeme_.html

Die Entwicklung geht natürlich weiter. Es gibt keinen Bruch, wenn man sie als Ansammlung von Information sieht. Technische Einrichtungen kommen. Aber deren Reproduktion wird noch lange auf sich warten lassen.

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Normalerweise beschäftige ich mich nicht mit Evolution, aber das war sehr interessant. Mein Mann behauptet immer, besonders fortschrittlich zu sein, weil er keine Eckzähne hat. (Von Geburt an) 😀

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